Johannes Calvin
übersetzt von I. Menges (1874 – 1934)
Dass, wie Eusebius berichtet, einst dieser Brief Zweifeln begegnete, darf uns nicht abhalten, ihn zu lesen. Denn was unbekannte Menschen über ihn gesagt haben, bedeutet keine Autorität. Auch fügt derselbe Schriftsteller hinzu, dass der Brief später allenthalben ohne Widerspruch angenommen wurde. Mehr Eindruck macht auf mich die Mitteilung des Hieronymus , dass manche wegen des eigenartigen Stils Petrus nicht als Verfasser hätten gelten lassen. Gewiss lässt sich manche Verwandtschaft zwischen den beiden Petrusbriefen zeigen; aber ich muss doch einen handgreiflichen Unterschied zugestehen, der auf verschiedene Schriftsteller schließen lässt. Auch andere Anzeichen machen es wahrscheinlich, dass ein anderer als Petrus die Feder geführt hat. Dabei herrscht doch Übereinstimmung darüber, dass der Brief nichts enthält, was eines Petrus unwürdig wäre, dass man vielmehr überall die Kraft und Anmut apostolischen Geistes spürt. Nimmt man ihn also als ein Stück der heiligen Schrift an, so muss man Petrus als Verfasser betrachten, dessen Name nicht bloß an der Spitze steht, sondern der auch selbst als einen Mann sich gibt, der mit Christus verkehrt hat. Denn sich als eine andere Person darzustellen, wäre eine eines Dieners Christi unwürdige Täuschung. Hält man also den Brief für glaubwürdig, so bin ich der Ansicht, dass er von Petrus stammt.
Er braucht ihn aber nicht selbst geschrieben zu haben. Vielmehr mag irgendeiner von seinen Schülern in seinem Auftrag zu schriftlichem Ausdruck gebracht haben, was die Not der Zeit erforderte an Belehrung und Ermahnung. Denn wahrscheinlich war Petrus damals hoch betagt. Sagt er doch, er sei dem Tode nahe. Und es ist möglich, dass er auf die Bitte von Gläubigen hin es zuließ, dass dieses seiner Gesinnung entsprechende Zeugnis gegen seinen Tod hin unter seinem Namen hinausging, weil es nach seinem Tode gute Dienste leisten konnte, die Guten zu stärken und die Gottlosen zu widerlegen. Da in allen Teilen des Briefes sich ohne Zweifel die Majestät des Geistes Christi beweist, trage ich Bedenken, ihn ganz zu verwerfen, wenn ich auch die echte Sprechweise des Petrus in ihm nicht zu erkennen vermag. Weil übrigens Gewissheit bezüglich des Schreibers nicht besteht, werde ich mir erlauben, ihn bald als Petrus, bald als einen Apostel zu bezeichnen.
Jetzt gebe ich in aller Kürze die Inhaltsübersicht. Der Zweck des Briefes ist, zu zeigen, wer einmal den rechten Glauben an Christus bekannt habe, solle sich bis ans Ende im Einklang mit seiner Berufung halten.
Nachdem der Apostel Gottes Gnade gepriesen hat, mahnt er die Leser zur Heiligung ihres Wandels, da Gott meist das trügerische Sichbrüsten mit seinem Namen an den Heuchlern durch schreckliche Verblendung strafe. Dagegen lasse er seine Gaben bei denen zunehmen, welche der Lehre der Frömmigkeit wahrhaft und von Herzen zugetan seien. Er mahnt also, seine Berufung durch einen gottesfürchtigen Wandel zu betätigen. Und um dieser Mahnung mehr Gewicht zu geben, weist Petrus auf sein nahes Abscheiden hin (1, 14). Zugleich entschuldigt er sich, dass er dasselbe öfter wiederhole. Er tue es, damit sie nach seinem Tode sich tiefer einprägten, was er bei Lebzeiten geschrieben hätte.
Da aber der Grund der ganzen Gottesfurcht die Untrüglichkeit des Evangeliums ist, so beweist er dessen allen Zweifeln entnommene Wahrhaftigkeit zunächst dadurch, dass er auf seine Augenzeugenschaft für den gesamten Inhalt des Evangeliums hinweist, vor allem darauf, dass er Christus aus dem Himmel habe „Sohn Gottes“ nennen hören (1, 17). Sodann erinnert er daran, dass diese Untrüglichkeit nach Gottes Willen durch die prophetischen Weissagungen bezeugt und bestätigt sei. Zugleich sagt er jedoch voraus (2, 1 ff.), dass einerseits von falschen Lehrern, die gottlose Wahngebilde verbreiteten, anderseits von Gottesverächtern, die alle Frömmigkeit verhöhnten, Gefahr drohe (3, 1 ff.). Dadurch sollen die Gläubigen zur Vorsicht gemahnt und gefestigt werden. Der Apostel scheint dies mit Absicht zu bemerken, damit man sich nicht ein ruhiges, gleichmäßiges, allem Kampf entnommenes Leben unter dem Zepter Christi erträume.
Die Gläubigen mahnt er ferner (3, 11 ff.) mit aufgehobenem und aufrichtigem Herzen der Ankunft Christi stets gewärtig zu sein. Nicht allein aber das: sie sollen sich jenen Tag als schon gegenwärtig vor Augen stellen. Bis dahin aber müssten sie sich unbefleckt für den Herrn erhalten. Dafür beruft sich Petrus auch auf das Zeugnis und die Übereinstimmung mit Paulus (3, 15). Um dessen Schriften vor der Beschimpfung der Gottlosen zu schützen, verurteilt er alle aufs strengste, welche sie verdrehen.
1 Simon Petrus, ein Knecht und Apostel Jesu Christi, denen, die mit uns eben denselbigen Glauben überkommen haben in der Gerechtigkeit, die unser Gott gibt, und der Heiland Jesus Christ. 2 Gott gebe euch viel Gnade und Frieden durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unsers Herrn! 3 Nachdem allerlei seiner göttlichen Kraft, was zum Leben und göttlichen Wandel dient, uns geschenkt ist durch die Erkenntnis des, der uns berufen hat durch seine Herrlichkeit und Tugend, 4 durch welche uns die teuren und allergrößesten Verheißungen geschenkt sind, nämlich, dass ihr dadurch teilhaftig werdet der göttlichen Natur, so ihr fliehet die vergängliche Lust der Welt.
V. 1. Simon Petrus. In diesem Briefe nimmt eine Bitte die erste Stelle ein. Dann folgt der Dank, um die Juden zur Dankbarkeit zu reizen, damit sie nicht vergessen, was und wie viel Gutes sie schon aus Gottes Hand empfangen hätten. Warum Petrus sich Knecht und Apostel Jesu Christi nennt, haben wir andern Orts gesagt: weil man nämlich auf niemand in der Gemeinde hören soll, er rede denn im Namen und Auftrag Christi. Weiter ist die Bezeichnung „Knecht“ umfassender. Sie umschließt nämlich alle Diener Christi, welche irgendein öffentliches Amt in der Gemeinde bekleiden. Das Apostolat ist ein höheres Ehrenamt. Der Apostel sagt also damit, er sei nicht irgendeiner aus der Schar der Diener, sondern der Herr selbst habe ihn in die Reihe der Apostel berufen, welche unter den übrigen einen Ehrenplatz einnahmen.
Denen, die mit uns eben denselbigen teuren Glauben usw. Damit soll die Gnade angepriesen werden, die Gott allein seinen Auserwählten ohne Unterschied zuteil werden lässt. Denn es war kein gewöhnliches Geschenk, dass alle zu einem und demselben Glauben berufen worden waren. Ist doch der Glaube ein hervorragendes, ja das höchste Gut des Menschen! Ferner redet Petrus von eben demselbigen teuren Glauben, nicht weil er etwa in allen gleichwertig wäre, vielmehr deshalb, weil alle eben denselben Christus mit seiner Gerechtigkeit und eben dasselbe Heil im Glauben besitzen. Ist also gleichwohl das Maß des Glaubens verschieden, so hindert das doch nicht, dass alle an der Erkenntnis Gottes und der Frucht, die daraus hervor wächst, Anteil haben. So besteht zwischen Petrus und den Aposteln einerseits und uns anderseits wahrhaftige Gemeinschaft des Glaubens.
Der Zusatz: „in der Gerechtigkeit, die unser Gott gibt,“ sagt uns, dass wir nicht durch eigenen Fleiß und Tüchtigkeit den Glauben erworben haben, sondern ihn besitzen als ein Gnadengeschenk Gottes. Gerechtigkeit Gottes in dem Sinn, wie es hier zu verstehen ist, und Menschenverdienst schließen sich ja aus. Denn Gerechtigkeit Gottes wird darum die wirksame Ursache des Glaubens genannt, weil niemand imstande ist, sich selbst dieselbe zu schaffen. Gerechtigkeit ist also nicht unter dem Gesichtspunkte aufzufassen, dass sie in Gott beschlossen bleibt, sondern sofern sie auf die Menschen ausströmt (vgl. Röm. 3, 22). Diese Gerechtigkeit wird gleicher weise Gott wie Christus zugesprochen, weil sie aus Gott fließt, aber durch Christus auf uns überströmt.
V. 2. Gott gebe euch viel (genauer: immer mehr) Gnade und Friede. Mit Gnade wird Gottes väterliche Huld uns gegenüber bezeichnet. Wir sind freilich einmal mit Gott durch Christi Tod versöhnt und gelangen durch den Glauben in den Besitz dieses großen Gutes. Aber weil wir Gottes Gnade nach dem Maß unsres Glaubens empfangen, so heißt es von ihr: sie wachse im Verhältnis zu unserer Gesinnung, da sie uns immer mehr aufgeschlossen wird. Neben die Gnade tritt der Friede. Der Anfang unserer Glückseligkeit besteht ja darin, dass Gott uns in Gnaden annimmt. Und je mehr die Liebe zu ihm in unseren Herzen an Kraft gewinnt, desto reichlicher segnet er uns, auf dass uns alles glücke und wohl gelinge. Durch die Erkenntnis. Wie einer in der Erkenntnis Gottes fortschreitet, wo wächst in ihm auch zugleich mit dem Empfinden der göttlichen Liebe alles Gute. Wer also zu dem vollen Genuss eines glücklichen Lebens zu gelangen sucht, der gedenke des von Petrus beschriebenen Weges. Gottes und Jesu Christi Erkenntnis ist nicht zu trennen. Denn Gott kann einzig und allein in Christus recht erkannt werden, wie es auch Mt. 11, 27 zu lesen ist.
V. 3. Nachdem allerlei seiner göttlichen Kraft usw. Der Apostel erinnert an die unzählbaren Erweisungen der Güte Gottes, welche die Leser schon erfahren hatten. Dadurch sollten sie für die Zukunft mehr Vertrauen gewinnen. Denn Gott hört nie auf, wohl zu tun bis ans Ende, oder vielmehr nur dann, wenn wir selbst durch unseren Unglauben ihm in den Arm fallen. Denn seine Macht ist unerschöpflich, und sein Wille, wohl zu tun, ist immer gleich. So ermuntert denn auf Grund der früheren Wohltaten Gottes der Apostel mit Recht die Gläubigen zu guter Hoffnung. Das bezweckt auch die Fülle des Wortlauts. Denn er hätte sonst einfacher sagen können: „nachdem er uns alles geschenkt hat.“ Aber indem er von der göttlichen Kraft spricht, schwingt er sich höher empor; Gott hat ja die unermessliche Fülle seiner Macht so reichlich entfaltet. Übrigens kann man dies auf Christus wie auf den Vater beziehen. Doch passt es besser zu Christus; als wenn er gesagt hätte: die Gnade, die von ihm auf uns ausgegossen ist, sei ein Abglanz der Gottheit. Denn das war kein Menschenwerk.
Was zum Leben und göttlichen Wandel usw. Einige beziehen dies auf das gegenwärtige Leben, so dass der göttliche Wandel gleichsam als eine höhere Gabe zu jenem hinzutreten würde. Somit hätte Petrus an zwei Merkmalen beweisen wollen, wie wohlwollend und freigebig Gott gegen die Gläubigen sei, dass er sie ans Licht gebracht, dass er ihnen alles im Überfluss darreicht, was zur Erhaltung des irdischen Lebens dient; und dann, dass er sie wiedergeboren zu einem geistlichen Leben, während er sie selbst mit göttlichem Wandel schmückte. Aber diese Unterscheidung ist dem Petrus fremd. Dann hätte er also nicht nur das Leben erwähnt, sondern auch noch den göttlichen Wandel gleichsam als die Seele des Lebens aufgeführt. Erst dann macht uns Gott wahrhaft lebendig, wenn er uns seiner Gerechtigkeit untertan macht. Doch Petrus redet hier nicht von den natürlichen Gaben Gottes. Er preist nur die, welche er seinen Auserwählten insbesondere erteilt, sofern sie über die allgemeine Naturordnung hinausgehen. Dass wir als Menschen geboren, dass wir mit Sinnen und Verstand begabt sind, dass unser Leben nicht des notwendigen Unterhalts ermangelt, das ist freilich alles Gottes Gabe. Doch weil die Menschen in ihrer Undankbarkeit und Bösartigkeit diese, wie sie sagen, gemeinsamen Naturgüter nicht unter die Wohltaten Gottes rechnen, darum wird hier das gewöhnliche menschliche Leben nicht berührt; sondern der Apostel wählt die eigentlichen Gaben des neuen, geistlichen Lebens aus, welche ihren Ursprung im Reiche Christi haben. Wenn man aber zu den übernatürlichen Gaben Gottes alles zählt, was zu göttlichem Wandel und zum Heil führt, so mögen die Menschen lernen, sich nichts anzumaßen, sondern Gott demütig um alles zu bitten, was ihnen, wie sie sehen, fehlt; und wiederum mögen sie das, was sie Gutes haben, als von ihm empfangen betrachten lernen. Denn Petrus schreibt hier die ganze Fülle des göttlichen Wandels, alle Heilsmittel, der göttlichen Macht Christi zu und entzieht sie dem Bereich gemeiner menschlicher Natur, so dass uns auch nicht das mindeste Tröpfchen von Kraft übrig bleibt.
Durch die Erkenntnis des usw. Jetzt beschreibt der Apostel, wie Gott uns solch großer Güter teilhaftig macht: er offenbart sich uns nämlich durch das Evangelium. Denn Gotteserkenntnis ist der Anfang des Lebens und der erste Schritt zu göttlichem Wandel. Überhaupt kann keine Nießung geistlicher Gaben zum Heile dienen, solange man nicht, durch die Lehre des Evangeliums erleuchtet, Gott erkennt. Übrigens ist Gott der Urheber dieser Erkenntnis. Denn wir kommen nie zu ihm, wenn wir nicht berufen werden. Also ist nicht unsere Scharfsichtigkeit, sondern Gottes Berufung die wirksame Ursache des Glaubens. Gemeint ist aber nicht die nur äußerliche Berufung, welche an sich unwirksam ist, sondern die innerliche, welche in einer geheimen Geisteskraft besteht, darin nämlich, dass Gott nicht nur mit Menschenstimmen die Ohren trifft, sondern innerlich durch seinen Geist die Herzen zu sich zieht.
Durch seine Herrlichkeit und Tugend. Petrus will den ganzen Ruhm unserer Errettung klar und deutlich Gott zuschreiben, um uns einzuprägen, dass wir alles ihm danken. Wir sind ja ganz von Schmach bedeckt und völlig verkehrt, bis Gott uns in seine Herrlichkeit kleidet und mit seiner Tugend schmückt. Ferner ist damit gesagt: das sei die Wirkung der Berufung an den Auserwählten, dass Gottes herrliches Bild wieder an ihnen erneuert wird und sie zur Heiligkeit und Gerechtigkeit umgeschaffen werden.
