All unsere Weisheit, sofern sie wirklich den Namen Weisheit verdient und wahr und zuverlässig ist, umfaßt im Grunde eigentlich zweierlei: die Erkenntnis Gottes und unsere Selbsterkenntnis. Diese beiden aber hängen vielfältig zusammen, und darum ist es nun doch nicht so einfach zu sagen, welche denn an erster Stelle steht und die andere aus sich heraus bewirkt.
Es kann nämlich erstens kein Mensch sich selbst betrachten, ohne sogleich seine Sinne darauf zu richten, Gott anzuschauen, in dem er doch „lebt und webt“ (Apg. 17,28). Denn all die Gaben, die unseren Besitz ausmachen, haben wir ja offenkundig gar nicht von uns selber. Ja, selbst unser Dasein als Menschen besteht doch nur darin, daß wir unser Wesen in dem einigen Gott haben (nihil aliud ... quam in uno Deo subsistentia)! Und zweitens kommen ja diese Gaben wie Regentropfen vom Himmel zu uns hernieder, und sie leiten uns wie Bächlein zur Quelle hin.
Noch viel deutlicher aber wird gerade in unserer Armut der unermeßliche Reich-tum aller Güter erkennbar, der in Gott wohnt. Besonders zwingt uns der jämmer-liche Zerfall, in den uns der Abfall des ersten Menschen hineingestürzt hat, unsere Augen emporzurichten: hungrig und verschmachtend sollen wir von Gott erflehen, was uns fehlt, aber zugleich auch in Furcht und Erschrecken lernen, demütig zu sein. Denn der Mensch birgt ja in jeder Hinsicht eine Welt von Elend in sich, und seitdem wir der göttlichen Zier verlustig gegangen sind, macht eine beschämende Blöße unendlich viel Schande offenbar. Ist es aber so, dann muß ja notwendig jeder Mensch vom Bewußtsein seines heillosen Zustandes wenigstens zu irgendeinem Wissen um Gott getrieben werden: Wir empfinden unsere Unwissenheit, Eitelkeit, Armut, Schwachheit, unsere Bosheit und Verderbnis - und so kommen wir zu der Erkenntnis, daß nur in dem Herrn das wahre Licht der Weisheit, wirkliche Kraft und Tugend, unermeßlicher Reichtum an allem Gut und reine Gerechtigkeit zu finden ist. So bringt uns gerade unser Elend dahin, Gottes Güter zu betrachten, und wir kommen erst dann dazu, uns ernstlich nach ihm auszustrecken, wenn wir angefangen haben, uns selber zu mißfallen. Denn (von Natur) hat jeder Mensch viel mehr Freude daran, sich auf sich selber zu verlassen, und das gelingt ihm auch durchaus - solange er sich selber noch nicht kennt, also mit seinen Fähigkeiten zufrieden ist und nichts von seinem Elende weiß oder wissen will. Wer sich also selbst erkennt, der wird dadurch nicht nur angeregt, Gott zu suchen, sondern gewissermaßen mit der Hand geleitet, ihn zu finden.
Aber andererseits kann der Mensch auf keinen Fall dazu kommen, sich selbst wahr-haft zu erkennen, wenn er nicht zuvor Gottes Angesicht geschaut hat und dann von dieser Schau aus dazu übergeht, sich selbst anzusehen. Denn uns ist ja ein mächtiger Hochmut geradezu angeboren, und darum kommen wir uns stets durchaus untadelig, weise und heilig vor, wenn uns nicht handgreifliche Beweise unsere Ungerechtigkeit, Beflecktheit, Torheit und Unreinheit vor Augen halten und uns so überführen. Dazu kommt es aber gar nicht, wenn wir bloß auf uns selber sehen und nicht zugleich auf den Herrn; denn er ist doch die einzige Richtschnur, nach der solch ein Urteil
(über uns selbst) erfolgen kann. Wir sind ja von Natur alle zur Heuchelei geneigt, und so befriedigt uns schon irgendein leerer Schein von Gerechtigkeit ebensosehr, wie es die Gerechtigkeit selber nur könnte. Und weil unter uns und um uns rein nichts zu erblicken ist, das nicht mit schrecklichster Unreinigkeit befleckt wäre, so begeistert uns, solange wir über die Grenzen menschlicher Unreinheit nicht hinausblicken, schon das, was bloß ein bißchen weniger besudelt ist, weil wir es bereits für ganz rein halten. Es geht wie bei einem Auge, das ausschließlich an den Anblick schwarzer Farbe gewöhnt ist - und das dann schon für schneeweiß hält, was vielleicht grau oder geschwärztes Weiß ist. Überhaupt können wir uns an dem leiblichen Sinnes-organ (dem Auge!) ein Beispiel nehmen, wie sehr wir in der Beurteilung unserer inneren Tüchtigkeit Trugbildern erliegen. Denn wenn wir am lichten Tage die Erde anschauen oder das, was uns umgibt, so wähnen wir wohl, ein starkes und durch-dringendes Sehvermögen zu besitzen. Sobald wir aber die Sonne mit offenem Auge stracks anblicken wollen, so wird jene Sehkraft, die den Dingen dieser Erde gegenüber völlig ausreichte, ganz überwältigt und geblendet, so daß wir bekennen müssen, daß diese Sehkraft, so scharf sie im Irdischen war, gegen die Sonne geradezu Schwachsichtigkeit ist! Genau so ist es bei der Betrachtung unseres geistlichen Besitzes. Lenken wir den Blick nicht über die Erde hinaus, so sind wir mit der eigenen Gerech-tigkeit, Weisheit und Tugend reichlich zufrieden und schmeicheln uns mächtig - es fehlte, daß wir uns für Halbgötter hielten! Aber wenn wir einmal anfangen, unsere Gedanken auf Gott emporzurichten, wenn wir bedenken, was er für ein Gott sei, wenn wir die strenge Vollkommenheit seiner Gerechtigkeit, Weisheit und Tugend erwägen, der wir doch gleichförmig sein sollten - so wird uns das, was uns zuvor unter dem trügerischen Gewand der Gerechtigkeit anglänzte, zur fürchterlichsten Unge-rechtigkeit; was uns als Weisheit wundersam Eindruck machte, wird grausig als schlimmste Narrheit offenbar, was die Maske der Tugend an sich trug, wird als jämmerlichste Untüchtigkeit erfunden! So wenig kann vor Gottes Reinheit bestehen, was unter uns noch das Vollkommenste zu sein schien.
Daher kommt es, daß nach vielfach wiederholten Berichten der Schrift die Heiligen von Furcht und Entsetzen durchrüttelt und zu Boden geworfen wurden, sooft ihnen Gottes Gegenwart widerfuhr. Menschen, die zuvor, ohne seine Gegenwart, sicher und stark dastanden – jetzt, da er seine Majestät offenbart, sehen wir sie derart in Schrecken und Entsetzen gejagt, daß sie geradezu in Todesangst niederfallen, ja vor Schrecken vergehen und fast zunichte werden! Daran merken wir, daß den Menschen erst dann die Erkenntnis seiner Niedrigkeit recht ergreift, wenn er sich an Gottes Majestät gemessen hat. Beispiele solcher Erschütterung haben wir im Richterbuche wie auch bei den Propheten. Es ging soweit, daß im Volke Gottes die Rede-wendung in Gebrauch kam: „Wir müssen sterben; denn wir haben den Herrn gesehen“ (Ri. 13,22; Jes. 6,5; Ez. 1,28; u.a.). Und wenn das Buch Hiob (z. B. Kap. 38ff.) den Menschen durch das Bewußtsein seiner Torheit, Ohnmacht und Beflecktheit zu Boden werfen will, so dienen ihm stets die Beschreibungen von Gottes Weisheit, Kraft und Reinheit zum Beweise. Das ist berechtigt: wir sehen, wie auch Abraham, nachdem er einmal von nahem des Herrn Herrlichkeit erschaut hat, um so besser erkennt, daß er „Erde und Asche“ ist (Gen. 18,27). Elia vermag Sein Nahen nicht mit unverdecktem Antlitz zu ertragen (1. Kön. 19,13). Solcher Schrecken liegt in seinem Anblick! Was soll auch der Mensch tun, der doch Staub ist und ein Wurm, wenn selbst die Cherubim in heiliger Scheu ihr Angesicht ver-hüllen müssen! (Jes. 6,2). Eben dies spricht Jesaja aus: „Der Mond wird sich schämen und die Sonne mit Schanden bestehen, wenn der Herr der Heerscharen König sein wird“ (Jes. 24,23). Das heißt: wenn er seine Herrlichkeit in voller Nähe offenbaren wird, dann versinkt auch das sonst Leuchtendste in Finsternis.
Gewiß: Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis sind fest miteinander verknüpft. Aber die rechte Ordnung in der Lehre verlangt, daß wir zunächst die Gottes-erkenntnis und dann die Selbsterkenntnis behandeln.
Erkenntnis Gottes ist nun für mein Verständnis nicht allein darin beschlossen, daß wir wissen: es ist ein Gott. Wir sollen auch festhalten, was uns von ihm zu wissen nottut, was zu seiner Ehre dient, was uns zuträglich ist. Denn es kann von einem eigentlichen Erkennen Gottes keine Rede sein, wo Ehrfurcht (religio) und Frömmigkeit fehlt. Und dabei denke ich noch nicht einmal an jene Weise der Erkenntnis Gottes, durch welche in sich verlorene und verdammte Menschen in Christus, dem Mittler, Gott als Erlöser ergreifen. Hier ist bloß von jener ursprünglichen und einfachen Erkenntnisweise die Rede, zu welcher schon die Ordnung der Natur führen würde, wenn Adam nicht gefallen wäre. Es kann zwar gewiß in dieser Verderbnis der Menschheit kein Mensch Gott als den Vater, den Urheber seines Heils, noch irgendwie als den gnädigen Gott erkennen, ehe denn Christus ins Mittel tritt, um uns den Frieden mit Gott zu erringen. Gleichwohl ist es etwas anderes, Gott zu erkennen als den Schöpfer, der uns mit seiner Macht trägt, mit seiner Vorsehung leitet, seiner Güte pflegt, mit der Fülle seiner Segnungen begleitet, und wiederum etwas anderes, die Gnade der Versöhnung zu ergreifen, die uns in Christus zukommt. Weil uns nun der Herr erstlich einfach als der Schöpfer entgegentritt — in seinem Werke, der Welt, wie auch der allgemeinen Lehre der Schrift — und dann fernerhin im Angesicht Christi als der Erlöser, so ergibt sich eine zwiefache Erkenntnis Gottes. Hier ist von der erstbezeichneten Erkenntnis die Rede. Es folgt dann die zweite nach ihrer Ordnung.
Obwohl man nun Gott innerlich nicht erfassen kann, ohne ihm zugleich irgendeine Verehrung zu erweisen, so genügt es doch nicht, einfach festzuhalten, er sei der Einige, der von allen angebetet und verehrt werden müsse. Wir müssen vielmehr auch überzeugt sein, daß er der Brunnquell aller Güter ist, damit wir nichts Gutes suchen außer in ihm. Dies meine ich, weil er die Welt, wie er sie einst schuf, so noch stets mit unendlicher Macht trägt, mit seiner Weisheit ordnet, mit seiner Güte erhält, weil er insbesondere die Menschheit mit Gerechtigkeit und Gericht regiert, mit Barmherzigkeit gewähren läßt, mit seiner Wehr schützt und überhaupt weil nirgendwo ein Tröpflein Weisheit oder Licht, oder Gerechtigkeit, oder Kraft, oder Heiligkeit, oder gewisser Wahrheit sich findet, das nicht von ihm her flösse und dessen Ursprung nicht er wäre! Auf diese Weise lernen wir, alles von ihm zu erwarten und zu erbitten und mit Danksagung alles als seine Gabe anzuerkennen. Denn diese Wahrnehmung der Macht und Güte Gottes ist für uns der rechte Lehrmeister der Frömmigkeit, aus der die Religion entsteht. Frömmigkeit nenne ich die mit Liebe verbundene Ehrfurcht vor Gott, welche aus der Erkenntnis seiner Wohltaten herkommt. Solange aber der Mensch nicht empfindet, daß er Gott alles verdankt, daß Gott ihn durch seine väterliche Fürsorge umfängt und alle seine Güter über ihn ausschüttet, so daß nichts außer ihm zu suchen ist — solange unterwirft er sich ihm niemals in freiwilliger Dienstbereitschaft. Ja, wo er nicht all sein Heil auf ihn gründet, da wird er sich ihm nimmermehr wahrhaftig und von Herzen ganz übergeben.
Deshalb ist es unnützes Gedankenspiel, wenn einige sich eifrig um die Frage nach Gottes „Sein“ und „Wesen“ mühen. Uns liegt mehr daran, zu wissen, was für ein Gott er ist und was seiner Art gemäß ist. Denn wozu soll es dienen, mit Epikur einen Gott zu bekennen, der die Fürsorge um die Welt von sich wirft und nur in der Muße seine Ergötzung findet? Was hilft es auch, einen Gott zu erkennen, mit dem wir nichts zu schaffen haben? Zweck und Ziel der Gotteserkenntnis soll doch vielmehr sein, daß wir lernen, Gott zu fürchten und zu ehren, ferner: daß wir unter ihrer Leitung
alles von ihm erbitten und ihm alles in Dankbarkeit zuschreiben lernen. Wie sollte denn der Gedanke an Gott anders in deinem Herzen Raum gewinnen, als daß du sogleich bedächtest: Du bist sein Gebild und kraft Rechts der Erschaffung seinem Befehl unterstellt und hörig; dein Leben verdankst du ihm, all dein Tun und Planen soll sich nach ihm ausrichten? Wenn das so ist, dann ergibt sich sofort weiter, daß dein Leben schändlich verdorben ist, wenn es nicht zu seinem Dienste da ist! Denn sein Wille muß das Gesetz unseres Lebens sein. Andererseits aber gewinnst du nur dazu eine klare Anschauung Gottes, daß du ihn als Brunnquell und Ursprung alles Guten erkennst. Daraus müßte dann das Begehren entstehen, ihm anzuhangen, Vertrauen und Zuversicht auf ihn zu setzen — wenn den menschlichen Verstand nicht die eigene Verkehrtheit vom rechten Suchen abbrächte. Denn zunächst erträumt sich ein frommer Sinn nicht irgendeinen Gott, sondern richtet sein Gemerk auf den Einigen und Wahren. Er dichtet ihm auch nicht an, was ihm in den Sinn kommt, sondern ist zufrieden, ihn so anzunehmen, wie er sich selber offenbart und erweist, hütet sich auch immerzu mit höchstem Fleiß, daß er nicht in verwegenem Leichtsinn weiter gehe, als Gottes Wille reicht, und freventlich herumstreife. Da er ihn so erkannt hat als den, der alles ordnet, so vertraut er sich ihm an als dem Hüter und Hort und überläßt sich ganz seiner Treue. Denn er weiß ja, daß Gott der Urheber alles Guten ist, und darum flüchtet er unter seinen Schutz und erwartet seine Hilfe, wo etwas drückt oder mangelt. Er ist überzeugt von seiner Güte und Barmherzigkeit, und darum vertraut er sich ihm fest an und zweifelt nicht, daß gegen all sein Unglück Gottes Güte ein Heilmittel haben werde. Er kennt ihn als den Herrn und Vater, und deshalb hält er ihn auch für wert, in allen Stücken auf seinen Befehl zu achten, seine Majestät zu ehren, seine Ehre auszubreiten und seinen Geboten zu gehorchen. Er sieht, daß Gott ein gerechter Richter ist, gewaffnet mit seiner Unerbittlichkeit, alle Laster zu strafen, und darum hat er seinen Richtstuhl allezeit vor Augen, und die Furcht Gottes hindert ihn, seinen Zorn zu reizen. Indessen schreckt ihn der Gedanke an das Gericht doch nicht so sehr, daß er etwa fliehen möchte, auch wenn es ihm möglich wäre. Denn er kennt ihn ebensosehr als den Vergelter für die Bösen, wie als den Wohltäter gegen die Gottesfürchtigen — gehört es doch für ihn nicht weniger zu Gottes Ehre, daß für die Gottlosen und Gesetzlosen Strafe, als daß für die Gerechten der Lohn des ewigen Lebens bei ihm aufgehoben ist! Zudem hält er sich nicht etwa bloß aus Angst vor dem Gericht von der Sünde zurück, sondern weil er Gott als Vater liebt und verehrt, ihm als dem Herrn Gehorsam und Dienst erweist — gäbe es auch keine Hölle, so scheute er sich doch, ihn zu kränken. Das ist reine und unverfälschte Religion: Glaube und ernste Gottesfurcht miteinander verbunden! So schließt die Furcht freiwillige Verehrung Gottes in sich und bringt den rechten Gottesdienst mit sich, wie ihn das Gesetz verordnet. Das letztere muß besonders bemerkt werden; denn alle Menschen miteinander verehren Gott, aber nur wenige erweisen ihm die rechte Ehrfurcht. Denn überall ist ein großes Gepränge der Zeremonien, aber selten ist die Aufrichtigkeit des Herzens.
Daß der menschliche Geist durch natürliches Ahnvermögen eine Art Empfindung für die Gottheit besitzt, steht für uns außer allem Streit. Denn Gott selbst hat allen Menschen eine Kenntnis seiner Gottheit zu eigen gemacht, damit ja niemand den Vorwand der Unwissenheit als Entschuldigung anführe. Diese Kenntnis frischt er stets auf und benetzt sie mit neuen Tröpflein. Und wenn die Menschen doch alle miteinander darum wissen, daß ein Gott sei und daß er ihr Schöpfer ist, so sollen sie sich durch ihr eigenes Zeugnis verdammen, weil sie ihm keinen Dienst erweisen und seinem Willen ihr Leben nicht zum Opfer darbringen. Sollte irgendwo solches Wissen um Gott nicht vorhanden sein, so könnte das am ehesten noch unter den wildesten Völkern vorkommen, die von der menschlichen Gesittung am weitesten entfernt sind. Aber, wie schon ein heidnischer Denker sagt: kein Volk ist so barbarisch, kein Stamm so verwildert, daß nicht die Überzeugung fest eingewurzelt wäre: es ist ein Gott. (Cicero, De natura Deorum, I,16,43). Völker, die sich in ihrem sonstigen Lebensstande kaum von den Tieren abzuheben scheinen, behalten doch stets wenigstens eine Art Keim der Religion (semen religionis). So sehr hat jene gemeinsame Ahnung alle Herzen durchdrungen, so fest wurzelt sie in allen Gemütern. Da also feit Anbeginn der Welt kein Gebiet, keine Stadt, ja nicht ein Haus war, das der Religion entbehren konnte, so liegt in dieser Tatsache ein stillschweigendes Eingeständnis, daß in alle Herzen ein Empfinden um die Gottheit eingeschrieben ist.
Selbst der Götzendienst ist ein vielsagender Beweis für die damit empfangene Anlage (conceptio). Wir wissen nämlich, wie ungern sich der Mensch erniedrigt und andere Geschöpfe über sich stellt. Wenn er nun aber lieber ein Stück Holz oder einen Stein anbetet, als den Anschein zu erwecken, er habe keinen Gott, so ist offenbar der Eindruck vom Dasein der Gottheit von derartiger Wucht, daß es leichter ist, den natürlichen Trieb zu brechen, als diesen Eindruck aus der Seele zu reißen. Es kommt ja tatsächlich vor, daß der natürliche Trieb zerbricht, nämlich wenn ein Mensch sich von seinem angeborenen Hochmut freiwillig unter widerwärtigste Dinge erniedrigt, nur um einen Gott zu verehren.
Darum ist es das denkbar hohlste Gerede, einige wenige Menschen hätten in Arglist und Spitzfindigkeit die Religion erdacht, um das einfältige Volk in Zucht zu halten, während sie doch zwar andere zur Gottesverehrung gebracht, aber selbst nicht von ferne daran gedacht hätten, an das Dasein eines Gottes zu glauben. Nun gebe ich zwar zu, daß verschlagene Menschen sehr viel Religiöses ersonnen haben, um das unwissende Volk in Furcht und Schrecken zu jagen und es dadurch gefügiger zu machen. Aber das hätten sie gar nicht fertiggebracht, wenn nicht zuvor die Menschenherzen von jener Überzeugung vom Dasein Gottes ergriffen gewesen wären, aus der wie aus einem Keim der Hang zur Religion hervorkommt. Es kommt mir aber auch nicht glaubhaft vor, daß diese Betrüger, die unter der Maske der Religion das Volk hinterlistig anführten, wirklich gar keine Kenntnis von Gott gehabt hätten. Gewiß hat es früher einige Menschen gegeben, die Gottes Dasein leugneten; und heute treten wieder nicht wenige auf, die das tun. Aber ob sie wollen oder nicht: was sie so gerne nicht wissen möchten, das drängt sich ihnen doch auf! Es hat wohl nie ein Mensch die Verachtung der Gottheit verwegener und gehässiger getrieben als Cajus Caligula. Aber keiner geriet auch jämmerlicher ans Zittern, wenn irgendein Anzeichen göttlichen Zorns auftrat. So hatte er gegen seinen Willen Angst vor dem Gott, den er doch mit entschlossenem Vorsatz verachten wollte! So geschieht es allen seinesgleichen: mag einer noch so ein verwegener Verächter Gottes sein — um so mehr schreckt ihn das Rascheln eines niederfallenden Blattes! Was ist das anders als Vergeltungstat göttlicher Majestät, die das Gewissen solcher Menschen um so heftiger erschüttert, je mehr sie ihr zu entgehen suchen? Nach allen Schlupfwinkeln sehen sie sich um, nur um der Gegenwart des Herrn zu entfliehen und sie aus ihrem Herzen zu tilgen. Aber mögen sie wollen oder nicht: sie bleiben stets wie in einem Netz verstrickt. Mag auch das Wissen um Gott eine Zeitlang verschwunden scheinen — bald bricht es doch wieder auf und überfallt sie mit neuer Wucht! Kommt es einmal zu einem Schweigen der Gewissensangst, so ähnelt doch dieser Zustand dem Schlaf von Trunkenen oder Geistesgestörten, die nicht einmal im Schlafe Frieden finden können, weil sie immerzu von grausigen und schreckhaften Träumen gequält werden. So sind auch die Gottlosen ein Beispiel und Zeugnis dafür, daß stets im Herzen der Menschen etwas wie ein Wissen um Gott (aliqua Dei notio) kräftig ist.
Es werden also alle, die recht urteilen, stets darin einig sein: es ist wirklich im Herzen des Menschen ein Empfinden für die Gottheit gleichsam eingemeißelt, das unzerstörbar ist. Ja gerade der hartnäckige Widerspruch der Gottlosen, die sich trotz ihres heftigen Widerstrebens der Furcht Gottes nicht entwinden können, ist ein Beweis dafür, daß jene Überzeugung vom Dasein eines Gottes allen Menschen angeboren und geradezu in ihrem Innersten fest verwurzelt ist. Mögen nun Diagoras und seinesgleichen ihren Spott über alles ausgießen, was alle Jahrhunderte geglaubt haben, mag Dionysius das himmlische Gericht lästern — es ist doch nur das bittere Lachen der Verzweiflung; denn in ihnen nagt der Wurm des Gewissens, beißender als alle Brandmale. Ich sage nicht mit Cicero (De natura deorum, II,2,5), die Irrtümer würden mit der Zeit verschwinden, die Religion aber je mehr und mehr zunehmen und vollkommener werden. Denn die Welt versucht, wie wir noch weiter unten sehen werden, alles Wissen um Gott nach Kräften auszulöschen und die Verehrung Gottes auf allerlei Weise zu verderben. Aber das behaupte ich doch: mag auch die törichte Verhärtung, wie sie die Gottlosen zur Verachtung Gottes so gerne in sich aufkommen lassen, in ihrem Herzen noch so sehr ihr zersetzendes Dasein führen, so ist doch jenes Empfinden um die Gottheit, das sie so gerne ganz ausgelöscht hätten, auch in ihnen noch bei Kräften und bricht neu hervor. Daraus wird ganz deutlich: es handelt sich hier nicht um eine Lehre, die man erst in der Schule lernen müßte; sondern jeder ist hierin von Geburt an sein eigener Lehrmeister, und die Natur selbst verhindert das Vergessen, so sehr auch viele Menschen alle Kräfte anspannen, um von dieser Lehre loszukommen.
Aber, weiter: wir sind doch alle dazu geboren und leben, um Gott zu erkennen. Wenn das Wissen um Gott (Dei notitia) nicht soweit dringt, so ist es eitel und flüchtig. Deshalb sind offenbar alle Menschen aus dem Gesetz ihrer Schöpfung herausgefallen, die nicht auf dieses Ziel all ihre Gedanken und all ihr Tun ausrichten. Das war auch den Philosophen wohlbekannt. Denn das eben wollte Platon (Phaedon 107 C, Theaetet 176 B) mit seiner wiederholten Äußerung sagen, das höchste Gut der Seele sei die Ähnlichkeit mit Gott; sei sie seiner Erkenntnis teilhaftig geworden, so werde sie ihm ganz gleichförmig. Durchaus scharfsinnig urteilt auch Gryllus bei Plutarch, der behauptet, der Mensch ohne alle Religion sei nicht nur ohne jeden Vorzug gegenüber den unvernünftigen Tieren, sondern stehe in mancherlei Beziehung gar noch tiefer als sie, da er, so vielerlei Unglück unterworfen, stets in Unruhe und Rastlosigkeit dahinleben müsse. Denn nur der Dienst Gottes gebe dem Menschen seinen Vorrang, er allein führe ihn zur Unsterblichkeit.
Die Erfahrung bezeugt, daß Gott in alle Herzen den Keim der Religion hineingelegt hat. Aber es ist doch unter hundert kaum einer, der da hegt und pflegt, was er empfangen hat, nicht ein einziger, in dem es zur Reife käme, geschweige denn Frucht brächte zu seiner Zeit. Die einen verlieren sich im Aberglauben, die anderen werden mit Absicht und bösem Vorsatz von Gott abtrünnig — aber alle weichen sie von der wahren Gotteserkenntnis ab. Auf diese Weise bleibt keinerlei wahre Frömmigkeit in der Welt bestehen. Wenn ich davon sprach, daß einige aus Irrtum in Aberglauben versinken, so ist meine Auffassung nicht etwa, ihre Torheit spräche sie von ihrem Vergehen frei. Denn mit ihrer Blindheit geht fast immer stolze Eitelkeit und Trotz zusammen. Solche Eitelkeit und Hoffart zeigt sich darin, daß die elenden Menschen, wenn sie Gott suchen, nicht über sich hinaus denken, wie es sein müßte, sondern ihn nach dem Maße ihres fleischlichen Wahnwitzes messen, alle gründliche Nachforschung unterlassen und in eitles Gedankenspiel sich verlaufen. So ergreifen sie ihn nicht, wie er sich offenbart, sondern bilden sich ihn ein, wie sie ihn in ihrer Vermessenheit ersonnen haben. Ist aber dieser Abgrund erst aufgerissen, so müssen sie, wohin sie auch den Fuß setzen, immer neu ins Verderben stürzen. Wie sehr sie sich auch dann um Gottesdienst und Gehorsam mühen — sie vermögen Gott nichts Rechtes darzubringen; denn sie dienen ja gar nicht Gott selbst, sondern an seiner Statt dem Gebild und Traum ihres Herzens! Diese Verkehrtheit rügt Paulus klar und deutlich, wenn er sagt: „Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden“ (Röm. 1,22). Vorher spricht er davon, wie sie „eitel geworden sind in ihrem Denken“; aber damit keiner sie etwa für unschuldig erkläre, fügt er hinzu, sie würden mit Recht verfinstert, weil sie sich ja nicht in den Schranken der Nüchternheit hielten und in unrechter Anmaßung selbst die Finsternis herbeigeholt und sich gar in wahnsinnigem und verkehrtem Übermut mutwillig verblendet haben. Daraus ergibt sich, daß ihre Torheit unentschuldbar ist; denn sie entstammt nicht nur eitler Neugierde, sondern der bösen Lust, mehr zu wissen, als dem Menschen verstattet ist, und dem falschen Selbstvertrauen.
Wenn nun David von den Gottlosen und Toren sagt, daß sie „in ihrem Herzen sprechen: Es ist kein Gott“ (Ps. 14,1), so bezieht sich das in erster Linie auf die, welche das Licht der Natur auslöschen und sich mutwillig selbst betäuben, wie wir späterhin sehen werden. So sehen wir viele, die durch freche und zur Gewohnheit gewordene Sünde verhärtet sind, wie sie wütend jeden Gedanken an Gott von sich stoßen, der sich ihnen doch von Natur ungewollt aufdrängt. Um solche ihre Wut desto abscheulicher hervortreten zu lassen, stellt David derartige Leute als Gottesleugner dar, nicht weil sie Gattes Dasein schlankweg bestreiten, sondern weil sie ihm Richtergewalt und Vorsehung absprechen und ihn als müßiges Wesen in den Himmel eingeschlossen denken. Denn nichts steht mit Gottes Wesen weniger im Einklang, als wenn man behauptet, er habe die Weltregierung niedergelegt und dem blinden Zufall anheimgegeben, sei deshalb blind gegen die Übeltaten der Menschen, so daß sie ungestraft sündigen könnten! Wer also unbekümmert um das himmlische Gericht seinen Lüsten lebt, der leugnet tatsächlich das Dasein Gottes. Und das ist Gottes gerechte Vergeltung, daß er die Herzen unempfindlich macht, so daß die Gottlosen, nachdem sie zuerst die Augen geschlossen haben, nun auch mit offenen Augen nicht mehr sehen. David erläutert selbst an einer anderen Stelle aufs beste seinen Spruch, wenn er sagt: „Es ist keine Gottesfurcht vor ihren Augen“ (Ps. 36,2), oder wenn er zeigt, wie sie sich in ihren Missetaten recht gefallen, weil sie sich einreden: „Gott hat's vergessen, er wird's nimmermehr sehen“ (Ps. 10,11). Obwohl sie also nicht daran vorbeikommen, irgendeinen Gott anzuerkennen, machen sie doch seinen Ruhm zunichte, indem sie seine Macht bestreiten, wie nämlich nach dem Zeugnis des Paulus Gott sich selbst nicht verleugnen kann (2. Tim. 2,13), weil er sich ja stets gleichbleibt, so trifft jene Menschen mit Recht das Urteil, Leugner Gottes zu sein, wenn sie aus ihm einen toten und eitlen Götzen machen. Es ist aber auch noch dies zu bedenken: Gewiß kämpfen sie gegen ihr eigenes Empfinden und möchten gern Gott aus ihm hinausdrängen und ihn auch im Himmel abschaffen; aber sie können doch mit ihrem ganzen Trotz nicht hindern, daß er sie zu Zeiten vor sein Gericht zieht. Trotzdem lassen sie sich von keiner Furcht in ihrem rasenden Ansturm gegen Gott hemmen, und deshalb herrscht in ihnen offenbar, solange dieser blinde Trotz sie fortreißt, ein geradezu viehisches Vergessen Gottes.
So verschwindet auch die eitle Beschönigung, die einige Menschen ihrem Aberglauben zu gewähren pflegen. Sie bilden sich nämlich ein, es sei schon genug, wenn der Mensch sich irgendwie um die Religion bemühe, auch wenn dieses Bemühen noch so unsinnig sei. Dabei bedenken sie nicht, daß die wahre Religion dem Willen und Wink Gottes als einer unwandelbaren Richtschnur angemessen sein muß! Denn Gott bleibt sich immer gleich. Er ist doch kein Gespenst, kein Phantasiegebilde, das sich jeder nach eigenem Dünken gestalten könnte: Und es ist ja auch augenfällig, mit was für lügnerischen Trugbildern der Aberglaube Gottes spottet, gerade wenn er ihm am eifrigsten dienen will. Denn er nimmt das auf, woran Gott nach seinem eigenen Zeugnis gar nichts liegt; was er aber verordnet hat und was ihm wohlgefällt, das verachtet er oder verwirft es gar unzweideutig. Denn wer einen selbstersonnenen Gottesdienst einrichtet, der treibt Dienst und Anbetung seines eigenen Hirngespinstes. Er würde nämlich gar nicht wagen, mit Gott auf solche Weise Possen zu treiben, wenn er nicht zuvor einen Gott erdacht hätte, der seiner freventlichen Narretei entspräche! Deshalb erklärt der Apostel eine solche schwankende und irrige Meinung von Gott für Unkenntnis Gottes: „Zu der Zeit, da ihr Gott nicht erkanntet, dientet ihr denen, die von Natur nicht Götter sind“ (Gal. 4,8); oder an anderer Stelle sagt er von den Ephesern, sie seien zu der Zeit, wo sie abseits von der rechten Gotteserkenntnis gelebt hätten, „ohne Gott“ gewesen (Eph. 2,12). Bei solchem Zustande verschlägt es nun wenig, ob man sich bloß einen einzigen Gott erdichtet oder mehrere. Denn die Entfernung und der Abfall von Gott sind Tatsache, und wenn man ihn verlassen hat, so bleibt nichts übrig als ein greuliches Götzenbild. Wir können zum Schluß nur mit Lactantius feststellen: keine Religion ist die rechte, die nicht mit der Wahrheit im Bunde steht.
