Calvin, Jean
Was Du über die Alte erzählst, ist ja beinahe ungeheuerlich! Ich konnte es zuerst kaum glauben. Und doch hielt ich es gleich für ganz richtig von Dir, dass Du mich benachrichtigtest, da die Sache schon durch vielfaches Geschwätz breitgetreten war. Denn wir dürfen uns Dingen gegenüber, die so gerüchteweise umgehen, nicht taub stellen, und seien sie noch so dunkel und unsicher. Es ist nämlich unsere Pflicht, unbegründetes, leichtfertiges Gerede zu unterdrücken, und wir können das Wahre vom Falschen nicht unterscheiden, wenn wir das, was in aller Munde ist, nachlässig überhören. Jetzt, wo Charles zur Bestätigung nicht mehr nur von Anzeichen für solche Ausschweifung, aus denen man eine solche schändliche Tat mehr ahnen als strafen konnte, sondern sogar von der Tatsache der Verheiratung berichtet hat, bin ich vollends starr. Das ist eine Ungeheuerlichkeit, vor der alle Heiligen mit Recht Abscheu Empfinden müssen. Denn wie unglaublich erscheint es uns schon, wenn wir bei den Dichtern lesen, dass Frauen von sechzig Jahren noch Lust bekommen zu heiraten! Und diese Alte hat schon siebzig auf dem Buckel. Wenn sie sich wenigstens noch einen Mann ebenso fortgeschrittenen Alters genommen hätte! So aber fehlt ihr nicht nur jede Möglichkeit, sich zu verteidigen, sondern auch jeder Scheingrund für eine Entschuldigung. Sie glaubten sich gut beraten, als sie zu einer heimlichen Einsegnung ihre Zuflucht nahmen. Aber sie werden es in Kurzem beide erfahren, wie gefährlich es ist, mit Gott sein Spiel zu treiben. – Wenn Du nun fragst, was Du tun sollst, so weiß ich Dir kaum zu raten. Denn wenn ich auch der Meinung bin, dass sie streng getadelt werden müssen und wir uns dem kaum werden entziehen können, ohne unsere Pflicht zu vernachlässigen, so ist es doch nicht ohne Gefahr, und es bedarf großer Vorsicht, damit sie nicht, von uns erbittert, so leichtsinnig, wie sie zusammengekommen sind, zu noch größerer Schande und noch schwererem Ärgernis wieder auseinander laufen. Wenn nicht eine besondere Gelegenheit Dir die Möglichkeit gibt, rate ich Dir daher nicht, mit der Frau zu reden. Trifft es sich aber einmal gerade, so sage ihr nur, dass sie sehr schlecht auf ihren eigenen Ruf und die Erbauung der Kirche bedacht gewesen sei, dass es Dir übel gefalle, dass es keinen ernsten und anständigen Menschen gäbe, der ihre Tat nicht ganz und gar missbillige, und dazu Du auch glaubtest, es werde das für Dich eine sehr bittere und traurige Kunde sein. Damit sie jedoch innerlich nicht völlig zusammenbricht oder ganz und gar rasend wird, mildere, so sehr Du kannst, den Ernst in der Sache durch Güte in den Worten und mahne sie, dass sie den üblen Anfang durch einen besseren Ausgang wieder gutzumachen strebt. Im Ganzen halte Dich zurück und vermeide alles Entscheidende bis zu meiner Rückkehr. … Lebe wohl! Grüße mir freundlich alle die Unsrigen!