V. 4. Durch welche uns die teuren usw. Alles, was Gott uns verheißen hat, muss eigentlich und billigerweise als Ausfluss seiner Tugend und Herrlichkeit betrachtet werden. Gottes Verheißungen sind sehr teuer zu halten. Aber sie werden uns anderseits als freies Geschenk dargeboten. Die Herrlichkeit der Verheißungen zeigt sich jedoch darin, dass sie uns schließlich der göttlichen Natur teilhaftig machen. Und was wäre köstlicher als das? Man darf nämlich nicht vergessen, aus welchem Abgrund uns Gott zu solch hohen Ehren emporhebt. Wir wissen ja, wie verworfen unsere Natur ist. Dass sich also Gott auf unsre Seite stellt, so dass all das Seine gewissermaßen unser ist – diese Fülle von Gnade können wir nicht genug erfassen. Darum muss uns diese eine Betrachtung reichlich genügen, um den Entschluss zu fassen, der Welt abzusagen und ganz dem Himmel zuzusteuern. Das Ziel, zu dem das Evangelium uns führen will, ist also: dereinst Gott gleich zu sein, d. h. sozusagen, vergottet werden. Übrigens bezeichnet Natur hier nicht das Wesen, sondern die Beschaffenheit. Manche Menschen bilden sich ein, sie würden so mit der Natur Gottes überkleidet werden, dass dadurch unsere Natur völlig aufgehoben würde. So erklären sie das paulinische Wort: „Gott wird alles in allem sein“ (1. Kor. 15, 18) und ebenso unsere Stelle. Aber den heiligen Aposteln sind solche Wahnvorstellungen nie in den Sinn gekommen. Sie wollten nur sagen: wir werden alle Laster des Fleisches ablegen und der göttlichen Unsterblichkeit und seligen Herrlichkeit teilhaftig werden, so dass wir gleichsam eins mit Gott werden, soweit es unsere Art zulässt. Auch die Heiden haben es für das höchste menschliche Gut gehalten, Gott gleichförmig zu werden. Wir aber wollen die unnützen Grübeleien beiseite lassen und damit zufrieden sein, dass nach dem Reichsgesetz das Bild Gottes in uns erneuert wird in Heiligkeit und Reinheit, auf dass wir endlich am ewigen Leben und an der Herrlichkeit Anteil haben, um völlige Seligkeit zu genießen.
So ihr fliehet die vergängliche Lust der Welt. Wir haben schon des Apostels Meinung erkannt: die Aussicht auf die himmlische Herrlichkeit, zu der Gott uns einlädt, solle uns durch ihren Wert abziehen von der Eitelkeit dieser Zeit. Weiterhin stellt er der göttlichen Natur die Vergänglichkeit der Welt gegenüber. Aber der Apostel zeigt, dass diese nicht in den Kräften, die uns umgeben, besteht, sondern in unseren eigenen Herzen ihren Sitz hat. Dort herrschen ja die lasterhaften, bösen Regungen, deren Quelle und Wurzel in dem Wort „Lust“ oder „Begierde“ zum Ausdruck kommen.
5 So wendet allen euren Fleiß daran, und reichet dar in eurem Glauben Tugend, und in der Tugend Erkenntnis, 6 und in der Erkenntnis Mäßigkeit, und in der Mäßigkeit Geduld, und in der Geduld Gottseligkeit, 7 und in der Gottseligkeit brüderliche Liebe, und in der brüderlichen Liebe gemeine Liebe. 8 Denn wo solches reichlich bei euch ist, wird´s euch nicht faul noch unfruchtbar bleiben sein lassen in der Erkenntnis unsres Herrn Jesu Christi; 9 welcher aber solches nicht hat, der ist blind, und tappet mit der Hand, und vergisset der Reinigung seiner vorigen Sünden.
V. 5. So wendet allen euren Fleiß daran. Es ist eine harte, unendlich beschwerliche Arbeit, die Verderbnis, die in uns ist, abzulegen. Darum heißt der Apostel uns darnach streben und uns darum bemühen. Hier, so meint er, ist nicht der Platz, träge zu sein oder dem Rufe Gottes lässig und schläfrig zu folgen. Nein, eifrig und munter muss man sein: Lasst euch von keinem Versucht abschrecken und werft euch in den Kampf!
Reichet dar in eurem Glauben usw. Hier gibt der Apostel den Gläubigen die Richtung an, in der sie sich bemühen sollen. Ihren Glauben müssen sie betätigen in ehrbaren Sitten, in Klugheit, Mäßigkeit und Liebe. Der Glaube darf also nicht nackt und leer sein: er muss vielmehr von jenen Eigenschaften begleitet werden. „Im Glauben darreichen“ heißt: mit dem Glauben verbinden. Der Sinn der Worte ist: Gebt euch Mühe, dass zu eurem Glauben hinzukommen Tugend, Klugheit, Mäßigkeit usf. Unter Tugend ist ein ehrbares, wohlgeordnetes Leben, unter Erkenntnis ein verständiges Handeln zu verstehen. Nachdem Petrus nämlich im Allgemeinen geredet hat, zählt er einzelne hervorragende Gaben eines Christenmenschen auf. Die Bruderliebe besteht in der Liebe der Kinder Gottes untereinander. Die gemeine Liebe umfasst die ganze Menschheit.
Doch kann man hier die Frage aufwerfen, ob Petrus, indem er uns die Aufgabe zuweist, Tugenden zur Entfaltung zu bringen, die Kraft und Fähigkeit dazu dem freien Willen rühmend beimesse. Die, welche dem Menschen die Willensfreiheit zugestehen wollen, räumen zwar Gott den Vorrang ein: er beginne in uns zu wirken. Aber sie geben vor, wir seien zugleich mittätig, und es sei daher eigentlich unser Verdienst, wenn die Regungen, die Gott hervorruft, nicht vergeblich und unwirksam blieben. Und doch tritt die Lehre der heiligen Schrift diesem Wahn stets entgegen. Denn sie bezeugt unverhohlen: aufrichtige Regungen ruft Gott in uns hervor und führt sie zur Vollendung. Sie bezeugt auch, dass all unsere Taten und unsere Beharren allein auf Gottes Kraft beruhen. Zudem rühmt sie ausdrücklich, dass Klugheit, Liebe, Geduld Gaben Gottes und des Geistes seien. Wenn darum der Apostel hier solche Betätigung verlangt, so meint er damit keineswegs, dass sie in unserer Kraft stünde. Er zeigt vielmehr nur, was wir schuldig sind, und was geschehen muss. Für die Frommen aber bleibt, wo sie ihrer eigenen Schwäche bewusst werden und sehen müssen, wie es bei ihrer Pflichterfüllung mangelt, nichts anderes übrig, als ihre Zuflucht zur Hilfe Gottes zu nehmen.
V. 8. Denn wo solches reichlich bei euch ist usw. Dann erst, will Petrus sagen, beweist ihr, dass ihr Christus wahrhaft erkannt habt, wenn ihr mit Tugend, Mäßigkeit und anderen Gaben ausgestattet seid. Die Erkenntnis Christi ist nämlich etwas Wirksames, eine lebendige Wurzel, die in Früchten zum Vorschein kommt. Denn wenn es heißt: „wird´ s euch nicht faul noch unfruchtbar sein lassen“, so ist damit ausgesprochen, dass die Erkenntnis Christi überall da falsch und eitel ist, wo sie der Liebe, Geduld und ähnlicher Gaben ermangelt, wie auch Paulus an die Epheser schreibt (4, 20): „Ihr aber habt Christus nicht also gelernt. So ihr anders von ihm gehört habt und in ihm gelehrt seid, wie in Christus ein rechtschaffen Wesen ist. So legt nun von euch ab den alten Menschen, der sich verderbt“ usw. Denn wer Christus nicht durch einen neuen Wandel bekennt, der ist in seiner Liebe niemals recht gegründet gewesen.
Der Apostel will aber nicht nur, dass die Gläubigen mit Geduld, Gottseligkeit, Mäßigkeit und Liebe ausgerüstet seien, sondern er verlangt beständiges Fortschreiten und Wachstum dieser Gaben. Und zwar mit Recht. Denn noch stehen wir weit ab vom Ziele. Darum müssen wir immer weiter schreiten, auf dass Gottes Gaben in uns zunehmen.
V. 9. Wer aber solches nicht hat usw. Jetzt wird es noch deutlicher, dass, wer bloß auf den Glauben Gewicht legt, von der wahren Erkenntnis sehr weit entfernt ist. Petrus sagt von einem solchen Menschen: er irre wie ein Blinder im Finstern umher. Denn er bleibt nicht auf dem Weg, den das Licht des Evangeliums weist.
Das bekräftigt er auch durch die Bemerkung: „solche haben vergessen, dass sie durch Christi Wohltat von Sünden gereinigt sind.“ Und doch ist das der Anfang unseres Christentums! Folglich kennt ein Mensch, der sich um ein reines, heiliges Leben nicht kümmert, nicht einmal das ABC des Christenglaubens. Petrus nimmt aber für gewiss, seine Reinigung habe vergessen, wer sich noch im Fleischesschmutz wälze. Das Blut Christi ist uns ja nicht zur Reinigung gemacht, dass wir es mit unserm Schmutz besudeln dürften. Darum spricht er auch von den vorigen Sünden und will damit die Einsicht erwirken: von dem Zeitpunkt der Reinigung unserer Sünden ab müsse ein anderes Leben geführt werden. Nicht, dass jemand rein von allen Fehlern sein könnte, solange er in der Welt lebt, oder aber dass die Reinigung durch Christus lediglich in der Verzeihung bestünde; - vielmehr unterscheiden wir uns notwendigerweise von den Ungläubigen, sobald Gott uns für sich ausgesondert hat. Obgleich wir also täglich sündigen und Gott uns täglich verzeiht und Christi Blut uns von Sünden reinigt, so darf die Sünde nicht in uns herrschen, sondern die Heiligung durch den Geist muss die Oberhand gewinnen. So meint es auch Paulus (1. Kor. 6, 11): „und solche sind euer etliche gewesen, aber ihr seid abgewaschen“ usw.
10 Darum, liebe Brüder, tut desto mehr Fleiß, euren Beruf und Erwählung fest zu machen; denn wo ihr solches tut, werdet ihr nicht straucheln, 11 und also wird euch reichlich dargereicht werden der Eingang zu dem ewigen Reich unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi. 12 Darum will ich´s nicht lassen, euch allezeit solches zu erinnern, wiewohl ihr´ s wisset, und gestärkt seid in der gegenwärtigen Wahrheit. 13 Ich achte es aber billig, solange ich in dieser Hütte bin, euch zu erinnern und erwecken; 14 denn ich weiß, dass ich meine Hütte bald ablegen muss, wie mir denn auch unser Herr Jesus Christus eröffnet hat. 15 Ich will aber Fleiß tun, dass ihr allezeit habt nach meinem Abschied solches im Gedächtnis zu halten.
V. 10. Liebe Brüder, tut desto mehr Fleiß usw. Der Apostel folgert: dass wir von dem Herrn wahrhaft erwählt und nicht vergeblich berufen sind, können wir einzig dadurch beweisen, wenn dem Bekenntnis des Glaubens ein gutes Gewissen und ein reines Leben entsprechen. Darum müsse man noch mehr Eifer und Fleiß anwenden. Schon früher hatte er ja gesagt, der Glaube dürfe nicht unfruchtbar sein. Den Beruf nennt er zuerst, obwohl er der Ordnung nach die zweite Stelle einnimmt. Der Sinn ist: tut Fleiß, mit der Tat zu bezeugen, dass ihr nicht vergeblich berufen, ja erwählt seid.
Nun erhebt sich die Frage: ob der Bestand unserer Berufung und Erwählung sich auf gute Werke gründe? Wenn dem so ist, so folgt, dass er von uns abhängt. Und doch lehrt die ganze Schrift: erst sei im ewigen Vorsatz Gottes die Erwählung von Seiten Gottes gegründet; alsdann beginne die Berufung durch seine freie Güte und komme zur Ausführung. Gott beruft wirksam die, welche er vor Grundlegung der Welt nach seinem geheimen Rat zum Leben zuvor bestimmt hat. Und er lässt aus reiner Gnade beständig das Wort der Berufung erschallen. Aber weil er uns darum erwählt und beruft, dass wir rein seien und unbefleckt vor seinen Augen, so wird dieses reine Leben mit Recht ein Kennzeichen der Erwählung und ein Beweis genannt, wodurch die Gläubigen nicht nur andern gegenüber als Kinder Gottes erwiesen werden, sondern sich auch selbst in diesem Glauben stärken, doch so, dass sie anderswo fest gegründet sind. Trotzdem ist die Festigkeit, die Petrus erwähnt, nicht auf das Gewissen zu beziehen, wie wenn sich die Gläubigen vor Gott als Erwählte und Berufene erkennen würden. Es geht einfach auf die Tatsache, dass die Festigkeit der Berufung in der Heiligung des Lebens in Erscheinung tritt. Die Hauptsache ist, dass sich die Kinder Gottes durch ein frommes, heiliges Leben von den Gottlosen unterscheiden. Denn das ist der Zweck der göttlichen Erwählung. Daran wird offenbar, wie unwürdig einige unreine Hunde Gott anbellen, wenn sie seine freie Wahl zum Deckmantel jeglicher Zügellosigkeit machen; als ob man deshalb ungestraft sündigen dürfte, weil wir zur Gerechtigkeit und Heiligkeit bestimmt sind!
Denn wo ihr solches tut usw. Wieder hat es den Anschein, als ob Petrus dem Verdienst der Werke zumesse, dass Gott unseren Heilsweg fördere und auch, dass wir im Gnadenstand beharren. Aber die Lösung ist leicht: er wollte ja nur lehren, dass an den Heuchlern nichts Lauteres sei, dagegen die, welche ihre Berufung durch gute Werke als fest beweisen, nicht Gefahr liefen, zu fallen. Denn die Gnade Gottes, die uns erhält, ist unerschütterlich. So wird die Beständigkeit unseres Heils mitnichten in uns verlegt, wie auch gewisslich ihre Ursache außer uns liegt. Aber wer die Wirksamkeit des Geistes an sich spürt, den lässt Petrus gutes Muts in die Zukunft blicken. Denn der Herr hat in ihm selbst einen dauerhaften Grund der wahren, gewissen Berufung gelegt.
Die Art des Beharrens wird mit den Worten angegeben (V. 11): Es wird euch dargereicht werden der Eingang usw. Das bedeutet: Gott wird euch bis in sein Reich bringen, indem er euch immer neue Gnaden in überreichem Maße zuteil werden lässt. Das ist aber darum beigefügt, weil jener Übergang, obwohl wir ja schon aus dem Tode ins Leben hindurch gedrungen sind, doch noch ein Gegenstand der Hoffnung ist. Und bis zum vollen Genuss des Lebens bleibt uns noch ein weiter Weg, für den manches unentbehrliche Hilfsmittel uns fehlt. So begegnet denn Petrus etwas aufsteigenden Zweifeln mit den Worten: der Herr wird eurer Not in hinreichender Weise entgegen kommen, bis ihr in sein ewiges Reich eingegangen seid. Reich Jesu Christi sagt er, weil wir nur unter seiner Führung und Leitung nach dem Himmel streben. V. 12. Darum will ich´ s nicht lassen usw. Weil es den Anschein hat, als misstraue man dem Gedächtnis oder der Teilnahme eines Menschen, wenn man ihn oftmals an etwas erinnert, so entschuldigt sich der Apostel bescheidentlich, dass er den Gläubigen eine ihnen wohl bekannte, tief in ihre Herzen gegrabene Sache doch immer wieder vortrage; freilich erfordere dies die Wichtigkeit und Größe des Gegenstandes. Ihr habt zwar – so sagt er – die Wahrheit, die das Evangelium bietet, löblich gehalten. Auch suche ich euch nicht zu festigen, als wäret ihr schwankende Rohre. Aber bei einer so wichtigen Sache sind Ermahnungen niemals überflüssig. Sie dürfen darum auch nie beschwerlich fallen. Ähnlich entschuldigt sich Paulus den Römern gegenüber: 15, 14.