Dazu kommt nun noch eine weitere Sünde: Man macht sich nur noch unter Zwang Gedanken über Gott, sucht seine Nähe nur widerstrebend, genötigt. Und auch dann kommt es nicht zu freiwilliger Gottesfurcht, wie sie die Achtung vor Gottes Majestät mit sich bringt, sondern bloß zu knechtischer, erzwungener Angst vor Gottes Gericht: dem kann man nicht entgehen, erschrickt aber vor ihm und will nichts mit ihm zu tun haben. So paßt auf die Gottlosigkeit, und auf diese allein, der Ausspruch des Statius, die Furcht habe zuerst in der Welt Götter gemacht. Wer sein Herz von der Gerechtigkeit Gottes abwendet, der weiß zwar, daß ein Gericht besteht, die Gesetzesübertretung zu ahnden, aber er wünscht um so mehr, dies Gericht möchte zunichte werden. Das ist die Gesinnung, aus der man gegen Gott Krieg führt, der doch ohne Gericht nicht sein kann. Da man aber doch gewahrt, daß Gottes Macht unabwendbar droht — denn man kann sie nicht beiseiteschieben noch ihr entlaufen! —, so gerät man vor ihr ins Zittern. Man möchte nun gewiß nicht den Anschein erwecken, als ob man Gott verachte, dessen Majestät einen doch bedrängt, und deshalb verrichtet man äußerlich allerlei religiöses Scheinwerk, hört aber unterdessen keineswegs auf, sich mit allen Lastern zu beflecken, Schande auf Schande zu wälzen, bis man das heilige Gesetz des Herrn in jeder Beziehung verletzt und seine Gerechtigkeit gänzlich aufgelöst hat. Jedenfalls bietet jene vorgetäuschte Gottesfurcht keinerlei Hemmnis dagegen, daß man sich in seinen Sünden richtig wohlfühlt, sich in ihnen gefällt und lieber der Zügellosigkeit des eigenen Fleisches sich hingibt, als der Zucht des Heiligen Geistes zu gehorchen! Aber dies ist ja alles ein leerer und verlogener Schein der Religion, kaum gar des Namens „Schein“ würdig; und so kann man gerade hier wiederum leicht wahrnehmen, wie sehr sich die Frömmigkeit, die allein im Herzen der Gläubigen wohnt und aus der erst die wahre Religion geboren wird, von diesem wirren Wissen um Gott unterscheidet. Und doch wollen solche Heuchler auf Schleichwegen erreichen, daß sie Gott, vor dem sie doch auf der Flucht sind, nahe scheinen. Ihr ganzes Leben lang sollten sie ihm ohne Unterlaß gehorsam sein; aber statt dessen trotzen sie ihm unerschrocken fast in all ihrem Tun und versuchen ihn nur durch ein paar Opfer zu versöhnen! In Heiligkeit des Lebens und Reinheit des Herzens sollten sie ihm dienen; aber statt dessen erdichten sie sich läppisches Possenzeug und nichtige Dienstlein, mit denen sie sein Wohlgefallen erwerben möchten! Ja sie versenken sich um so kecker in ihren Schlamm, weil sie wähnen, mit lächerlichen Bußübungen mit Gott ins reine zu kommen. Endlich: all ihr Vertrauen sollten sie auf ihn richten, und statt dessen setzen sie ihn beiseite und gründen ihr Vertrauen auf sich selbst oder die Kreaturen! Zum Schluß verwickeln sie sich dermaßen in allerlei Irrtum, daß ihre finstere Bosheit jene Funken auslöscht und gar erstickt, die zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes aufleuchteten. Und trotzdem lebt jener Keim, der auf keine Weise gänzlich auszurotten ist, jene Ahnung, es sei irgendein göttliches Wesen. Aber dieser Keim ist selbst so verderbt, daß er nur die schlechtesten Früchte erzeugt.
So erweist sich nur desto klarer die Richtigkeit meiner Behauptung, es sei von Natur dem Menschenherzen ein Empfinden von Gott eingemeißelt. Erzwingt doch die Notwendigkeit auch von den Gottlosen deren Anerkennung! Im ungestörten Glück spotten sie Gottes, sind Kläffer und Schwätzer, um seine Macht zu verkleinern. Aber wenn die Verzweiflung sie quält, dann drängt sie sie, Gott zu suchen, und gibt ihnen Stoßgebete ein — woraus dann deutlich wird, daß sie gar nicht gänzlich ohne Kunde von Gott sind, daß sie aber in Bosheit unterdrückt haben, was längst in ihnen hätte emporkommen sollen!
Höchstes Ziel des seligen Lebens ist nun die Erkenntnis Gottes. Niemandem sollte der Zugang zur Seligkeit verschlossen bleiben; deshalb hat Gott nicht nur dem Menschenherzen das geschenkt, was wir den Keim der Religion nannten. Er hat sich auch derart im ganzen Bau der Welt offenbart und tut es noch heute, daß die Menschen ihre Augen nicht aufmachen können, ohne ihn notwendig zu erblicken. Sein Wesen zwar ist unbegreiflich, so daß seine Gottheit allem Verstehen der Menschen völlig unerreichbar ist. Aber er hat den einzelnen Werken zuverlässige Kennzeichen seiner Herrlichkeit eingeprägt, und diese sind so deutlich und eindrücklich, daß auch den unkundigsten und unverständigsten Menschen jede Entschuldigung mit Unwissenheit unmöglich gemacht ist. So ruft der Prophet mit vollem Rechte aus, Gott sei mit Licht wie mit einem Kleide angetan (Ps. 104,2), als wollte er sagen: Erst da fing er an, herrlich in sichtbarem Schmuck hervorzutreten, als er in der Schöpfung der Welt seine herrlichen Kennzeichen offenbarte, in deren Schmuck er uns jetzt erscheint, wohin wir auch unsere Augen wenden. An derselben Stelle vergleicht der Prophet sehr treffend den ausgespannten Himmel mit Gottes Königszelt und sagt von ihm: „Er wölbt sein Gemach in den Wassern, Wolken sind sein Gefährt, er reitet auf Flügeln des Windes, Winde und Blitze sind seine schnellen Boten“ (Ps. 104,3.4, etwas ungenau). Und weil in der Höhe der Glanz seiner Macht und Weisheit am herrlichsten strahlt, so heißt der Himmel öfters sein Palast. Überhaupt: wohin man die Augen blicken läßt, es ist ringsum kein Teilchen der Welt, in dem nicht wenigstens irgendwelche Fünklein seiner Herrlichkeit zu sehen wären! Man kann dieses gewaltige, wundervolle Gebäude, das ringsum daliegt, gar nicht mit einem Blick erschauen, ohne unter der Gewalt dieses unermesslichen Glanzes zusammenzusinken. Deshalb nennt der Verfasser des Hebräerbriefs die Welt sehr schön ein Sichtbarwerden der unsichtbaren Dinge (Hebr. 11,3); denn die schöne Ordnung der Welt dient uns als Spiegel, in dem wir allenthalben den unsichtbaren Gott erschauen können. Darum schreibt der Prophet (Ps. 19,1) den Himmelskörpern eine Sprache zu, die keinem Volk unbekannt ist; denn da besteht eine allzudeutliche Bezeugung Gottes, als daß sie irgendeinem Volke, und sei es auch das roheste, entgehen könnte. Und der Apostel drückt das noch deutlicher aus, wenn er sagt, es sei den Menschen offenbart, was man von Gott wissen soll, denn sein unsichtbares Wesen, ja seine ewige Kraft und Gottheit werde aus der Anschauung der Weltschöpfung von jedermann ersehen (Röm. 1,19).
Im Himmel und auf Erden sind unzählige Zeugnisse, die seine wunderbare Weisheit beweisen. Ich denke nicht bloß an verborgenere Dinge, deren näherer Erforschung die Sternkunde, die Medizin und die gesamte Naturwissenschaft dient. Vielmehr habe ich solche Zeugnisse im Auge, die sich dem Blick auch des Unkundigsten aufdrängen, so daß sich die Augen nicht auftun können, ohne notwendig Zeugen dafür zu sein. Freilich: wer jene Wissenschaften recht in sich aufgenommen oder auch bloß flüchtig kennengelernt hat, der kann mit ihrer Hilfe noch tiefer in die Betrachtung der Geheimnisse göttlicher Weisheit eindringen. Aber wer sie nicht kennt, wird durch solche Unkenntnis keineswegs gehindert, in Gottes Werken Kunst und Weisheit übrig genug zu sehen, um dann zur Bewunderung des Schöpfers zu kommen. Es bedarf natürlich der Wissenschaft und genauer Arbeit, um die Bewegungen, Stellungen, Entfernungen und Eigenschaften der Gestirne festzustellen; und wie bei solcher Forschung Gottes Vorsehung klarer hervortritt, so ist es dabei auch um so mehr angemessen, den Geist emporzurichten, um seine Herrlichkeit zu schauen. Aber auch der Ungebildete und Unwissende, der nur Augen hat zu sehen, der muß ja die Größe göttlicher Kunst und Weisheit erschauen, die sich ganz von selbst in der unendlichen Mannigfaltigkeit des Heeres der Himmel, die doch so wohlgeordnet ist, ihm entgegenstellt. Da ist also niemand, dem der Herr seine Weisheit nicht reichlich offenbarte! Ebenso erfordert es ausgezeichneten Scharfsinn, die innere Einheit, das Ebenmaß, die Schönheit und die Aufgabe der Organe des menschlichen Körpers mit der Genauigkeit eines Galenus festzustellen. Aber es stimmen alle Betrachter in dem Bekenntnis überein, daß der menschliche Körper einen so sinnreichen Aufbau zeigt, daß der Schöpfer deswegen mit Recht wunderbar genannt wird.
Nicht ohne Grund hat deshalb einst ein Philosoph den Menschen einen „Mikrokosmos“ (eine Welt im Kleinen) genannt, weil er ein ausnehmender Beweis der Macht, Güte und Weisheit Gottes sei und unseren Geist mit soviel Wundern fesseln müßte, wenn wir nicht zu träge zum Aufmerken wären. Aus diesem Grunde fügt Paulus der Feststellung, daß Gott auch von Blinden zu greifen sei, alsbald hinzu, mau brauche ihn nicht in der Ferne zu suchen (Apg. 17,27), weil doch jeder einzelne die himmlische Gnade, von der er lebt, innerlich ohne Zweifel empfindet. Ist es aber, damit wir Gott ergreifen, gar nicht nötig, aus uns selbst hinauszugehen, wie soll dann die Faulheit solcher Leute beschönigt werden, die sich nicht einmal die Mühe machen, in sich selbst hineinzuschauen, um Gott zu suchen? Das ist der Grund, weshalb David, nachdem er in Kürze Gottes herrlichen Namen und seine überall uns entgegenstrahlende Größe gepriesen hat, gleich ausruft: „Was ist der Mensch, daß du sein gedenkest?“ (Ps. 8,5) und: „Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast du eine Macht zugerichtet!“ (Ps. 8,3). Damit spricht er aus: es besteht nicht nur sonst im Menschengeschlecht ein klarer Spiegel der Werke Gottes, sondern selbst die Kindlein, die an der Mutter Brust hängen, haben geschickte Zungen, seinen Ruhm zu verkünden, so daß es anderer Redner nicht bedarf! So führt er ohne Zögern selbst der Kindlein Mund in den Kampf, als sattsam gerüstet, um deren Unsinnigkeit zu bestreiten, die in ihrer teuflischen Hoffart Gottes Namen auslöschen möchten! Daher auch jenes Wort, das Paulus aus Aratus zitiert: „Wir sind seines Geschlechts“ (Apg. 17,28); denn wenn Gott uns mit solchen Vorzügen ziert, so hat er sich damit als unser Vater bezeugt. Aus dem allgemeinen Empfinden und gleichsam auf Eingebung der Erfahrung haben so auch heidnische Dichter Gott den „Vater der Menschen“ genannt. Und es wird sich niemand Gott aus freien Stücken und willig in Gehorsam unterwerfen, der nicht seine väterliche Liebe geschmeckt hat und dadurch gereizt wurde, ihn zu lieben und ihm zu dienen.
Aber hier wird die schmähliche Undankbarkeit der Menschen offenbar. Eine Werkstatt tragen sie in sich, mit unzähligen Werken Gottes geschmückt, eine Schatzkammer, erfüllt mit unschätzbaren Gütern — aber anstatt nun in Lobpreis auszubrechen, blähen sie sich nur in um so größerer Aufgeblasenheit und stemmen sich im Trotz! Sie fühlen, wie wunderbar Gott an ihnen wirkt; welche Fülle von Gaben sie dank seiner Freigebigkeit besitzen, das lehrt sie die Erfahrung selbst. Daß dies Zeichen der Gottheit sind, das müssen sie wohl oder übel erkennen — aber innerlich kämpfen sie dagegen an. Es ist ja gar nicht nötig, daß sie aus sich hinausgehen. Nur sollten sie sich nicht stolz selbst zuschreiben, was ihnen vom Himmel herab gegeben ist, und so in der Erde vergraben, was ihrem Herzen zu klarer Erkenntnis Gottes vorleuchtet. Ja, heute trägt die Erde viele wüste Geister, die sich nicht scheuen, den ganzen Samen der Gottheit, der in die menschliche Natur gestreut worden ist, zur Vertilgung des Namens Gottes zu benutzen. Was für ein fürchterlicher Wahnwitz ist es doch, wenn der Mensch, der in seinem Leib und seiner Seele hundertfach Gott findet, eben diesen Vorzug als Anlaß nimmt, Gottes Dasein zu leugnen! Man wird dabei nicht sagen, der Mensch unterscheide sich bloß durch Zufall von den unvernünftigen Tieren, nur wird man alles unter dem Schleier der „Natur“ verdecken: sie ist dann Schöpfer aller Dinge — aber Gott wird seiner Schöpferherrlichkeit beraubt! Man sieht dieses ausgezeichnete Kunstwerk in seinen einzelnen Gliedern — von Mund und Augen bis zu den Zehen. Aber auch hier setzt man die „Natur“ an die Stelle Gottes. Insbesondere zeigen die geschwinden Regungen der Seele, ihre herrlichen Fähigkeiten, ihre einzigartigen Gaben Gottes Spuren schwer verkennbar an — wenn nur nicht diese Epikuräer gleich Zyklopen gerade von dieser Höhe aus den Krieg wider Gott um so heftiger führen wollten! Wirken aber alle Schätze der himmlischen Weisheit zusammen, um einen Wurm von fünf Fuß Höhe zu regieren, soll dann das ganze Weltall dieses Vorzugs ermangeln? Da behauptet man zunächst, es seien in der Seele organische Fähigkeiten vorhanden, die zur Wirkung in den einzelnen Körperteilen diesen angepaßt wären — aber das vermag doch so wenig die Herrlichkeit Gottes zu verfinstern, daß es sie geradezu Heller strahlen läßt! Epikur soll doch einmal mitteilen, wie das Gemisch von Atomen wohl aussähe, das Speis und Trank verdauen könnte, den einen Teil in den Kot, den anderen ins Blut übergehen ließe, oder das auch in den einzelnen Gliedern eine so kräftige und zweckmäßige Wirkung erzielte, als ob ebensoviel Seelen (wie Glieder) nach gemeinsamem Plan den Leib regierten!
Aber mit diesem Schweinestall habe ich hier nichts weiter zu schaffen. Lieber will ich jetzt mit denen streiten, die in abwegiger Spitzfindigkeit jenen dürren Ausspruch des Aristoteles gern so lange drehen und wenden möchten, bis er ihnen zur Leugnung der Unsterblichkeit der Seele wie zur Bestreitung des Anrechts Gottes dienlich wäre. Da nämlich die Kräfte der Seele organisch sind, so binden sie die Seele an den Leib, so daß sie ohne ihn nicht bestehen könnte. Durch große Lobpreisungen der Natur unterdrücken sie dann, soviel sie vermögen, den Namen Gottes. Aber es kann doch keine Rede davon sein, daß die Vermögen der Seele in den Wirkungsweisen, welche dem Leibe dienen, sich erschöpften. Was hat denn der Körper damit zu tun, daß man den Himmel mißt, die Gestirne zählt, ihre Größe feststellt, ihre Abstände erforscht, die größere oder geringere Geschwindigkeit ihres Laufs beobachtet oder die Grade der Abweichungen von der Bahn bestimmt? Ich gebe zu, daß die Sternkunde einen Nutzen hat. Hier will ich nur zeigen, daß in solch schwieriger Erforschung der Himmelserscheinungen Körper und Seele nicht in einfacher Entsprechung zueinander stehen, sondern daß die Wirkung der Seele vom Körper gesondert ist. Ich habe nur ein einziges Beispiel gebracht, nach welchem sich leicht weitere bilden lassen. Die mannigfaltige Beweglichkeit der Seele, mit der sie Himmel und Erde durchforscht, Vergangenes und Zukünftiges verbindet, früher Vernommenes im Gedächtnis behält, sich vorstellt, was sie will, diese Erfindungsgabe, mit der sie unglaubliche Dinge ausdenkt und die die Mutter sovieler wundersamer Fertigkeiten ist — das alles sind sicherlich Spuren Gottes im Menschen. Was soll man dazu sagen, daß sie selbst im Schlafe regsam und beweglich ist und gar noch viel nützliche Dinge erfindet, über vieles nachdenkt, ja Künftiges erahnt? Kann man darauf eine andere Antwort finden, als daß die Spuren der Unsterblichkeit, die dem Menschen eingeprägt sind, nicht zerstört werden können? Wie sinnlos wäre es aber, wenn der Mensch selbst göttlich (divinus) wäre und doch seinen Schöpfer nicht anerkennte? Wir sollten mit eigener Urteilskraft unterscheiden zwischen Recht und Unrecht — und im Himmel sollte kein Richter sein? Uns sollte doch selbst im Schlafe ein Rest der Denkkraft verbleiben — und kein Gott sollte über der Welt wachen und walten? Wir sollen als Erfinder von soviel nützlichen Künsten und Dingen gelten — damit Gott seines Ruhmes beraubt werde? Und dabei lehrt doch schon die Erfahrung, daß wir unseren Besitz auf ganz andere Art, anderswoher empfangen! Was nun einige Leute über eine geheime Beseelung schwatzen, welche die ganze Welt am Leben erhielte, das ist abgeschmackt und geradezu gottlos. Ihnen macht denn Vergils berühmter Ausspruch Freude:
„Erst den Himmel umher und Land und weite Gefilde,
Auch die leuchtende Kugel des Monds und die strahlende Sonne
Nährt von innen ein Geist; und ganz die Glieder durchströmend
Reget Seele das All, dem großen Leibe vereinigt.
Dorther Menschengeschlecht und Tiere und rasches Geflügel,
Auch soviel Meerwunder, die wogende Tiefe durchtaumeln:
Alle durchwebt sie lebendige Kraft und himmlischer Ursprung.“
Bei solcher Denkweise soll die Welt, die doch als Spiegel Gottes erschaffen ist, ihr eigener Schöpfer sein. Diese Anschauung, die sich bei Griechen und Lateinern findet, hat Vergil auch noch an anderer Stelle ausgesprochen:
„Daß in den Bienen ein Teil göttlichen Geistes
Wohn' und ätherischer Hauch. Denn die Gottheit gehe durch alle
Länder dahin und Räume des Meeres und Tiefen des Himmels.
Schafe daher und Rinder, der Mensch und des Wildes Geschlechter,
Jedes bei seiner Geburt sich hole vom Hauche des Lebens.
Siehe, auch dorthin kehre dereinst, der Verwesung entronnen,
Alles zurück, und nirgends sei Tod, es schwinge sich lebend
Unter die Zahl des Gestirns und leucht' am erhabenen Himmel.“
Was soll nun aber dieses dürre Gedankenspiel von dem „allgemeinen Geiste“ (Weltseele), der die Welt beseelt und trägt, für Frucht tragen zur Entstehung und Erhaltung der Frömmigkeit im Menschenherzen? Das kann man am besten aus den Frevelreden des schmutzigen Hundes Lucretius ersehen, die diesem Ursprung entstammen! Es ist nichts anderes, als daß man sich einen Schattengötzen macht, um nur ja den wahren Gott, den wir fürchten und dem wir dienen sollen, möglichst gründlich loszuwerden. Ich gebe zu: man kann auch in rechter Gesinnung sagen, die „Natur“ sei Gott — wenn es nur aus einem frommen Herzen kommt. Aber es ist doch eine undurchdachte und unangebrachte Redeweise; denn die Natur ist doch vielmehr die von Gott gesetzte Ordnung, und deshalb ist es bei einer so wichtigen Sache, der doch besondere Ehrfurcht gebührt, schädlich, wenn man Gott unklar mit dem ihm untergeordneten Geschehen in seinen Werken vermischt.
Wir wollen also, sooft wir unsere Natur betrachten, stets bedenken: es ist ein einiger Gott, der alle Wesen mit der Absicht lenkt und leitet, daß wir auf ihn blicken, unser Vertrauen auf ihn setzen, ihn ehren und ihn anrufen. Denn es ist nichts sinnloser, als die herrlichen Gaben zu genießen, die in uns als Spuren der Gottheit vorhanden sind — und den Schöpfer zu vergessen, der uns das alles aus Gnaden darreicht! Muß uns nicht seine Macht in ihren herrlichen Erweisungen zu bewundernder Betrachtung hinreißen? Es kann uns doch nicht verborgen bleiben, wie unermeßlich seine Kraft sein muß, wenn er es vermag, die unmeßbare Last Himmels und der Erden mit seinem Wort zu tragen, durch einen bloßen Wink jetzt mit dem Krachen des Donners den Himmel zu erschüttern, mit sengenden Blitzen die Luft zu erfüllen, jetzt die Wetter durcheinander toben zu lassen und gleich darauf nach seinem Belieben plötzlich wieder alles aufzuheitern, das Meer, das fortwährend mit seinen Wassermassen das Land zu überfluten droht, zusammenzuhalten, als wäre es in der Luft aufgehängt, es bald im Sturmwind fürchterlich emporwallen zu lassen und bald wieder die Wogen zu glätten und Ruhe zu schaffen. Hierher gehören in der Schrift die vielen Lobpreise Gottes aus dem Zeugnis der Natur, vor allem im Buche Hiob und bei Jesaja. Ich übergehe sie hier, weil sie weiter unten besser zur Geltung kommen, wenn ich auf Grund der Schrift von der Weltschöpfung spreche. Hier wollte ich nur zeigen, wie die Fremden und die Hausgenossen Gottes auf diesem gemeinsamen Wege Gott suchen können: Es gilt nur, auf die Umrisse zu achten, die droben und hienieden sein Antlitz lebendig andeuten. Schon seine Macht lehrt uns weiterhin seine Ewigkeit bedenken. Denn der Ursprung aller Dinge muß ja notwendig ewig sein und in sich selber allein gründen. Wenn man ferner fragt, was ihn denn veranlaßt hat, dies alles einst zu schaffen und heute noch zu erhalten, so ist der Grund einzig in seiner Güte zu finden. Wäre das auch das einzige, so müßte es schon mehr als hinreichend sein, uns zur Liebe zu reizen; gibt es doch nach dem Wort des Propheten keine Kreatur, in die sich seine Barmherzigkeit nicht ausgegossen hätte! (Ps. 145,9).
Ebenso klare Erweisungen seiner Kraft und Güte treten uns auch noch bei einem anderen Teil seiner Werke entgegen, nämlich bei denen, die sich außerhalb des gewöhnlichen Laufs der Natur ereignen. Denn bei der Regierung des Menschengeschlechts bewährt er seine Vorsehung dergestalt, daß er zwar gegen alle Menschen auf allerlei Weise gnädig und gütig ist, aber doch durch tägliche und offenbare Zeichen den Frommen seine Barmherzigkeit, den Gottlosen und Übertretern seine Strenge zu fühlen gibt. Unverborgen ist seine Vergeltung, mit der er das Verbrechen ahndet. Ebenso erweist er sich deutlich als Schützer wie als Rächer der Unschuld; krönt er doch das Leben der Frommen mit seinem Segen, hilft ihnen in der Not, lindert den Schmerz und macht ihn mit seinem Trost erträglicher, erleichtert ihnen das Herz im Kummer und tut alles zu ihrem Heil! An der ewigen Regel seiner Gerechtigkeit darf es uns auch nicht irremachen, daß er Übertreter und Übeltäter eine Zeitlang ungestraft frohlocken, die Frommen aber unverdient im Unglück liegen läßt oder gar zugibt, daß sie von den Gottlosen boshaft und ungerecht gepeinigt werden. Hier ist vielmehr eine ganz andere Beurteilung erforderlich: wenn Gott ein einziges Laster mit allen Kennzeichen seines Zorns straft, so trifft sein Haß alle miteinander, und wenn er manches ungestraft durchgehen läßt, so steht doch ein anderes Gericht bevor, auf das er die Bestrafung verschiebt. Wieviel Anlaß gibt er uns aber auch, seine Barmherzigkeit zu bedenken, wenn er öfters elende Sünder trotz allem mit unermüdlicher Güte verfolgt, bis er ihre Bosheit dadurch gebrochen hat, daß er ihnen immer wieder wohltut und sie mit mehr als väterlicher Langmut zu sich zurückruft!
So zählt der Prophet (Ps. 107) auf, wie oft Gott in verzweifelter Lage unerwartet, wunderbar, gegen alle Hoffnung unglücklichen und fast verlorenen Leuten Hilfe verleiht, wie er Wüstenwanderer vor den wilden Tieren bewahrt und sie auf den rechten Weg zurückbringt, Darbenden und Hungernden Nahrung schenkt, Gefangene aus finsterem Gelaß und eisernen Ketten in die Freiheit führt, Schiffbrüchige unversehrt in den Hafen bringt, Halbtote aus Krankheit erlöst, wiederum Länder mit Hitze und Trockenheit ausdörrt, andere wieder mit gnädigem Regen wunderbar erquickt, die Verachtetsten aus dem Volke erhebt und die Vornehmen aus ihrer Würde verstößt. An solchen Beispielen zeigt er auf: was zufälliges Schicksal zu sein scheint, das ist alles Zeichen himmlischer Vorsehung, insbesondere aber väterlicher Güte. Und er läßt uns merken, wie die Frommen hier allen Anlaß zur Freude haben, den Gottlosen und Übeltätern aber das Maul gestopft wird (V. 42). Aber weil der größere Teil der Menschheit in seine Irrtümer verstrickt ist und solchem erhabenen Schauspiel blind gegenübersteht, so ruft der Prophet aus, es sei eine seltene und besondere Weisheit, solche Werke Gottes klüglich zu bedenken (V. 43), deren Anschauen selbst denen nichts nützt, die sonst die Klarblickendsten zu sein scheinen. Und es ist ja auch so: Gottes Herrlichkeit mag noch so hell erstrahlen — ist es doch unter hundert kaum einer, der sie recht erkennt!
Ebensowenig bleibt Gottes Macht und Weisheit verborgen. Seine Macht kommt klar zum Vorschein, wenn der Übermut der Gottlosen, der allen Leuten unüberwindlich scheint, mit einem Schlage zu Boden geworfen wird, wenn ihre Hoffart gedemütigt wird, ihre sichersten Trutzfesten zerbrochen, ihre Waffen und Geschosse zertrümmert, ihre Kräfte zunichte gemacht, ihre Anschläge vereitelt werden und unter der eigenen Last zu Boden stürzen, wenn ihre Vermessenheit, die sich bis über den Himmel erhob, nun ins Innerste der Erde hinabgeworfen wird, wenn anderseits die Niedrigen aus dem Staube erhöht und die Armen aus dem Kot emporgehoben werden (Ps. 113,7), wenn die Bedrängten und Unterdrückten aus der äußersten Angst gerissen, Verzweifelnde zur Hoffnung erhoben werden, wenn Wehrlose über Gewappnete, wenige über viele, Schwache über Starke den Sieg davontragen! Seine Weisheit wird daran offenkundig, daß er alles zum Besten lenkt, die Spitzfindigkeit der Welt zuschanden macht, die Klugen in ihrer Klugheit erhascht (1. Kor. 3,19), kurz, alles aufs beste regieret.
Es bedarf, wie wir sahen, keiner umständlichen Beweisführung, um all die Zeugnisse aufzuzeigen, die Gottes Majestät hell ans Licht bringen. Aus dem wenigen, das wir betrachtet haben, ergab sich ja schon allenthalben, daß sie uns dermaßen klar entgegentreten und in die Augen fallen, daß man sie leicht erblicken, ja mit Fingern auf sie weisen kann. Hier muß nun wieder darauf hingewiesen werden: wir sind zu einem solchen Wissen um Gott berufen, das nicht, mit eitlem Gedankenspiel zufrieden, bloß im Gehirn herumflattert, sondern das bleibend und fruchtbringend sein soll, wo es nur recht von uns aufgenommen wird und Wurzel im Herzen schlägt. Denn Gott offenbart sich in seinen Kräften, und weil wir deren Gewalt an uns verspüren und seine Wohltaten genießen, so werden wir durch solche Erkenntnis notwendig viel tiefer ergriffen, als wenn wir uns einen Gott einbildeten, von dem keine Empfindung zu uns gelangte! So sehen wir, wie man Gott in rechter Weise suchen soll: Nicht sollen wir in vermessener Neugier den zudringlichen Versuch machen, sein „Sein“ und „Wesen“ zu erforschen, das wir anbeten, nicht aber ergrübeln sollen. Nein, wir sollen ihn in seinen Werken anschauen, in denen er uns nahe kommt, sich uns vertraut macht und gewissermaßen mitteilt. Das hatte der Apostel im Auge, als er sagte, er sei nicht ferne zu suchen, da er doch durch gegenwärtigste Kraft in jeglichem unter uns wohnt (Apg. 17,27). So muß auch David bekennen, daß Gottes Größe unaussprechlich ist. Kurz darauf aber kommt er auf Gottes Werke zu sprechen, und da kann er sich dann doch vorsetzen, des Herrn Größe zu verkünden (Ps. 145,3.5). So sollen auch wir Gott so zu erforschen suchen, daß wir mit unserem Verstand zur Bewunderung seiner Herrlichkeit kommen — dann wird auch unser Herz gewaltig bewegt! So lehrt es auch Augustin: da wir ihn nicht fassen können, weil er uns zu groß ist, so sollen wir auf seine Werke schauen, um von seiner Güte erquickt zu werden.
Ein solches Wissen um Gott muß uns zur Verehrung Gottes reizen und zugleich auch die Hoffnung auf ein ewiges Leben in uns erwecken und aufrichten. Kann es uns doch nicht entgehen, daß die Zeichen, die uns der Herr von seiner Gnade wie von seiner Strenge gibt, nur Beginn und Anfang sind. Sie sind eben ohne Zweifel bloß als Vorspiel zu größeren zu betrachten, deren Offenbarung und volle Enthüllung auf ein anderes Leben verschoben ist. Wir sehen ja auch auf der anderen Seite, wie die Frommen von den Gottlosen gedrückt, gekränkt, verlästert und mit Schande und Schmach überschüttet werden, während die Übeltäter blühen und gedeihen, Ruhe und Ehre genießen, ungestraft! Es muß also ein anderes Leben geben, in welchem das Unrecht Vergeltung und die Gerechtigkeit ihren Lohn findet. Wenn wir dazu noch beachten, wie oftmals die Gerechten mit des Herrn Ruten geschlagen werden, so ist mit Gewißheit zu folgern, daß noch viel weniger die Gottlosen einst seiner Geißel entgehen werden. Augustin macht die feine Bemerkung: „Wenn jetzt jede Sünde mit offenbarer Strafe geahndet würde, so sollte man meinen, es bliebe dem letzten Gericht nichts mehr übrig. Wenn Gott jetzt anderseits keine Sünde öffentlich bestrafte, so könnte man glauben, es gäbe keine göttliche Vorsehung“ (Vom Gottesstaat, I,8). Wir müssen also gestehen, daß in allen Werken Gottes, zumal wenn man sie in ihrer Gesamtheit faßt, wie in einem Gemälde Gottes Kraft und Güte abgebildet ist. Dadurch sollen wir alle zu seiner Erkenntnis und von da aus wiederum zu wahrem und völligem Glück eingeladen und gereizt werden. So leuchtend sie nun aber auch vor uns stehen — wir werden erst dann verstehen, wozu sie letztlich bestimmt sind, wie groß ihre Kraft ist und wozu wir sie betrachten sollen, wenn wir in uns selbst gehen und zusehen, auf wievielerlei Weise der Herr in uns sein Leben, seine Weisheit, seine Kraft zur Geltung bringt, wie er an uns seine Gerechtigkeit, Güte und Barmherzigkeit erweist. Gewiß beklagt David mit Recht, daß die Ungläubigen töricht handeln, weil sie die unerforschlichen Ratschlüsse Gottes in der Regierung des Menschengeschlechts nicht beachten (Ps. 92,7). Aber es bleibt doch auch erst recht wahr, wenn er an anderer Stelle sagt, Gottes wundersame Weisheit in diesem Stück sei unzählbarer als die Haare auf unserem Haupte (vgl. Ps. 40,13). Aber über dieses Stück muß entsprechend der Ordnung noch später ausführlicher gesprochen werden. Ich will es daher hier verlassen (vgl. Kap. 16,6-9).
Jedoch wie hell und klar uns auch der Herr sich selbst und sein ewiges Reich im Spiegel seiner Werke vor Augen stellt — wir bleiben doch in unserem großen Stumpfsinn stets blind gegen so deutliche Bezeugungen, so daß sie in uns ohne Frucht bleiben! Denn was die Schöpfung und die feine Ordnung der Welt anlangt — wer unter uns denkt denn wirklich, wenn er die Augen zum Himmel erhebt oder auf Erden umherschweifen läßt, in seinem Herzen an den Schöpfer? Wer bleibt nicht vielmehr bei der Betrachtung der Werke stehen und vergißt den Wirker? Und was jene anderen Werke anlangt, die außerhalb des geordneten Naturlaufs alle Tage geschehen — wer denkt nicht, die Menschen würden vom blinden Ungefähr des Glücks gedreht und umgetrieben, und nicht eben von Gottes Vorsehung geleitet? Wenn wir aber je durch Handweisung und Anleitung solcher Geschehnisse zur Betrachtung Gottes kommen — was bei allen notwendig eintritt —, so versinken wir doch, wenn wir kaum flüchtig ein Empfinden für etwas wie die Gottheit haben, in die Raserei und die bösen Gedanken unseres Fleisches und verderben mit unserer Eitelkeit die reine Wahrheit Gottes. Nur darin find wir ungleich untereinander, daß jeder sich für seine eigene Person seinen eigenen Irrtum erschafft. Aber darin sind wir alle miteinander völlig gleich, daß wir alle von dem einen wahren Gott abgefallen sind und uns wunderlichen Kindereien zugewendet haben! Das ist nicht nur die Krankheit ungebildeter und stumpfsinniger Menschen, sondern auch die bedeutendsten und sonst mit einzigartigem Scharfsinn begabten Geister sind ihr verfallen. Wie reichlich hat hierin das ganze Volk der Philosophen seine Torheit und Abgeschmacktheit an den Tag gelegt! Selbst Platon, der frömmste und besonnenste von allen — wir wollen andere schonen, die noch größere Sinnlosigkeiten ausgedacht haben! —, selbst er versteigt sich in den Gedanken von der Kugelgestalt des All (in der die göttliche „Idee“ sich auswirkt). Was soll dann erst aus den anderen werden, wenn selbst solche, die am ansehnlichsten sind und anderen voranleuchten sollten, derart phantasieren und stolpern!