Gegenwärtig ist die Wahrheit, weil die Leser sich durch den gewissen Glauben schon in deren Besitz gebracht haben. Petrus empfiehlt also ihren eigenen Glauben, damit sie desto standhafter auf ihm beharren.
V. 13. Ich achte es aber billig usw. Hier steht es noch klarer, wie nützlich und notwendig solche Ermahnungen sind. Sie wollen die Gläubigen erwecken; sonst beschleicht sie des Fleisches Schlaffheit. Wenn sie also auch keine Lehre bedürfen, so hält Petrus doch den Stachel der Mahnung für nützlich, damit nicht Sorglosigkeit und Nachgiebigkeit, wie so oft, das recht Gelernte verdecken und endlich vernichten.
Noch einen andern Grund fügt der Apostel hinzu, warum er sich noch mehr zu diesen Mahnungen gedrängt fühle: er wisse, dass ihm nur noch kurze Zeit beschieden sei. Fleißig, sagt er, müsse er die Zeit auskaufen. Denn der Herr hat mir kundgetan, dass ich nicht mehr lange auf dieser Erde wandeln soll. Daraus mögen wir lernen, unsere Mahnungen so zu gestalten, dass nicht das Volk, dem wir nützen wollen, glaube, es geschehe ihm unrecht; und wiederum: den Tadel so einzukleiden, dass doch die Lehre freien Lauf hat und die Ermahnungen nicht aufhören. Solche Mäßigung aber hat da ihre Stelle, wo ein schärferer Tadel nicht am Platze ist, wo man vielmehr behutsam vorzugehen hat, da die betreffenden Menschen schon an sich ihren Pflichten Neigung entgegenbringen. Wir lernen auch an dem Beispiel des Petrus, dass wir, je kürzer unsere Lebensfrist ist, desto sorgfältiger uns der Ausübung unseres Berufs zu widmen haben. Gewöhnlich können wir ja unser Lebensende nicht im Voraus wissen. Aber wer schon bei Jahren ist oder eine wenige feste Gesundheit hat, der soll solche Anzeichen der Kürze seines Lebens beachten und desto fleißiger dafür sorgen, dass er beizeiten bestelle, was der Herr ihm aufgetragen hat. Und wer kerngesund ist und noch in der Blüte der Jahre steht, der soll sich durch das Gedenken an die Nähe des Todes zu derselben Sorge anspornen lassen, auf dass nicht die Gelegenheit, Gutes zu tun, enteile, während er faul und lässig an der Arbeit steht. Kann doch kein Mensch so anhaltend im Gehorsam gegen Gott stehen, wie es zu wünschen wäre!
Indes wollte Petrus ohne Zweifel für seine Lehre mehr Ansehen und Gewicht gewinnen, wenn er sagt, es liege ihm am Herzen, dass die Leser auch nach seinem bald bevorstehenden Tode solches im Gedächtnis hielten. Denn wenn einer zu uns spricht, der bald darauf aus diesem Leben scheidet, so betrachten wir seine Worte wie ein Vermächtnis und pflegen sie mit desto größerer Ehrfurcht aufzunehmen.
V. 14. Dass ich meine Hütte ablegen muss. Dieser Ausdruck und nachher der „Abschied“ bezeichnen den Tod. Darauf aufmerksam zu machen, ist der Mühe wert. Denn wir lernen dabei, welch ein Unterschied zwischen Tod und Untergang besteht. Ergreift uns allzu großes Entsetzen vor dem Tod, so hat dies seinen Grund darin, dass wir zu wenig daran denken, wie vergänglich und eitel dieses Leben ist und dass das künftige Leben kein Ende haben wird. Wie steht es aber bei Petrus? Den Tod nennt er einen Ausgang aus der Welt, um anderswohin zu wandern, nämlich zum Herrn. Wir brauchen also vor dem Tode keinen Schrecken zu empfinden, als wenn uns mit dem Tode die Vernichtung drohte. Er nennt ihn ein Ablegen der Hütte, die uns lediglich eine kurze Zeit birgt. Es ist somit kein Grund zur Trauer vorhanden (vgl. 2. Kor. 5, 1).
Was übrigens der Herr Jesus dem Petrus eröffnet hat, bezieht sich nicht auf die Todesart, sondern auf den Zeitpunkt seines Todes.
Wenn die Leser auch nach seinem Abscheiden solches im Gedächtnis halten sollen, so will das sagen: die Nachkommen können auch von einem Toten lernen. Die Apostel haben ja nicht allein für ihre Zeit geschrieben. Sie wollten auch uns nützen. Darum lebt und wirkt ihre Lehre weiter, wenn sie auch nicht mehr am Leben sind. Und unsere Pflicht ist es, aus ihren Schriften Nutzen zu ziehen, gleich als wenn die Verfasser selbst zu uns redeten.
16 Denn wir sind nicht klugen Fabeln gefolget, da wir euch kundgetan haben die Kraft und die Zukunft unsers Herrn Jesu Christi, sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen, 17 da er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm geschah von der großen Herrlichkeit: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ 18 Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel geschehen, da wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge.
V. 16. Denn wir sind nicht klugen Fabeln gefolgt. Es hebt unseren Mut außerordentlich, wenn wir das Bewusstsein haben, an einer zuverlässigen Sache zu arbeiten. Damit nun die Gläubigen bei ihrer Arbeit nicht meinen, sie schlügen in die Luft, so macht sich der Apostel jetzt daran, die Zuverlässigkeit des Evangeliums zu verkünden, und erklärt, dass er nichts weitergebe, als was er selbst erfahren habe und was unzweifelhaft glaubwürdig sei. Das soll die Leser zur Standhaftigkeit ermuntern, indem sie über den guten Fortgang ihrer Berufung sicherer gemacht werden. Zuerst führt Petrus an, dass er Augenzeuge sei: denn er habe mit eigenen Augen die Herrlichkeit Christi gesehen, die er verkündige. Dies stellt er den trügerischen Märchen gegenüber, wie sie oft verschlagene Menschen erdichten, um einfältige Seelen zu umgarnen. Wir wissen, welch großer Eifer auf nichtige Spitzfindigkeiten verwendet wird, nur weil man Gefallen daran findet. Darum muss man die Seelen mit nicht geringerem Ernst zu der ganz untrüglichen Wahrheit und der mitnichten läppischen Lehre führen, welche uns die Herrlichkeit des Sohnes Gottes in ihrer Verknüpfung mit unserem Heil offenbart.
Die Kraft und Zukunft unsers Herrn Jesu. Zweifellos will der Apostel mit diesen Worten den Inhalt des Evangeliums zusammenfassen, das ja nichts anderes enthält als Christus, in dem alle Schätze der Weisheit verborgen sind. Aber zwei Dinge hält er wohl auseinander: nämlich, dass Christus im Fleische war, und dann, worin seine Kraft und Wirksamkeit besteht. Denn das ist der Vollgehalt des Evangeliums, zu wissen, dass er, der einst als Erlöser verheißen war, aus dem Himmel gekommen, unser Fleisch angenommen, auf der Erde geweilt, den Tod erlitten hat und endlich auferstanden ist. Zum andern empfangen wir das Ziel alles dessen und seine Frucht, nämlich dass Christus „Gott mit uns“ ist, sich als ein sicheres Pfand unserer Kindschaft darbietet, uns durch die Gnade seines Geistes durchdringt und von dem Schmutz des Fleisches reinigt und Gott zu Tempeln weiht, uns aus den unteren Örtern herausreißt und in den Himmel emporhebt, durch das Opfer seines Todes die Sünden der Welt sühnt, uns mit dem Vater versöhnt und der Urheber der Gerechtigkeit und des Lebens uns zu gut ist. Wer das festhält, der hat aus dem Evangelium den richtigen Nutzen gezogen. Wir haben selber gesehen. Daraus entnehmen wir, dass diejenigen keineswegs Christi Diener oder den Aposteln ähnlich sind, welche ohne weiteres hervortreten, um von Dingen zu schwatzen, die ihnen völlig unbekannt sind. Denn der ist erst ein rechter Diener Gottes, dem die Wahrheit der von ihm gepredigten Lehre bezeugt ist. Freilich ist der Grund der Gewissheit nicht bei allen der gleiche. Denn wenn Petrus sagt, er sei zugegen gewesen, als Christus durch eine himmlische Offenbarung Gottes Sohn genannt wurde – es waren damals nur drei – so gab es nichtsdestoweniger auch andere geeignete Zeugen, die an so vielen Wundern Christi Herrlichkeit geschaut und den hehren Anblick seiner Gottheit bei der Auferstehung gehabt hatten. Wir bekommen auf andere Weise unsere Gewissheit. Denn ist auch Christus nicht vor unsern Augen auferstanden, so wissen wir doch, von wem uns die Kunde seiner Auferstehung überliefert worden ist. Dazu kommt noch das innere Zeugnis des Gewissens. Jene Versiegelung durch den Geist meine ich, die alle Beweise der Sinne weit übertrifft. Wir wollen es nimmermehr vergessen, dass das Evangelium von Anfang an nicht auf Grund leerer Gerüchte zusammengeschmiedet worden ist, sondern dass die Apostel glaubwürdige Verkündiger dessen geworden sind, was sie gesehen hatten.
V. 17. Da er empfing von Gott, dem Vater, usw. Ein Beispiel hält Petrus vor allen andern erwähnenswert, bei dem Christus, mit himmlischer Herrlichkeit geschmückt, drei Jüngern einen sichtbaren Anblick seiner göttlichen Herrlichkeit gewährte. Wenn er auch nicht alle Einzelheiten der Geschichte erzählt, so bezeichnet er sie doch mit einem einzigen Wort, wenn er sagt: „eine Stimme, die geschah von der großen Herrlichkeit“. Der Sinn davon ist nämlich: dort sah man nichts Irdisches, sondern überall strahlte göttliche Majestät. Man muss die Zeichen der Herrlichkeit sammeln, welche die Evangelisten erzählen. Dadurch müsste die Stimme, die ergangen ist, noch heiliger werden. Wir sehen ja, dass der Herr nicht nur einmal geredet hat. Denn es war nicht sein Wille, dass nur bloße Stimmen durch die Luft schwirrten, wenn er mit den Vätern redete; sondern er gab Zeichen seiner Gegenwart und bestätigte dadurch, dass es seine Offenbarungen waren, die gegeben wurden.
Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Petrus führt dieses Wort an, als würde es allein genügen, dem Evangelium volles Ansehen zu sichern. Mit Recht. Denn wo man Christus erkennt, wie ihn der Vater uns gibt, da hat das Gebäude unserer Weisheit seinen Schlussstein erhalten. Dieses Wort hat zwei Teile. Denn auf „das ist“ liegt eine starke Betonung: das ist nämlich der Messias, der schon so oft verheißen worden war. Was also im Gesetz und Propheten vom Messias enthalten ist, das überträgt der Vater durch diese Erklärung auf die Person dessen, den er mit dieser Proklamation empfiehlt. In dem zweiten Teil des Wortes nennt er Christus seinen Sohn, auf dem seine ganze Liebe ruht und wohnt. Folglich kann er uns nur in ihm lieben, und sonst nirgends darf man die Liebe Gottes suchen.
V. 18. Auf dem heiligen Berge. Heilig heißt der Berg in demselben Sinn wie das Land, auf dem Gott dem Mose erschien. Denn wohin auch immer Gott kommt, der ja die Quelle aller Heiligkeit ist, da heiligt er alles durch seine Gegenwart. Aber dadurch werden wir gelehrt, nicht nur voll Ehrfurcht Gott aufzunehmen, wo er sich auch zeigt, sondern uns auch zur Heiligkeit zu bereiten, sobald er uns naht. So war es auch dem Volke befohlen, als das Gesetz auf dem Sinaigebirge veröffentlicht werden sollte. Das aber ist das wichtigste, was wir uns zu merken haben: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der ich in eurer Mitte wohne.“
19 Und wir haben desto fester das prophetische Wort, und ihr tut wohl, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheinet in einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche, und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen. 20 Und das sollt ihr für das erste wissen, dass keine Weissagung in der Schrift geschieht aus eigener Auslegung. 21 Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht, sondern die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem heiligen Geist.
V. 19. Und wir haben usw. Der Apostel lehrt, dass die Gewissheit des Evangeliums auch schon in den Weissagungen der Propheten gegründet sei, damit die, welche sie besitzen, nicht zögerten, sich ganz Christus zu ergeben. Denn wer unschlüssig ist, der kann nicht froh werden. Wenn Petrus übrigens sagt: „wir haben“ – so kann man das auf ihn selbst und die anderen Lehrer wie auf die Schüler beziehen. An den Propheten hatten die Apostel Gewährsmänner für ihre Lehre. Auch die Gläubigen entnahmen daraus allezeit eine Bestätigung des Evangeliums. Ich neige mehr zu der Ansicht, dass er von der ganzen Gemeinde und von sich selbst als einem Gliede derselben redet. Aber warum bezeichnet er das prophetische Wort als desto fester? Dass es desto fester geworden sein sollte, weil Gott jetzt tatsächlich erfüllt hat, was er darin von seinem Sohne verhieß, dünkt mich eine gezwungene Deutung. Es leuchtet vielmehr ein, dass durch ein doppeltes Zeugnis die Wahrheit des Evangeliums bekräftigt werden soll: einmal dadurch, dass Christus durch Gottes feierliche Stimme ein so kräftiges Zeugnis empfing, zum andern weil alle Weissagungen der Propheten auf dasselbe Ziel deuten. Allerdings scheint auf den ersten Blick ungereimt, dass das prophetische Wort fester sein soll als die Stimme, die aus dem heiligen Munde Gottes selbst kommt. Denn erstlich eignet ja dem Worte Gottes zu allen Zeiten dasselbe Ansehen, sodann ist es durch Christi Kommen vollends bestätigt worden, wie man im Ebräerbrief ausführlich lesen kann. Doch ist dieser Knoten leicht zu lösen: der Apostel redet aus der Stimmung seiner jüdischen Volksgenossen, denen die Propheten wohl vertraut waren, so dass über deren Lehre keine Meinungsverschiedenheit bestand. Wenn also für die Juden alles, was die Propheten gelehrt hatten, als von Gott selbst ausgegangen galt, so ist es nicht zu verwundern, wenn Petrus sagt: das prophetische Wort sei für sie desto fester. Bringt man doch auch schon dem Alter immer eine gewisse ehrfurchtsvolle Scheu entgegen!
Außerdem hat man auf andere Umstände zu achten, dass bei Weissagungen, durch die das Reich Christi so lange zuvor angekündigt war, sich kein Argwohn erheben konnte. Es handelt sich an dieser Stelle also nicht darum, ob das prophetische Wort mehr Glauben verdiene als das Evangelium; sondern Petrus nimmt nur Rücksicht auf das Vertrauen, das seine Stammesgenossen den Propheten entgegenbrachten, welche sie unstreitig für rechtmäßige Diener Gottes hielten. Sind sie doch von klein auf in deren Schule gesessen!