Doch weiter: die Regierung der menschlichen Geschicke zeigt Gottes Vorsehung zu klar, als daß man sie leugnen könnte — aber es kommt doch nicht mehr dabei heraus, als daß man glaubt, es werde vom blinden Schicksal alles droben und hienieden gelenkt: so groß ist unser Hang zu Eitelkeit und Irrtum. Dabei rede ich stets bloß von den Vorzüglichsten, nicht von jenen unbedeutenden Geistern, deren Wahnwitz zur Entweihung der göttlichen Wahrheit ins Ungemessene geht.
Daher kommt auch der ungeheure Schlamm von Irrtümern, der die ganze Welt bedeckt und erfüllt. Denn einem jeglichen ist sein Verstand wie ein Labyrinth, und es ist deshalb kein Wunder, daß die einzelnen Völker je in ihre besonderen Irrtümer verfallen sind, ja daß es dabei nicht bleibt, sondern gar einzelne Menschen sich ihre eigenen Götter gemacht haben. Es gesellte sich ja zur Unwissenheit und Verfinsterung die Keckheit und der Mutwille, und deshalb ist kaum einer zu finden, der sich nicht an Stelle Gottes ein Götzenbild oder ein Gespenst gemacht hätte! Wie aus einer großen und weiten Quelle die Wasser hervorbrechen, so fließt auch die unmeßbare Menge der Götter aus dem Menschenherzen hervor, indem jeder in seiner Ausschweifung bald dies, bald jenes Gott freventlich andichtet. Trotzdem ist es hier überflüssig, all die Torheiten aufzuzählen, deren die Welt voll ist. Es wäre ja doch an kein Ende zu kommen, und es ist ja bei soviel Verderbnis auch ohne Worte die Blindheit des Menschenherzens in ihrer ganzen Furchtbarkeit deutlich. Dabei übergehe ich die ungebildeten und ungelehrten Leute. Aber was für eine beschämende Verwirrung herrscht selbst unter den Philosophen, die sich mit ihrer Weisheit und Vernunft bis in den Himmel zu schwingen unterstanden! Je mehr Verstand einer besaß, je mehr ihn Kunst und Wissenschaft gebildet hatten, desto mehr wußte er mit schönen Farben seine Meinung auszuschmücken. Sieht man sich aber all diese Farben an, so sind sie bloß Schminke, ohne Bestand. Die Stoiker kamen sich scharfsinnig vor mit ihrer Auffassung, man könnte aus den einzelnen Teilen der Natur verschiedene Namen Gottes herauslesen, und Gottes Einheit würde dadurch doch nicht zerrissen! Als ob wir nicht ohnehin übrig genug zum Wahn geneigt wären und es noch einer Menge Götter bedürfte, um uns tiefer in den Irrtum zu verflechten! Auch die Geheimtheologie der Ägypter zeigt, wie sie sich alle die größte Mühe geben, um den Anschein zu vermeiden, als ob sie ohne Grund unsinnig wären! Gewiß möchte manches den Einfältigen und Gedankenlosen auf den ersten Blick wahrscheinlich vorkommen und sie täuschen. Aber kein Sterblicher hat je etwas ausgedacht, wodurch die Verehrung Gottes nicht schändlich verderbt worden wäre. Dieses verwirrte Durcheinander der Meinungen gab dann den Epikuräern und anderen groben Verächtern der Religion willkommenen Anlaß, jedes Gefühl für Gott frech von sich zu werfen. Sie gewahrten, wie alle, auch die klügsten, zu völlig entgegengesetzten Meinungen kamen, und so zogen sie aus deren Streitereien und auch aus der leichtsinnigen und abgeschmackten Lehre jedes einzelnen alsbald den Schluß, der Mensch bereite sich nur unnütze Qual, wenn er sich auf die Suche nach Gott begebe, der doch gar nicht existiere. Und sie glaubten das auch ungestraft tun zu können, weil es doch besser sei, Gottes Dasein kurzerhand zu leugnen, als sich ungewisse Götter auszudenken und sich damit in endlose Zankerei zu verwickeln. Aber diese Leute urteilen doch reichlich töricht, ja vielmehr: sie suchen ihre Gottlosigkeit mit dem Hinweis auf die menschliche Unwissenheit zu vernebeln — wo doch Gott durch solche Unwissenheit wahrhaftig nichts abgehen darf! Wenn man allgemein zugibt, daß die Gelehrten wie die Ungelehrten über nichts mehr im Zwiespalt sind als über diese Fragen, so ziehen wir daraus den Schluß: des Menschen Geist, der beim Suchen Gottes derart in die Irre gerät, ist den göttlichen Geheimnissen gegenüber mehr als schwachsichtig und blind! Freilich lobt man die Antwort, die Simonides dem Tyrannen Hiero gab. Als dieser ihn fragte, was Gott sei, da erbat er sich zuerst einen Tag Zeit zum Nachdenken. Als am anderen Tag der Tyrann seine Frage wiederholte, da erbat er sich zwei Tage, und so mit jedem weiteren Tag stets die doppelte Anzahl Tage als Zeit zum Überlegen. Schließlich gab er dann doch eine Antwort: „Je länger ich über diese Frage nachdenke, desto dunkler erscheint sie mir.“ Es war klug gehandelt, daß der Mann die Antwort auf eine ihm selbst dunkle Frage aufschob. Aber es wird eben dies deutlich dabei: wenn der Mensch bloß seiner natürlichen Erkenntnis folgt, so kommt nichts Gewisses, nichts Festes, nichts Deutliches dabei heraus, sondern er ist in verworrenen Begriffen befangen, so daß er einen unbekannten Gott anbetet.
Hierbei müssen wir nun auch festhalten, daß alle die, welche die reine Gottesverehrung (religio) verfälschen — und das widerfährt notwendig allen, die ihrer eigenen Meinung folgen! — von Gott abfallen. Sie werden einwerfen, ganz etwas anderes zu wollen. Aber was sie beabsichtigen und was sie im Sinn haben, das tut nicht viel zur Sache; denn der Heilige Geist erklärt alle für Abtrünnige, die in der Verfinsterung ihres Herzens Götzen (Dämonen) an Gottes Stelle setzen. Deshalb erklärt Paulus, die Epheser seien ohne Gott gewesen, bis sie aus dem Evangelium gelernt hätten, was es hieße, den wahren Gott zu verehren (Eph. 2,12). Dies kann man aber nicht auf ein einziges Volk beschränken; denn an anderer Stelle spricht der Apostel ganz allgemein das Urteil aus, alle Menschen seien eitel geworden in ihren Gedanken (Röm. 1,21), nachdem ihnen doch des Schöpfers Majestät in der Schöpfung der Welt offenbart sei! Um dem wahren und einzigen Gott Raum zu geben, beschuldigt die Heilige Schrift alles, was sonst als Gottheit unter den Völkern verehrt wurde, der Falschheit und Lüge, und dabei bleibt keine Gottheit übrig als allein der Gott, der auf dem Berge Zion angebetet wurde, wo eine einzigartige Erkenntnis Gottes wohnte (Hab. 2,18.20). So scheinen zu Christi Zeit unter den Heiden vor allem die Samariter ganz nahe an die wahre Frömmigkeit herangekommen zu sein, und doch hören wir aus Christi Munde, sie wüßten nicht, was sie anbeteten (Joh. 4,22). Also waren auch sie von eitlem Irrtum getäuscht. Obwohl nicht alle Menschen in die schrecklichsten Laster verfallen oder dem offenbaren Götzendienst ergeben waren, so hat es doch nie eine reine und bewährte Religion gegeben, die bloß auf die allgemeine Einsicht (communis sensus) gegründet gewesen wäre. Mögen auch einige an dem Wahnwitz der Menge unbeteiligt gewesen sein — es bleibt doch die Lehre des Paulus bestehen, daß die Obersten dieser Welt die Weisheit Gottes nicht erkannt haben (1. Kor. 2,8). Wenn gar die Vortrefflichsten derart im Finstern getappt haben — was soll man dann erst von den Ungelehrten und Unklugen sagen? Deshalb kann es nicht wundernehmen, daß der Heilige Geist alle vom menschlichen Wollen erdachten Religionsübungen als entartet verwirft. Denn gegenüber den himmlischen Geheimnissen ist die vom Menschen ausgehende Meinung, auch wenn sie nicht immer eine Menge von Irrtümern gebiert, doch die Mutter des Irrtums. Und wenn auch nichts Schlimmeres dazukommt, so ist es schon ein nicht geringer Fehler, aufs Geratewohl einen unbekannten Gott anzubeten — und das tun nach Christi Wort (Joh. 4,22) alle, die nicht aus dem Gesetze wissen, welcher Gott wirklich zu verehren ist! Selbst die besten Gesetzgeber wollten nicht mehr, als daß die Religion in der Gesamtmeinung des Volkes sich begründe. Ja, selbst Sokrates lobt bei Xenophon das Orakel des Apollo, es solle jeder nach väterlicher Weise und dem Brauch seiner Heimatstadt die Götter anbeten! Woher haben denn sterbliche Menschen das Recht, mit ihrer Autorität festzulegen, was doch höher ist als alle Welt? Und wer kann sich bei den Satzungen der Vorfahren oder der Meinung des Volkes derart beruhigen, daß er ohne Bedenken einen ihm menschlicherweise überlieferten Gott annimmt? Es wird doch ein jeder lieber nach dem eigenen Urteil verfahren, als sich fremder Willkür zu unterwerfen! Weil es also ein allzu schwaches und gebrechliches Band der Religion ist, der Gewohnheit der Stadt oder der alten Überlieferung in Sachen der Verehrung Gottes zu folgen, so bleibt nur übrig, daß Gott selber vom Himmel her über sich Zeugnis gebe.
All die brennenden Fackeln im Gebäu der Welt, bestellt zur Verherrlichung des Schöpfers, leuchten uns also vergebens, von allen Seiten überstrahlen sie uns mit ihrem Licht — und können uns aus sich doch nicht auf den rechten Weg führen! Gewiß erwecken sie einige Fünklein. Aber die sind schon erloschen, ehe sie stärkeren Schein geben könnten. Deshalb fügt der Apostel an derselben Stelle, wo er die Welt das Sichtbarwerden der unsichtbaren Dinge nennt, hinzu: „Durch den Glauben erkennen wir, daß die Welt durch Gottes Wort fertig ist“ (Hebr. 11,3). Dadurch zeigt er an: die unsichtbare Gottheit wird zwar durch solche sichtbaren Dinge zur Schau gestellt, aber uns fehlen die Augen, sie zu sehen, wenn wir nicht durch Gottes innere Offenbarung erleuchtet werden. Auch Paulus meint, wenn er sagt, es sei aus der Schöpfung der Welt offenbar, was man von Gott wissen kann (Röm. 1,19), nicht etwa eine Offenbarung, die durch Menschenscharfsinn erfaßt werden könnte. Er zeigt vielmehr, daß sie nicht mehr erreicht, als daß wir ohne Entschuldigung sind. Und wenn er an der einen Stelle sagt, Gott sei nicht in der Ferne zu suchen, da er ja in uns wohne (Apg. 17,27), so zeigt er doch an der anderen, was es mit solcher Gegenwart Gottes für eine Bewandtnis hat. „Er hat in den vergangenen Zeiten lassen alle Heiden ihre eigenen Wege wandeln; und doch hat er sich selbst nicht unbezeugt gelassen, hat uns viel Gutes getan und vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben, unsre Herzen mit Speise und Freude erfüllt“ (Apg. 14,16.17). So sind Gottes Zeugnisse immer vorhanden, indem er die Menschen mit reicher und mannigfaltiger Güte freundlich zu seiner Erkenntnis reizt. Aber die Menschen hören deshalb nicht auf, ihren eigenen Wegen, ihren verderblichen Irrtümern zu folgen.
Obgleich wir nun von Natur nicht die Fähigkeit haben, zur reinen und lauteren Erkenntnis Gottes zu gelangen, so ist dies Unvermögen doch unser eigener Fehler, und deshalb ist uns alle Entschuldigung abgeschnitten, wir können nicht Unwissenheit vorschützen; denn unser Gewissen selbst überführt uns stets unserer Trägheit und Undankbarkeit. Das wäre wahrlich eine feine Entschuldigung, wenn der Mensch behaupten wollte, ihm fehlte das Ohr, um die Wahrheit zu vernehmen — welche doch die stumme Kreatur mit mehr denn helltönenden Stimmen verkündet, wenn er einwenden wollte, er könne nicht mit Augen sehen — was doch alle Kreatur, ohne selbst sehen zu können, so deutlich zeigt, wenn er sich mit Schwachheit seines Geistes entschuldigen wollte, wo alle vernunftlosen Geschöpfe als Lehrer auftreten! Wir haben wirklich nicht das mindeste Recht zur Entschuldigung, wenn wir irrend und schweifend das Ziel verfehlen — wo doch alles den rechten Weg zeigt! Freilich, so sehr es Schuld des Menschen ist, wenn er das Samenkorn des Wissens um Gott, wie es durch den wundersamen Bau der Natur in ihm gesät ist, so bald verdirbt, daß es nicht zu rechter und lauterer Frucht kommen kann, so ist es doch auch andererseits richtig, daß wir durch jene bloße und schlichte Bezeugung, welche Gottes Majestät von Seiten der Kreatur so reichlich erfährt, niemals ausreichend unterwiesen werden. Denn kaum haben wir aus der Betrachtung der Welt einigermaßen ein Empfinden für die Gottheit erlangt, da verlassen wir den wahren Gott und setzen an seine Statt die Träume und Gespinste unseres eigenen Hirns und leiten das Lob der Gerechtigkeit, Weisheit, Güte und Macht von der eigentlichen Quelle ab — bald dahin, bald dorthin! Alle Tage tut Gott sein Werk — aber wir verdunkeln oder verdrehen es durch unbilliges Urteil und rauben so dem Werk seine Ehre und dem Wirker den gebührenden Lobpreis.
Gewiß verliert also die menschliche Undankbarkeit jede Möglichkeit der Entschuldigung um des Glanzes willen, der im Himmel und auf Erden in aller Augen fällt — wie denn Gott, um alle Menschen gleichermaßen schuldig zu machen, allen ohne Ausnahme die Umrisse seines Wesens in der Kreatur vor Augen stellt. Aber es bedarf eines anderen und besseren Mittels, das uns zuverlässig zum Schöpfer der Welt selber weise. Deshalb hat Gott mit gutem Grunde das Licht seines Wortes hinzugegeben, um sich uns dadurch zu unserem Heil kundzumachen. Dieses Vorzugs hat er diejenigen gewürdigt, die er in seine nähere und vertrautere Gemeinschaft ziehen wollte. Aller Menschen Gemüter sah er durch schweifende und unbeständige Gedanken umgetrieben. Als er nun die Israeliten zu seiner besonderen Herde erwählt hatte, da umgab er sie deshalb mit Schranken, damit sie nicht nach der Weise der andern in Eitelkeit verfielen. Aus demselben guten Grunde setzt er auch uns Schranken, um uns bei der reinen Gotteserkenntnis zu halten; wie bald würden sich sonst auch die verlaufen, welche fester zu stehen scheinen als andere! Denn so wie alte Leute, Schwachsichtige und Augenkranke, wenn man ihnen auch den schönsten Band vor die Augen hält, zwar merken, daß da etwas geschrieben steht, aber kaum zwei Worte zusammensetzen können, dann aber mit Hilfe einer Brille deutlich zu lesen anfangen — so bringt die Schrift unser sonst so verworrenes Wissen um Gott in die richtige Ordnung, zerstreut das Dunkel und zeigt uns deutlich den wahren Gott. Das ist gewißlich ein einzigartiges Geschenk Gottes: er braucht zur Unterweisung seiner Kirche nicht bloß stumme Lehrmeister, sondern öffnet selbst seinen heiligen Mund! Und dabei gibt er nicht bloß die Anweisung, es sei irgendein Gott zu verehren, sondern er zeigt sich selbst als den, der verehrt werden will! Er lehrt seine Auserwählten nicht nur, auf Gott zu schauen, nein, er tritt ihnen selbst gegenüber als der, auf den sie schauen sollen! Diese Ordnung hat er von Anfang an in seiner Kirche gehalten, daß er neben jener allgemeinen Bezeugung (praeter communia illa documenta) auch sein Wort gegeben hat, das ein klareres und gewisseres Mittel ist, ihn zu erkennen. Durch dies Mittel sind ohne Zweifel Adam, Noah, Abraham und die anderen Väter zu vertrauter Gotteserkenntnis gelangt, die sie von den Ungläubigen unterschied. Dabei rede ich noch nicht von der eigentlichen Lehre des Glaubens, die in ihnen die Hoffnung auf ein ewiges Leben aufleuchten ließ. Um nämlich vom Tode zum Leben durchzudringen, war nicht nur die Erkenntnis Gottes als des Schöpfers erforderlich, sondern auch die des Erlösers, und beides wurde ihnen offenbar durch das Wort zuteil. Denn nach der Ordnung ging jene (Weise der) Erkenntnis voran, welche die Gewißheit schenkte, wer denn eigentlich jener Gott sei, der die Welt geschaffen hat und noch regiert. Dann folgt jene andere, innerliche Erkenntnis, die allein tote Seelen lebendig macht, nämlich daß Gott nicht allein der Schöpfer der Welt ist und der einzige Urheber und Richter alles Geschehens, sondern auch der Erlöser in der Person des Mittlers. Da wir indessen vom Fall der Welt und der Verderbnis der Natur noch nicht gesprochen haben, so muß ich mir hier auch versagen, von dem dafür verordneten Heilmittel zu reden. Der Leser möge also im Auge behalten, daß ich noch nicht von dem Bund handle, in dem Gott die Söhne Abrahams als seine Kinder annahm, und von jenem Teil der Lehre, der stets den eigentlichen Unterschied zwischen den Gläubigen und den ungläubigen Heiden ausmachte. Denn dieser Teil war in Christus begründet. Hier ist nur davon die Rede, wie wir aus der Schrift lernen sollen, daß Gott, der der Schöpfer der Welt ist, sich durch klare Kennzeichen von dem ganzen ersonnenen Götterschwarm unterscheidet. Die Reihenfolge der Darstellung führt uns dann von selbst zur Lehre von der Erlösung hinüber. Müssen wir nun auch viele Zeugnisse aus dem Neuen Testament anführen, auch andere aus dem Gesetz und den Propheten, die doch auch deutlich von Christus Erwähnung tun: sie alle haben den Zweck, zu zeigen, daß sich Gott als Schöpfer der Welt in der Schrift offenbart, und daß uns darin dargelegt wird, was man von ihm zu denken hat, damit wir nicht auf unseren Irrwegen irgendeine Gottheit suchen.
Ob sich nun Gott den Vätern durch Orakel und Gesichte kundgetan oder ihnen durch Vermittlung und Dienst von Menschen mitgeteilt hat, was sie den Nachfahren überliefern sollten — auf keinen Fall läßt sich bezweifeln, daß in ihr Herz die Lehre mit solch unerschütterlicher Gewißheit eingegraben war, daß sie fest überzeugt waren und klar sahen: was sie erfahren hatten, das kam von Gott. Denn Gott hat zu allen Zeiten seinem Wort eine unzweifelhafte Glaubwürdigkeit verliehen, die über alles menschliche Denken hinausgeht. Damit dann ferner die Wahrheit der Lehre durch alle Jahrhunderte in dauerndem Fortschreiten erhalten bliebe, wollte Gott, daß die nämlichen Offenbarungsworte (oracula), die er den Vätern geschenkt hatte, sozusagen auf öffentlich ausgestellten Tafeln aufgezeichnet würden. Aus solchem Ratschluß hat Gott das Gesetz gegeben, dem dann später als Ausleger die Propheten beigegeben wurden. Nun gab es zwar eine vielfältige Anwendung des Gesetzes (multiplex legis usus), wie wir später noch näher sehen werden. Aber Mose und alle Propheten hatten doch vor allem die Absicht, die Art der Versöhnung zwischen Gott und dem Menschen zu lehren — deshalb nennt ja auch Paulus Christus des Gesetzes Ende (Röm. 10,4). Trotzdem wiederhole ich hier: außer der eigentlichen Lehre von Glaube und Buße (Bekehrung), die uns Christum als Mittler vor die Augen stellt, beschreibt und ziert die Schrift den einen und wahren Gott, wie er die Welt geschaffen hat und noch regiert, mit sicheren Hinweisen und Zeichen, um alle Vermischung mit dem falschen Götzenschwarm zu verhindern. So sehr also der Mensch seine Augen der Betrachtung von Gottes Werken zuwenden soll — denn in diesem wunderherrlichen Schauspiel hat er ja seinen Platz als Zuschauer —, so soll er doch vor allem das Wort Gottes zu Ohren nehmen, um zu besserer Erkenntnis zu gelangen. Man darf sich nicht wundern, daß die Menschen, die in der Finsternis geboren sind, mehr und mehr in Unempfänglichkeit sich verhärten. Denn nur ganz wenige werden zu gelehrigen Schülern des Wortes Gottes und bleiben so in den gesetzten Schranken; die meisten gehen vielmehr hochmütig in ihren eitlen Einbildungen einher. Soll uns aber der Strahl wahrer Religion treffen, so müssen wir bei der himmlischen Lehre (caelestis doctrina) den Anfang machen, und es kommt niemand auch nur zum geringsten Verständnis rechter und heilsamer Lehre, wenn er nicht zuvor ein Schüler der Schrift wird. Da liegt der Ursprung wahren Erkennens: wenn wir mit Ehrfurcht annehmen, was Gott hier von sich selber hat bezeugen wollen. Denn nicht bloß ein echter und vollkommener Glaube, sondern alle rechte Gotteserkenntnis entsteht aus dem Gehorsam. Und in diesem Stück hat Gott fürwahr für die Menschen aller Zeiten mit besonderer Vorsehung gnädig gesorgt!
Wenn wir die starke Neigung des Menschen bedenken, Gott zu vergessen, wenn wir seinen Hang zu allerlei Irrtümern sehen und wenn wir gewahr werden, wie gierig er sich immer neue, falsche Religionen erdenkt, dann können wir ermessen, wie nötig solche schriftliche Aufzeichnung der himmlischen Lehre war, damit sie nicht durch Vergessenheit entstellt, im Irrtum der Eitelkeit preisgegeben oder durch menschliche Vermessenheit verdorben würde. Es läßt sich auch nicht verkennen, daß Gott bei allen, die er fruchtbringend unterweisen wollte, das Mittel seines Wortes angewandt hat, weil er sah, daß sein Bild, wie es in der herrlichen Gestalt der Welt sich ausprägte, nicht kräftig genug sein werde. Deshalb kann es uns nur helfen, diesen geraden Weg zu gehen, wenn wir im Ernste zu lauterer Betrachtung Gottes kommen wollen. An das Wort, sage ich, müssen wir uns halten; denn da wird uns Gott recht und lebendig aus seinen Werken beschrieben, indem nämlich diese Werke nicht nach unserem verkehrten Urteil, sondern nach der Regel der ewigen Wahrheit eingeschätzt werden! Weichen wir vom Worte ab, so mögen wir, wie gesagt, immerhin mit äußerster Schnelligkeit vorwärtsstreben, wir werden aber nie zum Ziel gelangen, weil wir eben auf einem Abweg sind! Wir müssen bedenken: der Glanz von Gottes Angesicht, von dem auch der Apostel sagt: „da niemand zukommen kann“ (1. Tim. 6,16), ist uns wie ein auswegloses Labyrinth, wenn uns nicht die Richtschnur des Wortes leitet. Es ist also besser, auf diesem Weg zu hinken, als auf einem Abweg zu rennen! Wenn darum David ankündet, daß der Aberglaube aus der Welt verschwinden wird, um der wahren Religion Platz zu machen, so stellt er uns Gott vor Augen, wie er sein Königreich aufrichtet (Ps. 93; 96; 97; 99 und andere). Dabei versteht er aber unter Gottes Königreich nicht sein Machtwirken, wie er es in der Regierung der ganzen Natur ausübt, sondern die Lehre, in welcher er seine alleinige Herrschaft durchsetzt. Denn der Irrtum kann nicht aus dem Menschenherzen gerissen werden, ehe wahre Gotteserkenntnis darin gepflanzt ist!
Derselbe Prophet (Ps. 19,1) sagt auch, daß die Himmel die Ehre Gottes er- zählen, das Firmament seiner Hände Werk verkündigt, der geordnete Lauf von Tag und Nacht seine Majestät anzeigt; aber er spricht dann doch gleich darauf von Gottes Wort: „Das Gesetz des Herrn ist vollkommen und erquickt die Seele, das Zeugnis des Herrn ist gewiß und macht die Unverständigen weise, die Rechte des Herrn sind richtig und erfreuen das Herz, die Gebote des Herrn sind lauter und erleuchten die Augen“ (Ps. 19,8ff.). Obwohl nun der Prophet auch andere Anwendungen des Gesetzes mit in Betracht zieht, so zeigt er doch allgemein: da Gott vergebens alle Völker durch den Anblick Himmels und der Erden zu sich einlädt, ist dies die besondere Schule der Kinder Gottes! Ähnlich ist auch die Absicht des 29. Psalms. Da redet der Prophet von der furchtbaren Stimme Gottes, wie sie in Donner und Sturm, Platzregen und Unwetter die Erde erzittern macht, die Berge erschüttert, die Zedern knickt. Und dann fügt er am Schluß hinzu: „In seinem Tempel sagt ihm alles Ehre“ — die Menschen sind ja gegen alle Stimmen Gottes, welche in der Luft erschallen, taub und ungläubig! So schließt er auch einen anderen Psalm, in dem er die schrecklichen Fluten des Meeres beschrieben hat: „Dein Wort ist eine rechte Lehre, Heiligkeit ist die Zierde deines Hauses ewiglich“ (Ps. 93,5). Daher konnte auch Christus zu dem samaritischen Weibe sagen, ihr Volk und alle anderen wüßten nicht, was sie anbeteten, die Juden allein aber beteten den wahren Gott an (Joh. 4,22). Denn da der Menschengeist in seiner Schwachheit auf keine Weise zu Gott kommen kann, wo ihm Gottes Wort nicht aufhilft und ihn aufrichtet, so befanden sich notwendig alle Menschen außer den Juden, weil sie Gott ohne das Wort suchten, in Wahn und Irrtum.
Bevor wir weitergehen, muß zunächst noch einiges über die Autorität der Heiligen Schrift eingefügt werden. Diese Feststellungen sollen der Ehrfurcht vor der Schrift dienen und auch jeden Zweifel beseitigen. Ist es einmal anerkannt, daß es sich um Gottes eigenes Wort handelt, so wird keiner so vermessen, ja geradezu des Menschenverstandes und gar alles menschlichen Sinnes beraubt sein, daß er dem, der da redet, den Glauben weigern möchte. Nun ergehen aber nicht alle Tage Offenbarungsworte vom Himmel, und es hat Gott gefallen, allein in der Schrift seine Wahrheit zu stetem Gedächtnis zu erhalten. Deshalb kann die Bibel nur dann den Gläubigen gegenüber volle Autorität erlangen, wenn sie gewiß wissen, daß sie vom Himmel herab zu ihnen kommt, als ob Gottes eigene Stimme hier lebendig vernommen würde. Die Sache ist wahrlich wert, ausführlicher behandelt und genauer erwogen zu werden. Trotzdem müssen die Leser entschuldigen, wenn ich mehr auf den Umfang der Behandlung achte, den die Aufgabe des vorliegenden Werkes erträgt, als auf den, der durch die Bedeutung der Sache erfordert wäre.
Indessen hat sich bei vielen der verderbliche Irrtum eingeschlichen, die Schrift habe nur soviel Gewicht, als ihr das Gutdünken der Kirche zugestehe. Als ob Gottes ewige und unverletzliche Wahrheit auf menschliche Meinung gegründet wäre! Man spottet dabei des Heiligen Geistes und fragt: „Wer verbürgt uns, daß diese Schriften von Gott stammen? Und wer versichert uns, daß sie heil und unversehrt bis in unsere Zeit übergekommen sind? Wer soll uns überzeugen, daß das eine Buch in Ehrfurcht anzunehmen, das andere auszuschließen sei? Wer — wenn nicht die Kirche für alle diese Dinge eine klare Regel vorschriebe?“ „Also“ — so sagt man weiter — „hängt es von der kirchlichen Bestimmung ab, welche Verehrung der Schrift zukommt und welche Bücher ihr überhaupt zuzurechnen sind!“ So machen sich diese Menschen, die Gott die Ehre rauben, bei ihrem Versuch, unter dem Vorwand der Kirche zügellose Tyrannei einzuführen, gar keine Sorge darüber, in was für Widersinnigkeit sie sich und andere verwickeln — wenn sie nur einfältigen Leuten die Meinung aufdringen, die Kirche hätte Vollmacht zu allem! Was soll aber aus den armen Gewissen werden, die eine feste Gewißheit des ewigen Lebens suchen, wenn alle Verheißungen, die darüber bestehen, allein auf Menschenurteil beruhen? Werden sie über solcher Antwort etwa zu zittern aufhören? Wie wird anderseits der Glaube dem Gespött der Gottlosen preisgegeben und bei allen verdächtig gemacht, wenn man annimmt, er müsse seine Autorität vom Menschen leihen!
Aber solche Spitzfindigkeiten widerlegt ein einziges Wort des Apostels. Er bezeugt, daß die Kirche erbaut ist auf dem Grunde der Propheten und Apostel (Eph. 2,20). Wenn nun die Lehre der Propheten und Apostel das Fundament der Kirche ist, so muß sie schon eher Autorität haben, als die Kirche überhaupt da ist. Nichtig ist auch der törichte Einwand, es sei, obwohl die Kirche ihren Ausgang von dieser Lehre genommen habe, doch immer noch ungewiß, welche Schriften denn nun den Propheten und Aposteln zuzuschreiben wären, wenn nicht hier das Urteil der Kirche eintrete. Denn wenn die christliche Kirche im Anfang auf die Schriften der Propheten und die Botschaft der Apostel gegründet wurde, so ging die Anerkennung dieser Lehre, ohne welche die Kirche nie entstanden wäre, doch sicherlich dem Dasein der Kirche vorauf. Deshalb ist es leere Menschensatzung, wenn man sagt, die Vollmacht zur Beurteilung der Schrift liege bei der Kirche, so daß von ihrer Zustimmung die Gewißheit der Schrift abhinge. Denn wenn es zu solcher Anerkennung (durch die Kirche) kommt, so bedeutet das nicht, daß die Kirche die Schrift, als wäre sie zuvor zweifelhaft und strittig, erst glaubwürdig mache. Es geschieht doch im Gegenteil, weil die Kirche hier die Wahrheit ihres Gottes erkennt und ihr deshalb, wie es Pflicht der Frömmigkeit ist, unbedenklich Verehrung entgegenbringt! Wenn man daher fragt: „Woher sollen wir denn die Überzeugung haben, die Schrift komme von Gott her zu uns, wenn wir nicht zum Urteil der Kirche unsere Zuflucht nehmen?“, so ist das genau so, als wenn jemand fragte: „Woher sollen wir denn Licht und Finsternis, Weiß und Schwarz, Süß und Bitter unterscheiden lernen?“ Denn die Wahrheit der Schrift erweist sich ganz von selbst und ist darum nicht weniger deutlich als die Farbe an einem weißen oder schwarzen, der Geschmack an einem süßen oder bitteren Ding!
Ich weiß wohl, daß man hier nun allgemein einen Ausspruch Augustins anführt, der gesagt hat, er würde dem Evangelium nicht Glauben schenken, wenn ihn die Autorität der Kirche nicht dazu bewegte. (Gegen den Grundbrief der Manichäer, Kap. 5). Es ist aber aus dem Zusammenhang sehr leicht zu erweisen, wie verkehrt und trügerisch man diese Stelle auslegt, wenn man ihr die oben ausgeführte Meinung unterschiebt. Augustin hatte es mit den Manichäern zu tun, welche widerspruchslosen Glauben für sich verlangten, weil sie behaupteten, die Wahrheit zu besitzen. Einen Beweis dafür blieben sie jedoch schuldig. Um ihrem Manichäus (Mani) die Glaubwürdigkeit zu sichern, beriefen sie sich auf das Evangelium. Und deshalb fragt sie nun Augustin, was sie denn machen wollten, wenn ihnen einmal jemand begegnete, der nicht einmal an das Evangelium glaube, auf welche Art sie denn den zu ihrer Anschauung führen wollten! Und dann fährt er fort: „Ich meinerseits würde dem Evangelium gar nicht glauben, wenn ...“. Damit will er sagen: als ich vom Glauben noch nichts wußte, konnte ich nur dadurch zur Anerkennung und Annahme des Evangeliums als gewisser Wahrheit Gottes kommen, daß ich von der Autorität der Kirche überwunden wurde! Was ist auch daran Verwunderliches, daß jemand, der Christus noch gar nicht kennt, auf Menschen achtet? Deshalb lehrt Augustin hier nicht, der Glaube der Frommen sei auf die Autorität der Kirche gegründet, er will auch nicht sagen, die Gewißheit des Evangeliums hänge davon ab. Er behauptet bloß, daß die Ungläubigen nicht zur Gewißheit des Evangeliums kommen und dadurch für Christus gewonnen würden, wenn sie nicht die einhellige Überzeugung der Kirche in diese Richtung wiese. Das bestätigt er kurz darauf, wenn er sagt: „Wenn ich lobe, was ich glaube, und verlache, was du glaubst, was ist dann über uns zu sagen, was sollen wir dann tun? Bleibt uns etwas anderes, als die zu verlassen, die uns zuerst einladen, Gewisses zu erkennen — und dann doch gebieten, Ungewisses zu glauben? Müssen wir uns nicht statt dessen denen zuwenden, die uns zuerst einladen, zu glauben, was wir noch nicht zu schauen vermögen, damit wir, durch den Glauben selbst kräftiger geworden, dann auch gewürdigt werden, zu erkennen, was wir glauben, da wir es ja nun nicht mehr mit Menschen zu tun haben, sondern Gott selbst unsern Geist innerlich festigt und erleuchtet?“ (Im gleichen Buche, Kap. 14). Das sind tatsächlich Augustins Worte; daraus kann sich nun jeder das Urteil bilden, daß der heilige Mann nicht die Absicht gehabt hat, unseren Glauben gegenüber der Schrift von der Meinung und dem Gutdünken der Kirche abhängig zu machen. Er wollte bloß zeigen, was auch wir als wahr anerkennen, nämlich daß die, welche vom Geiste Gottes noch nicht erleuchtet sind, von der Achtung vor der Kirche zum Aufmerken bewogen werden, um den Glauben an Christus aus dem Evangelium zu lernen. Die Autorität der Kirche ist insofern eine Einführung, durch die wir zum Glauben an das Evangelium vorbereitet werden. Denn die (eigentliche) Gewißheit der Frommen will, wie wir sahen, auf einem ganz anderen Fundament ruhen. Ich leugne übrigens nicht, daß Augustin häufig den Manichaern mit dem einhelligen Zeugnis der Kirche zusetzt. Das tut er dann, wenn er die Heilige Schrift, welche sie verwarfen, ihnen gegenüber verteidigen will. Daher schilt er den Faustus, daß er sich der Wahrheit des Evangeliums (veritas evangelica) nicht unterwirft, die doch so gegründet, so gefestigt, mit soviel Herrlichkeit gekrönt sei und sich seit der Zeit der Apostel in fester Folge fortpflanze. Aber nirgendwo gibt er seinen Worten den Sinn, als ob die Autorität, die wir der Schrift beimessen, von menschlicher Lehrsatzung oder Bestimmung abhinge. Er führt nur, was in dieser Sache viel bedeutete, das einhellige Urteil der Kirche an, mit welchem er den Gegnern überlegen war. Sucht jemand hierfür einen weiteren Beweis, so möge er sein Buch „Vom Nutzen des Glaubens“ lesen. Dort wird er finden, daß er solcher Unterweisung durch Menschen nicht etwa die Möglichkeit zuschreibt, den Glauben zu erleichtern, sondern in ihr bloß einen Zugang sieht, der uns bereitet ist, oder einen willkommenen Anfang der Nachforschung, wie er sich selber ausdrückt. Nicht aber darf man es nach ihm bei der bloßen Annahme bewenden lassen, sondern man muß sich auf gewisse und zuverlässige Wahrheit stützen.
Wir wollen also festhalten, was ich oben ausführte: die Glaubwürdigkeit der Lehre kann nicht eher Bestand gewinnen, als bis wir ohne Zweifel überzeugt sind, daß ihr Urheber Gott ist. Deshalb wird durchweg die höchste Beglaubigung der Schrift darin gesehen, daß hier Gott in Person redet. Die Propheten und Apostel führen nicht ihren Scharfsinn für sich an oder was sonst den Rednern Glauben verschaffen mag, sie bestehen auch nicht auf Vernunftgründen, sondern sie nennen Gottes heiligen Namen, durch den die ganze Welt zum Gehorsam genötigt wird. Jetzt wollen wir zusehen, wie es nicht bloß mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, sondern mit lauterer Wahrheit offenbar ist, daß ihre Berufung auf Gottes Namen weder Leichtsinn noch Trug war. Wollen wir nun dem Gewissen aufs beste raten, um es davor zu bewahren, in stetem Zweifel zu schwanken oder zu wanken oder bei den geringsten Anstößen hängenzubleiben, so muß solche Festigkeit der Überzeugung an höherer Stelle begründet sein als in menschlichen Vernunftgründen, Urteilen oder Mutmaßungen, nämlich im geheimen Zeugnis des Heiligen Geistes. Es ist freilich wahr: wollte man sich mit der Beweisführung abgeben, so ließe sich gewiß vieles anführen, das leicht davon überzeugen könnte, daß das Gesetz, die Propheten und das Evangelium von Gott ausgegangen sind — wenn überhaupt ein Gott im Himmel ist. Mögen die gelehrtesten und urteilsfähigsten Männer dagegen auftreten und all ihren Scharfsinn in diesem Streite aufbieten und entwickeln — sie müssen dennoch, wenn sie sich nicht bis zum verderblichsten Eigensinn verstocken, notgedrungen zu dem Eingeständnis kommen: es sind in der Schrift handgreifliche Zeichen zu sehen, daß da Gott redet, und daraus ist deutlich, daß ihre Lehre vom Himmel ist. Wir werden auch bald sehen, daß alle Bücher der Heiligen Schrift bei weitem höher stehen als alle anderen Bücher. Ja, wenn wir reine Augen und lautere Sinne mitbringen, so wird uns Gottes Majestät alsbald entgegentreten, sie wird uns allen verwegenen Widerstand unmöglich machen und uns Gehorsam abnötigen.
Dennoch ist es Torheit, wenn man meint, der Schrift auf dem Wege des Disputierens ihre Glaubwürdigkeit sichern zu können. Wenn ich auch für meine Person nicht über eine besondere Gewandtheit und Beredsamkeit verfüge, so würde ich mich wohl anheischig machen, selbst im Kampfe mit den verschlagensten Gottesverächtern, die all ihren Fleiß und Witz aufböten, um das Ansehen der Schrift wankend zu machen, ihr widerspenstiges Geschrei unschwer zum Schweigen zu bringen. Und wenn es der Mühe verlohnte, ihre Witzeleien zu widerlegen, so würde ich ohne große Anstrengung ihr Geprahle, das sie in ihren Winkeln treiben, zunichtemachen. Aber wenn einer auch das heilige Wort Gottes gegen die Schmähungen der Menschen verteidigt, so wird er dadurch keineswegs bereits die Gewißheit in den Herzen einpflanzen, welche die Frömmigkeit erfordert. Weil die gottlosen Menschen meinen, die Religion bestehe auf Menschengedanken, so wünschen und verlangen sie, um den Schein törichter Leichtgläubigkeit zu meiden, vernünftige Beweise dafür, daß Mose und die Propheten in Gottes Auftrag geredet haben. Ich aber entgegne: das Zeugnis des Heiligen Geistes ist besser als alle Beweise. Denn wie Gott selbst in seinem Wort der einzige vollgültige Zeuge von sich selber ist, so wird auch dies Wort nicht eher im Menschenherzen Glauben finden, als bis es vom inneren Zeugnis des Heiligen Geistes versiegelt worden ist. Denn derselbe Geist, der durch den Mund der Propheten gesprochen hat, der muß in unser Herz dringen, um uns die Gewißheit zu schenken, daß sie treulich verkündet haben, was ihnen von Gott aufgetragen war. Diese wechselseitige Verbindung drückt Jesaja sehr gut folgendermaßen aus: „Mein Geist, der in dir ist, und die Worte, die ich dir in deinen Mund gelegt habe, sollen von deinem Munde nicht weichen, noch von dem Munde deines Samens.... von nun an bis in Ewigkeit“ (Jes. 59,21; Calvin übersetzt etwas anders). Es bekümmert auch manche Fromme, daß keine klare Beweisführung zur Hand ist, wenn die Gottlosen ungestraft gegen Gottes Wort murren. Aber eben deshalb wird doch der Geist Siegel und Unterpfand zur Befestigung des Glaubens genannt, weil das Herz von allerlei Zweifel umgetrieben wird, solange er es nicht erleuchtet hat!
Dabei also soll es bleiben: wer innerlich vom Heiligen Geist gelehrt ist, der verharrt fest bei der Schrift, und diese trägt ihre Beglaubigung in sich selbst; daher ist es nicht angebracht, sie einer Beweisführung und Vernunftgründen zu unterwerfen. Die Gewißheit aber, die sie uns gewinnt, die erlangen wir durch das Zeugnis des Geistes. Gewiß verschafft sich die Schrift ganz von selbst durch ihre eigene Majestät Ehrfurcht, aber sie ergreift uns erst dann recht und ernstlich, wenn sie durch den Geist in unserem Herzen versiegelt ist. Daß die Schrift von Gott kommt, das glauben wir, weil die Kraft des Geistes uns erleuchtet, nicht aber auf Grund des eigenen Urteils oder desjenigen anderer Leute. Es ist ja gerade, als ob wir Gottes eigene Majestät hier erschauten; und deshalb ist unsere Gewißheit unerschütterlich fest, stärker, als sie uns menschliches Urteil verleihen könnte. So halten wir dafür, daß die Schrift zwar durch den Dienst von Menschen, aber tatsächlich doch aus Gottes eigenem Munde zu uns kommt. Nicht Beweisgründe, nicht Wahrscheinlichkeiten suchen wir, um unser Urteil darauf zu gründen, sondern wir unterwerfen unser Urteil und unser Denken dieser völlig aller Frage entzogenen Tatsache. Das geschieht freilich nicht so, wie einige es machen, die zuweilen eine unbekannte Sache mit Eifer annehmen, die ihnen dann doch bei näherer Kenntnis mißfällt, sondern es geschieht darum, weil wir voll und ganz überzeugt sind, es mit der unbestreitbaren Wahrheit zu tun zu haben! Das hat auch nichts mit der Art zu tun, wie elende Menschen dem Aberglauben ihren Geist gefangen geben, sondern wir kommen zu dieser Gewißheit, weil wir empfinden, daß hier die unbezweifelbare Gewalt göttlicher Majestät waltet und wirkt — und diese Kraft zieht und entzündet uns zum Gehorsam, mit Wissen und Willen, aber viel lebendiger und stärker, als alles menschliche Wollen und Wissen!
So ruft der Herr mit vollem Rechte durch Jesaja aus (43,10), die Propheten samt dem Volke seien seine Zeugen; denn sie waren ja durch Weissagungen belehrt und zweifelten nicht daran, daß Gott ohne Trug und Zweideutigkeit zu ihnen geredet habe. Das ist eine Überzeugung, die der Gründe nicht bedarf, das ist ein Wissen, das seinen Grund in sich selber trägt, ja, auf dem das Herz sicherer und beständiger ruht als auf irgendwelchen Gründen; das ist ein Empfinden, das nur aus himmlischer Offenbarung entstehen kann. Ich rede von dem, was jeder einzelne Gläubige bei sich selber erfährt — freilich reichen meine Worte bei weitem nicht hin, um die Sache recht zu beschreiben! Ich übergehe jetzt vieles, weil ich an anderer Stelle auf diese Dinge zurückkommen muß. Für jetzt wollen wir uns dies merken, daß nur der Glaube der rechte ist, den der Heilige Geist in unseren Herzen versiegelt. Der bescheidene Leser, der sich gern sagen läßt, wird sich mit einem Zeugnis als Begründung zufrieden geben: nämlich mit der Verheißung des Jesaja, alle Söhne der erneuerten Kirche würden von Gott gelehrt sein (Jes. 54,13). Da würdigt Gott seine Auserwählten allein eines einzigartigen Vorrechtes und unterscheidet sie damit von dem ganzen Menschengeschlecht. Denn womit soll die rechte Lehre bei uns ihren Anfang nehmen, als mit der bereitwilligen Freudigkeit, das Wort Gottes zu hören? Gott aber fordert Gehör durch den Mund des Mose, wie geschrieben steht: „Du sollst nicht sprechen in deinem Herzen: wer wird in den Himmel fahren ... oder wer wird hinabsteigen in den Abgrund? . . Siehe, das Wort ist in deinem Munde ...“ (5. Mose 30,12ff.; hier nur einige Stücke daraus, etwas ungenau angeführt!). Wenn Gott einen solchen Schatz der Weisheit allein für seine Kinder hat bereiten wollen, so ist es nicht verwunderlich oder widersinnig, wenn unter der Masse der Menschen soviel Unwissenheit und Stumpfheit sich zeigt. Unter „Masse“ verstehe ich hier auch die hervorragendsten Menschen, ehe sie in den Leib der Kirche eingefügt sind! Jesaja erklärt an einer Stelle, die prophetische Lehre werde nicht nur den Außenstehenden, sondern auch den Juden, die für Hausgenossen gelten wollten, unverständlich sein, und dann fügt er gleich den Grund dafür bei: „Denn nicht allen wird der Arm des Herrn offenbar“ (Jes. 53,1). Sooft uns die geringe Zahl der Gläubigen wankend machen will, sollen wir uns im Gegenteil vor Augen halten, daß niemand die Geheimnisse Gottes begreifen kann — als die, welchen es gegeben ist.
Wo nun diese Gewißheit nicht ist, die höher und stärker ist als jedes menschliche Urteil, da wird man vergebens die Autorität der Schrift mit Beweisgründen zu sichern, in der einhelligen Überzeugung der Kirche zu begründen oder mit allem anderen Schutz zu bewehren versuchen. Denn wenn dies Fundament nicht gelegt ist, dann bleibt sie stets wankend. Aber anderseits: wenn wir einmal die Schrift in ihrer Einzigartigkeit gegenüber anderen Büchern in Ehrfurcht und ihrer Würde entsprechend angenommen haben, dann werden Erwägungen, die nicht ausreichten, die Gewißheit um die Schrift in unserem Herzen einzupflanzen, sehr brauchbare, geeignete Stützen (zur Bestätigung) sein! Wie wunderbar kann es doch zur Bekräftigung (der Schriftautorität) dienen, wenn wir in eifriger Nachforschung erwägen, wie geordnet und kunstreich hier die göttliche Weisheit uns dargeboten wird, wie die Lehre stets ihren himmlischen Ursprung an sich trägt und nichts Irdisches verrät, wie sehr alle Teile untereinander übereinstimmen — und vieles andere mehr, das geeignet ist, der Schrift überragende Herrlichkeit zu sichern. Noch wirksamer aber kann unser Herz gefestigt werden, wenn wir bedenken, daß wir noch viel mehr durch die Würde der Sache als durch die Worte zur Bewunderung hingerissen werden. Denn auch das ist nicht ohne besondere Vorsehung Gottes geschehen, daß die höchsten Geheimnisse des Himmelreichs weithin unter verächtlicher Niedrigkeit der Worte überliefert werden — denn wären sie mit größerem Glanz der Beredsamkeit geziert, so würden die Gottlosen lästern, in dieser allein wohne ihre Kraft! Wenn aber jene ungezierte und fast grobe Einfalt größere Ehrerbietung sich verschafft als aller Wortreichtum der Redner, was geht daraus anders hervor, als daß die Schrift eine Gewalt der Wahrheit besitzt, welche zu mächtig ist, um des Schmuckes der Worte zu bedürfen? Nicht ohne Grund weist der Apostel darauf hin, daß der Glaube der Korinther nicht in menschlicher Weisheit, sondern in Gottes Kraft begründet war, da ja seine Verkündigung unter ihnen nicht in klugen Worten menschlicher Weisheit, sondern in Beweisung des Geistes und der Kraft geschehen war (1. Kor. 2,4). Die Wahrheit ist über jeden Zweifel erhaben, wenn sie nicht auf fremden Stützen ruht, sondern stark genug ist, sich in sich selber zu tragen. Wie sehr der Schrift diese Kraft eignet, das zeigt sich daran, daß von allen menschlichen Schriften, wie kunstreich sie auch gefertigt sind, uns keine so zu ergreifen vermag. Lies den Demosthenes oder den Cicero, lies Platon oder Aristoteles oder welche du auch aus der ganzen Schar lesen magst. Sie werden dich — das gestehe ich — wundersam anlocken, ergötzen, bewegen, hinreißen. Aber wenn du dann zur Heiligen Schrift kommst, so ergreift sie dich — ob du willst oder nicht — so lebendig, dringt dir so tief ins Herz, setzt sich so im Innersten fest, daß vor der Gewalt dieser Eindrücke die Kraft jener Redner und Philosophen fast verschwindet. Man kann eben spüren, wie ein göttlicher Hauch die Schrift durchweht, wodurch sie alle menschliche Kunst, alle menschlichen Gaben weit übertrifft.
Freilich findet sich bei einigen Propheten eine sehr feine und kunstreiche, ja geradezu glänzende Darstellung, so daß ihre Beredsamkeit derjenigen weltlicher Schriftsteller nichts nachgibt. Mit dergleichen Beispielen hat der Heilige Geist zeigen wollen, daß ihm auch die Beredsamkeit zu Gebote steht — wenn er sich sonst auch wohl einer kunstlosen und groben Redeweise bedient. Ob du nun David oder Jesaja oder ihresgleichen liesest, deren Rede sanft und lieblich dahergeht, oder den Hirten Amos oder Jeremia oder Sacharja, deren rauhere Rede bäurisch klingt — überall ist jene Majestät des Geistes offenbar, von der ich sprach. Ich weiß wohl, daß der Satan, der ja in vielen Dingen Gott nachahmt, um in solcher trügerischen Ähnlichkeit (mit Gott) um so leichter in die Herzen der Einfältigen einzudringen, auch jene gottlosen Irrtümer, mit denen er arme Menschen täuschte, zuweilen listig in kunstloser und fast barbarischer Sprache ausgestreut, oft auch ungebräuchliche Ausdrucksformen verwendet hat, um unter solcher Maske seine Betrügereien zu verstecken. Aber wie eitel und abscheulich solches Streben ist, das spürt jeder einigermaßen verständige Mensch. Mag nun der Vorwitz vieles an der Schrift annagen wollen — es steht jedenfalls fest, daß sie voll ist von Aussprüchen, die aus menschlichem Verstand nie entsprungen wären. Man sehe sich die einzelnen Propheten an: da ist nicht einer zu finden, der nicht weit über alle Menschenweisheit hinausragte, und deshalb muß den Leuten, welche ihre Lehre für fade halten, jeder Geschmack abgehen.
Diesen Gegenstand haben nun andere genauer behandelt, und deshalb genügt es hier, nur einiges wenige zu überdenken, das für die hier zur Behandlung stehende Hauptsache von besonderem wert ist. Außer dem, was ich schon erwähnte, ist von besonderem Gewicht auch das hohe Alter der Schrift. Denn obwohl griechische Schriftsteller über die ägyptische Theologie viel fabulieren, so besteht doch keine einzige Religionsurkunde, die nicht lange nach der Zeit des Mose entstanden wäre. Und auch Mose redet ja nicht von einem neuen Gott, sondern bringt nur vor, was wiederum in langer Zeitfolge die Israeliten als Lehre über den ewigen Gott von ihren Vätern, wie von Hand zu Hand, empfangen hatten! Was tut denn Mose anders, als daß er sie zu dem Bunde zurückruft, der einst mit Abraham geschlossen war? Hätte er ihnen etwas bis dahin Unerhörtes verkündigt, er würde keinen Eingang gefunden haben. Aber die Befreiung aus der Sklaverei, in der sie gehalten wurden, mußte eine längst allen bekannte Sache sein, so daß ihre Ankündigung alsbald alle Herzen aufrichtete. Wahrscheinlich waren sie auch über die Zahl der vierhundert Jahre unterrichtet. Wenn also nun Mose, der doch selbst soviel älter ist als alle anderen Schriftsteller, seine Lehre aus so langer Überlieferungsreihe herleitet, wie ragt dann die Heilige Schrift an Alter über alle anderen hinaus!
Oder man müßte den Ägyptern glauben, die schon bis zu sechstausend Jahren vor Erschaffung der Welt dagewesen sein wollen! Aber dieses Geschwätz war schon weltlichen Schriftstellern stets ein Gespött und verdient nicht die Mühe der Widerlegung. Dagegen bringt Josephus gegen den Appion einige sehr denkwürdige Zeugnisse aus den ältesten Schriftstellern vor, nach welchen die im Gesetz niedergelegte Lehre nach übereinstimmendem Zeugnis aller Völker schon seit der ältesten Zeit hochberühmt gewesen sei, wenn man sie auch damals noch nicht gelesen oder recht gekannt habe.
Damit aber nun böse Menschen jeden Verdacht aufgeben müssen und die Gottlosen jede Handhabe zu ihrer Lästerung verlieren, tritt Gott diesen beiden Gefahren mit den besten Mitteln entgegen. Da berichtet Mose, wie Jakob aus himmlischer Eingebung schon dreihundert Jahre zuvor über feine Nachfahren geweissagt hat; und wie verhilft er dabei seinem eigenen Stamm zu Adel und Ansehen? Gar nicht, sondern er belegt ihn in der Person des Levi mit ewiger Schande, wenn er sagt: „Simeon und Levi sind Gefäße des Frevels, in ihren Rat komme meine Seele nicht, noch in ihr Geheimnis meine Zunge“ (1. Mose 49,5.6). Sicherlich hätte er diese Schande verschweigen können, um damit seinen Vorvater zu schonen und sich selbst nicht mit dem Anteil an dieser Schmach zu beflecken. Wie könnte ein Mann verdächtig sein, der aus freien Stücken berichtet, wie der erste Urheber seines eigenen Geschlechts durch Ausspruch des Heiligen Geistes als verabscheuungswürdig dahingestellt wurde, und dabei weder sein eigenes Interesse wahrt, noch den Haß seiner Landsleute zu vermeiden sucht, denen dergleichen ohne Zweifel zuwider war? Wenn er das gottlose Murren seines leiblichen Bruders Aaron und seiner Schwester Mirjam erwähnt (Num. 12,1), hat er dann aus fleischlichem Sinn geredet oder im Gehorsam gegen den Auftrag des Heiligen Geistes? Weshalb hinterließ er bei der überragenden Autorität, die er genoß, eigentlich das Amt des Hohenpriesters nicht seinen eigenen Söhnen, sondern weist ihnen den geringsten Platz an? Ich berühre nur weniges, aber es begegnen im Gesetze selber fortwährend viele Beweise, aus welchen Mose ohne Widerspruch als einer bezeugt wird, der wie ein Engel aus dem Himmel hervortrat.
Auch die vielen herrlichen Wunder, die Mose berichtet, sind lauter Bestätigungen des von ihm kundgemachten Gesetzes und der von ihm verkündigten Lehre. Denn wenn er von einer Wolke auf den Berg geführt wurde, wenn er dort bis zum vierzigsten Tage dem menschlichen Umgang entzogen wurde (Ex. 24,18), wenn bei der Verkündigung des Gesetzes sein Antlitz wie von Sonnenstrahlen erglänzte, wenn damals von allen Seiten Blitze zuckten, Donner und Krachen die Luft erfüllte, wenn die Posaune unberührt vom menschlichen Munde ertönte (Ex. 19,16), wenn der Eingang des Zeltes durch eine Wolke dem Anblick des Volkes entnommen wurde (Ex. 40,34), wenn seine Autorität durch den schrecklichen Untergang des Korah, Dathan und Abiron und der ganzen gottlosen Rotte so wunderbar bestätigt wurde (Num. 16,24), wenn der Fels, vom Stabe geschlagen, alsbald Wasser hervorsprudelte (Num. 20,10), wenn auf sein Gebet Man vom Himmel fiel (Num. 11,9) — hat mit alledem nicht Gott selber diesen Mann vom Himmel herab als einen wahrhaftigen Propheten beglaubigt? Wenn nun jemand einwenden wollte, ich nähme als sicher an, was doch umstritten sei, so ist eine solche Lästerung leicht zu widerlegen. Denn Mose hat dies alles in öffentlicher Rede bekanntgemacht — und wie sollte er da etwas haben erfinden können, wo doch lauter Augenzeugen für das Geschehene vor ihm standen? Es wäre doch wie unsinnig, wenn er aufgetreten wäre und das Volk der Untreue, des Starrsinns und anderer Frevel beschuldigt hätte, um dann unter seinen Augen seine Lehre durch solche Wunder für beglaubigt zu erklären, die es nie gesehen hätte!
Auch ist der Erwähnung wert, daß bei jeder Erzählung von Wundern zugleich strafend solche Dinge mit berichtet werden, die das ganze Volk zum Einspruch (gegen die Wahrheit des Berichtes) hätten aufstacheln müssen, wenn dazu der geringste Anlaß vorgelegen hätte! Daraus erhellt, daß diese Menschen durch nichts anderes zur Zustimmung gebracht wurden als eben dadurch, daß sie auf Grund eigener Erfahrung mehr als genug überzeugt waren. Weil übrigens die Sache zu bekannt war, als daß weltliche Schriftsteller etwa hätten leugnen können, daß Mose Wunder getan hat, so gab ihnen der Vater der Lüge die Verleumdung in den Sinn, sie magischen Künsten zuzuschreiben (Ex. 7,11). Aber was für einen Anlaß haben sie, einen Mann als Zauberer hinzustellen, der solchen Abscheu vor aller Zauberei hatte, daß er schon den zu steinigen befahl, der bloß Zauberer und Wahrsager befragt hatte? (Lev. 20,6). Jeder Zauberer treibt sein Gaukelspiel, um das Volk in Erstaunen zu setzen und sich auf diese Weise Ehre zu verschaffen. Was aber tut Mose? Er ruft aus, daß er und sein Bruder Aaron nichts seien und nur Gottes Auftrag ausführten! (Ex. 16,7). Schon damit macht er jede falsche Deutung genugsam zunichte. Aber wenn man schon die Geschehnisse selbst betrachtet: was für eine Zauberei konnte denn bewirken, daß das täglich vom Himmel regnende Man zur Versorgung des Volkes hinreichte und daß der, der mehr aufbewahrte als das rechte Maß, aus dessen Verwesung schon lernen mußte, wie sein Unglaube von Gott gestraft würde? Auch hat Gott seinen Knecht (bei Lebzeiten) in so viele ernste Prüfungen hineingestellt, daß jetzt die Gottlosen in ihrem Widerspruch nichts mehr erreichen können. Wie oft ist es vorgekommen, daß sich bald das ganze Volk übermütig und vermessen erhob, bald einzelne eine Verschwörung ausheckten, um den heiligen Knecht Gottes zu stürzen? Und wer hätte ihrer Wut mit Gaukelspiel entgehen können? Das Ende solcher Unternehmungen zeigt ja auch klar, daß durch solche Durchhilfen seine Lehre für alle Zeiten beglaubigt worden ist.
Man bedenke auch ferner, daß Mose dem Stamme Juda in der Person des Erzvaters Jakob den Vorrang anweist (Gen. 49,10); wer will da leugnen, daß dies aus prophetischem Geiste geschehen sei? Wir werden das vor allem zugestehen, wenn wir die Sache selbst, wie sie sich hernach erwies, ins Auge fassen. Nimm selbst an, Mose sei der Urheber dieser Weissagung — so sind doch seit der Zeit, da er diese niederschrieb, vierhundert Jahre vergangen, ohne daß ein Zepter in Juda erwähnt wird! Nach der Einsetzung des Saul schien die königliche Gewalt beim Stamme Benjamin zu liegen! (1. Sam. 11,15). Als dann David von Samuel gesalbt wird (1. Sam. 16,13), was erscheint da für ein Grund, diese Würde auf ihn zu übertragen? Wer hätte erwartet, daß aus dem niedrigen Hause eines gewöhnlichen Viehhirten ein König hervorgehen werde? Und da waren sieben Brüder — wer hätte da gerade den jüngsten für diese Ehre ausersehen? Auf welche Weise gelangte er zur Hoffnung auf die Königswürde? Wer wollte sagen, diese Salbung habe menschliche Kunst oder Klugheit geleitet? Wer will hier etwas anderes sehen als die Erfüllung einer himmlischen Weissagung? Ebenso ist das, was Mose von der Aufnahme der Heiden in Gottes Bund, wenn auch dunkel, vorhergesagt hat, erst nach zweitausend Jahren eingetreten. Wird daraus nicht deutlich, daß er aus göttlichem Antrieb geredet hat? Ich übergehe andere Weissagungen, die so deutlich Gottes Offenbarung verraten, daß jeder vernünftige Mensch überzeugt ist (ut sanis hominibus constet): hier hat Gott geredet. Kurz, schon allein das Lied Moses (Deut. 32) ist ein klarer Spiegel, in dem Gott deutlich erscheint.
Bei den übrigen Propheten läßt sich das noch deutlicher sehen. Ich will nur wenig Beispiele auswählen, da es zu mühsam wäre, sie alle anzuführen. Als zur Zeit des Jesaja das Reich Juda Frieden hatte und gar meinte, an den Chaldäern eine Stütze zu haben, da redete Jesaja von der Zerstörung der Stadt und der Verbannung des Volkes. Geben wir zu, es sei noch kein ausreichend klares Beispiel göttlicher Eingebung, daß er lange Zeit zuvor etwas vorhersagte, das damals noch Fabel zu sein schien, sich nachher aber als wahr erwies. Daß er aber zugleich auch die Rückkehr aus der Verbannung weissagte, woher soll das gekommen sein, außer von Gott? Er nennt den Cyrus (Jes. 45,1), durch den die Chaldäer niedergeworfen werden sollten und das Volk wieder in Freiheit kam. Es sind seit dieser Weissagung des Propheten mehr denn hundert Jahre vergangen, ehe denn Cyrus geboren wurde; denn dieser kam erst etwa hundert Jahre nach Jesajas Tode zur Welt. Damals konnte kein Mensch daran denken, es werde einst ein Cyrus mit den Babyloniern Krieg führen, der dann dieses mächtige Reich überwältigen und die Verbannung des Volkes Israel beendigen würde. Zeigt nicht diese nackte, schmucklose Erzählung, daß Jesaja Gottes unzweifelhafte Offenbarungen, nicht aber menschliche Vermutungen ausspricht? Auch Jeremia hat kurze Zeit vor der Wegführung des Volkes angekündigt, die Zeit der Gefangenschaft werde in siebzig Jahren enden, und das Volk werde zurückkehren und frei sein (Jer. 25,11.12). Mußte da nicht seine Zunge vom Geiste Gottes geleitet sein? Wie unverschämt wäre es, wenn man leugnen wollte, daß durch derartige Beweise die Autorität der Propheten bekräftigt und auf diese Weise erfüllt worden wäre, was sie selber anführen, um ihren Reden Glaubwürdigkeit zu sichern! „Siehe, was ich zuvor habe verkündigt, das ist gekommen; so verkündige ich euch Neues; ehe denn es aufgeht, lasse ich’s euch hören“ (Jes. 42,9). Ich gehe nicht weiter darauf ein, wie Jeremia und Ezechiel, obwohl sie räumlich so weit voneinander entfernt lebten, bei ihren gleichzeitigen Prophetien in allen Aussprüchen voll und ganz übereinstimmten, als ob sie sie einander diktiert hätten! Und hat nicht Daniel in seinen Weissagungen auf sechshundert Jahre hin die Zukunft so klar geschaut, als ob er eine Geschichte von vergangenen und durchweg wohlbekannten Tatsachen aufzeichnete? Wenn die Gottesfürchtigen das einigermaßen festhalten, so sind sie ausreichend kundig, um das Gebell der Gottlosen zum Schweigen zu bringen; denn gegen die Klarheit solcher Beweise kommt keine Ausflucht an.
Ich weiß nun wohl, was die Narren in ihren Winkeln schwatzen, um in der Bestreitung der Wahrheit ihren Scharfsinn zu zeigen. Sie fragen nämlich, wer uns denn beweisen könne, daß die Schriften, die unter dem Namen des Mose und der Propheten gehen, auch wirklich von ihnen stammten. Ja, sie wagen gar die Frage zu stellen, ob denn Mose je gelebt habe. Wollte jemand in Zweifel ziehen, ob Platon oder Aristoteles oder Cicero je gelebt hätten — wer würde nicht sagen, daß solcher Wahnsinn die Züchtigung mit Peitsche und Rute verdiene? Das Gesetz Moses ist mehr mit göttlicher Vorsehung als mit menschlicher Mühe wunderbar erhalten geblieben. Und ob es auch infolge der Nachlässigkeit der Priester einige Zeit vergraben dalag, so ist es doch seit der Zeit, da der fromme König Josia es wiederfand, durch alle Zeiten hin in den Händen der Menschen geblieben. Und Josia zog es nicht als eine unbekannte und neue Sache hervor, sondern als etwas, das stets im Schwange geblieben und dessen Andenken auch damals noch mit Ruhm geschmückt war. Im Tempel war die Urschrift niedergelegt, in den königlichen Archiven befand sich eine Abschrift. Nur die Priester hatten aufgehört, das Gesetz selbst nach feierlichem Brauch zu verlesen, und auch das Volk hatte das gewohnte Lesen vernachlässigt. Ist wohl ein einziges Jahrhundert vergangen, wo das Gesetz nicht aufs neue bestätigt und bekräftigt worden wäre? War wohl Mose denen unbekannt, die David lasen? Jedoch, um von allen zugleich zu reden: ihre Schriften sind ganz sicher sozusagen von einer Hand zur anderen in ununterbrochener Reihe der Jahre von den Vätern her überliefert worden und so zu den Nachkommen gelangt. Die Väter aber hatten teils die Redenden selbst noch gehört, teils hatten sie aus frischem Gedächtnis von solchen, die sie gehört hatten, die Richtigkeit der Überlieferung erfahren.