Und ihr tut wohl usw. Es fragt sich: was ist dieser Tag, an dessen Anbruch Petrus erinnert? Unter dem dunkeln Ort ist nicht etwa die Zeit unschlüssigen Schwankens zu verstehen, sondern die ganze Lebensbahn. Und der Tag wird für uns erst anbrechen, wenn wir von Angesicht zu Angesicht sehen, was wir jetzt durch einen Spiegel und im Gleichnis schauen. Es leuchtet zwar im Evangelium die Sonne der Gerechtigkeit, Christus, aber so, dass die Schatten des Todes unsere Seelen immer noch teilweise bedecken, bis wir aus dem Kerker des Fleisches entführt und in den Himmel versetzt werden. Der Glanz des „Tages“ wird also darin bestehen, dass kein Nebel der Unwissenheit, kein Schleier den klaren Blick auf die Sonne hindert. Sicherlich sind wir noch so weit von jenem Tag entfernt, als unser Glaube noch seiner Vollendung mangelt. So ist´ s denn nicht verwunderlich, wenn unser gegenwärtiges Leben mit einem dunklen Ort verglichen wird. Sind wir doch noch weit entfernt von der Erkenntnis, zu der uns das Evangelium einlädt. Die Mahnung des Petrus besteht also kurz darin: solange wir auf Erden wandern, brauchen wir das prophetische Wort als eine Leuchte, die uns den Weg weist. Ist sie erloschen, so können wir nur in der Finsternis umhertappen. Der Apostel will durchaus keine Scheidewand zwischen Propheten und Evangelium aufrichten. Sagt er doch: jene leuchteten uns, um uns den Weg zu zeigen. Er will nur lehren: unser ganzer Lebensweg müsse unter der Leitung des göttlichen Wortes stehen, da wir sonst in der Nacht der Unwissenheit überallhin geworfen würden, und Gott uns nicht anders leuchte, als wenn wir auf sein Wort wie auf eine Lampe schauen. Denn das Licht, mit welchem der Apostel das Wort vergleicht, soll nicht etwa als ein schwaches, spärliches Lichtlein verstanden werden. Das Bild will nur den Gegensatz schärfer zeichnen: wir haben kein eigenes Licht und können so wenig den rechten Weg finden wie einer, den die dunkle Nacht überfallen hat. Aber der Herr hilft diesem Mangel ab, indem er eine Fackel anzündet, welche uns mitten im Dunkel den Weg weist.
Zu dieser Erklärung scheint jedoch der Morgenstern nicht zu passen. Denn die untrügliche Erkenntnis, nach der wir unser ganzes Leben lang trachten, kann doch nicht als erster Anbruch des Tages bezeichnet werden. Ich antworte: Nicht die einzelnen Zeiten des Tages werden zueinander in Beziehung gesetzt, sondern der ganze Tag mit seinen Zeiten wird der Finsternis gegenübergestellt, welche all unsere Sinnen gänzlich verdunkeln würde, wenn uns nicht der Herr mit dem Licht seines Worts zu Hilfe käme. Diese Stelle ist sehr wertvoll. Können wir doch daraus sehen, wie Gott uns regiert! Wer nicht auf die Leuchte des Wortes achtet, der ist in Finsternis versunken. Willst du also nicht freiwillig in den Abgrund stürzen, so hüte dich mit allem Fleiß, dass du auch keinen Finger breit von der Richtschnur des Wortes abweichst! Ja, die Gemeinde kann der Führung Gottes nicht anders folgen, als wenn sie bei dieser Art der Leitung ausharrt. In diesem Sinne verurteilt Petrus auch die ganze menschliche Weisheit, damit wir die wahre Richtschnur der Einsicht wo anders als kraft eigenen Sinnens, in schlichter Demut, suchen möchten.
Wichtig ist auch, dass Petrus von der Klarheit der Schrift redet. Denn das Lob wäre ganz falsch angebracht, wenn es uns nicht auf den hohen Wert und die Vortrefflichkeit der Schrift hinweisen würde. Ein jeder öffne also im Gehorsam die Augen des Glaubens und erkenne durch eigene Erfahrung, dass die Schrift nicht umsonst den Namen „Leuchte“ trägt. Den Ungläubigen ist sie zwar dunkel. Wer sich aber dem Verderben ergibt, der trübt sich selber die Augen. Es ist kein Wunder, wenn die stolzen, vom Wind verkehrten Vertrauens aufgeblähten Menschen dieses Licht nicht sehen, dessen der Herr allein die Kleinen und Niedrigen für würdig hält. In ähnlicher Weise rühmt David das Gesetz Gottes: Ps. 19 und 119.
V. 20. Das sollt ihr fürs erste wissen usw. Hier beginnt Petrus zu lehren, wie wir bereitet sein müssen, um die Schrift mit rechtem Nutzen zu gebrauchen. Um die Schrift zu lesen, sollen wir nicht unbedacht über sie herfallen, im Vertrauen auf unsere eigene Weisheit. Dann erst gereichen uns die Worte der Propheten zum Nutzen, wenn wir allen Fleischessinn ablegen und uns ohne Vorbehalt dem Lehramt des heiligen Geistes unterstellen. Gottlose Entweihung der Schrift ist es aber, wenn wir voll Anmaßung mit unserem Scharfsinn herankommen, sie zu verstehen. Denn sie birgt Gottes Geheimnisse in sich, die unserem Fleische verborgen sind, und tiefe Lebensschätze, die das Maß unseres Verständnisses weit überragen. Das Licht, das in derselben leuchtet, scheint eben nur den Demütigen. Ganz abgeschmackt ist es, wenn die Papisten hieraus entnehmen: es dürfe keine Erklärung, wie einzelne Männer sie geben, für maßgebend gehalten werden. Sie missbrauchen dieses Zeugnis des Apostels Petrus, um ihren Konzilien das alleinige Recht zuzusprechen, die Schrift auszulegen. Das ist geradezu kindisch. Denn wenn Petrus von eigener Auslegung redet, so denkt er nicht an jegliche Erläuterung, die ein einzelner Mensch gibt und die verwehrt sein sollte, sondern er erklärt alles für unheilig, was Menschen aus sich selbst beibringen. Mag also die ganze Welt zusammenkommen und aller Menschen Geister sich vereinigen, so wird es „eigene Auslegung“ sein, was sie zustande bringen, - im Gegensatz zu der göttlichen Offenbarung, mit welcher der heilige Geist die Gläubigen erleuchtet, damit sie verstehen, was Gottes Wort sagen will.
Dass nur Gottes Geist das Verständnis erschließen kann, wird mit den folgenden Sätzen begründet (V. 21): in den Weissagungen der Schrift haben die heiligen Menschen Gottes geredet, getrieben vom heiligen Geist. Nicht von sich aus oder aus eigenem Gutdünken haben sie ihre Fündlein in die Welt hinausgeschwatzt. Kurz: das ist der Anfang rechter Einsicht, wenn man den Glauben, den man Gott schuldet, auch seinen heiligen Propheten entgegenbringt. „Heilige Menschen Gottes“ heißen sie, weil sie das ihnen anvertraute Amt treulich verwaltet haben und sich bei ihrem Dienste der göttlichen Sendung stets bewusst geblieben sind. Sie waren „getrieben“, nicht in dem Sinne, als wären sie bewusstlos, so genannte „Enthusiasten“ gewesen, sondern: sie haben nichts von sich aus zu unternehmen gewagt. Sie folgten nur gehorsam der Führung des Geistes, der in ihrem Munde wie in seinem Heiligtum regierte.
1 Es waren aber auch falsche Propheten unter dem Volk, wie auch unter euch sein werden falsche Lehrer, die neben einführen werden verderbliche Sekten, und verleugnen den Herrn, der sie erkauft hat, und werden über sich selbst führen eine schnelle Verdammnis. 2 Und viele werden nachfolgen ihrem Verderben; um welcher willen wird der Weg der Wahrheit verlästert werden. 3 Und durch Geiz mit erdichteten Worten werden sie an euch Gewinn suchen; welchen das Urteil von lange her nicht säumig ist, und ihre Verdammnis schläft nicht.
V. 1. Es waren aber auch falsche Propheten. Leute mit schwachem Gewissen werden gewöhnlich sehr erschüttert und gefährdet, wenn sich falsche Lehrer erheben, welche die Glaubenslehre verderben oder zerstückeln. Der Apostel musste derartige Ärgernisse beseitigen, da er ja die Gläubigen zur Standhaftigkeit ermahnen wollte. Er tröstet die, an welche sein Brief sich wendet, und stärkt sie mit dem Hinweis darauf, dass Gott immer seine Gemeinde durch solche Versuchungen geübt habe. Sollten doch ihre Herzen nicht durch das Neue in Unruhe versetzt werden! Nicht anders, sagt er, wird es der Gemeinde unter der Herrschaft des Evangeliums ergehen, als es einst unter der Herrschaft des Gesetzes gewesen ist. Falsche Propheten haben die alttestamentliche Gemeinde in Verwirrung gebracht. Dasselbige haben wir zu gewärtigen. Das musste nachdrücklich betont werden. Denn viele träumten von einem gar ruhigen Leben der Gemeinde unter dem Zepter Christi. Weil die Propheten mit seiner Ankunft dauernden Frieden, höchstes Licht himmlischer Weisheit und völlige Wiederherstellung aller Dinge verhießen, so glaubte man nicht, dass die Gemeinde noch irgendwelchen Streitigkeiten preisgegeben sein werde. Wir sollen daran gedenken, dass Gottes Geist einmal voraus verkündet hat, die Gemeinde werde niemals von diesem Übel, das in ihrem Innern wuchert, unangetastet bleiben, und uns immer daran erinnern, dass auch wir wie die Väter einer Glaubensprüfung unterliegen, damit es wie bei ihnen so auch bei uns dadurch an den Tag komme, ob wir Gott wahrhaft lieben, wie man auch 5. Mos. 13, 3 lesen kann: „Der Herr, euer Gott, versucht euch, dass er erfahre, ob ihr ihn von ganzem Herzen und von ganzer Seele lieb habt.“ Einzelne Beispiele anzuführen, ist überflüssig. Es genügt, im Allgemeinen festzuhalten, dass es unsere Pflicht ist, nach dem Beispiel der Väter gegen gottlose Lehren zu streiten. Durch Spaltungen und Sektiererei darf unser Glaube durchaus nicht ins Wanken kommen. Denn unter den stürmischen Treibereien, durch die der Teufel so oft alles auf den Kopf zu stellen sucht, steht die Wahrheit Gottes nichtsdestoweniger unerschüttert da.
Wir wollen darauf achten, dass Petrus nicht eine bestimmte Zeit angibt, wenn er sagt: „wie auch unter euch sein werden falsche Lehrer.“ Er fasst vielmehr alle Zeiten ins Auge, wie er auch die Christen mit dem Bundesvolk vergleicht. Diese Lehre passt auch für unsere Zeit, auf dass uns nicht die Versuchung zu Fall bringe, wenn wir mit ansehen müssen, wie falsche Lehrer die Wahrheit Gottes bekämpfen. Übrigens mahnt uns deshalb der Geist Gottes zu angestrengter Wachsamkeit. Diesen Zweck hat auch die ganze folgende Beschreibung. Der Apostel malt nicht einzelne Sekten mit ihren Farben, sondern richtet seine Rede insbesondere wider gottlose Leute, welche zur Verachtung Gottes anleiten. Er will ganz im Allgemeinen vor falschen Lehrern warnen. Aber er wählt eine Art aus, von der die größte Gefahr drohte. Der Judasbrief, welcher von demselben Gegenstand handelt, kennzeichnet sie noch deutlicher.
Die neben einführen werden usw. Damit beschreibt Petrus die Schlauheit des Teufels und aller Gottlosen, die unter seinem Banner kämpfen: sie arbeiten mit versteckten Winkelzügen, gleichsam wie Minen. Deshalb ist den Frommen desto größere Wachsamkeit geboten, damit sie auch solchen heimlichen Listen entrinnen. Denn mögen sich jene noch so sehr anstrengen, so können sie doch die nicht überwältigen, welche eifrig auf der Wache stehen.
Die Sekten nennt der Apostel verderblich, wie ja ein jeder, dem sein Heil am Herzen liegt, vor solchen Sekten als einer sehr schädlichen Krankheit zurückschreckt. Was übrigens das Wort Sekte oder Spaltung anlangt, so war dies bei den Kindern Gottes mit Recht immer berüchtigt und gehasst. Denn Gottes schlichte Wahrheit ist ein Band heiliger Einheit. Sobald man davon abweicht, bleibt nur schreckliche Zersplitterung.
Verleugnen den Herrn, der sie erkauft hat. Christus wird auf mancherlei Weise verleugnet. Doch meint Petrus hier die Art, von der Judas spricht (V. 4): „sie ziehen die Gnade unseres Gottes auf Mutwillen.“ Denn Christus hat uns erkauft zu einem Volk, das losgetrennt ist von aller Unreinigkeit der Welt, bestimmt zur Heiligkeit und Unschuld. Wer nun den Zügel abwirft und sich in alle Ungebundenheit stürzt, von dem heißt es nicht mit Unrecht: er verleugnet Christus, durch den er erkauft ist. Damit also die Lehre des Evangeliums rein und lauter bei uns bleibe, muss es fest in unser Herz geschrieben sein: wir sind durch Christus erkauft, auf dass er unser Herr sei im Leben und im Sterben. Darum ist uns auch dies Ziel gesteckt: ihm zu leben und zu sterben. Und die Verdammnis wird schnell über jene hereinbrechen, damit die andern nicht mit ihnen zu Fall kommen.
V. 2. Und viele werden nachfolgen usw. Es ist kein geringes Ärgernis für die Schwachen, wenn sie sehen, wie den falschen Lehrern allgemeiner Beifall gezollt und eine ungeheure Schar von Menschen mit fortgerissen wird, so dass nur wenige in dem lauteren Gehorsam gegen Christus beharren. Auch heutzutage erregt gottesfürchtige Seelen nichts mehr als ein solcher Abfall. Denn kaum der zehnte Teil derer, die den Namen Christen tragen, bewahrt den lauteren Glauben bis ans Ende. Fast alle sind vom Verderben angefressen und wandeln, von den Predigern der Zügellosigkeit verlockt, auf dem breiten Weg. Damit wir nun nicht in unserm Glauben erschüttert würden, sagt Petrus beizeiten, es werde so kommen, dass die gottlosen Lehrer viele mit sich ins Verderben reißen.
Um welcher willen wird der Weg der Wahrheit verlästert. Wenn die Menschen zur Gottesfurcht, zu einem einwandfreien Lebenswandel, zur Keuschheit und Ehrbarkeit angehalten werden, oder wenigstens den Gottlosen der Mund gestopft wird, dass sie das Evangelium nicht schmähen, so dient dies zur Ehre der Frömmigkeit. Anderseits werden der Name und die Lehre Christi der Lästerung durch die Gottlosen preisgegeben, wenn die Zügel gelockert werden und man jeder Sinnlichkeit ungestraft frönen kann. Dadurch wird den Feinden Gottes Gelegenheit geboten, Gottes Wahrheit schamlos zu verlästern. Wären sie auch nicht imstande, selbst durch ihre Lästerungen an dem christlichen Bekenntnis zu rütteln, so geben sie doch anderen die Waffen der Lästerung in die Hand.
V. 3. Mit erdichteten Worten. Auf jede Weise bemüht sich Petrus, die Gläubigen gegen die falschen Lehrer einzunehmen, damit sie dieselben desto schärfer und entschiedener von sich zurückweisen möchten. Schimpflicher können wir doch nicht behandelt werden, als dass man uns wie feile Sklaven zum Verkauf anbietet. Das geschieht aber, wenn uns einer die Bezahlung durch Christi Blut zu Schanden macht. „Erdichtet“ heißen die Worte der falschen Lehrer, weil sie mit vollendeter Kunst zur Täuschung zusammengefügt sind. Wer also nicht so töricht ist, dass er freiwillig sein Seelenheil an falsche Lehrer verkaufen will, der verschließe alle Türen vor ihren verkehrten Erfindungen. – Aus demselben Grunde nämlich, um die Guten von ihrer Gemeinschaft abzuschrecken, wiederholt der Apostel: welchen das Urteil nicht säumig ist. Sind sie einem nahen Verderben geweiht, so steht jedem, der mit ihnen gemeinschaftliche Sache macht, nichts anderes bevor, als elendiglich zu Grunde zu gehen.
4 Denn so Gott der Engel, die gesündigt haben, nicht verschonet hat, sondern hat sie mit Ketten der Finsternis zur Hölle verstoßen, und übergeben, dass sie zum Gericht behalten werden; 5 und hat nicht verschonet der vorigen Welt, sondern bewahrete Noah, den Prediger der Gerechtigkeit, selbachte, und führete die Sintflut über die Welt der Gottlosen; 6 und hat die Stätte Sodom und Gomorra zu Asche gemacht, umgekehret und verdammt, damit ein Beispiel gesetzt den Gottlosen, die hernach kommen würden; 7 und hat erlöset den gerechten Lot, welchem die schändlichen Leute alles Leid taten mit ihrem unzüchtigen Wandel; 8 da er es nun sehen und hören musste, - weil er gerecht war, und unter ihnen wohnte, quälete er seine gerechte Seele von Tag zu Tage mit ihren ungerechten Werken.
V. 4. Denn so Gott usw. Wir haben schon gesagt, wie wichtig die Erkenntnis ist, dass die Gottlosen, welche die Gemeinde mit falschen Lehren verstören, dem Zorngericht Gottes nicht entgehen können. Das erweist Petrus nun an drei sehr hervorragenden Beispielen göttlichen Gerichts: Gott hat nicht einmal seine eigenen Engel verschont; er hat die ganze Welt einmal durch die Sintflut vernichtet; er hat Sodom und seine Nachbarstädte zu Asche gemacht. Für Petrus steht es fest – was auch bei uns keinem Zweifel unterliegen darf – dass Gott der Richter der ganzen Welt ist. Folglich wird er auch heutzutage in ähnlicher Weise strafen, wie er damals die gottlosen Frevler gestraft hat. Denn sein Sinn ist unveränderlich und nimmt nicht einen Menschen an, indem er ihm sein Vergehen vergibt, während er den anderen um desselben Vergehens willen straft. Nein, er hasst ohne Unterschied die Ungerechtigkeit, wo sie sich zeigt. Immer muss man ja den Unterschied zwischen Gott und Mensch festhalten: die Menschen urteilen bald so, bald anders; Gott aber bleibt immer derselbe, wenn er richtet. Denn wenn er den Auserwählten die Sünde vergibt, tut er es, weil er die Sünde um der Buße und des Glaubens willen vertilgt. Darum versöhnt er uns mit sich nicht anders, als indem er uns rechtfertigt.
Wenn nun die Engel, trotz ihrer großen Erhabenheit, der strafenden Hand Gottes durch ihre Würde doch nicht entronnen sind, wie viel weniger werden sterbliche Menschen entkommen, die jenen in ihrer Gottlosigkeit nachgefolgt sind! Hier erinnert Petrus kurz an den Fall der Engel (1. Mos. 6). Er redet aber weder von dem Wann oder Wie noch von anderen Umständen. Man muss hier volle Nüchternheit walten lassen. Es gibt ja viele neugierige Menschen, die kein Ende finden, hierüber zu grübeln. Und doch, wenn Gott nur kurz, gleichsam nur im Vorübergehen, diese Geschichte in der Schrift gestreift hat, so hat er uns damit sagen wollen: seid zufrieden mit dieser bescheidenen Kunde! Und sicherlich dient, wer allzu ängstlich darüber forscht, nicht der Erbauung, sondern will die Seelen mit eiteln Traumgebilden nähren. Was uns von Nutzen war, ist uns geoffenbart: nämlich dass Gott die Teufel ursprünglich geschaffen hat, damit sie ihm gehorchen sollten; dass sie aber durch eigene Schuld abgefallen sind, weil sie sich nicht unter Gottes Herrschaft beugen wollten, und dass die Bosheit, die ihnen anklebte, ihnen nicht von Natur anerschaffen war, so dass man sie auf Gott zurückführen könnte. Gar deutlich schreibt auch Judas (V. 6), sie hätten ihren Ursprung oder ihr Fürstentum nicht bewahrt.
Mit Ketten der Finsternis. Sie werden bis zum letzten Tag in Finsternis gebannt bleiben. Dieses Bild ist genommen von den Übeltätern, welche nach ihrer Verurteilung die halbe Strafe schon in der dunkeln Nacht des Kerkers erleiden, bis sie endlich zur Hinrichtung abgeführt werden. Daraus sollen wir nicht allein lernen, wie schwer die Strafe der Verworfenen nach dem Tode, sondern auch, wie schön das Leben der Kinder Gottes ist. Denn in der Hoffnung auf die sichere Seligkeit ruhen sie gar friedsam, obwohl sie noch nicht im Genuss dieser Seligkeit stehen; während die anderen von dem entsetzlichen Ausblick auf das ihrer harrende Strafgericht gequält werden.
V. 5. Und hat nicht verschonet der vorigen Welt. Nachdem das Menschengeschlecht im Wasser untergegangen war, hat Gott gleichsam eine ganz neue Welt geschaffen. Wie sollten denn die Frevler der Flut des göttlichen Zornes entrinnen, nachdem einmal die ganze Erde verschlungen war? Denn wenn es heißt, acht seien gerettet worden, so sagt das nicht, die Zahl habe wie ein Schild zum Schutz der Bösen vor Gott gestanden, sondern: alle Sünder mussten büßen, mochten es viel oder wenig sein.
Noah heißt ein Prediger der Gerechtigkeit, weil er versuchte, die verderbte Welt zur Gesundung zu führen, nicht bloß durch Lehre und Ermahnung zur Heiligung, sondern auch besonders dadurch, dass er sich einhundertzwanzig Jahre lang (1. Mos. 6, 3) mit dem Bau der Arche mühte. Der Apostel will uns den Zorn Gottes über die Verworfenen so deutlich vor Augen malen, dass wir dadurch desto mehr zur Nachfolge der Heiligen angetrieben werden.
V. 6. Die Städte Sodom usw. Dies Beispiel göttlicher Strafe ist so denkwürdig, dass die Schrift, wo sie auch vom Untergang der Gottlosen überhaupt redet, stets dieses Bild gebraucht. Darum sagt Petrus: diese Städte seien zum Beispiel gesetzt. Eigentlich kann dies ja auch von andern gesagt werden. Doch ist dieses Bild – wie auch Petrus meint – besonders treffend und lebendig. Gott hat ja seinen Zorn gegen die Gottlosen zu allen Zeiten bezeugt wissen wollen, wie er auch anderseits durch die gnädige Tat der Erlösung seines Volkes aus Ägypten uns das ewige Heil der Gemeinde vor Augen stellte. In demselben Sinne redet Judas (V. 7) von der Pein des ewigen Feuers.
V. 8. Da er es nun sehen und hören musste usw. Da Lot als ein gerechter Mann unter den Sodomitern lebte, so quälte er seine Seele durch das Ansehen und Anhören der Gräueltaten. Wir wissen es ja, wie vieles zu sehen und zu hören er gezwungen wurde, was seine Seele jämmerlich quälen musste. Das Hauptgewicht liegt darauf, dass der heilige Mann, obwohl er von allen möglichen ungeheuerlichen Lastern umgeben war, trotzdem nicht vom rechten Wege abgewichen ist. Noch mehr aber als zuvor betont Petrus die Freiwilligkeit der Qualen, die der gerechte Lot auf sich genommen hat. So gereicht es auch allen Frommen zu nicht geringem Schmerz, wenn sie sehen, wie die Welt sich in alle möglichen Bosheiten stürzt. Umso nötiger ist es für uns, über die eigenen Sünden zu seufzen. Der Apostel will vor allem das verhüten, dass wir uns, von den Lockungen der Laster verleitet und berauscht, nicht zugleich mit den anderen dem Verderben preisgeben, wo jetzt überall die Gottlosigkeit überhand nimmt. Lasst uns vielmehr – so ruft er uns zu – diesen Schmerz, den der Herr durch sein „selig“ (Mt. 5, 11) geadelt hat, höher achten als alle Ergötzlichkeiten der Welt!
9 Der Herr weiß die Gottseligen aus der Versuchung zu erlösen, die Ungerechten aber zu behalten zum Tage des Gerichtes, zu peinigen; 10 allermeist aber die, so da wandeln nach dem Fleisch in der unreinen Lust, und die Herrschaft verachten, frech, eigensinnig, nicht erzittern, die Majestäten zu lästern; 11 so doch die Engel, die größere Stärke und Macht haben, kein lästerlich Urteil wider sie fällen vor dem Herrn.
V. 9. Der Herr weiß usw. Es ist ein Hauptärgernis für die Schwachen, sehen zu müssen, wie die Gläubigen voller Angst seufzen, aber nicht sogleich göttliche Hilfe erfahren dürfen; oder gar, wie der Herr bisweilen zulässt, dass sie sich in anhaltender Lauheit und Sattheit gleichsam verzehren; oder vollends, wie sich die Bösen ungestraft übermütig gebärden, während Gott schweigt und tut, als wolle er bei ihren Vergehungen ein Auge zudrücken. Auf dieses doppelte Ärgernis geht Petrus hier ein. Er bezeugt nämlich, Gott wisse wohl, wann er die Gottseligen aus der Versuchung erlösen solle. Wir dürfen es ihm also getrost überlassen. Darum müssen wir in Versuchungszeiten geduldig ausharren und nicht abfallen, wenn er einmal gegen die Ungerechten nicht sofort einschreitet. Dieser Trost tut uns sehr not. Denn oft steigt die Frage in unserem Herzen auf: Wenn der Herr die Seinen unversehrt bewahren will, warum führt er sie nicht alle miteinander an irgendeinen abgelegenen Winkel auf der Erde, damit sie sich dort gegenseitig zur Heiligung ermuntern? Warum pflanzt er sie unter die Bösen, von denen sie nur beschmutzt werden? Wenn aber Gott es sich vorbehält, den Seinen zu helfen und sie zu schützen, auf dass sie nicht im Kampfe unterliegen, so heißt es für uns: auf zu frischem Kampf! Die erste Vershälfte will also sagen: alle Gottseligen müssen sich nach dem Willen des Herrn in mannigfachen Versuchungen erproben. Über den Ausgang aber dürfen sie guter Hoffnung sein; denn sie werden der Hilfe des Herrn niemals ermangeln.
Die Ungerechten aber usw. In dieser Vershälfte zeigt der Apostel, wie Gott sein Gericht handhabt: Er erträgt die Bösen eine Zeitlang, lässt sie aber doch nicht ungestraft hingehen. Gott hat nicht so große Eile, wie wir Menschen, zumal dann, wenn wir von entsetzlichen Schandtaten schwer verwundet sind. Da möchten wir ja nur zu gern, dass Gott alsbald mit seinen Blitzstrahlen hernieder führe. Und wenn er es nicht tut, so verzweifeln wir daran, dass er der Richter der Welt sei.
Damit uns also diese zeitliche Straflosigkeit der Schandtaten nicht in Verwirrung bringe, erinnert Petrus daran, dass Gott ja einen Tag des Gerichts festgesetzt habe. Die Verworfenen werden keineswegs der Bestrafung entgehen, wenn diese auch nicht sogleich zur Vollstreckung gelangt.
Das Wort behalten sagt eigentlich noch mehr, als es auf den ersten Blick scheint: sie sind nicht der Hand Gottes entronnen, sondern, mit geheimen Banden umstrickt, werden sie festgehalten, um einst vor den Richterstuhl geschleppt zu werden. Für uns gilt es, dem jüngsten Gericht entgegen zu harren und in dieser Erwartung in Hoffnung und Geduld bis an unseren Tod zu streiten.
V. 10. Allermeist aber die usw. Für sie steht ein schrecklicher Tag der Rache bevor. Denn wenn Gott alle mit Strafen heimsuchen wird, wie sollten die entkommen, welche sich wie wilde Tiere auf alle möglichen Gräueltaten stürzen?
Nach dem Fleisch wandeln heißt, sich den Fleischesgelüsten hingeben. Wie die stummen Tiere sich nicht von vernünftigen Erwägungen leiten lassen, so folgen diese Leute den Reizungen ihres Fleisches widerstandslos.
Unter unreiner Lust versteht der Apostel gemeine, zügellose Ausschweifungen, wo die Menschen alle Ehrbarkeit abstreifen, jedes Schamgefühl ablegen und sich der Unreinheit preisgeben. Das erste Zeugnis, das er ihnen ausstellt, ist: es sind unreine, der Leichtfertigkeit ergebene Leute. Noch andere Zeugnisse reihen sich an: sie verachten die Herrschaft und erzittern nicht, die Leute, welche Gott hoher Ehren würdigt, mit Schimpf und Lästerung zu überschütten. Beides bezieht sich auf dasselbe. Denn nachdem er gesagt hat: „die Herrschaft verachten sie“, gibt der Apostel alsbald die Quelle dieser Bosheit an: „sie sind frech und eigensinnig“. Und zuletzt, um ihre Hoffart in grellste Beleuchtung zu stellen, fügt er hinzu, sie scheuten sich nicht, das Ansehen der „Majestäten“ in den Kot zu treten. Es ist ja eine ganz ungeheuerliche Dreistigkeit, eine Obrigkeit für nichts zu achten, in welcher doch eine von Gott gegebene Ordnung zur Erscheinung kommt. Ohne Zweifel versteht Petrus unter „Majestäten“ Regierungen und Behörden. Obwohl es ja keine rechtliche Lebensordnung gibt, die nicht lobenswert wäre, so wissen wir doch, dass das Amt der Obrigkeit sich vor allen andern auszeichnet. Denn sie leitet die Menschen an Gottes Statt. Wahrhaft erhaben ist also dieses Amt, hinter dem Gott selbst steht.
Fassen wir zusammen, was der Apostel in der zweiten Vershälfte sagen will; die Leute, von denen er spricht, sind Heißsporne gewesen, die nach Aufruhr und Empörung dürsteten. Niemand kann die Welt mit Gesetzlosigkeit beglücken, ohne eine Herrschaft der Unordnung aufzurichten. Diese Leute aber bewarfen die Obrigkeit in frechster Weise mit Schmutz, um dem öffentlichen Recht alle Achtung zu entziehen. Im letzten Grund war dies eine offene Verlästerung Gottes. Auch heutzutage gibt es solche zur Aufruhr geneigte Menschen, die behaupten, es gebe keine geheiligte und gerechte Gewalt, die sich eifrigst bemühen, jegliche Staatsordnung über den Haufen zu werfen. Solche Schreckgestalten zaubert der Teufel auf den Plan, um den Lauf des Evangeliums zu verstören. Doch der Herr handelt gar freundlich mit uns: er mahnt uns, uns vor diesem tödlichen Gift in Acht zu nehmen, und stärkt uns durch den Hinweis auf jenes alte Beispiel, dies Ärgernis zu überwinden. So sind auch die Papisten höchst unverschämt, wenn sie uns beschuldigen, durch unsere Lehre den Menschen die Waffen des Aufruhrs in die Hand zu geben. Wie wenn man dasselbe nicht auch einst hätte den Aposteln vorwerfen können, die doch gewiss in dieser Hinsicht sich keinerlei Schuld aufluden!
V. 11. So doch die Engel usw. Die unbedachte Dreistigkeit solcher Leute zeigt sich darin, dass sie sich mehr herauszunehmen wagen als selbst die Engel. Es ist freilich merkwürdig, warum Petrus es in Abrede stellt, dass die Engel kein lästerlich Urteil über die Obrigkeiten fällten. Wozu sollten sie denn eine heilige Ordnung befehden, von der sie wissen, dass Gott sie geschaffen hat? Wozu sollten sie sich wider Gewalten auflehnen, von denen ihnen nicht verborgen ist, dass sie demselben Auftrag dienen wie sie, die Engel? Diese Fragen haben etliche veranlasst, die Aussage unseres Verses auf böse Engel, also auf Teufel, zu deuten. Aber wie könnte der Teufel, der doch der Urheber aller Lästerungen wider Gott ist, menschliche Obrigkeiten so glimpflich behandeln? Diese Ansicht wird auch durch den Judasbrief widerlegt. Petrus hat von heiligen Engeln geredet. Bedenken wir nur jene Zeitverhältnisse. Fast alle Obrigkeiten waren damals gottlos und blutdürstige Feinde des Evangeliums. Darum mussten ihnen die Engel als Wächter der Gemeinden Feind sein. Und doch entziehen sie der gottgesetzten Macht die Ehrerbietung nicht. Wie unbedacht stoßen dagegen die Menschen leichtfertige, zügellose Lästerungen aus!