Was man nun aus der Geschichte der Makkabäer anführt, um die Glaubwürdigkeit der Schrift zu bestreiten, das verhält sich so, daß nichts Geschickteres hätte erdacht werden können, um sie zu bestätigen! Wir wollen aber zuerst die Farbe wegstreichen, die man angemalt hat, dann wollen wir die Waffen der Gegner gegen sie selber wenden. Wenn Antiochus, so sagt man, alle Bücher verbrennen ließ, woher kommen dann unsere Exemplare? (vgl. 1. Makk. 1,59). Ich stelle aber die Gegenfrage: In welcher Werkstatt hat man sie aber dann so schnell wiederherstellen können? Denn es steht fest, daß es gleich, nachdem das Wüten sich gelegt hatte, wieder Handschriften gab und daß diese von den Frommen, welche in ihrer Lehre unterrichtet waren und sie deshalb sehr genau kannten, ohne Widerspruch anerkannt waren. Obgleich nun aber alle Gottlosen so wütende Angriffe gegen die Juden richteten, als hätten sie sich miteinander verschworen, hat ihnen doch keiner je den Vorwurf zu machen gewagt, sie hätten Bücher fälschlich untergeschoben. Wie man nämlich auch von der jüdischen Religion denken mochte, so erkannte man doch allgemein Mose als ihren Stifter an. Was tun nun also jene Schwätzer anders, als daß sie ihre mehr als hündische Dreistigkeit verraten, wenn sie diese Bücher für untergeschoben erklären, deren hohes Alter die einhellige Überzeugung aller Geschichte beweist? Aber ich will nicht noch mehr überflüssige Arbeit an die Widerlegung so schamloser Verleumdungen wenden. Wir wollen besser beachten, wie sehr der Herr für die Erhaltung seines Wortes gesorgt hat, wenn er es der Lücke eines wütenden Tyrannen entriß — gleichwie einen Brand aus dem Feuer heraus, wider alle Erwartung! Fromme Priester und andere Menschen erfüllte er mit solcher Beständigkeit, daß sie ohne Zaudern bereit waren, für diesen Schatz nötigenfalls ihr Leben einzusetzen und ihn so den Nachkommen zu erhalten. Dadurch machte er die schärfste Nachforschung so vieler Hauptleute und ihrer Trabanten zunichte. Wer erkennt darin nicht Gottes herrliches und wunderbares Werk, daß jene heiligen Urkunden, welche die Gottlosen schon vernichtet glaubten, alsbald heimkehrten, ihr Heimatrecht wieder behaupteten und sogar noch höhere Würde erhielten? Folgte doch damals die griechische Übersetzung, welche diese Schriften in der ganzen (damaligen) Welt verbreitete.
Aber die Bewahrung der Tafeln seines Bundes vor den Blutedikten des Antiochus war nicht das einzige Wunder Gottes. Es kommt vor allem dazu, daß jene Tafeln in den mancherlei Bedrängnissen des jüdischen Volkes, in denen es so oft zerschunden und zerschlagen, ja schließlich beinahe aufgerieben wurde, dennoch heil und unversehrt blieben. Die hebräische Sprache war verachtet und auch fast unbekannt geworden, und sie wäre gewiß ganz untergegangen, wenn Gott sich nicht der Religion hätte annehmen wollen. Wieweit die Juden seit ihrer Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft den ursprünglichen Gebrauch ihrer Muttersprache verloren hatten, das sieht man an den Propheten dieser Zeit. Das ist um so wichtiger zu bemerken, weil aus dieser Vergleichung das hohe Alter des Gesetzes und der Propheten desto klarer erhellt. Und wen hat Gott benutzt, um die in Gesetz und Propheten beschlossene Heilslehre uns zu bewahren, damit Christus zu seiner Zeit offenbar würde? Die bittersten Feinde Christi, die Juden, die Augustin aus diesem Grunde mit Recht die Bibliothekare der christlichen Kirche nennt, weil sie uns Bücher zu lesen gaben, die sie selbst nicht zu gebrauchen wußten!
Wie sicher ist nun vollends die Wahrheit des Neuen Testaments begründet! In schlichter und unscheinbarer Redeweise erzählen die drei (ersten) Evangelisten die Geschichte (Jesu). Manche hochmütigen Leute verdrießt diese Einfachheit, weil sie nämlich auf die Hauptstücke der Lehre nicht achthaben — denn aus diesen wäre leicht zu erkennen, daß die Evangelisten von himmlischen Geheimnissen reden und daß dies Reden über alle Vernunft geht. Wer auch nur einen Tropfen edler Scham in sich trägt, der wird erröten, wenn er das erste Kapitel des Lukasevangeliums gelesen hat. Und nun erst die Reden Jesu, deren Hauptinhalt die drei (ersten) Evangelisten wiedergeben! Sie erheben diese Schriften leicht über alle Geringschätzung! Dann redet Johannes mit erhabener Donnerstimme; er muß uns ja geradezu zum Gehorsam des Glaubens bringen — oder aber er wirft den Starrsinn des Widerstrebenden stärker als mit Blitzesgewalt darnieder! Es sollen doch all die naseweisen Richter herkommen, deren höchstes Vergnügen es ist, die Ehrfurcht vor der Schrift sich und anderen aus dem Herzen zu reißen! Sie sollen das Johannesevangelium lesen: da werden sie, ob sie wollen oder nicht, tausend Sprüche finden, welche sie aus ihrer Trägheit aufreißen, ja ihrem Gewissen ein Brandmal eindrücken, um ihrem Gelächter ein Ende zu machen! Ebenso verhält es sich mit Paulus und Petrus. Mögen viele Menschen für ihre Schriften blind sein, so wirkt doch darin die himmlische Majestät selber und hält alle Leser gebunden und gefangen! Allein dies Eine erhebt ihre Lehre hinlänglich über alle Welt, daß Matthäus, zuvor an sein Zollhaus gebunden, und Petrus und Johannes, zuvor in ihren Fischerbooten beschäftigt, lauter völlig ungelehrte Leute waren und in der Menschen Schule nichts erfahren hatten, das sie anderen hätten weitergeben können. Paulus aber, der aus einem erklärten Feinde, ja aus einem wütenden und blutdürstigen Verfolger zu einem neuen Menschen bekehrt wurde, der zeigt sich in plötzlicher und unerwarteter Veränderung auf einmal von himmlischem Befehl getrieben, die Lehre zu vertreten, die er zuvor bekämpft hatte! Mögen jene Hunde leugnen, daß der Heilige Geist auf die Apostel gekommen sei, mögen sie der Geschichte gar die Glaubwürdigkeit absprechen — die Sache selbst verkündet laut genug, daß Menschen, die zuvor im Volke gering und verachtet waren und nun plötzlich über die himmlischen Geheimnisse so großartig zu reden anfingen, vom Heiligen Geist gelehrt sein mußten!
Aber es gibt auch sonst noch gute Gründe, weshalb die übereinstimmende Lehre der Kirche ihr gutes Gewicht hat. Es ist nämlich auch nicht geringzuachten, daß seit der Abfassung und Kundmachung der Schrift so viele Völker durch so viele Jahrhunderte sich ihr beständig im Gehorsam unterworfen haben, und daß die Schrift, obwohl der Satan und die ganze Welt sie mit allerhand Praktiken zu unterdrücken, zu verkehren, gar zu tilgen und aus dem Gedächtnis der Menschen auszureißen versucht haben, sich stets wie eine Palme wieder aufgerichtet hat und siegreich geblieben ist. Es war ja kaum ein Sophist, kein Redner von bedeutenderer geistiger Fähigkeit, der nicht seine Kraft gegen sie gerichtet hätte; aber sie haben doch alle nichts erreicht. Die Macht der ganzen Erde wurde aufgeboten, sie zu vernichten — aber alle Anschläge wurden zu Rauch! Wie sollte dieses Buch, so kräftig von allen Seiten angegriffen, widerstehen können, wenn es bloß von Menschen geschützt würde? Ja, dadurch erweist die Schrift ihre Herkunft von Gott noch klarer, daß sie sich gegen alle widerstrebenden Anstrengungen der Menschen aus eigener Kraft erhoben hat! Dazu kommt, daß nicht bloß eine Stadt, ein Volk sich verband, die Schrift anzunehmen. Nein, soweit die Erde geht, da haben sich Völker, die sonst nichts Gemeinsames haben, in heiligem Bunde ihrer Autorität gebeugt. Solch gemeinsames Tun so verschiedener Geister, die in allen anderen Dingen einander völlig ungleich sind, muß uns gewiß aufs höchste ergreifen: denn es ist offenbar nur durch himmlische Kraft zustandegebracht. Aber diese Erwägung gewinnt noch an Gewicht, wenn wir auf die Frömmigkeit derer achten, die sich so zusammentaten, freilich nicht aller, sondern derjenigen, durch welche des Herrn Kirche nach seinem Willen wie aus Lichtern erstrahlen sollte.
Mit welcher Gewißheit dürfen wir einer Lehre ergeben sein, die wir durch das Blut so vieler heiliger Männer bestätigt und bezeugt sehen! Diese sind für diese Lehre, nachdem sie sie angenommen hatten, ohne Zögern mutig und unerschrocken, ja mit großer Freudigkeit in den Tod gegangen. Wie sollten da wir, was uns mit solchem Pfand überliefert ist, nicht mit gewisser und unerschütterlicher Überzeugung annehmen? Es ist also keine geringe Bekräftigung der Schrift, daß sie im Blute so vieler Zeugen versiegelt ist, vor allem wenn wir in Betracht ziehen, daß diese in den Tod gegangen sind, um Zeugnis abzulegen, nicht in schwärmerischem Ungestüm, wie das zuweilen irrende Geister tun, sondern mit festem und beharrlichem, aber besonnenem Eifer für Gott.
Es gibt noch andere Gründe, die weder an Zahl noch an Beweiskraft gering sind, durch welche die Würde und Majestät der Schrift gottesfürchtigen Menschen gegenüber bestätigt und erst recht gegen die Künste der Lästerer ausgezeichnet verteidigt werden könnte. Aber all diese Gründe vermögen doch nicht aus sich, der Schrift festen Glauben zu erwirken, ehe nicht der himmlische Vater selbst durch Offenbarung seiner Macht und Gottheit in ihr allem Streit ein Ende setzt. Deshalb wird die Schrift erst dann wirklich zu heilsamer Erkenntnis Gottes genügen, wenn die an ihr entstehende Gewißheit im inneren Zeugnis des Heiligen Geistes begründet ist. All die menschlichen Zeugnisse, die zur Bekräftigung ihrer Wahrheit dienen können, werden dann nicht wirkungslos sein, wenn sie jener wichtigsten und höchsten Begründung sozusagen als Hilfsstützen für unsere Schwachheit nachfolgen. Töricht handelt aber, wer den Ungläubigen beweisen will, die Schrift sei Gottes Wort. Denn das kann ohne den Glauben nicht erkannt werden! Deshalb stellt Augustin mit Recht fest, daß Frömmigkeit und Friede der Seele voraufgehen muß, wenn der Mensch von solchen Sachen etwas verstehen soll (Vom Nutzen des Glaubens, 18).
Wer die Schrift verwirft und sich dann irgendeinen Weg erträumt, um zu Gott zu kommen, der ist nicht eigentlich dem Irrtum, sondern der Raserei verfallen. So sind neuerdings einige Schwindelköpfe aufgetreten, die sich hochmütig für geisterfüllte Lehrer ausgeben — aber sie verachten alles Lesen der Schrift und machen sich über die Einfalt derer lustig, die nach ihrer Meinung an toten und tötenden Buchstaben hangen. Ich möchte nur fragen, was das denn für ein Geist sei, durch dessen Wehen sie so hoch daherfahren, daß sie die Lehre der Schrift als kindisch und unwesentlich zu verachten sich erkühnen! Sollten sie antworten, das sei Christi Geist, so ist das lächerliche Verblendung. Denn sie werden ja dann doch wohl zugeben, daß die Apostel Christi und die anderen Gläubigen in der Urkirche von keinem anderen Geiste erleuchtet gewesen sind. Aber dieser Geist hat keinen von ihnen die Verachtung des Wortes Gottes gelehrt, sondern sie haben nur größere Verehrung gelernt, wie ihre Schriften deutlichst bezeugen. So war es schon vom Propheten Jesaja vorhergesagt. Wenn er nämlich ausspricht: „Mein Geist, der in dir ist, und meine Worte, die ich in deinen Mund gelegt habe, sollen nicht von deinem Munde weichen noch von dem Mund deines Samens ewiglich“ (Jes. 59,21), so bindet er das Volk des Alten Bundes nicht an eine äußerliche Lehre, als ob es noch in den Anfangsgründen steckte, nein, er lehrt, das werde das rechte und volle Heil der neuen Gemeinde unter der Herrschaft Christi sein, daß sie nicht weniger durch das Wort Gottes als durch den Geist regiert würde! Hier wird deutlich, daß jene Windbeutel in schändlichem Frevel auseinanderreißen, was der Prophet zu unverletzlicher Einheit verbunden hat. Man muß hierzu noch beachten, daß Paulus, der doch bis in den dritten Himmel entzückt worden ist, nicht aufhörte, in der Lehre des Gesetzes und der Propheten fortzuschreiten, wie er denn auch den Timotheus, einen Lehrer von so einzigartiger Vorbildlichkeit, zum Festhalten am Lesen der Schrift ermahnt (1. Tim. 4,13). Und wie denkwürdig ist das Lob, das er der Schrift darbringt, wenn er sagt, sie sei „nützlich zur Lehre, zur Ermahnung, zur Besserung, daß ein Knecht Gottes vollkommen sei ...“ (2. Tim. 3,16)! Was ist es doch für ein teuflischer Wahn, von einer bloß zeitlichen und vorübergehenden Geltung der Schrift zu phantasieren — wo sie doch die Kinder Gottes bis zum äußersten Ziele führt! Auch sollten doch jene Schwärmer angeben, ob sie eigentlich einen anderen Geist empfangen haben als den, den der Herr seinen Jüngern verheißen hat. Ich glaube zwar, daß sie vom tollsten Wahn gequält sind — aber das in Anspruch zu nehmen, so toll werden sie doch nicht sein! Was war das aber für ein Geist, den Christus verhieß? Einer, der „nicht von ihm selber redete“ (Joh. 16,13), sondern der ihnen lebendig einprägte, was er selbst ihnen durch das Wort übermittelt hatte! Das Amt des Geistes, der uns verheißen ist, besteht also nicht darin, neue und unerhörte Offenbarungen zu erdichten oder eine neue Lehre aufzubringen, durch die wir von der überlieferten Lehre des Evangeliums abkommen müßten — sondern sein Amt ist eben, die Lehre in uns zu versiegeln, die uns im Evangelium ans Herz gelegt wird!
Daraus folgt leicht die Erkenntnis: wir müssen das Lesen und Erforschen der Schrift mit Eifer betreiben, wenn wir vom Geiste Gottes Nutzen und Frucht empfangen möchten. So lobt ja auch Petrus den Eifer derer, welche an dem prophetischen Wort festhalten — obwohl man doch hätte meinen können, dies habe nach dem Aufgang des Evangeliums aufgehört! (2. Petr. 1,19). Wenn uns aber — so merken wir weiter — irgendein Geist, mit Hintansetzung der Weisheit des Wortes Gottes, eine andere Lehre aufdringen will, so steht dieser notwendig und mit Recht unter dem Verdacht des Betrugs und der Lüge! Denn der Teufel kann sich in einen Engel des Lichts verwandeln, was soll deshalb ein Geist für Autorität bei uns haben, wenn er nicht durch die gewissesten Kennzeichen ausgewiesen ist? Nun gibt uns aber das Wort des Herrn solche Kennzeichen völlig klar an; nur daß jene elenden Menschen, die freiwillig in ihr Unheil rennen, den Geist lieber bei sich selber als bei Gott suchen! Aber sie wenden nun ein, es sei unwürdig, wenn der Geist Gottes, dem doch alles Untertan ist, der Schrift unterworfen sei. Als ob es eine Schande für den Heiligen Geist wäre, sich überall gleich zu sein, in allem dauernd mit sich übereinzustimmen und niemals zu wechseln! Würde er nach der Richtschnur von Menschen oder Engeln oder nach sonst einer Regel beurteilt, dann könnte man wirklich sagen, er würde gemeistert oder, wenn man will, geknechtet. Aber er wird doch nur mit sich selbst verglichen, an sich selbst gemessen — wer kann dann behaupten, ihm widerführe eine Beleidigung? Freilich wird er auf solche Weise einer Prüfung unterworfen — aber doch nur so, wie er selbst seine Majestät unter uns hat bestätigen wollen! Uns muß es genug sein, daß er sich uns offenbart. Aber damit nicht unter seinem Namen der Geist des Satans einschleiche, so will er an seinem Bilde, das er der Schrift aufdrückte, erkannt werden. Er ist der Urheber der Schrift — so kann er nicht wechseln und sich selber ungleich werden! Wie er aber dort einmal sich zeigte, so muß er fort und fort bleiben! Das ist keine Schande für ihn — es sei denn, daß wir etwa meinten, es bringe einem Ehre, von sich selber zu weichen und zu entarten!
Wenn sie dann lästern, wir seien dem Buchstaben ergeben, der da töte, so kommt darin die Strafe für ihre Verachtung der Schrift schon zum Vorschein. Denn an der Stelle (vom Buchstaben, der da tötet: 2. Kor. 3,6) streitet Paulus offenkundig gegen falsche Apostel, die das Gesetz ohne Christus lehrten und auf diese Weise dem Volke die Segnung des Neuen Bundes entzogen, in dem der Herr ja nach seiner Verheißung sein Gesetz den Gläubigen ins Innere eingraben und es ihnen ins Herz schreiben will. Da ist freilich der Buchstabe tot, da tötet das Gesetz des Herrn seine Leser, wo man es von Christi Gnade löst und nur mit den Ohren vernimmt, das Herz aber unberührt läßt. Aber wenn es durch den Geist in unsere Herzen kräftig eingedrückt wird, wenn es uns Christum zeigt, dann ist es Wort des Lebens, das die Seelen umwandelt, den Geringen Weisheit gibt usw. So nennt denn der Apostel seine Verkündigung an derselben Stelle das „Amt des Geistes“ (2. Kor. 3,8), und damit zeigt er: Der Heilige Geist ist mit seiner Wahrheit, die er in der Schrift kundgemacht hat, derart verbunden, daß er erst dann seine Kraft äußert und erweist, wenn man sein Wort mit gebührender Ehrfurcht und Achtung vor seiner Würde aufnimmt. Damit steht es nicht im Widerspruch, wenn wir oben zeigten, daß das Wort selbst uns nicht recht gewiß werden könne ohne die Bekräftigung durch das Zeugnis des Geistes. Denn der Herr hat die Gewißheit seines Wortes und seines Geistes wechselseitig fest verknüpft. So kommt es einerseits erst dann in unserem Herzen zu einer festen Bindung an das Wort, wenn der Geist uns entgegenstrahlt, der uns darin Gottes Antlitz schauen läßt. Und andererseits empfangen wir den Geist ohne alle Furcht vor Täuschung, wenn wir ihn an seinem Bilde, an dem Wort wiedererkennen. So verhält es sich in der Tat. Gott hat uns sein Wort nicht zu flüchtigem Anschauen gegeben, um es dann sogleich durch die Sendung des Geistes wieder abzuschaffen, sondern er sandte denselben Geist, kraft dessen er zuvor das Wort ausgeteilt hatte, um sein Werk durch wirksame Bestätigung seines Wortes zu vollenden. Auf diese Weise öffnete Christus jenen beiden (Emmaus-) Jüngern das Verständnis der Schrift (Luk. 24,27), nicht damit sie ohne die Schrift aus sich selber klug würden, sondern damit sie die Schrift erkennten. So will auch Paulus die Thessalonicher, wenn er sie ermahnt, den Geist nicht zu dämpfen (1. Thess. 5,19.20), nicht etwa zu leerem Gedankenspiel, abseits vom Wort, erheben, fondern er fügt sogleich hinzu, sie sollten „die Weissagung nicht verachten“. Damit will er sicherlich andeuten, daß das Licht des Geistes gedämpft wird, wo man die Weissagung verachtet. Was wollen hierzu nun die aufgeblasenen Schwärmer sagen, die allein das für die einzige erhabene Erleuchtung halten, was sie schnarchend erträumt und mit keckem Dünkel aufgegriffen haben, nachdem sie in ihrer Selbstsicherheit Gottes Wort Übergängen und ihm Valet gesagt haben? Die Kinder Gottes müssen eine ganz andere Nüchternheit walten lassen. Sie sehen, daß sie ohne Gottes Geist ohne alles Licht bleiben, und darum wissen sie sehr wohl, daß das Wort das Organ ist, durch welches der Herr den Gläubigen die Erleuchtung seines Geistes zuteil werden läßt. Sie kennen keinen anderen Geist als den, der in den Aposteln wohnte und aus ihnen redete, und was er ihnen sagt, das ruft sie immerdar zum Hören des Wortes zurück!
Bisher haben wir gelehrt, daß sich die Kunde von Gott, die uns im Weltgebäude und in aller Kreatur nicht undeutlich entgegentritt, doch vertrauter und auch klarer im Worte erschließt. So müssen wir jetzt erwägen, ob der Herr sich uns in der Schrift ebenso darstellt, wie wir ihn zuvor in seinen Werken abgeprägt sahen. Das wäre freilich ein reicher Stoff, wenn man ihn genau behandeln wollte. Aber ich will mich damit begnügen, einen Fingerzeig zu geben. So können fromme Menschen erfahren, was man in der Schrift als wichtigste Lehre von Gott suchen soll, und auf diese Weise zu einem klaren Richtpunkt (scopus) für ihre Nachforschung kommen. Ich rede noch nicht von dem besonderen Bund, durch den Gott Abrahams Geschlecht über die übrigen Völker erhob. Denn indem er solche, die zuvor Feinde waren, durch gnädige Erwählung als seine Kinder annahm, erschien er schon damals als Erlöser. Wir haben es dagegen vorerst noch mit der Kunde zu tun, die sich auf die Schöpfung der Welt beschränkt und sich noch nicht zu Christus dem Mittler erhebt. Freilich muß ich gleich einige Stellen aus dem Neuen Testament anführen; denn auch dort wird die Macht Gottes des Schöpfers und seine Vorsehung bei der Erhaltung der ersten Schöpfung bezeugt. Aber ich muß doch die Leser daran erinnern, was ich hier behandeln möchte, damit sie nicht über die gesetzte Grenze hinausgehen. Für jetzt soll es uns genügen, zu betrachten, wie Gott, der Schöpfer Himmels und der Erden, die von ihm geschaffene Welt regiert. Mitunter wird aber auch seine väterliche Güte und seine Bereitwilligkeit zum Wohltun gerühmt, es werden auch Beispiele seiner Strenge überliefert, die ihn als gerechten Vergelter des Frevels darstellen, besonders wo seine Langmut gegen Verhärtete nicht mehr hilft.
An gewissen Stellen finden sich besonders deutliche Beschreibungen, in welchen uns sein Antlitz wie in einem Bilde lebendig entgegentritt. Mose beschreibt es, und er scheint dabei kurz haben zusammenfassen zu wollen, was wir Menschen von Gott wissen sollen. „Herr, Herr, Gott“, sagt er, „barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue, der da bewahrt Gnade in tausend Glieder und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, vor welchem niemand unschuldig ist; der die Missetaten der Väter heimsucht auf Kinder und Kindeskinder ...“ (Ex. 34,6f.; Calvin zitiert in der zweiten Person). Hier wird seine Ewigkeit und sein in sich selbst bestehendes Wesen (autousia) dadurch verkündigt, daß der herrliche Name zweimal wiederholt wird. Dann werden seine Tugenden aufgezählt, die ihn uns beschreiben — nicht wie er an sich selber ist, sondern wie er sich zu uns stellt, so daß seine Erkenntnis in lebendiger Empfindung und nicht in leerer und hochfliegender Spekulation besteht. Wir hören: hier werden die Tugenden aufgezählt, die uns, wie wir bereits bemerkten, von Himmel und Erde her entgegenstrahlen: Freundlichkeit, Güte, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Gericht, Wahrheit. Denn Kraft und Macht (die hier nicht erwähnt sind) werden unter dem Gottesnamen „Elohim“ (Gott) zusammengefaßt.
Mit den gleichen Benennungen bezeichnen ihn auch die Propheten, wenn sie seinen heiligen Namen recht verherrlichen wollen. Um nicht viele Stellen anführen zu müssen, wollen wir uns vorderhand mit der Nennung eines einzigen Psalms begnügen, in welchem seine Tugenden so vollkommen aufgeführt werden, daß nichts ausgelassen scheint: Psalm 145. Und trotzdem: hier wird nichts genannt, was nicht auch an der Kreatur erschaut werden könnte! So lernen wir unter Anleitung der Erfahrung Gott als denselben kennen, als der er sich uns im Worte offenbart. An einer Stelle bei Jeremia, wo er kundmacht, wie er von uns erkannt werden will, gibt er zwar keine ebenso vollständige, aber in der Sache ganz übereinstimmende Beschreibung: „Wer sich rühmt, der rühme sich des, daß er mich kenne und wisse, daß ich der Herr bin, der ich Barmherzigkeit, Gericht und Gerechtigkeit übe auf Erden“ (Jer. 9,23). Diese drei sind uns vornehmlich zu wissen nötig: seine Barmherzigkeit, auf der allein unser Heil beruht, sein Gericht, das er alle Tage gegen die Frevler übt und für die Zukunft als ein ewiges Verderben in Aussicht stellt, und seine Gerechtigkeit, in der er die Gläubigen erhält und mit Güte segnet. Wer diese Stücke erfaßt hat, der hat nach diesem Zeugnis der Schrift genug, um sich Gottes rühmen zu können! Dabei wird jedoch seine Wahrheit, seine Macht, seine Heiligkeit, seine Güte keineswegs übergangen. Wie sollte denn das Wissen um seine Gerechtigkeit, seine Barmherzigkeit und sein Gericht, wie es hier erfordert wird, bestehen können, wenn es nicht auf seiner unbeweglichen Wahrheit beruhte? Und wie sollte man glauben, daß die Erde von seinem Gericht und seiner Gerechtigkeit gelenkt wird, wenn man nicht seine Kraft kennt? Woher kommt denn die Barmherzigkeit anders, als aus der Güte? Wenn endlich alle seine Wege Barmherzigkeit, Gericht und Gerechtigkeit sind, so wird darin auch seine Heiligkeit offenbar. Übrigens ist die Erkenntnis Gottes, die uns in der Schrift vor Augen gestellt wird, auf keinen anderen Zielpunkt ausgerichtet als diejenige, deren Spuren uns aus der Kreatur entgegenleuchten. Wir werden nämlich erstlich zur Gottesfurcht und dann weiter zum Gottvertrauen angeleitet, um ihn mit vollkommener Unschuld des Lebens und nicht mit erheucheltem Gehorsam verehren zu lernen und ganz an seiner Güte zu hangen!
Hier wollen wir aber den Hauptinhalt der ganzen Lehre zusammenfassen. Zuerst möge deshalb der Leser erkennen, daß die Schrift, um uns zu dem wahren Gott zu leiten, alle Götter der Heiden ausdrücklich verwirft und ausschließt, weil fast zu allen Zeiten die wahre Religion verfälscht worden ist. Zwar war der Name des einen Gottes überall bekannt und gerühmt. Denn wenn die, welche einen ganzen Schwärm von Göttern verehrten, aus ursprünglichem natürlichem Empfinden heraus redeten, so brauchten auch sie einfach den Namen „Gott“, als ob sie mit einem einzigen Gott zufrieden wären. Das hat Justin der Märtyrer fein bemerkt, der sein Buch „Von der Alleinherrschaft Gottes“ zu dem Zweck verfaßt hat, aus zahlreichen Zeugnissen zu erweisen, daß die Einheit Gottes allen Menschen ins Herz gegraben ist. Auch Tertullian zeigt das aus dem allgemeinen Sprachgebrauch. Aber da alle Menschen ohne Ausnahme in ihrer Eitelkeit zu falschen Erdichtungen sich verleiten ließen und auf solche Weise ihr Erkennen verfinsterten, so brachte alles das, was sie von Natur an Kunde von dem einzigen Gott besaßen, nur zuwege, daß sie unentschuldbar waren. Denn auch die Weisesten unter ihnen verraten deutlich, wie eitel und töricht ihre Gedanken sind, wenn sie nach der Hilfe irgendeines Gottes ausschauen und dann ungewisse Götter anrufen. Auch haben sie sich verschiedenerlei Wesensformen (Naturen) Gottes erdacht, und wenn sie auch weniger abgeschmackt als das rohe Volk von Jupiter, Merkur, Venus, Minerva und den anderen Göttern redeten, so waren auch sie vor den Täuschungen des Satans keineswegs geschützt, und wir haben ja an anderer Stelle bereits gezeigt: was sich die Philosophen in ihrer Spitzfindigkeit auch für Ausflüchte ersonnen haben, so können sie doch den Vorwurf des Abfalls nicht von sich abwaschen, weil sie alle Gottes Wahrheit verderbt haben. Deshalb fordert Habakuk, nachdem er alle Götzen verdammt hat, auf, Gott in seinem Tempel zu suchen (Hab. 2,20), damit die Gläubigen keinen Gott annähmen als den, der sich in seinem Worte geoffenbart hat.
Die Schrift redet gewiß, um dem rohen und beschränkten Verständnis der Menschen entgegenzukommen, von Gott allgemein in schlichter Weise. Wo sie ihn von den falschen Göttern unterscheiden will, da stellt sie ihn deshalb besonders den Götzen entgegen. Damit erkennt sie nicht etwa die feinere und geschicktere Lehre der Philosophen an, sondern sie will nur die Torheit der Welt um so besser enthüllen, ja diesen Wahnsinn, dem man erliegt, wenn auf der Suche nach Gott jeder seinen eigenen Spekulationen nachhängt! Wenn die Schrift Gott allgemein ganz für sich allein beschreibt und alle sonstige „Gottheit“ in der Welt scharf von ihm fernhält, so macht sie damit alles zunichte, was sich die Menschen aus eigenem Gutdünken an Göttern hergestellt haben: denn Gott allein ist vollgültiger Zeuge von sich selbst.
Nun hat aber der rohe Unsinn die ganze Welt ergriffen, daß man eine sichtbare Gestalt Gottes haben will und sich deshalb aus Holz, Stein, Gold, Silber oder sonstigem totem und vergänglichem Stoff Götter bildet; darum wollen wir als Grundsatz festhalten: Gottes Ehre wird in frevlerischem Betrug angegriffen, wo man ihm irgendwelche äußere Gestalt andichtet. Nachdem sich deshalb Gott im Gesetz die Ehre der Gottheit allein zugesprochen, fügt er, um zu zeigen, welche Art der Verehrung er billigt und welche er verwirft, gleich hinzu: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen ...“ (Ex. 20,4). Damit hält er unsere Frechheit im Zaum und verbietet uns jeden Versuch, ihn in irgendeinem sichtbaren Bilde darzustellen. Alle Formen zählt er auf, in denen der Aberglaube schon damals seine Wahrheit in Lüge zu verkehren angefangen hatte. Wir wissen ja auch, daß die Perser die Sonne angebetet haben; soviel Sterne die törichten Heiden am Himmel sahen, soviel Götter erdachten sie sich. Es gab fast kein Tier, das die Ägypter nicht als Gottesbild verwendet hätten. Die Griechen schienen klüger zu sein als andere, da sie Gott unter menschlicher Gestalt verehrten (Maximus Tyrius, Philosophoumena II,3). Aber Gott macht unter den Bildern keinen Unterschied, als ob etwa das eine doch besser passend sei als das andere, sondern er verwirft ohne Ausnahme alle Götzenstandbilder, alle gemalten Idole und alle anderen Zeichen, unter denen der Aberglaube Gottes Nähe zu besitzen wähnt.
Das kann man leicht aus den Gründen entnehmen, die Gott jenem Verbot beigibt. So spricht er zu Mose: „Gedenke, was der Herr dir im Tale am Horeb gesagt hat; seine Stimme hast du gehört, aber seine Gestalt nicht gesehen. Darum sieh dich vor, daß du dich nicht verführen lässest, dir irgendein Bildnis zu machen ...“ (Deut. 4,15; nicht Luther). Wir sehen, wie Gott sein Wort klar allen Bildern und Gestaltungen entgegensetzt, damit wir wissen: wer eine sichtbare Gestalt Gottes haben will, der fällt von ihm ab! Aus den Propheten mag allein Jesaja angeführt werden, der mit besonderem Nachdruck hierauf den Finger legt, um zu lehren, daß Gottes Majestät in ungeziemender und schändlicher Einbildung in den Schmutz gezogen wird, wenn er, der Leiblose, in körperlichem Stoff, der Unsichtbare in sichtbarem Bildwerk, der Geist in seelenlosem Dinge, der Unermeßliche und Unendliche in einem Stück geringem Holz oder Stein oder Gold dargestellt wird (Jes. 40,18; 41,7.29; 45,9; 46,5). Ebenso urteilt auch Paulus: „Sind wir denn göttlichen Geschlechts, so sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen, silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht“ (Apg. 17, 29). Es steht also fest: was je an Standbildern errichtet oder an Bildern gemalt wird, um Gott darzustellen, das mißfällt ihm stracks als Schändung seiner Majestät. Dann ist es aber auch nicht verwunderlich, daß der Heilige Geist, der solches vom Himmel her kundmacht, auch gelegentlich auf Erden arme, blinde Götzendiener zum gleichen Bekenntnis zwingt! Bekannt ist jene Klage des Seneca, die man bei Augustin liest: „Die heiligen, unsterblichen, unverletzlichen Götter verehren sie im gemeinsten und unedelsten Stoff, ziehen ihnen das Gewand von Menschen und Tieren an, manche denken sie zweigeschlechtlich oder aus zweierlei Leibern zusammengesetzt, und sie nennen das Götter, was, wenn es Leben hätte und einem begegnete, als Ungeheuer gelten müßte“ (Augustin, Vom Gottesstaat, Buch 6, Kap. 10). Hieraus wird wiederum klar, daß die Verteidiger der Bilder sich mit fauler Sophisterei helfen, wenn sie einwenden, das Gebot der Bilderverehrung sei (bloß) den Juden wegen ihres Hangs zum Aberglauben gegeben worden. Als ob sich das, was Gott aus seinem ewigen Wesen und der unauflöslichen Ordnung der Natur offenbart, bloß auf ein einziges Volk beziehen könnte! Zudem wendet sich Paulus in der eben angeführten Rede, in der er dem Irrtum einer Abbildung Gottes entgegentritt, ja gar nicht an Juden, sondern an die Athener!