12 Aber sie sind wie die unvernünftigen Tiere, die von Natur dazu geboren sind, dass sie gefangen und geschlachtet werden, lästern, da sie nichts von wissen, und werden in ihrem verderblichen Wesen umkommen 13 und den Lohn der Ungerechtigkeit davon bringen. Sie achten für Wollust das zeitliche Wohlleben, sie sind Schandflecken und Laster, führen ein üppiges Leben in ihrem betrügerischen Treiben, während sie mit euch schmausen, 14 haben Augen voll Ehebruchs, lassen ihnen die Sünde nicht wehren, locken an sich die leichtfertigen Seelen, haben ein Herz, durchtrieben mit Habsucht, verfluchte Leute. 15 Sie haben verlassen den richtigen Weg, und gehen irre, und folgen nach dem Wege Bileams, des Sohns Beors, welchem geliebete der Lohn der Ungerechtigkeit, 16 hatte aber eine Strafe seiner Übertretung: das stumme, lastbare Tier redete mit Menschenstimme und wehrte des Propheten Torheit.
V. 12. Aber sie sind usw. Noch weiter ist von jenen gottlosen, verbrecherischen Verführern die Rede. Zuerst schätzt sie Petrus nach ihrer Leichtfertigkeit und schmutzigen Nichtsnutzigkeit ihres ganzen Lebens ein. Dann (V. 14) sagt er, sie seien so frech und dreist, dass sie sich durch ihre possenreißerhafte Geschwätzigkeit in vieler Gunst einschmeichelten.
Zunächst vergleicht er sie mit unvernünftigen Tieren, welche in die Welt gesetzt zu sein scheinen, um in Netze zu gehen und ihrem Untergang entgegen zu stürmen. Durch Reize verlockt, ganz aus eigenem Antrieb stürzen sie sich eilends in die Stricke des Satans und des Todes.
Wenn es weiterhin heißt: lästern, da sie nichts von wissen, so geht das auf ihren Hochmut. Die Meinung ist, darum werde von ihnen alle Majestät leichtfertig verlästert, weil sie ganz abgestumpft seien, so dass sie sich in nichts mehr vom Vieh unterscheiden.
V. 13. Sie achten für Wollust usw. Sie suchen also ihre Glückseligkeit in zeitlichem Wohlleben. Wir wissen, dass die Menschen sich vor den unvernünftigen Tieren durch einen weiteren Gesichtskreis auszeichnen. Also ist es eines Menschen unwürdig, in der zeitlichen Sinnlichkeit aufzugehen. Darin liegt zugleich die Mahnung, den Sinn loszulösen von dem Wohlleben des Fleisches, wenn anders wir nicht wie das Vieh gewertet werden wollen.
Das Folgende hat den Sinn: Diese da besudeln euch und eure Gemeinschaft mit ihren hässlichen Lastern. Denn wenn sie mit euch schmausen oder Tischgemeinschaft halten, so führen sie zugleich ein üppiges Leben in ihrem betrügerischen Treiben und bringen ihre buhlerische Liebe und verderbte Unenthaltsamkeit mit Augen und Mienen zum Ausdruck. Als (V. 14) „Augen voll Ehebruchs“ werden lüsterne Augen bezeichnet, die in unruhiger Bewegung gierig nach der Sünde haschen.
Locken an sich die Seelen. Die Gläubigen sollen sich hüten vor den heimlichen, trügerischen Nachstellungen der falschen Lehrer. Ihre Betrügereien werden verglichen mit Angeln, welche Unvorsichtige ins Verderben reißen können. Dass sie nur „leichtfertige“ Seelen verführen können, zeigt den Weg zur Bewahrung: wurzelt in festem Glauben und in der Furcht des Herrn! Zugleich weist der Apostel aber auch darauf hin, dass keine Entschuldigung verdient, wer sich durch solche Schmeichelkünste angeln lässt. Das zeige nur die eigene Leichtfertigkeit. Hat also der Glaube einen festen Boden, so werden wir sicher sein vor den Fangversuchen der Gottlosen.
Ein Herz, durchtrieben mit Habsucht. Verurteilte der Apostel kurz zuvor das ungezügelte Wesen, das sich im Blick kundtut, so scheint er hier die im Herzen verborgenen Begierden zu treffen. „Geiz“ ist also viel zu eng: es handelt sich um alles umfassende „Habsucht“.
Verfluchte Leute, buchstäblich: „Kinder des Fluchs“. So können Leute bezeichnet werden, die, wohin sie ihren Fuß setzen, den Fluch mit sich umhertragen, oder solche, die des Fluches wert sind. Da bisher davon gesprochen wurde, wie viel Schaden das Beispiel eines verkehrten, schändlichen Lebenswandels verursacht, so wird wiederholt, dass jene Menschen in ihrer Lehre das tödliche Gift der Gottlosigkeit verstreuen, wodurch sie die Einfältigen umbringen. Der Apostel vergleicht sie mit Bileam, dem Sohne Beors, der sich erkaufen ließ, dem Volke Gottes zu fluchen. Und um zu zeigen, wie jene keine lange Zurückweisung verdienten, sagt er: Bileam sei von einer Eselin zurechtgewiesen, und so sei er seiner Torheit überführt worden. Ebenso werden die Gläubigen von der Gemeinschaft mit solchen Leuten abgeschreckt. Es war ein schreckliches Gericht, das Gott vollzog, dass der Engel sich der Eselin früher offenbarte als dem Propheten, und dass die Eselin, in dem Gefühl, Gott sei ihnen zuwider, nicht wagte, vorwärts zu gehen, sondern vielmehr zurückwich, während der Prophet, von seiner blinden Habgier getrieben, gegen die deutliche Hinderung von Seiten Gottes sich vordrängte. Denn die Antwort, die ihm zuteil ward, er möge weitergehen (4. Mos. 22, 20-35), war vielmehr ein Zeichen göttlicher Ungnade als eine Erlaubnis. Der geöffnete Mund der Eselin gereichte jenem Bileam zu höchster Entehrung: dem Mann, der sich dem Befehl Gottes nicht unterwerfen wollte, wurde eine Eselin zur Lehrerin gegeben. Durch dieses Wunder wollte der Herr zeigen, wie ungeheuerlich es ist, Wahrheit in Lüge zu verkehren.
Man mag fragen, mit welchem Recht (V. 16) Bileam ein Prophet heiße, da er doch bekanntlich in mannigfachem Aberglauben befangen war? Ich antworte: die Fähigkeit, zu weissagen, ist eine derartig besondere Gabe, dass, wer sonst auch nicht dem wahren Gott dient oder die reine Religion besitzt, doch damit ausgestattet sein kann. Manchmal wollte Gott mitten in der Götzendienerei eine Weissagung erstehen lassen, damit die Menschen desto weniger Entschuldigungsgründe hätten.
Zieht man also in Betracht, was Petrus gesagt hat, so findet man, dass seine Ermahnungen ebenso gut für unsere Zeiten gelten. Denn überall missbrauchen die Menschen possenhafte Witzeleien dazu, Gott und Christus zu verspotten; ja sie verhöhnen mit faden Witzen alle Frömmigkeit. Und wenn sie sich auch wie das Vieh zu ihresgleichen tun, so mischen sie sich doch auch unter die Gläubigen. Sie schwatzen etwas von Evangelium, aber unterdes gehorcht ihre Zunge dem Teufel, um die ganze Welt dem ewigen Verderben zu weihen. Sie sind sogar schlimmer als Bileam, weil sie ohne Lohn die Welt mit ihren Flüchen überschütten, während jener, nur durch den verheißenen Lohn verlockt, zum Fluchen sich bereit finden ließ.
17 Das sind Brunnen oder Wasser, und Wolken, vom Windwirbel umgetrieben, welchen behalten ist eine dunkle Finsternis in Ewigkeit. 18 Denn sie reden stolze Worte, da nichts hinter ist, und reizen durch Unzucht zur fleischlichen Lust diejenigen, die recht entronnen waren denen, die im Irrtum wandeln, 19 und verheißen ihnen Freiheit, so sie selbst Knechte des Verderbens sind. Denn von welchem jemand überwunden ist, des Knecht ist er geworden.
V. 17. Brunnen ohne Wasser usw. Mit diesen Bildern lehrt uns der Apostel, dass jene Leute nichts in sich haben, wenn sie auch große Pracht zur Schau tragen. Ein Brunnen lädt schon durch seinen Anblick die Menschen zu sich ein, weil er sein Wasser zum Trinken und zu anderen Lebensbedürfnissen verheißt. Und sobald Wolken am Himmel aufziehen, erregen sie Hoffnung auf kommenden Regen, der das Land befeuchte. Petrus vergleicht jene Leute also mit Brunnen ohne Wasser, weil sie sich mit Hoffart brüsten, geistreiche Gedanken äußern und bei ihren Reden sich mit Wohlgefälligkeit zieren, innerlich aber dürr und unfruchtbar sind. Sie sind Wolken, die vom Windwirbel umgetrieben werden, ohne dass sie Regen brächten. Ja, sie arten eher noch in einen gefährlichen Wolkenbruch aus. So besagt das Bild: sie bringen keinen Nutzen; oft richten sie sogar das größte Unheil an. Hernach kündigt ihnen Petrus wiederum ein schreckliches Gottesgericht an, um die Gläubigen durch die Furcht davor zu warnen. Mit der dunkeln Finsternis spielt er auf die Nebelwolken an, die Dunkelheit erzeugen. Statt der vorübergehenden Finsternis, die sie jetzt in den Gemeinden hervorrufen, ist für sie eine weit dichtere, ewige bereitet.
V. 18. Denn sie reden stolze Worte. Mit ihrem Redeschwall betäuben sie die Ohren der Einfältigen, so dass diese ihren Trug nicht merken können. Denn es wäre nicht leicht, die Gemüter mit solchem Unsinn gefangen zu nehmen, wenn sie nicht zuvor durch irgendeinen Kunstgriff gelähmt wären. Sie haben, so sagt Petrus, eine schwülstige, aber klangvolle Redeweise, durch welche sie die Unvorsichtigen zur Bewunderung hinreißen. Ferner ist jene Großartigkeit die Rede, die mit überreicher Lungenkraft hervorsprudelt, sehr geeignet, die Winkelzüge zu verdecken. So förderten sie in den ersten Zeiten der Christenheit gleichsam Tonstücke zutage, von denen man zuvor keine Ahnung gehabt, durch deren bloßen Klang die Unerfahrenen betört und verstrickt wurden. Nicht anders ist es heutzutage. Da treten rasende Menschen mit dem Ehrentitel „Freidenker“ auf (Lateinisch: Libertini.). Mit vollen Backen posaunen sie in die Welt hinaus, wie viel Geist und Geistliches in ihnen wohne, als ob sie über den Wolken ihre Stimme erschallen ließen. Sie bezaubern viele durch ihr Blendwerk, so dass man fast sagen möchte, der Apostel habe eigentlich von diesen Leuten geredet. Mit Witzen und Nachäfferei begrüßen sie alles. Und obgleich ihr Tun meist sehr fade ist, so finden sie doch mit ihren Gaukeleien Anklang, weil sie allen Lastern freien Lauf lassen. Nichts anderes soll erreicht werden als eine Gesellschaft von Menschen, die sich an kein Gesetz mehr binden, sondern nur ihren eigenen Trieben gehorchen. Darum kann dieser Brief auch in unserer Zeit manchem einen Halt gewähren.
Und reizen durch Unzucht usw. Gar feinsinnig vergleicht Petrus die Lockungen der Gottlosen, die alles als erlaubt hinstellen, mit Angeln. Denn die Begierden der Menschen sind blind, und sobald ihnen eine Freiheit angeboten wird, stürzen sie heißhungrig darauf los und eignen sich dieselbe eifrigst an. Aber bald hernach fühlen sie den Angelhaken, der innerlich würgt und quält.
Übrigens ist es wohl der Mühe wert, die einzelnen Worte zu erwägen. Der Apostel sagt, dass Menschen, die tatsächlich schon der Gemeinschaft der Irrlehrer entronnen waren, durch eine neue Art von Irrtum sich wieder verführen lassen, - indem man ihnen nämlich die Zügel zu jeglicher Unmäßigkeit freigibt. Da erhebt Paulus warnend seinen Finger: seht, wie Gefahr drohend die Nachstellungen jener Menschen sind! Schon das war ein erschreckendes Beispiel, dass Blindheit und dicke Finsternis fast die ganze Menschheit bedeckte. Doppelt entsetzlich war es also gewissermaßen, dass die Menschen, nachdem sie einmal von dem gemeinsamen Irrtum der Welt losgelöst und durch Gott erleuchtet waren, doch in tierischen Stumpfsinn zurückfielen. Das mahnt uns zur größten Wachsamkeit, wenn wir einmal erleuchtet sind, damit uns nicht der Teufel unter dem Vorwand der Freiheit verführe, dass wir nach der Lust des Fleisches uns der Zügellosigkeit ergeben. Vor dieser Gefahr sind wir nur sicher, wenn wir mit Ernst auf unsere Heiligung bedacht sind.
V. 19. Und verheißen ihnen Freiheit usw. Der Gegensatz zeigt, dass jene Leute fälschlich Freiheit verheißen, da sie ja selbst in schmählichster Weise sich als Knecht der Sünde übergeben haben. Niemand kann geben, was er nicht hat. Doch scheint dieser Grund nicht durchschlagend. Denn zuweilen verkündigen nichtswürdige Menschen mit Nutzen die Wohltaten Christi, obwohl sie selbst Christus völlig fremd sind. Aber man muss beachten, dass in unserem Zusammenhang die verkehrte Lehre verworfen wird, die mit einem unreinen Leben verknüpft war. Der Apostel will den trügerischen Lockungen begegnen, durch welche törichte Leute sich verführen lassen. Freiheit ist ein gar süßer Laut. Ihn ließen jene Leute missbräuchlich erklingen, um ihre Zuhörer von der Furcht vor dem göttlichen Gesetz zu lösen, so dass sie sich nun in zügellos ungebundenes Wesen stürzen konnten. Die Freiheit, die Christus uns erworben hat und die er uns Tag für Tag durch sein Evangelium anbietet, ist dagegen eine ganz andere: sie entzieht uns dem Joch des Gesetzes, sofern es uns mit seinem Fluche trifft, und befreit uns von der Gewaltherrschaft der Sünde, sofern sie uns durch ihre Begierden bindet. So darum die Lüste herrschen, wo das Fleisch sein Zepter führt, da ist für Christi Freiheit kein Raum! Der Apostel verkündigt also allen Gottseligen, sie sollten keine andere Freiheit suchen als die, welche sie aus der Haft der Sünde entlässt und zu dem freien Gehorsam der Gerechtigkeit führt. Folglich sind die Leute, welche das Wort Freiheit falscher weise auf ihre Fahnen schrieben, allezeit unrein gewesen, und wir haben in ihrem Tun nichts anderes zu sehen als eine List des Teufels.
Denn von welchem jemand überwunden ist usw. Dieser Satz ist dem Kriegsrecht entnommen. Auch sonst kann man es oft selbst bei heidnischen Schriftstellern lesen: nirgends finde man härtere, erbärmlichere Knechtschaft als da, wo die Lüste herrschen. Was vollends müssen wir tun, wir, denen der Sohn Gottes seinen Geist gegeben hat, dass wir nicht nur von der Herrschaft der Sünde erlöst, sondern auch Sieger würden im Kampf mit Fleisch und Welt!