Nun hat gewiß Gott zuweilen seine heilige Gegenwart so enthüllt, daß es heißt, er sei „von Angesicht zu Angesicht“ gesehen worden. Aber alle Zeichen, die er je gewährte, waren ganz dazu angetan, das Volk zu belehren, und gemahnten die Menschen zugleich deutlich an die Unbegreiflichkeit seines Wesens. Denn es traten Wolken und Flammen auf und legten, obwohl sie Merkzeichen seiner himmlischen Herrlichkeit sind, zugleich aller Zudringlichkeit den Zaum an, um die Menschen an jedem Versuch zu hindern, höher vorzustoßen (Deut. 4,11). Deshalb ist nicht einmal dem Mose, dem sich Gott doch vertrauter zeigte als allen anderen, auf seine Bitten hin gewährt worden, sein Angesicht zu schauen; vielmehr empfing er die Antwort, solchen Glanz könne kein Mensch ertragen (Ex. 33,20). Gewiß erschien der Heilige Geist in Gestalt einer Taube (Matth. 3,16). Aber er verschwand doch gleich wieder, und so handelt es sich bei seiner Erscheinung offenbar um ein flüchtiges Merkzeichen, durch das die Gläubigen ermahnt werden sollen, an den Heiligen Geist als den Unsichtbaren zu glauben, damit sie, mit seiner Kraft und Gnade zufrieden, sich keine äußere Darstellung erdenken möchten. Daß Gott zuweilen in Menschengestalt erschien, das war das Vorspiel der künftigen Offenbarung in Christus. Dies durften also die Juden keinesfalls als Vorwand mißbrauchen, um sich ein Zeichen der Gottheit unter Menschengestalt zu machen. Auch der „Gnadenstuhl“, von dem aus sich Gott zur Zeit des Gesetzes wirksam gegenwärtig erwies, war so gestaltet, daß er andeutete, das beste Anschauen der Gottheit sei, wenn sich die Seelen in Bewunderung über sich erheben. Bedeckten ihn doch die Cherubim mit ausgebreiteten Flügeln, verdeckte ihn doch der Vorhang — ja, die Lade schon machte ihn verborgen! (Ex. 25,17.18.21). Es ist deshalb offenkundiger Wahn, wenn man versucht, Bilder Gottes oder der Heiligen mit dem Beispiel dieser Cherubim zu verteidigen. Was bedeuteten denn in aller Welt diese Bilder anders, als daß Bilder untüchtig seien, die Geheimnisse Gottes darzustellen? Sie waren doch dazu bestimmt, mit ihren Flügeln den „Gnadenstuhl“ zu verhüllen, auf diese Weise den menschlichen Augen und allen Sinnen den Anblick Gottes zu verwehren und so aller Verwegenheit sich entgegenzustellen! Und wenn die Propheten die ihnen in ihren Gesichten gezeigten Seraphim mit verhülltem Angesicht darstellen (Jes. 6,2), so zeigen sie dadurch an, daß der Glanz der göttlichen Herrlichkeit so stark ist, daß ihn auch die Engel nicht unmittelbar anzuschauen vermögen, und daß selbst die zarten Fünkchen, die an den Engeln erstrahlen, unserem Auge entzogen werden müssen. Außerdem wird von allen, die recht urteilen, anerkannt, daß die Cherubim, von denen hier die Rede ist, zur damaligen Erziehung unter dem Gesetz gehören. Deshalb ist es widersinnig, sie als Beweis für unsere Zeit anführen zu wollen. Denn das kindliche Zeitalter — wenn ich mich so ausdrücken darf —, dem solche Anfangsgründe zugewiesen waren, ist vergangen! Es ist wirklich beschämend, daß weltliche Schriftsteller bessere Ausleger des Gesetzes Gottes sind als die Papisten. So wirft Juvenal den Juden höhnisch vor, sie verehrten leere Wolken und des Himmels Gottheit. Das ist gewiß verkehrt und gottlos geredet, aber es liegt, da Juvenal die Existenz eines Götterbildes bei den Juden bestreitet, immerhin mehr Wahrheit darin als in dem Gerede der Papisten, es sei irgendein sichtbares Abbild Gottes vorhanden gewesen! Nun ist freilich das Volk oft genug so hitzig und schnell dazu übergegangen, sich Götzen zu verschaffen, wie wenn aus einer großen Quelle das Wasser mit gewaltiger Wucht hervorbricht. Aber daraus sollen wir doch vielmehr lernen, wie groß unser angeborener Hang zum Götzendienst ist, damit wir nicht die Schuld für ein allgemeines Verderben auf die Juden schieben und selbst in todbringendem Schlaf den eitlen Lockungen der Sünde erliegen!
Eben darauf zielt das Wort: „Die Bilder der Heiden sind Silber und Gold, von Menschenhänden gemacht“ (Ps. 115,4; 135,15). Denn aus der Stofflichkeit folgert der Prophet, daß Bilder von Gold und Silber nicht Götter sein können; des weiteren setzt er als unwidersprochen voraus, daß, was wir selbst von Gott erdacht haben, ein törichtes Gebilde ist. Er nennt aber Gold und Silber lieber als Lehm und Stein, damit nicht Glanz und Wert den Götzenbildern Ehre verschaffe. Jedoch zieht er allgemein den Schluß, es sei nichts unglaublicher, als daß man aus irgendwelchem toten Stoff Götter machen könne. Nicht weniger aber besteht er darauf, daß der Mensch, der Gottes Ehre den Götzen zu geben wagt, von ganz toller Vermessenheit sich treiben läßt, da er doch selbst den flüchtigen Odem in jedem Augenblick seines Lebens leihweise empfängt. Der Mensch muß sich selbst als Geschöpf eines einzigen Tages bekennen — und er will ein Metall, dem er erst selbst die Göttlichkeit beilegt, für Gott gehalten wissen! Denn woher stammen die Götzen anders, als aus menschlichem Gutdünken? Da besteht der Spott des weltlichen Dichters ganz zu Recht: „Ein Feigenklotz, ein wenig nützes Holz war ich, als einst der Zimmermann, unschlüssig, was aus mir werden sollte, ein Schemel oder sonst ein Ding — zum Gott mich lieber machen wollte.“ (Horaz).
So will der Mensch, das Erdengebild, der fast in jedem Augenblick sein Leben ausatmet, mit seiner Kunst Gottes Namen und Gottes Ehre auf einen toten Klotz übertragen! Indessen ist jener Horaz in seinem tollen Spott ein Epikuräer, und er fragt nach keiner Religion; deshalb wollen wir seine und seinesgleichen Scherzreden fahren lassen. Besser soll uns der Ernst des Propheten treffen, ja durchbohren, wenn er den Wahnsinn der Menschen züchtigt, die aus dem gleichen Holz sich wärmen, den Ofen heizen, Brot backen, Fleisch kochen und braten — und sich einen Gott machen, vor dem sie sich anbetend niederwerfen! (Jes. 44,12ff.) Deshalb wirft er ihnen an anderer Stelle ihre Schuld nicht nur auf Grund des Gesetzes vor, sondern hält ihnen zugleich tadelnd vor Augen, daß sie auch aus den Urgründen der Erde nicht die erforderliche Lehre gezogen hätten (Jes. 40,21) — da doch nichts so widersinnig sei, als Gott, den Unermeßlichen und Unbegreiflichen, auf ein Maß von fünf Fuß beschränken zu wollen. Und dennoch zeigt die Erfahrung, daß diese ungeheure Verirrung, die doch offenkundig gegen die Ordnung der Natur geht, dem Menschen natürlich ist! — Es ist weiter zu bemerken, daß die Schrift dem Aberglauben immer wieder mit der Bemerkung entgegentritt, er sei das „Werk von Menschenhänden“, das der göttlichen Beglaubigung entbehrt (Jes. 2,8; 31,7; 57,10, Hos. 14,4, Micha 5,12). Damit soll ganz unerschütterlich feststehen, daß alle Arten der Gottesverehrung, die die Menschen sich ausdenken, ein Greuel sind. Mit heftigem Zorn tritt der Prophet im Psalm (115) dagegen auf, daß Menschen von toten und fühllosen Dingen Hilfe erwarten, denen doch Gott soviel Verstand gegeben hat, daß sie wissen: es wird alles durch Gottes Kraft bewegt und regiert! Aber die Völker wie auch jeden einzelnen für sich allein treibt ja die Verderbnis der Natur zu solchem Wahnsinn, und deshalb donnert am Schluß der Heilige Geist mit schrecklichem Fluch: „Wer so tut und auf dergleichen sein Vertrauen setzt, der möge jenen (Götzenbildern, die doch tot sind) gleich werden!“ (Ps. 115,8; Luther etwas anders). Auch muß man wohl beachten, daß das „Gleichnis“ nicht weniger untersagt wird als das „Bildnis“. So erweist sich der törichte Vorwand der Griechen (= Ostkirche) als falsch: diese meinen, sie hätten alles Verlangte getan, wenn sie Gott nicht in Werken der Bildhauerkunst darstellen — während sie sich in gemalten Bildern schlimmer als irgendwelche anderen Völker die Zügel schießen lassen. Aber der Herr verbietet nicht bloß, daß ihm vom Bildhauer ein Bildnis gemacht werde, sondern er will überhaupt von keinem Künstler gebildet werden; denn solche Abbildung geschieht verkehrt und unter Verachtung seiner Majestät.
Nun kenne ich sehr wohl die allgemein mehr als gebräuchliche Redeweise, die Bilder seien „der Laien Bücher“. Das hat Gregor (Papst Gregor I.) gesagt. Der Heilige Geist aber lehrt uns ganz etwas anderes, und wenn sich Gregor an diesem Stück in seiner Schule hätte unterrichten lassen, so hätte er diesen Ausspruch nie getan. Denn wenn Jeremia erklärt, ein Holz lehre nur unnütze Dinge (Jer. 10,3), wenn Habakuk das (Götzen-)Gebild einen Lügenlehrer nennt (Hab. 2,18), dann ist doch daraus ganz allgemein zu entnehmen, daß alles nichtig, ja lügenhaft ist, was der Mensch von den Bildern lernen könnte. Wenn nun jemand einwenden wollte, die Propheten träten doch gegen solche Leute auf, welche die Bilder zu gottlosem Aberglauben mißbrauchten, so gebe ich das zwar zu, aber ich füge hinzu, was jedermann einleuchtet, nämlich daß jene (die Propheten) gerade das voll und ganz verurteilen, was bei den Papisten geradezu als sicherer Grundsatz gilt, nämlich, daß die Bilder an die Stelle von Büchern treten könnten. Denn die Propheten setzen dem wahren Gott die Bilder entgegen, als Dinge, die in schroffem Gegensatz zu ihm stehen und nie mit ihm übereinkommen können! Dieser Gegensatz (zwischen Gott und den Bildern) findet sich an den oben angeführten Stellen: da es der eine und wahre Gott war, den die Juden verehrten, so war es verkehrt und falsch, sichtbare Gestalten zu bilden, die Gott darstellen sollten — und alle, die von da her Gotteserkenntnis erwarteten, ließen sich jämmerlich betrügen. Wäre die aus den Bildern gewonnene Gotteserkenntnis nicht trügerisch und verkehrt, dann würden sie die Propheten nicht so allgemein verdammen. Wenn wir also lehren, daß es Eitelkeit und Lüge ist, wenn der Mensch versucht, Gott in Bildern darzustellen, so geben wir bloß wörtlich wieder, was die Propheten ausgesagt haben!
Man lese auch, was hierüber Lactantius und Eusebius geschrieben haben. Sie erklären grundsätzlich, daß Wesen, die man in Bildern abgebildet sehen kann, notwendig sterblich sein müssen. Auch Augustin urteilt nicht anders. Er erklärt nicht nur die Anbetung von Bildern für Frevel, sondern auch das Unterfangen, sie Gott zu weihen. Damit spricht er nichts anderes aus, als was viele Jahre zuvor das Konzil zu Elvira (im Jahre 306) zum Beschluß erhoben hatte. Denn dessen 36. Kanon lautet: „In den Tempeln (Kirchen) sollen keine Gemälde sein, damit nicht an die Wände gemalt werde, was man verehren oder anbeten soll.“ Aber in besonderer Weise ist denkwürdig, was Augustin aus Varro anführt und selbst völlig unterschreibt: „Die zuerst Bildnisse der Götter einführten, die haben den Menschen die (Gottes-)Furcht weggenommen und ihnen dafür den Irrtum gegeben.“ (Vom Gottesstaat 4,9; 31,2). Hätte das bloß Varro gesagt, so hätte es vielleicht wenig Autorität. Aber auch dann müßte es uns doch billig beschämen, daß ein Heide, obwohl im Dunkeln tappend, doch Licht genug geschaut hat, um einzusehen, daß körperliche Bilder der Majestät Gottes unwürdig sind, weil sie unter den Menschen die Ehrfurcht vor ihm vermindern und den Irrtum vergrößern. Die Sache selbst bezeugt, daß dies ebenso wahr wie weise geredet ist, und Augustin, der den Ausspruch aus Varro entlehnt, bringt ihn als seine eigene Meinung vor. Er erinnert zunächst daran, daß die ersten Irrtümer über Gott, in die sich die Menschen verstrickt haben, nicht bei den Götzenbildern ihren Anfang hatten, daß sie aber dann, nachdem sie (eben an den Bildern) weitere Nahrung gefunden, kräftig zunahmen. Dann zeigt er, wie jene (von Varro behauptete) Minderung oder gar Aufhebung der Furcht Gottes eben deshalb erfolge, weil seine Gottheit durch die Narrheit der Bildnisse und durch ungeziemende und widersinnige Darstellung leicht in Verachtung gerate. Das letztere bestätigt die Erfahrung nur allzusehr! Wer also recht belehrt werden will, der muß anderswo als bei den Bildern lernen, was man von Gott wissen muß!
Wenn also die Papisten noch einige Scham in sich haben, so mögen sie sich fürderhin nicht mehr der Ausflucht bedienen, die Bilder seien „der Laien Bücher“ — denn das wird allzu deutlich in vielen Zeugnissen der Schrift widerlegt. Aber wenn ich es ihnen trotz allem zugäbe, so würden sie in der Verteidigung ihrer Götzen doch nicht viel gewinnen. Denn es ist ja bekannt, was für Ungeheuer sie an Gottes Statt setzen! Und die Gemälde und Bildsäulen, die sie den Heiligen errichten — was sind die anders als Musterbilder der verderbtesten Üppigkeit und Schamlosigkeit? Würde sich einer nach solchem Vorbild wirklich richten, der wäre Prügelns wert! Die Dirnen in ihren Hurenwinkeln sind schamhafter und züchtiger bekleidet als das, was die Papisten in ihren Kirchen für Bilder von Jungfrauen gehalten wissen wollen! Auch den Märtyrern geben sie keine anständigere Gewandung. Deshalb sollen sie ihre Götzen zuerst einmal etwas anständiger darstellen, damit sie etwas sittsamer lügen können, das seien Bücher von irgendwelcher Heiligkeit!
Aber selbst dann werden wir noch antworten, dies sei nicht die rechte Art und Weise, das gläubige Volk an geheiligter Stätte zu unterweisen: denn Gott will, daß das Volk mit einer ganz anderen Lehre als mit solchen Narrenpossen unterrichtet werde! Er stellt allen Menschen die eine, gemeinsame Lehre vor Augen und läßt sie in der Predigt seines Wortes und den heiligen Sakramenten unterweisen. Solche Menschen aber, die ihre Augen umherschweifen lassen, um die Bilder zu beschauen, können auf diese Lehre nicht die gebührende Aufmerksamkeit verwenden!
Was für Menschen sind das aber auch, welche die Papisten „Laien“ nennen, deren Unwissenheit bloß mit Bildern sollte behoben werden können? Es sind doch die, welche der Herr als seine Jünger anerkennt, die er der Offenbarung seiner himmlischen Lehre (philosophia) würdigt, die er in den heilsamen Geheimnissen seines Reiches will erziehen lassen! Nun mögen es freilich, wie die Dinge liegen, heutzutage wenige sein, die solche Bücher entbehren können! Aber ich frage: woher kommt denn diese Unwissenheit anders, als daher, daß man diese Menschen der Lehre beraubt hat, die allein geschickt war, sie zu bilden? Wenn die Vorsteher der Kirche den Bildern das Lehramt übertragen haben, so geschah das aus keinem anderen Grunde, als weil sie selber — stumm waren: Paulus bezeugt, daß durch die wahre Predigt des Evangeliums Christus abgemalt, ja sozusagen vor unseren Augen gekreuzigt wird! (Gal. 3,1). Wozu also soviele Kreuze überall in den Kirchen, aus Holz und Stein, Silber und Gold? Man hätte sie gewiß nicht aufzurichten brauchen, wenn man treulich gepredigt hätte, daß Christus den Tod erlitten hat, um am Kreuze für uns den Fluch zu tragen, um unsere Sünde mit dem Opfer seines Leibes zu sühnen, mit seinem Blute abzuwaschen und uns mit dem Vater zu versöhnen! Aus diesem einen hätte man mehr lernen können als aus tausend hölzernen oder steinernen Kreuzen — denn auf die goldenen und silbernen richten die Geizhälse ihre Augen doch vielleicht steifer als auf irgendein Wort Gottes!
Was den Ursprung der Götzenbilder betrifft, so hält man allgemein die Darstellung im Buche der Weisheit für richtig (Weisheit 14,15), nämlich: Urheber der Götzenbilder seien solche Menschen gewesen, die den Verstorbenen eine derartige Ehre erwiesen, daß sie schließlich ihr Gedächtnis abergläubisch verehrten. Nun glaube ich gewiß auch, daß dieser verkehrte Brauch sehr alt ist, ich will auch nicht leugnen, daß er wie eine Fackel gewirkt hat, um den wilden Hang der Menschen zum Götzendienst noch mehr anzufachen. Aber ich gebe nicht zu, daß dies die Quelle solchen Übels sei. Denn daß es schon früher Götzen gab, bevor überhaupt jene Sucht, den Verstorbenen zu ihrem Gedächtnis Bilder zu weihen, recht aufkam, von der ja bei den weltlichen Schriftstellern öfters die Rede ist, das geht aus Mose hervor. Dieser berichtet (Gen. 31,19), daß Rahel ihres Vaters Götzen stahl — und redet dabei wie von einem allgemein verbreiteten Laster. Daraus geht hervor, daß der Menschengeist zu allen Zeiten sozusagen eine Werkstatt von Götzenbildern gewesen ist. Seit der Sintflut kam es gewissermaßen zu einer Neugeburt der Welt — aber es gingen wenig Jahre dahin, bis die Menschen sich nach ihrem Gelüste Götzenbilder herstellten! Es ist wohl glaublich, daß noch zu Lebzeiten des heiligen Erzvaters (Noah) seine Enkel dem Götzendienst verfielen, so daß er mit eigenen Augen unter bitterstem Schmerz gewahren mußte, wie die Erde mit Götzen verunreinigt wurde — obwohl doch Gott kurz zuvor ihre Verderbnis in so schrecklichem Gericht ausgefegt hatte! Denn Tharah und Nahor waren schon vor der Geburt des Abraham Verehrer falscher Götter, wie Josua bezeugt (Jos. 24,2). Wenn schon das Geschlecht des Sem so schnell abfiel, was sollen wir dann erst von den Nachkommen des Ham sagen, die doch schon zuvor in ihrem Vater verflucht waren? Es ist tatsächlich so: der Menschengeist, voll Hochmut und Vermessenheit, wagt sich einen Gott nach seinem Fassungsvermögen auszudenken, und weil er von Schwachsichtigkeit befallen, ja von scheußlichster Unwissenheit umhüllt ist, so erfaßt er in Wirklichkeit an Gottes Statt ein nichtiges Ding, ja ein eitles Gespenst!
Zu solchen Übeln kommt dann neuer Frevel, insofern der Mensch Gott nun auch mit dem Werk darzustellen versucht, so wie er ihn innerlich ersonnen. Der Geist nämlich erzeugt das Götzenbild, die Hand gebiert es! Der Ursprung des Götzendienstes besteht, wie das Beispiel der Israeliten zeigt (Ex. 32,1ff.), darin, daß der Mensch nicht glaubt, Gott werde ihm zur Seite stehen, wenn er sich nicht leiblich als gegenwärtig darstellt. „Wir wissen nicht“, so sagten die Israeliten, „was diesem Mose zugestoßen ist. Mache uns Götter, die vor uns hergehen.“ Sie wußten wohl, daß Gott sei, und sie hatten ja seine Kraft an soviel Wundern selbst erfahren. Aber sie glaubten nicht, er sei ihnen nahe, wenn sie nicht mit eigenen Augen ein körperliches Merkzeichen seines Angesichts sähen, das ihnen die Leitung durch Gott verbürgte. An einem ihnen vorangehenden Bilde wollten sie also erkennen, daß Gott ihr Führer auf der Wanderung sei! Auch die alltägliche Erfahrung bezeugt, daß das Fleisch stets unruhig ist, bis es ein Gebild seinesgleichen erhascht hat, dessen es sich als eines Bildes Gottes töricht getrösten könne. Um diesem blinden Gelüste zu frönen, haben die Menschen zu allen Zeiten fast seit Erschaffung der Welt Zeichen errichtet, in welchen sie Gott vor ihren fleischlichen Augen zu schauen wähnten!
Solcher Herstellung von Bildwerken folgt dann alsbald die Anbetung. Da die Menschen in ihren Bildern Gott anzuschauen vermeinten, so erwiesen sie ihm auch dort Verehrung. Da sie nun mit Seele und Auge ganz an die Bilder gefesselt waren, so begannen sie schließlich immer mehr in tierisches Wesen zu verfallen und staunten sie bewundernd an, als ob etwas Göttliches darin wäre. Gewiß ist, daß die Menschen zur Anbetung der Bilder erst dann fortschreiten, wenn sich schon ein größerer Wahn ihrer bemächtigt hat. Sie meinen dann freilich nicht eben, die Bilder seien Götter, sondern bilden sich ein, es wohnte in ihnen irgendeine göttliche Kraft. Ob man sich nun die Kreatur oder Gott im Bilde darstellt: sobald man sich zur Verehrung niederwirft, ist man von irgendeinem Wahnglauben bezaubert! Aus diesem Grunde hat Gott nicht nur verboten, ihm Standbilder zu errichten, die ihn selbst darstellen sollen, sondern auch, ihm Inschriften oder Steine zu weihen, die etwa zur Anbetung aufgestellt würden! Deshalb redet auch das Gebot des Gesetzes in seinem zweiten Teil von der Anbetung. Denn sobald man Gott eine sichtbare Gestalt angedichtet hat, legt man dieser auch seine Kraft bei. Die Menschen sind so betört, daß sie Gott an das binden, was sie zu seiner Abbildung geschaffen haben — und dann ist die Anbetung die unvermeidliche Folge! Dabei macht es nun gar nichts aus, ob man einfach das Götzenbild anbetet, oder Gott in dem Götzenbild. Denn es ist stets Götzendienst, wenn man dem Bilde, gleich unter was für einem Vorwande, göttliche Ehre erweist. Und weil Gott nicht abergläubisch verehrt werden will, so wird ihm geraubt, was man den Götzen gibt. Das sollten sich alle die merken, welche zur Verteidigung des verfluchten Götzendienstes, durch den schon seit Jahrhunderten die wahre Religion ertränkt und erstickt worden ist, nach elenden Vorwänden haschen! So sagt man: die Bilder werden ja gar nicht für Götter gehalten! So völlig unwissend waren die Juden wahrhaftig nicht, daß sie etwa, bevor sie das Kalb machten, vergessen hätten, daß es Gott war, durch dessen Hand sie aus Ägyptenland geführt worden waren! Als Aaron sagte: „Das sind deine Götter, die dich aus Ägyptenland ausgeführt haben“, da sagten sie unerschrocken „ja“ dazu und bezeugten damit ohne allen Zweifel, sie wollten den Gott, der ihr Befreier war, behalten — nur wollten sie ihn in dem Kalbe vorangehen sehen! Man soll doch auch die Heiden nicht für so dumm halten, daß sie etwa nicht wüßten, daß ein Gott etwas anderes sei denn Holz oder Stein. Denn sie veränderten die Bilder nach Gutdünken, behielten aber die Götter stets gleich in ihrer Seele. Auch hatte ein Gott viele Bilder, aber man erdachte sich doch deshalb nicht eine dementsprechende Menge von Göttern. Außerdem weihten die Heiden alle Lage neue Bilder; aber sie dachten nicht daran, damit etwa neue Götter zu machen. Man sollte die Entschuldigungen lesen, die nach Augustins Bericht von den Götzendienern seiner Zeit vorgewendet wurden. Wenn man sie anklagte, so gaben die Unklugen durchweg die Antwort, sie verehrten doch nicht das Sichtbare, sondern die Gottheit, die dort unsichtbar wohne! Und wer — nach Augustins Worten — eine reinere Religionsübung hatte, der gab an, weder das Bild, noch den Götzen zu verehren, sondern im leiblichen Bilde Merkzeichen dessen zu suchen, was man verehren müsse (Augustin, Zu Psalm 113). Was ergibt sich daraus? Alle Götzendiener, ob Juden oder Heiden, waren nicht anders gesinnt, als ich geschildert habe: mit der geistlichen Erkenntnis nicht zufrieden, meinten sie aus den Bildern eine nähere und gewissere zu empfangen. Nachdem ihnen aber einmal diese abergläubische Darstellung Gottes gefallen hatte, gab es kein Ende mehr, bis sie, durch wiederholte Gaukeleien getäuscht, zu der Meinung kamen, Gott übe in den Bildern seine Kraft aus. Trotzdem waren die Juden überzeugt, den ewigen Gott, den einigen, wahren Herrn Himmels und der Erde in solchen Bildern zu verehren, und auch die Heiden meinten so ihren Göttern Verehrung zu erweisen, die zwar falsche Götter waren, von denen sie aber doch glaubten, daß sie im Himmel wohnten.
Wer nun meint, das sei vor Zeiten geschehen, komme aber zu unseren Tagen nicht mehr vor, der lügt unverschämt. Weshalb wirft man sich denn vor den Bildern nieder? Weshalb wendet man sich mit Bitten an sie wie an Gottes Ohr? Denn es ist doch wahr, was Augustin sagt: keiner schaue ein Bild in Gebet und Anbetung an, der nicht innerlich von dem Glauben erfüllt sei, von ihm erhört zu werden, oder von der Hoffnung, es werde ihm geschenkt, was er erbitte! (Augustin, Zu Psalm 113). Weshalb macht man unter den Bildern desselben Gottes einen solchen Unterschied, daß man das eine übergeht oder bloß auf gewöhnliche Weise achtet, das andere aber mit allerlei großartiger Ehrung geradezu verfolgt? Weshalb ermüdet man sich in feierlich gelobten Wallfahrten, um Bilder zu schauen, die doch jeder selbst ähnlich zu Hause hat? Weshalb kämpft man noch heutzutage für sie wie für Haus und Herd, bis zu Mord und Totschlag? Man würde sich sogar leichter den einigen Gott entreißen lassen als seine Götzenbilder! Und dabei führe ich nicht einmal die groben Irrtümer des Volkes auf, die beinahe ohne Ende sind und fast alle Herzen besessen halten. Ich zähle nur auf, was gerade die bekennen, die sich am meisten von dem Vorwurf des Götzendienstes reinigen möchten! Wir nennen sie doch gar nicht unsere Götter, sagen sie. Auch Juden und Heiden nannten sie ehedem nicht so, und doch hörten die Propheten nicht auf, ihnen Hurerei mit Holz und Steinen vorzuwerfen — und das bloß um desselben Frevels willen, der alle Tage von Leuten geschieht, die für Christen gehalten werden wollen. Dieser Frevel bestand darin, daß man Gott in Holz und Stein fleischlich verehrte!
Indessen weiß ich sehr wohl, und es soll auch nicht verschwiegen werden, daß sie sich mit einer sehr spitzfindigen Unterscheidung zu helfen suchen, auf die ich später noch näher eingehen will (vgl. Kap. 12,2). Sie behaupten nämlich, die Verehrung, die sie ihren Bildern erweisen, sei Bilderdienst (Idodulie), leugnen aber, es sei Bilderverehrung (Idolatrie). Dieser „Dienst“, sagen sie, könne ohne Beleidigung Gottes Standbildern und Gemälden zuteil werden. So meinen sie unschuldig zu sein, da sie ja nur Diener, nicht aber Verehrer der Bilder seien! Als ob verehren nicht im Grunde gar etwas weniger wäre als Dienen! Und während sie hinter dem griechischen Wort einen Schlupfwinkel suchen, widersprechen sie sich doch selbst auf ganz kindische Weise. Denn da das griechische „latreuein“ (von dem „Idolatrie“ herkommt) nichts anderes bedeutet als „Verehrung erweisen“, so bedeutet das, was sie sagen, soviel, als wenn sie behaupten wollten, sie verehrten ihre Bilder, aber ohne Verehrung! Sie dürfen aber auch nicht sagen, ich versuchte sie in Worten zu fangen; sie bringen ja selbst, während sie einfachen Leuten Sand in die Augen zu streuen versuchen, ihre Unwissenheit ans Licht. So beredt sie auch sein mögen, sie werden uns doch mit aller Beredsamkeit nie zu beweisen vermögen, daß ein und dieselbe Sache zweierlei Sache sei! Sie sollen den Unterschied in der Sache nachweisen, damit man sie von den alten Götzendienern unterscheiden kann! Denn wie ein Ehebrecher oder Mörder der Anklage nicht dadurch entgeht, daß er seinem Verbrechen einen anderen Namen gibt, so wäre es auch widersinnig, wenn sie durch Unterstellung eines spitzfindig erdachten Namens von dem Vorwurf des Götzendienstes freikämen, wo sie sich doch in der Tat von den Götzendienern nicht unterscheiden, die sie notgedrungen selbst verdammen müssen! Aber sie können sich von der Sache der Götzendiener gar nicht trennen, ja, der verkehrte Wetteifer mit ihnen ist gerade der Ursprung des ganzen Übels; denn sie erfinden aus eigenem Geiste die Merkzeichen (symbola), unter denen sie sich Gott vorstellen wollen, und fertigen sie mit eigener Hand an.
Gewiß will ich nicht etwa in abergläubischer Scheu behaupten, man dürfe überhaupt keine Bilder haben. Aber weil Bildhauerkunst und Malerei Gottes Geschenke sind, so fordere ich reinen und rechtmäßigen Gebrauch dieser Künste, damit nicht, was uns Gott zu seiner Ehre und unserem Nutzen zuteil werden ließ, durch verkehrten Gebrauch befleckt werde oder gar zu unserem Verderben führe. Gott in sichtbarer Gestalt abzubilden, halten wir für unrecht, weil er es selbst untersagt hat und weil es nicht ohne Entstellung feiner Herrlichkeit geschehen kann. Aber man soll nicht meinen, wir stünden mit dieser Überzeugung allein. Denn man wird finden, daß alle besonnenen Kirchenlehrer derartiges mißbilligt haben — sofern man ihre Werke kennt. Wenn es nun schon unerlaubt ist, Gott in sichtbarer Gestalt darzustellen, so ist es noch viel weniger erlaubt, das Bild an Stelle Gottes oder Gott im Bilde zu verehren. Es soll also nur das gemalt oder gebildet werden, was unsere Augen fassen können. Aber Gottes Majestät, die weit über alle Wahrnehmung der Augen hinausgeht, darf nicht durch unwürdige Schaubilder entweiht werden. Zu jener (erlaubten) Art von Bildern gehören Geschichten und Geschehnisse und auch körperliche Bilder und Gestalten ohne Bezug auf alles Geschichtliche. Die ersteren haben zur Belehrung und Ermunterung einen Nutzen. Was die zweite Gruppe außer der Ergötzung noch für Nutzen haben soll, sehe ich nicht. Und doch waren gerade von dieser Art fast alle Bilder, die bisher in den Kirchen sich befanden. Daraus geht hervor, daß sie nicht aus wohlerwogenem Urteil, sondern in törichter und unüberlegter Gier dort aufgestellt wurden. Hierbei übergehe ich, wie verkehrt und schamlos oft die Darstellungen sind, wie ungehemmt sich die Maler oder Bildhauer oft haben gehen lassen; denn davon habe ich bereits oben gesprochen. Ich meine nur, daß diese Darstellungen auch dann zur Lehre untauglich wären, wenn sie von diesen Fehlern frei wären.