20 Denn so sie entflohen sind dem Unflat der Welt durch die Erkenntnis des Herrn und Heilandes Jesu Christi, werden aber wiederum in denselbigen verflochten und überwunden, ist mit ihnen das Letzte ärger geworden denn das Erste. 21 Denn es wäre ihnen besser, dass sie den Weg der Gerechtigkeit nicht erkannt hätten, denn dass sie ihn erkennen, und sich kehren von dem heiligen Gebot, das ihnen gegeben ist. 22 Es ist ihnen widerfahren das wahre Sprichwort: „Der Hund frisset wieder, was er gespieen hat“; und: „Die Sau wälzet sich nach der Schwemme wieder im Kot.“
V. 20. Denn so sie usw. Wiederum zeigt der Apostel, wie gefährlich die Leute sind, welche gottgeweihte Seelen zur früheren Unreinigkeit und ins Verderben der Welt zurückschleppen. Durch eine Vergleichung stellt er die Größe dieser Bosheit noch mehr ins Licht: der Abfall von der heiligen Gottesordnung sei kein gewöhnliches Vergehen. Es wäre besser, sagt er, sie hätten den Weg der Gerechtigkeit überhaupt nicht erkannt. Wenn auch Unkenntnis durchaus keinen Entschuldigungsgrund in sich birgt, so ist doch ein Knecht, der bewusst und mit Willen die Gebote seines Herrn verachtet, doppelter Strafe wert. Dazu kommt die Undankbarkeit, in der sie ohne äußeren Anlass das göttliche Licht auslöschen, die ihnen dargebotene Gnade zurückweisen, das Joch abschütteln und trotzig Gott verhöhnen. Ja sie entweihen den an sich unverletzlichen Bund Gottes, der durch das Blut Christi geheiligt ist, und machen ihn zunichte. Umso mehr müssen wir bestrebt sein, im Lauf unserer Berufung mit heiliger Scheu und mit vollem Ernste fortzufahren.
Es ist wohl der Mühe wert, auch die einzelnen Worte näher ins Auge zu fassen. Wenn Petrus vom Unflat der Welt spricht, so sagt er damit, wir wälzen uns solange im Schmutz und besudelten uns ganz und gar, bis wir der Welt absagen.
Unter Erkenntnis Christi versteht er zweifellos das Evangelium. Sie ist dazu bestimmt, uns aus dem Unflat der Welt herauszureißen und ganz davon zu befreien.
In demselben Sinne sagt er bald nachher: Weg der Gerechtigkeit. Also erst derjenige hat vom Evangelium rechten Nutzen, wer Christus recht verstehen gelernt hat. Der aber hält ihn wahrhaft umschlungen, der durch ihn den alten Menschen abzulegen und den neuen anzuziehen versteht, wozu auch Paulus im Epheserbriefe mahnt (4, 22).
Wenn es heißt: dass sie sich kehren von dem heiligen Gebot, das ihnen gegeben ist, zu ihrer Verunreinigung, so deutet dies an, wie unentschuldbar sie seien. Dann liegt darin aber auch die Erinnerung, dass die Lehre, ein frommes, rechtbeschaffenes Leben zu führen, zwar allen gelte und ohne Unterschied zu allen gelange, aber dennoch insbesondere denen anvertraut sei, welche Gott des Lichtes seines Evangeliums gewürdigt hat. Weiterhin besagt es: Wer sich dem Unflat der Welt von neuem ergibt, der fällt vom Evangelium ab. Die Gläubigen sündigen freilich auch. Aber sie fallen nicht aus der Gnade Gottes, weil sie der Sündenherrschaft keinen Raum lassen. Auch fallen sie nicht ab, wenn sie einmal die heilsame Lehre erkannt und erfasst haben. Denn wenn sie ernstlich wider das Fleisch und seine Begierden kämpfen, halten sie sich nicht für überwunden.
V. 22. Es ist ihnen widerfahren usw. Viele geraten dadurch in Verwirrung, dass sie sehen, wie solche, die sich Christus im Gehorsam ergeben hatten, ohne Scheu und Scham zu einem schändlichen Lebenswandel umkehren. Um diesem Ärgernis vorzubeugen, sagt der Apostel: das sei die Folge ihrer Laster; sie seien eben Schweine und Hunde, folglich könne man dem Evangelium nicht die geringste Schuld beimessen. Zu dem Zweck führt er zwei alte Sprichwörter an, von welchen das eine schon in den Sprüchen Salomos steht (26, 11). Was Petrus sagen will ist: das Evangelium ist eine Arznei, die heilsames Erbrechen erzeugt und dadurch Genesung bewirkt. Aber viele sind Hunde, die zu ihrem Verderben wieder verschlingen, was sie ausgespieen haben. Und ferner: das Evangelium ist ein Bad, das all unsere Unreinigkeit abwäscht. Aber viele sind Schweine, die alsbald nach dem Bade sich im Kote wälzen. Indessen sollen sich die Gottseligen vor beiden hüten, wenn sie nicht auch den Hunden und Schweinen beigezählt werden wollen!
1 Dies ist der zweite Brief, den ich euch schreibe, ihr Lieben, in welchem ich euch erinnere und erwecke euren lautern Sinn, 2 dass ihr gedenket an die Worte, die euch zuvor gesagt sind von den heiligen Propheten, und an unser Gebot, die wir sind Apostel des Herrn und Heilandes. 3 Und wisset das aufs erste, dass in den letzten Tagen kommen werden Spötter, die nach ihren eignen Lüsten wandeln, 4 und sagen: Wo ist die Verheißung seiner Zukunft? Denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibet es alles, wie es von Anfang der Kreatur gewesen ist.
Damit die Leser nicht des zweiten Briefes überdrüssig würden, da ja der erste schon genüge, sagt Petrus: beide seien nicht ohne Grund geschrieben; sie müssten öfter geweckt werden. Und um das noch einleuchtender zu machen, weist er darauf hin, dass sie auf einem gefährlichen Boden ständen, wenn sie nicht gefestigt seien. Sie hätten einen Kampf zu führen mit verderbten Menschen, die nicht allein die Reinheit des Glaubens durch falsche Lehrsätze vernichteten, sondern auch den ganzen Glaubensinhalt von Grund aus umstürzten.
Die Worte: „Ich erwecke euren lautern Sinn“ sagen soviel wie: Ich will euch zur Rechtschaffenheit des Sinnes ermuntern. Euer Sinn soll lauter und klar sein. Der Sinn der Gottseligen ist oft verdunkelt. Er setzt gleichsam Rost an, wenn die Mahnungen aufhören. Daraus können wir zugleich entnehmen, dass auch Menschen, welche in der Lehre unterwiesen sind, gewissermaßen einschlafen, wenn sie nicht immer wieder durch Mahnungen aufgerüttelt werden. Wie wichtig sind also Ermahnungen, wie Not tun sie uns! Die einmal empfangene Lehre wird von des Fleisches Trägheit erstickt und unwirksam, wenn nicht die Stacheln der Mahnungen sie unterstützen. Es genügt somit nicht, darüber im Klaren zu sein, dass man das Notwendige festhalten soll; gottselige Lehrer müssen vielmehr darauf Wert legen, die Lehre tief in die Erinnerung der Hörer einzuprägen. Und weil die Menschen von Natur sehr begierig nach neuen Dingen und darum anderseits sehr zum Überdruss geneigt sind, ist es von Nutzen, zu beherzigen, was hier Petrus sagt: wir sollen uns nicht allein gern von anderen mahnen lassen, sondern uns selbst üben, unserem Gedächtnis die Lehre einzuprägen, damit unser Sinn eine Stütze habe an der lauteren, klaren Erkenntnis.
V. 2. Dass ihr gedenket usw. Die Schriften der Propheten und das Evangelium reichen uns genug dar, um uns zu erwecken. Nur müssen wir ihre Betrachtung ernst nehmen, wie es sich gebührt. Wenn also unsere Sinne zuweilen Rost ansetzen oder mit Finsternis umhüllt werden, so liegt das an unserer Trägheit. Wenn Gott uns fortwährend erleuchten soll, so müssen wir uns eifrig mit der Schrift beschäftigen. Dabei mag unser Glaube auf diesen zuverlässigen, trefflichen Zeugnissen ausruhen. Denn sind wir im Einverständnis mit Propheten und Aposteln, ja, sind diese unseres Glaubens Diener, haben wir Gott zum Bürgen und die Engel zu Zeugen – so ist wahrlich kein Grund, vor dem einstimmigen Widerspruch der Gottlosen zurückzuschrecken.
Gebot der Apostel ist deren ganze Lehre, die sie den Gottseligen zuteil werden lassen.
V. 3. Und wisset aufs erste usw. Das musste den Gläubigen vorher gesagt werden, damit sie nicht irrewürden, wenn nun plötzlich die Gottlosen mit derartigen Spottreden gegen sie auftreten. Nur dann konnten sie sich zum Widerstand rüsten. Dieses Wort weist auf das zweite Kapitel zurück.
Der Ausdruck die letzten Tage wird oft von dem Reiche Christi gebraucht, wie auch Paulus schreibt: Das Ende der Welt ist auf uns gekommen (1. Kor. 10, 11). Je näher Gott der Welt durch sein Evangelium tritt und die Menschen zu seinem Reich einlädt, desto frecher werden auch gemeine Menschen das Gift ihrer Gottlosigkeit ausspeien.
Spötter nennt die Schrift Leute, die darnach streben, durch ihre Gottesverachtung und ihren lästerlichen Hochmut geistvoll zu erscheinen. Das ist die äußerste Bosheit, wenn Menschen sich erlauben, die Majestät Gottes, vor der man erzittern müsste, mit ihren Witzeleien zu verhöhnen. In diesem Sinne redet der erste Psalm von dem Stuhl, da die Spötter sitzen. Auch im 119. Psalm klagt David (V. 51), dass die Stolzen ihren Spott an ihm hätten, weil er nicht weiche von Gottes Gesetz. Ebenso mal Jesaja 28 deren lässige Sorglosigkeit und Verblendung. Nichts soll man mehr fürchten als diesen Kampf mit Spöttern. Der heilige Geist hat zuvor von ihrem Kommen geredet und hat uns zugleich einen Schild zur Abwehr in die Hand gegeben: darum gibt es für uns keine Entschuldigung, wenn wir nicht tapfer standhalten, was jene auch immer im Schilde führen mögen.
V. 4. Wo ist die Verheißung usw. Gefährlich ist es, wenn man Zweifel gegen die letzte Auferstehung hegt. Ist diese ein Wahn – dann hat das Evangelium keinen Wert mehr, dann ist die Kraft Christi erstorben, dann ist die ganze Frömmigkeit dahin! Der Teufel geht also geradeswegs auf den Lebenskeim der Gemeinde los, wenn er den Glauben an die Wiederkunft Christi untergräbt. Denn wozu ist Christus gestorben und auferstanden, wenn nicht dazu, uns einmal aus dem Todeszustand zu erlösen und in das ewige Leben zu bringen? So wird die Frömmigkeit also von Grund aus vernichtet, wenn man den Glauben an die Auferstehung fahren lässt. Gerade in diesem Stück setzt uns deshalb der Teufel so hart zu.
Man achte darauf, wie diese falschen Lehrer den unaufhaltsamen Naturlauf, wie er von Anfang an gewesen ist, zu der göttlichen Verheißung in Widerspruch setzen, als wenn sie in einem Gegensatz zueinander ständen oder nicht zueinander passten. Wenn auch die Väter denselben Glauben gehegt haben, so reden sie, so hat sich doch seit ihrem Tode nichts geändert. Und es sind doch bekanntlich inzwischen lange Zeiten verflossen. Daraus ziehen sie den Schluss, dass es Fabeln seien, was über den Untergang der Welt gesagt wird. Denn sie behaupten: weil es schon lange so gewesen sei, werde es immer so bleiben.
5 Aber mutwillens wollen sie nicht wissen, dass der Himmel vorzeiten auch war, dazu die Erde aus Wasser, und im Wasser bestanden durch Gottes Wort; 6 dennoch ward zu der Zeit die Welt durch dieselbigen mit der Sintflut verderbet. 7 Aber der Himmel, der jetzund ist, und die Welt werden durch sein Wort gesparet, dass sie zum Feuer behalten werden auf den Tag des Gerichts und Verdammnis der gottlosen Menschen. 8 Eines aber sei euch unverhalten, ihr Lieben, dass ein Tag vor dem Herrn ist wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag.
V. 5. Aber mutwillens wollen sie nicht wissen usw. Nur mit einem Wort weist Petrus das Gerede jener Gottlosen zurück: einmal ist die Welt durch die Sintflut zu Grunde gegangen, obwohl sie aus Wasser zustande gekommen war. Da aber jene Geschichte zur Genüge bekannt war, sagt er, sie irrten aus Mutwillen. Wer aus dem langen Bestand der Erde deren Fortdauer folgert, der schließt böswillig seine Augen, um nicht das so klare Gericht Gottes zu sehen. Jedenfalls hat die Welt ihren Ursprung im Wasser. Denn das Chaos, aus dem die Erde entstanden ist, nennt Mose Wasser (1. Mos. 1, 2). Hernach wurde sie von den Wassern emporgehoben (1. Mos. 1, 6-10). Und doch gebrauchte der Herr das Wasser, um die Welt zu vernichten. Daraus folgt, dass die Naturgewalt keineswegs zur Erhaltung und Bewahrung der Welt genügt. Im Gegenteil. Der Stoff, der ihren Untergang herbeiführen soll, ist nach Gottes Wohlgefallen schon in ihr verborgen. Das darf man nicht außer achtlassen: die Welt kann eigentlich durch keine andere Kraft erhalten werden als durch Gottes Wort. Und darum holen sich die untergeordneten Ursachen dort ihre Kraft. Und je nachdem sie Verwendung finden, erregen sie verschiedene Wirkungen. So war die Welt durch das Wasser zustande gekommen. Aber das Wasser vermochte an und für sich nichts, sondern war als ein niedrigeres Werkzeug dem Worte Gottes unterworfen. Sobald es nun dem Herrn wohl gefiel, die Erde zu verderben, zeigte dasselbige Wasser seinen Gehorsam darin, dass es die todbringende Flut erzeugte. Da sehen wir, wie furchtbar die irren, welche darauf beharren: die Fortdauer der Welt beruhe auf bloßen Naturkräften, gleichsam auf sich selbst, und die nicht glauben, dass die Natur den Winken Gottes gehorche. Damit ist die Anmaßung derer zur Genüge zurückgewiesen, die sich mit naturwissenschaftlichen Gründen zum Streite wider Gott wappnen. Denn die Sintflutgeschichte ist ein schwerwiegender Zeuge dafür, dass die ganze Naturordnung allein dem Willen Gottes dient.
Immerhin mag es auffallen, dass Petrus sagt, die Welt sei durch die Sintflut verderbt worden, während er doch zuvor Himmel und Erde erwähnt hatte. Ich antworte: damals ist auch der Himmel untergegangen, d. h. das leere Luftgebiet zwischen den doppelten Wassern. Denn jene Scheidung, von der Mose in der Schöpfungsgeschichte spricht, wurde gleichsam verwischt, und „Himmel“ wird oft in dieser Weise gebraucht.
V. 7. Petrus will eine Schlag führen gegen die Spitzfindigkeiten der Spottsüchtigen, die von einem stets gleich bleibenden Naturzustand faseln. Darum fährt er fort: aber der Himmel, der jetztund ist usw. – soll durch Feuer zerstört werden. Da es grundsätzlich gleichgültig ist, ob dies durch Feuer oder Wasser geschieht, so ergibt sich aus dem vorigen, dass dies durchaus nicht als unvernünftig gelten muss. Auch bei den Alten findet man oft die Ansicht, dass alles aus diesen beiden obersten Grundkräften geworden sei. Da aber der Apostel hier mit Ungläubigen zu tun hatte, so redet er noch ausdrücklich von dem Untergang der gottlosen Menschen.