Aber wir wollen auch diese Unterscheidung fahren lassen und ein wenig darüber nachdenken, ob es gut ist, in den Kirchen überhaupt irgendwelche Bilder zu haben — gleichviel ob nun geschichtliche Darstellungen oder menschliche Bildnisse. Zuerst wollen wir uns — sofern uns die Autorität der Alten Kirche überhaupt etwas bedeutet! — ins Gedächtnis rufen, daß durch ungefähr fünfhundert Jahre hindurch die christlichen Kirchen allgemein ohne alle Bilder waren. Und das war eine Zeit, in der die Religion vorzüglich blühte und eine reinere Lehre waltete! Die Bilder sind also erst zu einer Zeit zum Schmuck der Kirchen herbeigeholt worden, als die Reinheit des kirchlichen (Lehr-)Amtes bereits erheblich in Verfall geraten war. Ich will nicht darüber streiten, was für Gründe die ersten Urheber dieses Brauchs hatten, vergleicht man aber Zeitalter mit Zeitalter, so wird man sehen, daß sie wesentlich von der (in der Lehre bestehenden) Lauterkeit der älteren Zeit abgewichen waren, die ohne Bilder ausgekommen war. Sollte man denn auch wirklich glauben können, die heiligen Väter hätten die Kirche so lange eine Sache entbehren lassen, die sie für nützlich und heilsam hielten? Nein, weil sie in ihr nichts oder nur wenig Nützliches, wohl aber sehr viel Gefährliches erblickten, deshalb haben sie sie nicht in Unwissenheit und Nachlässigkeit fahren lassen, sondern mit Absicht und guten Gründen verworfen. Dafür ist Augustinus ein klarer Zeuge. „Wenn die Bilder ihren Platz in ehrenvoller Höhe erhalten, damit sie von den Betenden und Opfernden gesehen werden, so ergreifen sie, obwohl sie selbst ohne Empfinden und ohne Seele sind, doch durch ihre Ähnlichkeit mit belebten Gliedern und Sinnen die einfältigen Seelen derart, daß sie zu leben und zu atmen scheinen ... (Brief 102). Und an anderer Stelle schreibt er: „Die äußere Gestalt der Glieder hat zur Folge, ja erzwingt es, daß die Seele, die doch selbst im Leibe lebt, auf den Gedanken kommt, der Leib, den sie vor sich sieht, sei auch beseelt, weil er dem eigenen so ähnlich sieht ...“ (Zu Ps. 113). Kurz darauf: „Die Bilder dienen vielmehr dazu, die arme Seele niederzudrücken — da sie einen Mund, Augen, Ohren und Beine haben —, als sie zu bessern — da sie weder sprechen, noch sehen, noch hören, noch gehen“ (Zu Ps. 113). Dies ist dann auch wohl sicher der Grund gewesen, weshalb Johannes uns nicht nur vor der Verehrung der Bilder, sondern auch vor den Bildern selbst warnt (1. Joh. 5,21). Und wir haben inmitten des schrecklichen Irrwahns, der bisher die Welt zum Untergang fast aller wahren Religion beherrschte, mehr als genug die Erfahrung gemacht, daß, sobald Bilder in den Kirchen zur Aufstellung kommen, diese zum Zeichen des Götzendienstes werden — denn die Torheit der Menschen kann kein Maß halten und verfällt sofort in rein abergläubische Verehrung! Aber wenn auch nicht soviel Gefahr dabei wäre, so weiß ich doch, wenn ich überlege, zu welchem Zweck die Kirchen bestimmt sind, nicht, wie es ihrer Heiligkeit anders als zur Unehre ausschlagen könnte, andere Bilder in sich aufzunehmen als jene lebendigen und klaren, die der Herr in seinem Worte eingesetzt hat. Ich meine damit die Taufe und das Mahl des Herrn mit den anderen Zeremonien, von denen unsere Augen stärker angezogen und lebendiger ergriffen werden sollten, als daß sie noch andere nötig hätten, die Menschenkunst geschaffen hat!
Das also ist das unvergleichliche Gut der Bilder, das angeblich durch nichts ersetzt werden kann — wenn man den Papisten glauben wollte!
Meines Erachtens wäre von diesen Dingen genug geredet, wenn nun nicht das Konzil von Nicäa (787) da wäre und gewissermaßen Hand an mich legte! Nicht etwa das berühmte, das Konstantin der Große versammelte, sondern jenes, das auf Befehl und Anregung der Kaiserin Irene vor achthundert Jahren gehalten wurde. Dies Konzil nämlich hat beschlossen, die Bilder seien in den Kirchen nicht bloß zu dulden, sondern auch anzubeten! Was ich nun auch gesagt haben mag — die Autorität der Synode könnte meinen Worten gegenüber doch ein großes Gegengewicht darstellen! Um die Wahrheit zu sagen, liegt mir an der Sache nur soviel, daß der Leser einmal klar sehen kann, wohin der wütende Eifer solcher Leute führt, deren Sucht nach Bildern größer ist, als einem Christen gebührt. Wir wollen aber zuerst von folgendem sprechen. Wer heute den Gebrauch der Bilder verteidigen will, der beruft sich auf dieses Konzil von Nicäa. Es gibt nun aber eine Gegenschrift unter dem Namen Karls des Großen, deren Schreibart verrät, daß sie zur gleichen Zeit verfaßt worden ist. Da werden die Aussprüche der Bischöfe, die auf dem Konzil anwesend waren, und auch ihre Beweisgründe angeführt. So sagte Johannes, der Abgesandte der morgenländischen Kirchen: „Gott hat den Menschen ihm zum Bilde geschaffen“ — und daraus schließt dann der Mann, man müsse also Bilder haben! Auch meinte er, der Spruch: „Zeige mir dein Angesicht, weil es schön ist“ (Hoheslied 2,14; nicht Luthertext) empfehle uns die Bilder. Ein anderer wollte die Aufstellung der Bilder auf den Altären begründen und führte dazu als Zeugnis an: „Niemand zündet ein Licht an und setzet es unter einen Scheffel“ (Matth. 5,15). Wieder ein anderer wollte zeigen, daß der Anblick der Bilder uns nützlich sei — und brachte den Psalmvers heran: „Herr, erhebe über uns das Licht deines Antlitzes!“ (Ps. 4,7). Ein anderer trug folgendes Gleichnis vor: Wie die Erzväter die Opfer der Heiden benutzt haben, so müssen auch die Christen Heiligenbilder haben statt der Götzen der Heiden! In dieselbe Richtung zerrten sie das Wort: „Herr, ich habe lieb die Ehre deines Hauses“ (Ps. 26,8; nicht Luthertext). Ganz besonders geistreich ist die Auslegung des Spruches: „Wie wir gehört haben, so haben wir es gesehen“ (1. Joh. 1,1; ungenau) in diesem Sinne. Gott werde — so „erklärte“ man diese Stelle — nicht bloß durch das Hören seines Wortes erkannt, sondern auch durch das Anschauen der Bilder! Von ähnlichem Scharfsinn ist der Ausspruch des Bischofs Theodor: „Gott ist wunderbar in seinen Heiligen (Ps. 68,36; griech. Text); aber an anderer Stelle heißt es: . . den Heiligen, so auf Erden sind (Ps. 16,3). Also bezieht sich dieser Spruch notwendig auf die Bilder!“ Aber diese Dummheiten sind derart erbärmlich, daß es mich verdrießt, sie wiederzugeben.
Bei der Frage wegen der Anbetung brachte man als Beispiel die (angebliche) Anbetung vor dem Pharao (Gen. 47,10), die Anbetung des Stabes Josephs (Gen. 47,31 nach dem griechischen Text) und des von Jakob errichteten Denksteins (Gen. 28,18) vor. Und dabei verdrehte man in dem letzten Punkt nicht nur den Sinn der Schrift, sondern raffte noch auf, was nirgendwo zu lesen steht. Weiter führte man an: „Betet an den Schemel seiner Füße“ (Ps. 99,5) oder „Betet an zu seinem heiligen Berge“ (Ps. 99,9) oder „Dein Antlitz werden anflehen alle Reichen im Volke“ (Ps. 45,13). Das schienen diesen Männern lauter zuverlässige und passende Beweise zu sein! Wollte jemand zum Spott die Bilderverteidiger in einer lächerlichen Rolle darstellen — könnte er dann größere und tollere Dummheiten erdenken?! Und damit gar kein Zweifel übrigbleibe, verteidigt der Bischof Theodosius von Mira die Anbetung der Bilder so ernstlich durch Träume seines Archidiakons, als ob er ein himmlisches Orakel vorbrächte! Nun mögen die Beschützer der Bilder ruhig kommen und uns mit dem Beschluß der Synode bekämpfen! Als ob nicht jene verehrungswürdigen Väter allen Anspruch auf Glaubwürdigkeit durch ihre kindische Behandlung und gottlose, niederträchtige Zerreißung der Schrift verloren hätten!
Jetzt komme ich auf derartig ungeheuerliche Äußerungen der Gottlosigkeit, daß man sich doch über die Kühnheit wundern muß, mit der sie dergleichen aussprachen — wobei allerdings doppelt verwunderlich ist, daß man ihnen nicht mit allgemeinem und schärfstem Abscheu widersprochen hat. Aber es ist doch nützlich, diese frevlerischen Torheiten wiederzugeben, damit dem Bilderdienst wenigstens der Schein des hohen Alters, den ihm die Papisten beilegen möchten, genommen werde. Da schleudert der Bischof Theodosius von Amorium sein Anathema gegen alle, die die Bilder nicht anbeten wollen. Ein anderer führt alle damaligen Nöte Griechenlands und des Orients auf das Verbrechen zurück, daß man die Bilder nicht angebetet habe! Was müssen dann erst die Propheten, Apostel und Märtyrer für Strafe verdienen, zu deren Zeiten es überhaupt nicht einmal Bilder gab? Dann fügt man hinzu: nahe man sich schon dem Bilde des Kaisers mit Räucherwerk und Duftopfern — wieviel mehr gebühre diese Ehre den Standbildern der Heiligen! Der Bischof Constantius von Constantia auf Cypern verspricht, die Bilder mit höchster Ehrerbietung zu behandeln, und versichert, ihnen die nämliche Verehrung geben zu wollen, die der lebendigmachenden Dreieinigkeit zukomme! Sollte sich einer weigern, das gleiche zu tun, den verflucht er und verwirft ihn gleich Manichäern und Marcioniten! Damit man nicht meine, das sei die bloß private Ansicht eines einzigen Mannes, stimmten die übrigen dieser Rede zu. Ja, Johannes, der Abgesandte der Ostkirche, den die Hitze der Begeisterung über alle Grenzen trieb, behauptet, es sei besser, alle Hurenhäuser in die Stadt aufzunehmen, als den Bilderdienst abzulehnen! Schließlich kam man allgemein zu dem Beschluß: unter den Ketzern seien die Samaritaner die schlimmsten — schlimmer aber als die Samaritaner seien die Bestreiter der Bilderverehrung! Damit nun der Posse ihr feierlicher Schluß („Klatschet“) nicht abgehe, fügte man die Formel hinzu: „Es mögen sich freuen und frohlocken, welche Christi Bild besitzen und ihm Opfer darbringen!“ Wo war da noch die Unterscheidung zwischen „Dienst“ und „Verehrung“, mit der man Gott und Menschen immer so gern täuschen möchte? Das Konzil gibt den Bildern ohne Ausnahme dasselbe wie dem lebendigen Gott.
Wir haben eingangs ausgesprochen, daß die Erkenntnis Gottes nicht in kaltem Gedankenspiel besteht, sondern Gottes Verehrung mit sich bringt. Auch haben wir beiläufig bemerkt, wie Gott recht verehrt werden soll — was an anderer Stelle noch genauer auszuführen sein wird. Jetzt wiederhole ich nur in Kürze: Sooft die Schrift betont, daß nur ein einziger Gott ist, streitet sie nicht um den bloßen Namen, sondern schreibt auch vor, daß auf nichts anderes das übertragen werden soll, was der Gottheit zukommt. Eben daran wird der Unterschied zwischen reiner Religion und Aberglauben offenbar. Das griechische Wort „Eusebeia“ (Frömmigkeit) bedeutet sicher dasselbe wie „rechte Gottesverehrung“. Denn die Griechen hatten, obwohl sie immerzu blind im Finstern tappten, doch das Empfinden, es müsse eine gewisse Regel festgehalten werden, damit nicht Gott auf verkehrte Art verehrt würde. Das lateinische Wort „religio“ (Religion) leitet Cicero wahr und geistreich von relegere (wiederholt etwas lesen) ab. Aber die von ihm vorgebrachte Begründung dafür ist doch gezwungen und weit hergeholt. Er führt nämlich für seine Ableitung an, daß echte Verehrer der Gottheit immer wieder läsen und mit Fleiß überdächten, was wahr sei. Ich glaube vielmehr, daß dieses Wort den Gegensatz zu zügelloser Freiheit bezeichnen soll, weil der größte Teil der Welt alles, was sich darbietet, ohne Bedacht an sich nimmt, ja vom einen zum anderen flattert, die Frömmigkeit aber sich in ihren Grenzen sammelt, um fest auf ihrem Weg zu stehen. Ebenso scheint mir der Aberglaube seinen Namen daher zu haben, daß er, nicht zufrieden mit Maß und gesetzter Ordnung, unnütze und eitle Dinge in großen Mengen aufhäuft.
Wir wollen indessen die Worte auf sich beruhen lassen. Es ist, was die Sache selber angeht, zu allen Zeiten allgemein als bekannt angenommen worden, daß die Religion durch Irrtum verdorben und verdreht wird. Daraus schließen wir: alles, was wir in unbedachtem Eifer uns erlauben, ist ohne Wert, und jeder Vorwand, den abergläubische Menschen erheben, ist lächerlich. Obgleich nun dieses Geständnis in aller Munde ist, so zeigt sich doch darin eine schändliche Unwissenheit, daß man weder dem einen Gott anhängt, noch Freude an seiner Verehrung hat, wie ich oben darlegte. Aber Gott will sich sein Recht schaffen und nennt sich darum einen eifrigen Gott, droht auch, strenger Rächer zu sein, wenn man ihn mit irgendeinem erdachten Gott vermischen will. Alsdann beschreibt er die von ihm geforderte Gestalt der Verehrung, um das Menschengeschlecht im Gehorsam zu halten. Dies beides faßt er in seinem Gesetz zusammen: da erhebt er zunächst auf die Gläubigen Anspruch, um ihr einziger Gesetzgeber zu sein; und dann schreibt er die Regel vor, nach der er rechtschaffen und nach seinem Willen verehrt werden soll. Nun werde ich zwar vom Gesetze, weil seine Anwendung und sein Zweck sehr verschiedenartig ist, an seinem Ort zu reden haben. Jetzt berühre ich nur den Teil der Lehre vom Gesetz, der uns zeigt, daß dem Menschen hier ein Zügel angelegt wird, damit er nicht falscher Verehrung sich ergebe. Was ich aber schon oben ausgeführt habe, das muß auch hier festgehalten werden: wenn man nicht dem einigen Gott alles das zu eigen läßt, was göttliche Art ist, dann wird er seiner Ehre beraubt, dann wird seine Verehrung verdorben! Hier muß man nun mit besonderer Aufmerksamkeit darauf achten, mit was für List der Aberglaube umgeht. Denn er fällt nicht so zu anderen Göttern ab, daß er sich etwa merken ließe, daß er den höchsten Gott verläßt oder ihn mit anderen in eine Reihe stellt. Nein, er läßt ihm den höchsten Gott verläßt oder ihn mit anderen in eine Reihe stellt. Nein, er läßt ihm den höchsten Platz — und umgibt ihn bloß mit einem Schwarm von kleineren Göttern, auf die er dann jene Tätigkeiten verteilt, die doch Gott selbst zukommen. So wird denn, listig und verschlagen natürlich, Gottes Ehre zerspalten, damit sie nicht ganz bei ihm allein bleibe. Auf diese Weise haben schon die Alten, Juden wie Heiden, dem Vater und Herrscher der Götter jene ungeheure Schar von Göttern unterstellt, die dann mit ihm gemeinsam, je nach ihrer Art und Stellung, Himmel und Erde regieren sollten. In gleicher Weise sind auch vor einigen Jahrhunderten die Heiligen, die aus diesem Leben geschieden waren, zu Gottes Mitgenossen gemacht worden, daß sie nun an seiner Statt verehrt, angerufen und gepriesen wurden! Wir halten dafür, daß durch derartige Abscheulichkeiten Gottes Majestät nicht nur in den Schatten gestellt, sondern vielmehr großenteils unterdrückt und gar ausgelöscht wird. Höchstens behalten wir dann einen kalten Gedanken von seiner Obergewalt; aber wir verfallen unterdessen, da wir uns durch den Schein, als hielten wir an Gottes Einheit fest, täuschen lassen, in Vielgötterei.
Zu dem Zweck hat man nun auch die Unterscheidung zwischen „Verehrung“ und (bloßem) „Dienst“ aufgebracht: man wollte ungestraft den Engeln und den Toten göttliche Ehren beilegen können. Denn die Verehrung, die die Papisten den Heiligen angedeihen lassen, unterscheidet sich ja tatsächlich offenbar nicht von der Verehrung Gottes; denn man betet ja Gott und die Heiligen durcheinander an — nur, daß sie allen Angriffen mit der Behauptung begegnen, sie gäben doch Gott das Seine, weil sie ihm die „Verehrung“ vorbehielten! Aber es ist hier von der Sache und nicht von der Vokabel die Rede: und wer erlaubt ihnen da, mit solcher Selbstsicherheit in so wichtiger Sache Spielerei zu treiben? Aber — um auch dies zu übergehen — was kommt denn für sie eigentlich bei ihrer Unterscheidung anders heraus, als daß sie einzig und allein Gott „Verehrung“, den anderen aber „Dienst“ erweisen? Denn „latreia“ (Verehrung) bedeutet bei den Griechen genau dasselbe wie cultus (Verehrung) bei den Lateinern, douleia aber bedeutet Dienst, Knechtschaft; trotzdem wird in der Schrift dieser Unterschied oft verwischt. Aber wenn wir selbst zugeben wollten, der Unterschied bliebe gewahrt, so müßte gefragt werden, was die beiden Ausdrücke denn besagen. douleia ist also Dienst, latreia bedeutet Verehrung. Nun wird aber doch kein Mensch bezweifeln, daß Dienst etwas Größeres ist als Verehrung! Denn es wäre oft sehr hart, einem zu dienen, dem man die Verehrung nicht verweigern würde. Eben deshalb ist es eine völlig unangebrachte Verteilung, den Heiligen das Größere zuteil werden zu lassen, Gott aber das Kleinere, Geringere vorzubehalten. Trotzdem bedienen sich viele von den Alten dieser Unterscheidung. Was soll aber werden, wenn alle erkennen, daß sie unangebracht und frivol ist?
Aber wir wollen diese Spitzfindigkeiten jetzt verlassen und uns der Sache selbst zuwenden. Wenn Paulus die Galater daran erinnert, was sie eigentlich für Leute gewesen wären, bevor sie zur Erkenntnis Gottes erleuchtet wurden, so sagt er, sie hätten denen die douleia (den Dienst) erwiesen, die doch von Natur nicht Götter sind (Gal. 4,8). Da verwendet er also nicht das Wort „latreia“ — aber sollte ihr Aberglaube etwa damit entschuldigt sein? Er verdammt jedenfalls seinerseits diesen Aberglauben, den er als „Dienst“ bezeichnet, genau so, als hätte er den Ausdruck „latreia“ (Verehrung) gebraucht! Und wenn Christus dem Satan als Schild das Wort entgegenhält: „Du sollst Gott, deinen Herrn, anbeten ...“ (Matth. 4,10), so war doch dem Namen nach von der latreia gar keine Rede gewesen. Denn der Satan hatte „bloß“ die Proskynesis, die Anbetung verlangt. Wenn Johannes von dem Engel einen Vorwurf empfängt, weil er vor ihm auf die Knie gefallen sei (Apok. 19,10), so dürfen wir nicht annehmen, Johannes sei so töricht gewesen, daß er auf den Engel die Gott allein gebührende Ehre hätte übertragen wollen. Aber jede religiöse Ehrenerweisung hat notwendig etwas an sich, das Gott allein zu kommt, und deshalb konnte Johannes gar nicht vor dem Engel niederfallen, ohne Gottes Ehre etwas zu nehmen. Wir lesen freilich öfters, daß Menschen angebetet worden sind. Aber das war sozusagen eine bürgerliche Ehrung. Mit der Religion ist es etwas anderes: sobald sie mit Verehrung (einer Kreatur) verbunden ist, trägt sie unweigerlich die Entweihung der Ehre Gottes in sich. Das kann man auch an Cornelius sehen (Apg. 10,25). Der war gewiß nicht so wenig in der Frömmigkeit fortgeschritten, daß er Gott nicht die höchste Verehrung zuerkannt hätte. Und wenn er sich vor Petrus niederwarf, so tat er das gewiß nicht in der Meinung, ihn an Stelle Gottes anzubeten. Aber Petrus verbietet es ihm doch scharf! Doch sicherlich deshalb, weil der Mensch niemals so genau zwischen Verehrung Gottes und Verehrung der Kreatur unterscheiden kann, als daß er nicht auf die Kreatur übertrüge, was doch Gott allein gehört! Wollen wir wirklich nur den einen Gott haben, so müssen wir darauf achten, ihm auch nicht das geringste von seiner Ehre zu rauben. Denn er muß behalten, was sein ist. So spricht Sacharja, wo er von der Erneuerung der Kirche redet, deutlich aus, es werde dann nicht nur ein Gott sein, sondern er werde auch nur einen Namen haben (Sach. 14,9). Denn Gott will nichts mit den Götzen gemein haben. Was für eine Verehrung nun Gott verlangt, das wollen wir an anderer Stelle sehen, wenn diese Frage an der Reihe ist. Denn in seinem Gesetz hat er den Menschen gebieten wollen, was vor ihm recht und richtig ist, und sie an eine feste Regel gewiesen, damit sich keiner eine Verehrung nach seinem Gutdünken auszudenken erlaubte! Aber ich will die Leser nicht damit belasten, daß ich allerlei miteinander behandle, und deshalb will ich auf diesen Gegenstand noch nicht kommen. Nur wollen wir das festhalten: Jede religiöse Verehrung, die einem anderen Wesen zuteil wird als dem einigen Gott, ist für Frevel zu achten. So hat der Aberglaube zuerst der Sonne und den anderen Gestirnen und dann den Götzen göttliche Ehren beigelegt. Alsdann folgte der Stolz, der die sterblichen Menschen mit dem zierte, das er Gott raubte, und auf diese Weise alles Heilige entweihte. Und obwohl auch der Grundsatz bestand, man müsse ein höchstes Wesen verehren, kam doch die Gewohnheit auf, den Genien oder den Halbgöttern oder auch den abgeschiedenen Helden Opfer darzubringen. So ist der Verfall zu diesem Frevel derart, daß eine ganze Schar von „Göttern“ das bekommt, was sich doch Gott so streng für sich allein vorbehalten hat!
Was in der Schrift von dem unermeßlichen und geistlichen Wesen Gottes gelehrt wird, das dient nicht nur zur Überwindung des populären Aberglaubens, sondern auch zur Widerlegung der Spitzfindigkeiten unfrommer Philosophie. Einer von den Alten glaubte etwas besonders Tiefsinniges gesagt zu haben, wenn er meinte, Gott sei alles, was wir sehen, und alles, was wir nicht sehen. Er erdachte sich dabei dann eine in alle Teile der Welt ausgegossene Gottheit. Nun redet zwar Gott, um uns besonnen zu halten, sehr zurückhaltend von seinem Wesen. Aber mit den beiden Aussagen, die ich oben (in dem ersten Satz) nebeneinandergestellt habe (unermeßlich, geistlich), macht er solchen tollen Einbildungen ein Ende und setzt der menschlichen Vermessenheit eine Schranke. Denn seine Unermeßlichkeit muß uns abschrecken, ihn nach unserem Maß messen zu wollen, und sein geistliches Wesen verbietet uns, ihm etwas Irdisches und Fleischliches anzudichten. Dahin gehört es auch, daß er oft den Himmel seine Wohnung nennt. Denn obwohl er vermöge seiner Unbegreiflichkeit auch die Erde erfüllt, so läßt er uns doch mit Recht um unserer Faulheit und Untüchtigkeit willen über die Welt hinaus nach oben schauen, weil er ja sieht, wie unsere Sinne in ihrer Schwerfälligkeit an der Erde kleben. Aber hier fällt nun auch der Irrtum der Manichäer zu Boden, die zwei „Prinzipien“ annehmen und so den Teufel fast auf eine Stufe mit Gott stellen. Denn das war nichts anderes als das Unterfangen, Gottes Einheit zu bestreiten und seine Unermeßlichkeit einzuschränken. Sie haben es gewiß gewagt, dafür auch noch Schriftzeugnisse mißbräuchlich anzuführen. Aber das war ja nur ein Zeichen ihrer schändlichen Unwissenheit, wie ja auch ihre Irrlehre selbst einem fluchwürdigen Wahn entsprungen war! Die Anthropomorphiten aber, die sich einbildeten, Gott sei körperlich, weil ja die Schrift ihm häufig Mund, Ohren, Augen, Hände und Füße zuschreibt, sind leicht zu widerlegen. Denn es muß doch einer schon sehr töricht sein, wenn er nicht sieht, daß Gott an solchen Stellen mit uns kindlich redet, wie Ammen mit den Kindlein tun! Solche Ausdrücke wollen deshalb nicht etwa klar darlegen, wie denn Gott beschaffen sei, sondern vielmehr seine Erkenntnis unserer Schwachheit anpassen. Damit das aber möglich ist, muß Gott tief unter seine Erhabenheit heruntersteigen.
Aber Gott bestimmt sein Wesen noch durch ein besonderes Kennzeichen, das es uns ermöglicht, ihn genauer von allen Götzen zu unterscheiden. Denn er macht kund, daß er der Eine ist, doch so, daß er in drei Personen unterschiedlich betrachtet werden will. Halten wir an diesen (drei Personen) nicht fest, so flattert nur ein leerer Begriff (inane nomen) von Gott ohne Beziehung zu dem wahren Gott in unserem Gehirn herum. Nun soll aber keiner träumen, Gott sei dreifach, oder wähnen, Gottes Wesen werde in drei Personen zerrissen, und deshalb müssen wir eine kurze und faßliche Bestimmung suchen, die uns gegen jeden Irrtum sichere.
Nun gehen aber einige Leute gegen den Begriff „Person“ mit wütendem Kläffen vor und behaupten, das sei ein Menschensündlein. Wir müssen also zuerst untersuchen, ob sie darin recht haben, wenn nun der Apostel den Sohn Gottes den Abglanz (Charakter) der Person (des Wesens) des Vaters nennt (Hebr. 1,3), so mißt er ohne Zweifel dem Vater eine Wesensart (subsistentia) zu, in der er sich vom Sohne unterscheidet. Nun haben zwar einige Ausleger statt Wesensart einfach „Wesen“ (essentia) einsetzen zu können gemeint, als ob Christus in sich das Grundwesen (substantia) des Vaters darstellte, so wie das gesiegelte Wachs das Siegel. Aber das ist eine grobe und sogar widersinnige Auffassung. Denn Gottes Wesen ist einheitlich und unteilbar, und so würde der, der es ganz und ohne Teilung oder Abzug in sich trüge, doch nur uneigentlich, ja geradezu unrichtig sein Abglanz (Charakter) genannt werden! Aber da der Vater, obgleich er sich vom Sohne durch seine Eigentümlichkeit unterscheidet, sich ganz im Sohne abgeprägt hat, so kann man mit bestem Grunde sagen, er habe seine Seinsweise (Person, Hypostasis) in ihm sichtbar dargestellt. Dazu paßt dann auch sehr gut die gleich zugefügte Bezeichnung, der Sohn sei der Glanz seiner Herrlichkeit. Mit Gewißheit ist also den Worten des Apostels zu entnehmen, daß der Vater eine eigene Seinsweise (Hypostase) hat, die im Sohne widerstrahlt. Daraus folgt aber wiederum, daß auch der Sohn eine eigene Seinsweise (Hypostase) haben muß, die ihn vom Vater unterscheidet. Genau so verhält es sich mit dem Heiligen Geiste, der einerseits, wie wir nachher erweisen werden, Gott ist, andererseits aber notwendig vom Vater unterschieden zu denken ist. Indessen bezieht sich diese Unterscheidung keineswegs auf das Wesen, das man sich unter keinen Umständen mehrfältig vorstellen darf. Wenn wir also dem Zeugnis des Apostels folgen, so ergibt sich, daß in Gott drei Seinsweisen (Hypostasen) sich finden. Dasselbe haben die Lateiner mit dem Ausdruck „Person“ sagen wollen, und es wäre eitel Hochmut und Halsstarrigkeit, wenn man über eine so klare Sache noch streiten wollte. Wollte man das griechische Wort (hypostasis) genau ins Lateinische übersetzen, so ergäbe sich subsistentia (Seinsweise, Wesensart). Manche haben sogar im gleichen Sinne das Wort substantia gebraucht. (Substanz, Grundwesen). Indessen war das Wort „persona“ nicht allein bei den Lateinern im Gebrauch, sondern auch die Griechen wandten, um die Gleichheit ihrer Überzeugung mit derjenigen der Lateiner kräftig zu bezeugen, die Lehrform an, es seien in Gott „drei Prosopa“ (prosopon = Antlitz, Maske, Person). Wie nun aber auch die Griechen und Lateiner in den Wörtern untereinander verschieden sein mögen: in der Hauptsache vertreten sie eine völlig gleiche Lehre.
Wie sehr nun auch die Häretiker gegen das Wort „Person“ kläffen, und wenn auch andere in ihrer großen Torheit sich weigern, diesen Ausdruck, da er ein Menschensündlein sei, anzunehmen — sie können uns doch nicht widerlegen, daß da drei genannt werden, von denen jeder ganz und gar Gott ist, und die doch nicht mehrere Götter sind; deshalb ist es eine üble Bosheit, Worte abzulehnen, die doch bloß auslegen, was in der Schrift bezeugt und versiegelt ist!
Sie sagen, es sei besser, wenn wir nicht nur unsere Gedanken, sondern auch unsere Worte in der Schranke der Heiligen Schrift hielten, anstatt fremdartige Worte aufzubringen, die doch nur Anlaß zu Meinungsverschiedenheit und Zank geben müßten. So ermüdet man sich in Wortkämpfen, so geht die Wahrheit im Streit verloren, so erstickt die Liebe über wütendem Fechten! Wenn sie nun das ein fremdartiges Wort nennen, was nicht bis auf die Silbe genau in der Schrift nachzuweisen ist, so legen sie uns wahrhaftig ein ungerechtes Joch auf und verdammen alle Auslegung der Schrift, sofern sie nicht einfach aus Bibeltexten zusammengeflickt ist. Wenn aber das als fremdartig gelten soll, was vorwitzig erdacht ist und abergläubisch verteidigt wird, was mehr zum Kampf als zur Auferbauung dient, was schroff und zwecklos aufgegriffen wird, was in seiner Rohheit fromme Ohren beleidigt, was von der Schlichtheit des Wortes Gottes ablenkt — dann freilich schließe ich mich solchem besonnenen Urteil von ganzem Herzen an. Denn ich bin der Meinung, wir sollten beim Reden über Gott nicht weniger Ehrfurcht walten lassen als beim Denken. Denn was wir von uns selbst aus denken, ist töricht, und was wir dann aussprechen, ist unpassend. Wir müssen vielmehr ein gewisses Maß halten, und aus der Schrift ist eine sichere Regel für Denken und Reden zu entnehmen, nach der sich alles Sinnen unseres Geistes und alles Reden unseres Mundes zu richten hat. Aber was verbietet uns denn, das mit klaren Worten zu entfalten, was in der Schrift für unser Fassungsvermögen schwierig und verwickelt ist, wobei freilich solche Auslegung nur in Ehrfurcht und Glauben der Wahrheit der Schrift selber dienstbar sein und in Zurückhaltung und Bescheidenheit geübt werden muß, auch nur beim rechten Anlaß zur Anwendung kommen darf. Dafür gibt es ausreichend viele Beispiele. Wenn dagegen jemand auch da die Neuheit der Ausdrücke bemängelt, wo offenbar die Kirche in höchste Not gedrängt wurde, die Worte „Dreieinigkeit“ und „Person“ anzuwenden, muß man nicht bei einem solchen Menschen eine Abneigung gegen das Licht der Wahrheit vermuten, da er doch bloß dagegen Einspruch erhebt, daß die Wahrheit klarer und deutlicher hervortritt?
Solche neuen Ausdrücke — wenn man sie so nennen will — kommen aber vor allem dann in Gebrauch, wenn die Wahrheit gegen ihre Feinde, die ihr durch allerlei Winkelzüge entgehen wollen, behauptet werden muß. Das erfahren wir heutzutage mehr als genug, wo die Bekämpfung der Feinde reiner und gesunder Lehre unsere Hauptarbeit ist und wo diese glatten Schlangen durch allerlei Windungen und Krümmungen entschlüpfen, wenn man sie nicht tapfer anpackt und zusammendrückt. So sind auch die Alten, durch mancherlei Kämpfe gegen falsche Lehren geübt, dazu genötigt worden, ihre Überzeugung mit äußerster Genauigkeit auszusprechen, um nur ja nicht den Gottlosen irgendwelche Schlupfwinkel zu lassen; denn diese benutzten die Hülle der Worte als Versteck für ihre Irrtümer.