V. 8. Eines aber sei euch unverhalten usw. Jetzt wendet sich Petrus an die Gottseligen und mahnt sie, die Augen emporzuheben, wo es sich um Christi Kommen handelt. So werden sie es vermeiden, den von Gott bestimmten Zeitpunkt ihren verkehrten Ansprüchen zu unterstellen. Das Warten erscheint darum so lang, weil man auf die kurze Gegenwart sieht. Und dann steigert man die Unlust durch Berechnung von Tagen, Stunden und Minuten. Wo uns aber die Ewigkeit des Reiches Gottes entgegentritt, da eilen viele Jahrhunderte wie ein Augenblick vorüber. Hier ruft uns also der Apostel in Erinnerung, dass der Tag der Auferstehung nicht von dem gegenwärtigen Wandel der Zeiten, sondern von dem ewigen Ratschluss Gottes abhänge. Die Menschen wünschen freilich Gott zuvorzukommen, weil sie in ihrem fleischlichen Sinn die Zeit bemessen. Und weil sie von Natur zur Ungeduld geneigt sind, so ist für sie Schnelligkeit auch noch Langsamkeit. Ihr aber – so mahnt der Apostel – erhebt euch im Geiste in die Himmel, so gibt es für euch weder lang noch kurz!
9 Der Herr verzieht nicht die Verheißung, wie es etliche für einen Verzug achten, sondern er hat Geduld mit uns und will nicht, dass jemand verloren werde, sondern dass sich jedermann zur Buße kehre. 10 Es wird aber des Herrn Tag kommen als ein Dieb in der Nacht, in welchem die Himmel zergehen werden mit großem Krachen; die Elemente aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden verbrennen. 11 So nun das alles soll zergehen, wie sollt ihr denn geschickt sein mit heiligem Wandel und gottseligem Wesen, 12 dass ihr wartet und eilet zu der Zukunft des Tages des Herrn, in welchem die Himmel vom Feuer zergehen und die Element vor Hitze zerschmelzen werden? 13 Wir warten aber eines neuen Himmels und einer neuen Erde nach seiner Verheißung, in welchen Gerechtigkeit wohnet.
V. 9. Der Herr verzieht nicht usw. Auf andere Weise hält Petrus die allzu große, verkehrte Eile im Zaum: der Herr verschiebt sein Kommen deshalb, um das ganze Menschengeschlecht zur Buße zu rufen. Wir sind immer lüstern, und dann regt sich der Zweifel, warum er denn nicht rascher komme? Aber wenn wir hören, dass der Herr für unser Heil besorgt ist, wenn er verzieht, und darum verzieht, weil er um uns sorgt, so haben wir keinen Grund mehr, über sein Zögern zu klagen. Zauderer nennen wir den, der aus Trägheit eine Gelegenheit vorübergehen lässt. Bei Gott ist es nicht so: er verwendet die Zeit aufs Beste zu unserm Heil. Und über die Dauer der ganzen Welt muss man ebenso denken wie über das Leben eines beliebigen Menschen. Denn Gott verlängert die Frist für den Einzelnen und trägt ihn so lange, bis er zu Verstand kommt. Ähnlich beschleunigt er auch nicht das Ende der Welt, weil er allen Frist geben möchte, zu Verstand zu kommen. Das legt uns sehr nahe, die Zeit recht auszukaufen, da wir sonst für die Trägheit eine gerechte Strafe erleiden müssen.
Und will nicht, dass jemand verloren werde. Seht die wunderbare Liebe Gottes gegen das Menschengeschlecht: Er will, dass alle gerettet werden, und ist bereit, die zum Heil zu führen, die sonst zu Grunde gehen würden! Achte auf den Weg, den Gott einschlägt: zur Buße will er alle leiten, damit keiner umkomme. Da ist deutlich der Heilsweg gewiesen. Wer von uns daher dem Heil nachjagt, der muss diesen Weg gehen lernen. Hier liegt die Frage nahe: Wenn Gott nicht will, dass jemand verloren werde, warum gehen dann doch so viele verloren? Ich sage: hier handelt es sich nicht um den verborgenen Willen Gottes, nach dem die Verworfenen zum Untergang bestimmt sind, sondern nur um seinen Willen, wie er im Evangelium offen vor uns liegt. Gott streckt da allen ohne Unterschied seine Hand entgegen. Aber nur die ergreift er, um sie zu sich zu führen, welche er vor Grundlegung der Welt erwählt hat.
V. 10. Es wird aber des Herrn Tag kommen usw. Die Gläubigen sollen immer auf der Warte stehen und sich nicht mit „morgen“ vertrösten. Wir leiden fast alle an zwei ganz entgegen gesetzten Fehlern: an allzu großer Eile und allzu großer Trägheit. Die Ungeduld packt uns, wenn wir an den Tag Christi denken, und wir verlangen, er müsse schon jetzt anbrechen. Zugleich schieben wir ihn aber in unserer Sicherheit weit von uns. Wie darum der Apostel früher den ungeduldigen Feuereifer gedämpft hat, so rüttelt er uns jetzt aus unserer Schläfrigkeit auf, damit wir jederzeit des Kommens Christi gewärtig seien. Denn woher kommt es, dass das Fleisch sich selbst zu willen ist, außer daher, dass es sich keine Gedanken über die Nähe der Kommens Christi macht?
Was von dem Brand des Himmels und der Erde gesagt ist, bedarf keiner langen Erklärung, sofern es uns ja nur um die Meinung des Apostels zu tun ist. Er will hier nämlich keine gründliche Erörterung über Feuer, Sturm und andere Erscheinungen geben, sondern nur die Mahnung daran schließen: Unterlasst nicht, nach Erneuerung des Lebens zu streben! Himmel und Erde sollen durch den Brand gereinigt werden, damit sie eine geeignete Stätte für Christi Reich würden. Darum ist für die Menschen eine Erneuerung eine weit größere Notwendigkeit. Das sind schlimme Erklärungen, die viel Mühe auf geistreiche Spitzfindigkeiten verwenden. Für den Apostel gibt all das ja nur den Ausgangspunkt für Mahnungen zur Gottseligkeit. Himmel und Erde, sagt er, werden unsertwegen vergehen. Wollen wir nun mit der Erde untergehen, oder ziehen wir es nicht weit vor, auf heiligen Wandel und gottseliges Wesen bedacht zu sein? Die Verderbnis von Himmel und Erde wird durch Feuer beseitigt, und doch sind die Schöpfungen Gottes rein. Was muss da mit uns geschehen, die so tief im Schmutz stecken?
Die Elemente, die Grundstoffe der Welt, werden nun vergehen, um gleichsam eine neue Beschaffenheit zu gewinnen; ihr Kern aber bleibt (vgl. Röm. 8, 21).
V. 12. Dass ihr wartet und eilet. Was seither getrennt war, wird nun zusammengefügt: wir sollen warten, eilig und doch ruhig, wie das Sprichwort sagt: „Eile mit Weile.“ „Dass ihr wartet“ bezieht sich auf die Geduld der Hoffnung. Denn wie der Hoffnung Schweigen und Ruhe eigen ist, so muss man sich hüten, dass nicht die Sicherheit des Fleisches die Oberhand gewinne. Man muss darum eifrig gute Werke tun und eilig in der Bahn seiner Berufung laufen.
Am Tage des Herrn wird sich Christus erheben, um das Reich dem Vater zu übergeben, damit Gott sei alles in allen.
14 Darum, meine Lieben, dieweil ihr darauf warten sollt, so tut Fleiß, dass ihr von ihm unbefleckt und unsträflich im Frieden erfunden werdet; 15 und die Geduld unsers Herrn achtet für eure Seligkeit; als auch unser lieber Bruder Paulus nach der Weisheit, die ihm gegeben ist, euch geschrieben hat, 16 wie er auch in allen Briefen davon redet, in welchen sind etliche Dinge schwer zu verstehen, welche die Ungelehrigen und Leichtfertigen verdrehen, wie auch die andern Schriften, zu ihrer eignen Verdammnis. 17 Ihr aber, meine Lieben, weil ihr das zuvor wisset, so verwahret euch, dass ihr nicht durch den Irrtum der ruchlosen Leute samt ihnen verführet werdet, und entfallet aus eurer eignen Festung. 18 Wachset aber in der Gnade und Erkenntnis unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi. Demselbigen sei Ehre nun und zu ewigen Zeiten! Amen.
V. 14. Darum usw. Petrus leitet von der Hoffnung über zu ihrer Frucht, das ist zum Eifer in gottseligem Wandel. Die Hoffnung ist ja lebendig und wirksam. Sie muss uns notgedrungen mit fortreißen. Wer also auf den neuen Himmel wartet, der muss bei sich selbst mit der Erneuerung beginnen und mit allem Fleiß ihr nachjagen. Wer aber im Schmutze liegen bleibt, der hat sicherlich keine Gedanken für das Reich Gottes und hat nur Geschmack für die vergängliche Welt. Bemerkenswert ist, dass wir von Christus unsträflich erfunden werden sollen. Die anderen haben nur Augen und Ohren für die Welt. Wir aber sollen auf den Herrn schauen. Zugleich zeigt Petrus, worin die wahre Beschaffenheit besteht: nämlich nicht in dem, was der Welt Lob auf sich zieht, sondern in dem, was Gottes Wohlgefallen erregt.
Mit „Friede“ bezeichnet der Apostel die Gewissensruhe, die sich auf der Hoffnung und Geduld aufbaut. Wenn so wenige nach dem Wohlgefallen Gottes fragen, so kommt das daher, dass sie, wenn sie sich von ihren heißen Leidenschaften fortreißen lassen, auch zugleich voll Unruhe sind. Dieser Friede besteht also in der Stille der zum Frieden gekommenen Seele, die in Gottes Wort ruht. Es fragt sich: wie kann einer von Christus unsträflich erfunden werden, da wir doch alle an so unzähligen Lastern kranken? Aber Petrus weist hier nur auf das Endziel, nach dem die Gläubigen trachten sollen. Sie können es aber erst erlangen, wenn sie, ganz frei von ihrem Fleische, völlig Christus einverleibt sind.
V. 15. Die Geduld unsers Herrn usw. Petrus hegt keinen Zweifel daran, dass Christus den Tag seines Kommens darum verzögert, weil er unser Heil im Auge hat. Dadurch ermutigt er die Gläubigen, in seinem längeren Verziehen ein Pfand ihres Heils zu erblicken.
Als auch unser lieber Bruder Paulus usw. Mit Leichtigkeit kann man aus vielen Stellen, besonders im Galaterbrief, ersehen, dass leichtfertige Menschen, die da und dort auftauchten und die Gemeinden zu verwirren trachteten, in dem Verlangen, sie dem Paulus zu entfremden, das zum Vorwand benutzten, dass er sich mit den andern Aposteln nicht gut zu stellen wisse. Sehr wahrscheinlich hat darum Petrus den Paulus erwähnt, um zu bezeugen, dass sie beide eines Sinnes seien. Denn es war äußerst nötig, jedem Anhaltspunkt zu solchen Verleumdungen seine Bedeutung zu entziehen. Wenn ich jedoch alles genauer erwäge, wird es mir wahrscheinlicher, dass dieser Brief im Sinne des Petrus von einem andern verfasst wurde, als dass er von ihm selbst geschrieben wäre. Petrus hätte nie so gesprochen. Aber es genügt mir, für seine Lehre wie für seine Willensmeinung ein Zeugnis zu besitzen, das in nichts von dem abweicht, was er selbst geredet haben würde.
V. 16. In welchen sind etliche Dinge usw. Wenn die Anführungen des Paulus über die Dinge, von denen die Rede ist, zuweilen schwer zu verstehen sind, so dient uns dies zur Mahnung, mit nüchternem Sinn über jene ebenso hohen wie verborgenen Dinge nachzudenken, und stärkt uns zugleich im Kampf gegen dieses Ärgernis, auf dass uns keine törichten, verwerflichen Grübeleien irgendwelcher Art in Bestürzung versetzen. Denn so machen gewisse Leute die einfache Lehre, die der Erbauung dienen sollte, verwickelt und verdreht. Darum wollen wir uns aber nicht abhalten lassen, die Briefe des Paulus zu lesen, weil sie etwa manche hohe und schwer verständliche Stücke enthalten. Aber wir müssen einen ruhigen, gelehrigen Sinn mitbringen, wenn wir sie lesen wollen. Petrus verdammt die oberflächlichen, flüchtigen Menschen, die das, was ihnen nützlich ist, zu ihrem Verderben verkehren und verdrehen. Ja, er sagt, dieser Missbrauch werde überhaupt mit der ganzen Schrift getrieben. Doch folgert er nicht daraus, dass man sie beiseite legen solle, sondern lehrt nur, die Übelstände abzustellen, die uns des gesegneten Gebrauchs berauben. Und nicht allein das tun sie: sie machen uns geradezu ein tödliches Gift aus dem, was Gott uns zum Heile geordnet hat. Man könnte fragen: woher kommt diese Dunkelheit? Die Schrift leuchtet uns doch wie eine Fackel und lässt uns sichere Schritte tun. Ich antworte: Es ist kein Wunder, wenn Petrus den Geheimnissen des Reiches Christi eine gewisse Dunkelheit zuschreibt, zumal wenn man bedenkt, wie verborgen diese dem fleischlichen Sinn sind. Doch lässt Gott diejenigen in der Schrift ein klares Licht finden, die gern dem heiligen Geist als Führer auf dem Lebensweg folgen. Viele sind indessen so blind, dass sie sich am hellen Tage daran stoßen. Andere sind stolz und streifen bald da bald dort auf unwegsamen Pfaden, und mitten im höchsten Fluge stürzen sie in den jähen Abgrund.
V. 17. Ihr aber, meine Lieben usw. Bisher hat Petrus den Gläubigen die Gefahren vor Augen geführt, vor denen sie sich hüten sollen. Jetzt fordert er sie auf, seiner Mahnung zu gehorchen und weise zu sein. Wachsamkeit tut Not, wenn man keine Niederlagen erleiden soll. Und die Verschmitztheit unseres Feindes, die vielseitigen, mannigfaltigen Nachstellungen, mit denen er uns verfolgt, und die Fangkünste gottloser Menschen lassen ja keinen Raum für Sorglosigkeit. Also muss man auf der Warte stehen, damit nicht des Teufels und der Gottlosen Trügerei uns umgarne und überwältige.
Die Gewissheit unseres Heils scheint auf schlüpfrigem Boden zu stehen und gleichsam nur an einem Faden zu hängen, wenn der Apostel den Gläubigen anbefiehlt: verwahret euch, dass ihr nicht entfallet aus eurer eignen Festung. Was geschieht aber mit uns, wenn wir der Gefahr unterliegen und zu Falle kommen? Ich antworte: Diese und ähnliche Mahnungen haben durchaus nicht den Zweck, unsere Glaubenssicherheit, die auf Gott ruht, ins Wanken zu bringen, sondern den: unsrer Fleischesträgheit Abbruch zu tun (vgl. 1. Kor. 10). Solange wir im Fleische sind, muss unsere Trägheit aufgerüttelt werden. Und das geschieht so recht eigentlich, wenn uns unsere Schwachheit und die verschiedenartigen Gefahren, in denen wir stehen, vor Augen gestellt werden. Übrigens erschüttert dies keineswegs das Vertrauen auf Gottes Verheißungen.
V. 18. Wachset aber in der Gnade. Petrus mahnt zum Wachstum. Immer vorwärts schreiten, nicht mitten auf dem Wege liegen bleiben, - nur so kann man beharren. Sicher ist allein, wer täglich vorwärts zu kommen sich bemüht. „Gnade“ befasst im Allgemeinen die geistlichen Gaben, die man durch Christus empfängt. Da wir aber nach dem Maß unsres Glaubens der Güter Christi teilhaftig werden, steht neben der Gnade die Erkenntnis. Mit dem Glauben wächst die Gnade.
Demselbigen sei Ehre usw. Das ist ein herrlicher Lobpreis auf Christus, der seine Gottheit bezeugen soll. Denn ein solcher gebührt allein Gott. „Nun“ sagt der Apostel, damit wir Christus nicht um seine Ehre bringen, solange wir noch im Streit mit dieser Welt liegen. Das folgende Wort „zu ewigen Zeiten“ lässt uns schon jetzt sein ewiges Reich ins Auge fassen, das uns dereinst den Vollglanz seiner Ehre offenbaren wird.