Auch Arius bekannte Christum als Gott und Gottes Sohn, da er gegen die unwiderleglich deutlichen Schriftzeugnisse nichts machen konnte, und heuchelte, als ob alles in Ordnung sei, eine gewisse Übereinstimmung mit den anderen. Aber unterdessen hörte er nicht auf zu behaupten, Christus sei geschaffen worden und habe einen Anfang gehabt wie die übrigen Geschöpfe. Um nun die gewundene Schlauheit dieses Menschen aus ihrem Versteck herauszuziehen, sind die Alten weiter gegangen und haben bekannt, Christus sei der ewige Sohn des Vaters und gleichen Wesens mit dem Vater. Da brauste auf einmal der Unglaube auf, und die Arianer fingen an, den Ausdruck „homousios“ (gleichen Wesens) aufs äußerste zu hassen und zu verfluchen. Hätten sie vorher wirklich mit Lauterkeit und von Herzen bekannt, Christus sei Gott, so hätten sie ja gar nicht leugnen können, daß er gleichen Wesens mit dem Vater sei! Wer sollte nun wagen, jenen trefflichen Männern den Vorwurf der Streitsucht zu machen, weil sie wegen eines einzigen Wortes derart heftig gerungen und den Frieden der Kirche gestört hätten? Eben dieses eine Wörtlein unterschied zwischen Christen reinen Glaubens und lästerlichen Arianern! Später trat Sabellius auf und achtete die Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes beinahe für nichts, indem er disputierte, sie seien nicht um einer Unterscheidung willen da, sondern allesamt verschiedene Bezeichnungen für Gott, so wie es ja sehr viele gibt. Als es zum Streit kam, da bekannte er, zu glauben, daß der Vater Gott sei, der Sohn Gott sei und auch der Heilige Geist Gott sei. Aber bald darauf fand er den Ausweg, er habe nichts anderes gesagt, als wenn er Gott stark, gerecht und weise genannt hätte! Und so sang er wieder ein anderes Lied: der Vater sei der Sohn, und der Heilige Geist sei der Vater — ohne Ordnung, ohne Unterscheidung! Rechtschaffene Lehrer, denen es um die Frömmigkeit ging, erhoben nun Einspruch und verlangten, um dem Unfug dieses Menschen ein Ende zu machen, er solle drei wahrhaft bestehende Eigentümlichkeiten (proprietates) in dem einen Gott anerkennen. Und um sich gegen die gewundenen Schlauheiten des Mannes mit offener und schlichter Wahrheit zu schützen, stellten sie den Satz auf, in dem einen Gott oder — was dasselbe ist — in Gottes Einheit bestehe eine Dreieinigkeit der Personen.
Die Ausdrücke sind also wahrhaftig nicht unbedacht aufgebracht worden — und deshalb muß man sich vorsehen, daß man nicht dem Vorwurf hochmütiger Unbedachtheit verfällt, wenn man sie tadelt! Im übrigen sollen sie meinethalben nur ja begraben sein — wenn nur alle an dem Glauben festhalten, der Vater, der Sohn und Geist seien der eine Gott und doch sei der Sohn nicht der Vater oder der Geist der Sohn, sondern alle durch eine gewisse Eigentümlichkeit (proprietas) voneinander unterschieden.
Ich bin gar nicht von so strenger Hartnäckigkeit, daß ich mich unterstehen würde, um bloße Worte zu streiten. Denn ich sehe, daß auch die Alten, die doch sonst mit soviel Ehrfurcht von diesen Dingen reden, weder untereinander übereinstimmen, noch einzeln mit sich selbst. Denn was für Formeln entschuldigt doch Hilarius als von den Konzilien gebraucht! Was hat sich gelegentlich Augustin für Freiheiten herausgenommen! Wie groß ist der Unterschied zwischen Griechen und Lateinern! Aber für diese Verschiedenartigkeit soll ein Beispiel genügen. Wenn die Lateiner den Ausdruck „homousios“ wiedergeben wollten, so setzten sie dafür „consub-stantialis“: damit behaupteten sie also, der Vater und der Sohn seien gleicher „Substanz“ (Grundwesen) — und brauchten so den Begriff „Substanz“, wo eigentlich „Wesen“ (essentia) am Platze gewesen wäre! So kommt es, daß Hieronymus in seinem Brief an Damasus sagt, es sei ein Frevel, zu sagen, es gäbe in Gott drei „Substanzen“. Aber man kann anderseits bei Hilarius mehr als hundertmal finden, es gäbe in Gott drei „Substanzen“! Und wie unklar ist die Verwendung des Ausdrucks „Hypostase“ (= „Person“, Seinsweise) bei Hieronymus! Er meint, es sei Gift dahinter, wenn einer von drei „Hypostasen“ in Gott redete! Und wenn auch jemand in frommer Gesinnung diesen Ausdruck braucht, so sagt er doch gerade heraus, daß dies eine uneigentliche Redeweise sei. Das alles, sofern er solche Reden aus Lauterkeit gehalten hat. Aber er tat es ja vielleicht nur, um die Bischöfe des Orients, die er nicht leiden konnte, mit Wissen und Willen mit unrechter Schmähung zu bedecken! Auf jeden Fall hat er recht wenig anständig die Behauptung verfochten, in den weltlichen Schulen hieße „Usia“ (Wesen) nichts anderes als auch „Hypostasis“ (Seinsweise) — was sich aus dem gewöhnlichen und alltäglichen Sprachgebrauch durchgängig widerlegen läßt! Gemäßigter und mit edlerer Sitte verfährt Augustinus; obwohl auch er sagt, das Wort „Hypostasis“ sei in diesem Sinne für ein lateinisches Ohr neu, läßt er doch den Griechen ihre Gewohnheit zu reden, wie er auch die Lateiner, welche die griechische Formel nachgebildet hatten, ohne Schärfe ertrug (Von der Dreieinigkeit, Buch 5,8f.). Auch, was (der Kirchenhistoriker) Sokrates davon im sechsten Buch der Historia tripartita geschrieben hat, erweckt den Eindruck, als sei dieser Ausdruck von unkundigen Leuten in verkehrter Weise in die Sache hineingebracht worden. Hilarius macht es den Ketzern zum Vorwurf, daß er durch ihren Unfug gezwungen werde, der Gefahr menschlicher Rede etwas auszusetzen, das doch besser in ehrfürchtiger Seele bewahrt werden sollte; und er verschweigt nicht, daß dies nichts anderes bedeutet, als Ungebührliches sich vorzunehmen, Unaussprechliches auszusprechen, Unerlaubtes sich anzumaßen! Kurz darauf entschuldigt er sich, daß er neue Ausdrücke einzuführen gezwungen sei: denn nachdem er die durch die Natur der Sache erforderten, nämlich Vater, Sohn und Geist, aufgeführt hat, erklärt er, alles, was darüber hinaus gesucht würde, überschreite die Ausdrucksfähigkeit der Rede, die Fassungskraft des Denkens, das Begreifen des Verstandes (Von der Dreieinigkeit, Buch 2). Und an anderer Stelle preist er die Bischöfe Galliens glücklich, weil sie je kein anderes Bekenntnis aufgestellt, noch angenommen, noch überhaupt kennengelernt hätten als allein das alte und ganz schlichte, das seit der Zeit der Apostel in allen Kirchen in Geltung war! (Von den Konzilien). Auch Augustin spricht sich in ähnlicher Weise aus: jener Ausdruck sei durch die Not der menschlichen Rede in einer so großen Frage erzwungen worden und sollte nicht darstellen, was ist, sondern nur nicht verschweigen, wieso denn Vater, Sohn und Heiliger Geist drei seien!
Diese Bescheidenheit so heiliger Männer soll uns warnen, eine Art theologischer Zensur zu üben und sogleich alle die strengstens zu richten, die nicht auf die von uns verwendeten Begriffe schwören wollen! Nur sollen sie das nicht aus Übermut, Frechheit oder boshafter Schalkheit tun! Sie sollen doch auch wiederum selbst überlegen, wie groß die Notwendigkeit ist, die uns zwingt, so zu reden, und sollen sich allmählich dann auch zu einer rechten Form der theologischen Aussage bequemen! Da muß man auf der einen Seite den Arianern, auf der anderen den Sabellianern entgegentreten. Zürnen sie (jene unklaren Lehrer) nun darüber, daß beiden die Ausflüchte abgeschnitten werden, so sollen sie sich hüten, den Verdacht zu erregen, als seien sie selber Schüler des Arius oder Sabellius! Da sagt Arius, Christus sei Gott — aber ganz leise flüstert er dann noch, er sei aber geschaffen worden und habe einen Anfang gehabt! Er sagt, Christus sei eins mit dem Vater — aber dann sagt er den Seinen heimlich ins Ohr: er sei eben so mit dem Vater vereinigt, wie die anderen Gläubigen auch, wenn auch mit einzigartigem Vorrecht! Sagt man aber „gleichen Wesens“ (consubstantialis), dann zieht man dem verschlagenen Menschen die Larve weg — und hat doch der Schrift nichts zugefügt! Da sagt Sabellius, Vater, Sohn und Geist bedeuteten nichts Verschiedenes in Gott. Sagt man dazu, es seien drei, dann wird er großes Geschrei machen, man redete von drei Göttern. Sagt man aber, daß in dem einen Wesen Gottes eine Dreieinigkeit von Personen ist, so spricht man mit einem Satz aus, was die Schrift lehrt — und man macht dem leeren Geschwätz ein Ende! Mögen nun auch einige derart von abergläubischer Furcht besessen sein, daß sie diese Ausdrücke nicht ertragen — es wird doch niemand, wie sehr er sich auch dreht und wendet, den Tatbestand leugnen können: wenn wir hören, daß Gott Einer ist, so ist an die Einheit der Substanz (des Grundwesens) zu denken, wenn wir hören, daß drei sind in einem Wesen, so ist von den Personen in dieser Dreieinigkeit die Rede! Wird das ohne Hintergedanken bejaht, so wollen wir uns bei Worten nicht aufhalten. Aber ich habe schon längst und oft genug die Erfahrung gemacht: Wer wegen der Ausdrücke allzu heftigen Streit führt, der nährt verborgenes Gift. Deshalb soll man solche Leute besser frei herausfordern, als ihretwegen unklar zu reden!
Doch jetzt wollen wir den Streit um die Ausdrücke fahren lassen und zur Sache selbst übergehen. Ich verstehe also unter Person eine Seinsweise (subsistentia) in Gottes Wesen, die in ihren Beziehungen zu den anderen eine unübertragbare Eigenheit besitzt. Unter Seinsweise (subsistentia) wollen wir also etwas anderes verstehen als „Wesen“ (essentia). Wäre nämlich das Wort einfach Gott, ohne etwas für sich allein zu haben, so hätte Johannes mit seinem Satz: „Dasselbige war im Anfang bei Gott“ (Joh. 1,1) etwas Verkehrtes ausgesprochen! Wenn er nachher gleich hinzusetzt: „Und Gott war das Wort“ — so ruft er uns damit zu dem einen Wesen zurück! Aber weil das Wort nicht bei Gott sein konnte, ohne im Vater zu wohnen, so zeigt sich hier das, was wir „Seinsweise“ nannten: denn diese ist zwar durch ein unzerreißbares Band mit dem „Wesen“ verbunden und kann von ihm nicht geschieden werden, aber sie hat doch ihr besonderes Kennzeichen, durch das sie sich von dem Wesen unterscheidet. Denn jede der drei Seinsweisen ist in Beziehung zu den anderen durch ihre Eigenheit unterschieden. Diese „Beziehung“ (relatio) wird hier deutlich zum Ausdruck gebracht; denn wo man einfach und ohne nähere Bestimmung von „Gott“ redet, da bezieht sich dieser Name auf den Sohn und den Geist ebenso wie auf den Vater. Sobald man aber den Vater mit dem Sohne vergleicht, bezeichnet die „Eigenheit“ (proprietas) den Unterschied zwischen ihnen. Weiterhin behaupte ich, daß die Eigenheit der Person nicht übertragbar ist, weil es z. B. nicht angeht, auf den Sohn anzuwenden oder zu übertragen, was dem Vater als Merkmal zur Unterscheidung zukommt. Es mißfällt mir auch nicht die — freilich richtig zu verstehende! — Definition Tertullians, es sei die Dreieinigkeit eine gewisse Ordnung und Anordnung in Gott, die an der Einheit des Wesens nichts ändere (In dem Buch gegen Praxeas 2,9).
Bevor wir jedoch weitergehen, muß erstens die Gottheit des Sohnes und des Geistes bewiesen und zweitens der Unterschied zwischen ihnen gezeigt werden.
Wenn nun die Schrift vom „Worte“ Gottes redet, so wäre das gewiß ganz widersinnig, wenn dieses „Wort“ bloß ein flüchtiger, leerer Laut wäre, der in die Luft ausgesandt würde und nun außer Gott selber seinen Lauf nähme. Von dieser Art waren die Offenbarungssprüche, die den Vätern zuteil wurden, und alle Prophetien. Nein, das „Wort“ bezeichnet die Weisheit, die bei Gott wohnt und aus der alle Offenbarungssprüche und Prophetien stammen. Denn nach dem Zeugnis des Petrus (1. Petr. 1,11) haben die alten Propheten nicht weniger aus dem Geiste Christi heraus geredet als die Apostel und diejenigen, die nach ihnen die himmlische Lehre verwalteten. Da aber dazumal Christus noch gar nicht ans Licht getreten war, so ergibt sich notwendig, daß das „Wort“ von Ewigkeit her vom Vater geboren ist. Und wenn der Geist, dessen Werkzeuge die Propheten waren, der Geist des Wortes war, so ist daraus unzweifelhaft zu schließen, daß dieses Wort wahrer Gott war. Das lehrt auch Mose in der Schöpfungsgeschichte völlig klar: denn da stellt er fest, daß das Wort Mittel der Schöpfung war. Weshalb sollte er anders immer wieder berichtet haben, daß Gott bei der Schöpfung der einzelnen Werke sprach: „Es werde ...“, wenn er nicht zeigen wollte, daß Gottes unausforschliche Herrlichkeit in seinem Bilde erstrahlte? Vorwitzige Schwätzer behaupten hier natürlich gleich, „Wort“ hieße soviel wie Befehl oder Auftrag. Aber die Apostel sind doch bessere Ausleger, und sie verkünden, daß durch den Sohn die Welt geschaffen worden sei und daß er alles trage mit seinem mächtigen Wort (Hebr. 1,2). Hier sehen wir also, daß „Wort“ den Wink und Befehl des Sohnes bedeutet, der selbst das ewige und wesentliche Wort des Vaters ist. Verständige und bescheidene Leute finden auch den Ausspruch des Salomo nicht dunkel, in dem er zeigt, wie die Weisheit von Gott in Ewigkeit geboren und bei der Schöpfung aller Dinge wie auch in allen Werken Gottes waltet (Jesus Sirach 24,14). Es wäre töricht und lästerlich, nur einen vorübergehenden Wink Gottes anzunehmen; denn Gott wollte damals seinen festen und ewigen Ratschluß, ja noch Verborgeneres offenbaren. Darauf bezieht sich auch das Wort Christi: „Mein Vater und ich wirken bis auf diesen Tag“ (Joh. 5,17; nicht Luthertext). Denn da zeigt er, daß er selbst seit Anbeginn der Welt mit dem Vater zusammen kräftig am Werke gewesen ist, und macht so deutlicher, was Mose kürzer angedeutet hatte. Gott hat also — so müssen wir folgern — so geredet, daß das Wort seinen Anteil am Werke hatte und auf diese Weise das Wirken beiden gemeinsam war. Bei weitem am klarsten stellt das Johannes fest, wenn er das Wort, das im Anfang als Gott bei Gott war, zugleich mit dem Vater als Ursprung aller Dinge uns vorstellt (Joh. 1,3). Denn so mißt er dem Worte ein festes und bleibendes Wesen bei, schreibt ihm aber auch etwas ihm Eigentümliches zu und zeigt dann auch mit größter Durchsichtigkeit, wieso denn Gott in seinem Reden der Schöpfer der Welt gewesen ist. Wie also alle von Gott ausgegangenen Offenbarungen mit Recht die Ehrenbezeichnung „Gottes Wort“ tragen, so muß auch dieses aus Gottes Wesen kommende Wort selber den höchsten Platz erhalten, nämlich denjenigen des Quells aller Offenbarung, weil es, keinem Wechsel unterworfen, immerfort als ein und dasselbe bei Gott bleibt und selbst Gott ist!
Hier fangen nun einige Hunde an zu kläffen: sie können zwar dem Worte nicht vor aller Öffentlichkeit seine Gottheit bestreiten, aber deshalb versuchen sie, ihm heimlich seine Ewigkeit zu rauben. Sie sagen nämlich, das Wort habe erst da seinen Anfang genommen, als Gott bei der Schöpfung der Welt seinen heiligen Mund auftat! Aber, wenn sie das sagen, so dichten sie in ihrer Unbedachtsamkeit Gott eine Veränderung seines Wesens an. Denn die Namen, die Gott hinsichtlich seines äußeren Werkes zukommen, sind ihm zwar erst seit dem Bestehen dieses seines Werks beigelegt, wie z. B. der Name „Schöpfer Himmels und der Erden“. Aber die Frömmigkeit anerkennt keinen Namen, der etwa bedeuten könnte, es sei Gott in sich selbst etwas zugefügt. Wollte man da von etwas neu Hinzukommendem reden, so machte dem das Wort des Jakobus ein Ende: „Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis“ (Jak. 1,17). Deshalb ist nichts unerträglicher, als wenn man dem Worte, das doch von Ewigkeit her Gott selber war und später der Schöpfer der Welt wurde, einen Anfang andichten will! Aber dann kommen sie zu der spitzfindigen Idee: wenn Mose bei der Schöpfungsgeschichte sage, damals habe Gott geredet, so deute er doch damit selber an, daß vorher in Gott kein Wort gewesen sei. Das ist ein ganz besonders albernes Geschwätz! Denn wenn etwas zu einer bestimmten Zeit geoffenbart wird, so ist doch daraus nicht zu folgern, es sei vorher noch nicht dagewesen! Ich schließe ganz anders: wenn in jenem Augenblick, da Gott sprach: „Es werde Licht“, die Kraft des Wortes hervorbrach und sich äußerte, dann muß es selbst schon lange vorher dagewesen sein! Wenn einer fragt: „Wie lange denn?“, so wird er keinen Anfang finden. Denn er selbst bestimmt keinerlei festen Zeitraum, wenn er sagt: „Und nun verkläre du mich, Vater, bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe denn die Welt war“ (Joh. 17,5). Auch das hat ja Johannes erwähnt: Denn er sagt: bevor er zur Weltschöpfung übergeht, das Wort sei „ im Anfang „ bei Gott gewesen (Joh. 1,1). Wir stellen also wiederum fest, daß das Wort vor Anbeginn der Zeit vom Vater gezeugt worden ist und dann je und je bei ihm gewohnt hat. Dadurch wird dann seine Ewigkeit, sein wirkliches Sein und seine Gottheit bewiesen.
Nun rede ich jetzt noch nicht von der Person des Mittlers, sondern verschiebe das, bis ich von der Erlösung handle. Da es aber ohne Widerspruch allgemein anerkannt sein sollte, daß Christus das fleischgewordene Wort ist, so gehören hierher alle die Zeugnisse, die die Gottheit Christi behaupten. Wenn es im 45. Psalm heißt: „Gott, dein Stuhl bleibt immer und ewig“ (Ps. 45,7), so machen die Juden die Ausflucht, der Name „Elohim“ (Gott) beziehe sich auch auf die Engel und höchsten Gewalten. Aber es gibt in der Schrift nicht eine einzige Stelle, die der Kreatur einen ewigen Thron errichtete! Und der, von dem der Psalm redet, wird ja auch nicht schlechtweg „Gott“ genannt, sondern auch als ewiger Herrscher bezeichnet. Außerdem wird dieser Titel (Gott) niemandem zugelegt, ohne daß ein Zusatz gemacht wird, so wie z. B. dem Mose gesagt wird, er werde „dem Pharao“ ein Gott sein (Ex. 7,1). Andere wollen die Stelle so lesen, daß „Gott“ Genetiv sei („dein Gottesthron“). Aber das ist völlig unsinnig. Ich gestehe zwar, daß häufig besonders Vortreffliches als göttlich bezeichnet wird; aber der Zusammenhang der Stelle zeigt, daß das hier hart und gezwungen wäre und in keiner Weise paßte. Wenn sie aber in ihrer Hartnäckigkeit beharren, so wollen wir ihnen eine Stelle aus Jesaja entgegenhalten; da wird ganz deutlich derselbe Christus als Gott bezeichnet und mit der höchsten Macht ausgestattet — die doch allein Gott eigen ist! „Das ist der Name, mit dem sie ihn nennen werden: Gott von Kraft, Vater in Ewigkeit ...“ (Jes. 9,5f.; nicht Luthertext). Nun kläffen auch hier wieder die Juden und wollen die Stelle so verdrehen: „Und das wird der Name sein, mit dem ihn der starke Gott, der Vater in Ewigkeit nennen wird ...“, so daß also dem Sohne nur noch die Bezeichnung „Friedefürst“ übrigbliebe. Aber wozu sollten denn soviele Beinamen auf Gott den Vater gehäuft werden, wo doch der Prophet die Absicht hat, Christus mit herrlichen Merkmalen zu schmücken, um unseren Glauben an ihn aufzuerbauen? Deshalb kann es keinem
Zweifel unterliegen, daß er hier aus demselben Grunde „Gott von Kraft“ genannt wird wie kurz vorher „Immanuel“. Mit ebenso leuchtender Klarheit redet aber Jeremia an der Stelle, wo er sagt, das werde der Name sein, mit dem der Sproß Davids genannt werden solle: der Herr unsere Gerechtigkeit (Jer. 23,6). Da lehren nun die Juden selbst aus freien Stücken, alle anderen Namen Gottes seien bloße Beinamen, dieser aber, den sie unaussprechlich nennen, sei lebendiger Ausdruck seines Wesens. Daraus ergibt sich, daß der Sohn der einige und ewige Gott ist — der doch an anderer Stelle kundtut, er werde seine Ehre keinem anderen geben! (Jes. 42,8). Aber auch hier suchen sie Ausflüchte und verweisen darauf, daß Mose dem von ihm errichteten Altar und Ezechiel der neuen Stadt Jerusalem den gleichen Namen gebe. Aber wer kann denn übersehen, daß dieser Altar als Gedenkzeichen dafür erbaut wurde, daß Gott den Mose erhöht hat, und daß Jerusalem nur zum Zeichen der Gegenwart Gottes mit dem Namen Gottes ausgezeichnet wird? Denn so spricht der Prophet: „Und alsdann soll die Stadt genannt werden: 'Hier ist der Herr!'„ (Ez. 48,35) Und Mose redet ähnlich: „Und er baute einen Altar und nannte seinen Namen: Der Herr ist meine 'Erhöhung' (mein Panier)“ (Ex. 17,15). Aber noch ein größerer Streit dreht sich um eine andere Jeremiastelle, in der der nämliche Ehrenname auf Jerusalem angewendet wird: „Das ist der Name, mit dem man sie nennen wird: Der Herr unsere Gerechtigkeit“ (Jer. 33,16). Aber dieses Zeugnis bestreitet keineswegs die Wahrheit, die wir verteidigen, sondern bestätigt sie vielmehr. Nachdem er nämlich zuvor (eben Jer. 23,6) bezeugt hat, Christus sei der wahre „Herr“, von dem die Gerechtigkeit ausgeht, zeigt er nun, daß die Kirche Gottes dies so lebendig erfahren werde, daß sie seines Namens sich rühmen könne. Es wird also an der ersten Stelle die Quelle und der Ursprung der Gerechtigkeit gezeigt, an der zweiten ihre Wirkung!
Wenn die Juden sich mit alledem noch nicht zufrieden geben, so weiß ich nicht, welche Ausflucht sie dagegen vorbringen wollen, daß der „Herr“ („Jehovah“) so oft in der Gestalt eines Engels erscheint. So ist nach der Schrift den heiligen Vätern ein Engel erschienen, und dieser legt sich den Namen des ewigen Gottes bei! (Richter 6 und 7). Wenn dagegen jemand einwenden will, das geschehe um der Person dessen willen, den er vertritt, so löst sich der Knoten noch keineswegs. Denn kein Diener hätte Gott die Ehre geraubt und zugegeben, daß ihm Opfer dargebracht würden! Der Engel dagegen weigert sich, Brot zu essen, und befiehlt, dem „Herrn“ zu opfern (Richter 13,16). Darauf aber beweist er, daß er selbst der „Herr“ ist. Deshalb erkennen Manoah und sein Weib an diesem Zeichen, daß sie Gott gesehen haben. Daher das Wort: „Wir müssen sterben, denn wir haben Gott gesehen.“ Wenn nun aber die Frau antwortet: „Wenn der Herr Lust hätte, uns zu töten, so hätte er das Brandopfer und Speiseopfer nicht angenommen von unseren Händen“ — so bekennt sie damit den als Gott, der zuvor „Engel“ genannt wurde! (Richter 13,22f.). Dazu nimmt nun auch die Antwort des Engels allen Zweifel: „Was fragst du mich nach meinem Namen, der doch wunderbar ist?“ (V. 18).
Um so abscheulicher ist die Gottlosigkeit des Servet, der da behauptet, Gott habe sich dem Abraham und den anderen Erzvätern nie geoffenbart, sondern statt seiner habe man einen Engel angebetet. Indessen haben die rechtgläubigen Lehrer der Kirche mit Recht und Weisheit in jenem Engelfürsten das Wort Gottes erkannt, das schon dazumal wie in einer Art Vorspiel sein Mittleramt begann. Denn obwohl das Wort noch nicht Fleisch geworden war, so kam es doch gleichsam als Mittler hernieder, um sich den Gläubigen desto vertrauter zu nahen. Solche freundliche Gemeinschaft mit den Menschen hat ihm den Namen „Engel“ gegeben: aber trotzdem hat das Wort unterdessen behalten, was sein war, nämlich daß es Gott sei, von unaussprechlicher Herrlichkeit! Das will auch Hosea ausdrücken: nachdem er den Kampf Jakobs mit dem Engel erwähnt hat, sagt er: „Herr (Jehovah), Gott der Heerscharen, Herr ist sein Name“ (Hos. 12,6). Servet faselt nun dagegen, Gott habe die Gestalt eines Engels angenommen. Als ob der Prophet nicht einfach bestätigte, was schon Mose berichtete: „Was fragst du mich nach meinem Namen?“ Und das Bekenntnis des heiligen Erzvaters (Jakob) macht ganz klar, daß es sich nicht um einen geschaffenen Engel gehandelt hat, sondern um den, der die Fülle der Gottheit in sich trug; spricht er doch: „Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen“ (Gen. 32,30.31). So sagt ja auch Paulus, Christus sei des Volkes Führer in der Wüste gewesen (1. Kor. 10,4). Denn obwohl die Zeit der Erniedrigung noch nicht da war, stellte das ewige Wort doch ein Vorbild des Amtes auf, das es erfüllen sollte. Auch wenn man, freilich ohne Streitsucht, das zweite Kapitel bei Sacharja erwägt, so bemerkt man, daß der Engel, der einen zweiten Engel sendet, gleich darauf als Gott der Heerscharen bezeichnet und ihm alle Macht zugeschrieben wird. Ich lasse unzählige weitere Zeugnisse aus, auf denen unser Glaube sicher ruhen kann, obwohl die Juden sie wenig beachten. Heißt es bei Jesaja: „Siehe, das ist unser Gott ..., das ist der Herr, auf den wir harren, daß wir uns freuen und fröhlich seien in seinem Heil“ (Jes. 25,9), so ist allen, die Augen haben, deutlich, daß hier Gott vor uns hingestellt wird, der sich abermals aufmacht, seinem Volke zu helfen. Und die kräftigen Hinweise, die da doppelt gesetzt sind, lassen keine andere Deutung als die auf Christus zu. Noch deutlicher und zuverlässiger ist die Stelle bei Maleachi, der verheißt, daß der Herrscher, der damals noch erwartet wurde, in seinen Tempel kommen werde (Mal. 3,1). Nun war aber der Tempel, den doch der Prophet Christus einräumt, einzig dem höchsten Gott geweiht! Daraus folgt also, daß er derselbe Gott ist, der stets von den Juden angebetet worden war!
Das Neue Testament sprudelt unzählige Zeugnisse hervor. Wir müssen uns daher bemühen, lieber in Kürze einiges Ausgewählte zu bringen, als alles aufzuhäufen.
Die Apostel haben ja zwar erst von ihm geredet, nachdem er bereits als Mittler im Fleische erschienen war. Aber doch wird das, was ich anführen werde, seine ewige Gottheit sehr wohl zu beweisen vermögen. Besonders ist die Lehre der Apostel der Aufmerksamkeit wert, daß in Christus das, was zuvor von ihm als ewigem Gott ausgesagt war, bereits offenbar geworden sei oder sich einst offenbaren werde. Da weissagt Jesaja, der Herr der Heerscharen werde für Juden und Israeliten ein Fels des Ärgernisses und ein Stein des Anstoßes sein (Jes. 8,14) — und Paulus sagt, das sei in Christus erfüllt (Röm. 9,32f.). Er erklärt damit, dieser Herr der Heerscharen sei Christus. In ähnlicher Weise sagt er an anderer Stelle: „Wir werden alle dargestellt werden vor dem Richtstuhl Christi; denn es steht geschrieben: ... mir sollen alle Knie sich beugen und alle Zungen sollen Gott bekennen“ (Röm. 14,10f.). Da dies nun bei Jesaja Gott von sich aussagt (Jes. 45,23) und da Christus es andererseits an sich selber erweist, so folgt, daß er selber Gott ist, dessen Ehre doch keinem anderen gegeben werden soll. Auch was Paulus im Epheserbrief aus Psalm 68 (V. 19) anführt, paßt allein auf Gott: „Er ist aufgefahren in die Höhe und hat das Gefängnis gefangen geführt“ (Eph. 4,8). Da erkennt Paulus, daß solche Auffahrt schon vorgebildet war dadurch, daß Gott seine Macht im Siege über fremde Völker erwies, und zeigt dann, daß sie in Christus erst voll offenbart worden sei. So bezeugt Johannes, daß es die Herrlichkeit des Sohnes gewesen sei, die einst dem Jesaja enthüllt wurde (Joh. 12,41; Jes. 6,1), wo doch der Prophet selber schreibt, er habe Gottes Majestät erschaut. Was der Schreiber des Hebräerbriefs dem Sohne beilegt, das sind unzweifelhaft die herrlichsten Lobpreisungen Gottes: „Du, Herr, hast von Anfang die Erde gegründet ...“ (Hebr. 1,10) und „Es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten“ (Hebr. 1,6). Aber wenn er diese Lobpreisungen auf Christus bezieht, so bedeutet das keinen Mißbrauch; denn was in jenen Psalmworten besungen wird, das hat Er allein erfüllt. Er war es, der sich aufmachte, sich Zions zu erbarmen (Ps. 102,14). Er hat die Herrschaft über alle Völker und Inseln angenommen (Ps. 97,1). Und weshalb hätte Johannes zögern sollen, Gottes Majestät Christus beizulegen, da er doch vorher gesagt hatte, das Wort sei von Ewigkeit her Gott gewesen? (Joh. 1,1.14). Weshalb sollte sich Paulus scheuen, Christus auf Gottes Richtstuhl zu setzen (2. Kor. 5,10), nachdem er doch zuvor mit so klarer Heroldsbotschaft seine Gottheit kundgemacht hatte, wenn er sagte, er sei „Gott, hochgelobt in Ewigkeit“ (Röm. 9,5)? Und damit klar sei, wie gut er hier mit sich selbst übereinstimmt, schreibt er an anderer Stelle: „Gott ist geoffenbart im Fleisch ...“ (1. Tim. 3,16). Wenn er aber Gott ist, hochgelobt in Ewigkeit, dann ist er es auch, dem allein aller Ruhm und alle Ehre gebührt, wie er an anderer Stelle sagt (1. Tim. 1,17). Er scheut sich auch nicht, vor aller Welt zu bekennen: „Da er in göttlicher Gestalt war, hielt er\'s nicht für einen Raub, Gott gleich sein, entäußerte sich selbst ...“ (Phil. 2,6ff.). Damit nun aber nicht die Gottlosen lästerten, er sei ein willkürlich erdachter Gott, geht Johannes so weit, zu sagen: „Er ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben“ (1. Joh. 5,20). Jedoch es muß uns völlig genug sein, daß er Gott genannt wird, besonders gerade von dem Zeugen, der mit besonderer Schärfe betont, daß nicht viele Götter sind, sondern nur einer. Das ist Paulus, der da spricht: „Mögen auch im Himmel und auf Erden viele Götter genannt werden, so haben wir doch nur einen Gott, von welchem sind alle Dinge ...“ (1. Kor. 8,5). Wenn wir nun aus demselben Munde hören, Gott sei geoffenbart im Fleisch (1. Tim. 3,16), Gott habe mit seinem eigenen Blute die Kirche erworben ... (Apg. 20,28) — wie sollten wir dann auf den Gedanken kommen, damit sei ein zweiter Gott gemeint, den Paulus doch nie und nimmer anerkannt hätte? Und ohne allen Zweifel dachten alle Gläubigen ebenso wie er. Wenn Thomas auf gleiche Weise Christus so offen seinen „Herrn und Gott“ nennt (Joh. 20,28), so bekennt er ihn als den einigen Gott, den er stets angebetet hatte.
Wenn wir nun auch aus Christi Werken, wie sie ihm in der Schrift zugeschrieben werden, seine Gottheit kennenlernen, dann wird sie uns noch deutlicher entgegenleuchten. Als er sagte, er wirke seit Anbeginn und bis hierher mit dem Vater (Joh. 5,17), da begriffen die Juden, die gegen alle seine anderen Worte völlig stumpf waren, doch, daß er sich hier göttliche Kraft zuschrieb. Und deshalb suchten sie ihn, wie Johannes berichtet, nur desto mehr zu töten, weil er nicht nur den Sabbat gebrochen hatte, sondern Gott für seinen Vater erklärte und sich so Gott gleichmachte (Joh. 5,18). Wie groß müßte doch unsere Verblendung sein, wenn wir hier nicht die Behauptung seiner Gottheit herausmerken wollten! Es ist doch wahrhaftig allein das Werk des Schöpfers, mit Vorsehung und Kraft die Welt zu regieren und mit seinem Willen alles zu leiten — und das schreibt der Apostel ihm zu! (Hebr. 1,3). Aber er teilt nicht bloß das Werk der Weltregierung mit dem Vater, sondern auch andere einzelne Wirksamkeiten, an denen kein Geschöpf Anteil haben kann. Der Herr ruft durch den Propheten aus: „Ich, ich tilge deine Missetaten um meinetwillen (Jes. 43,25). Als die Juden diesem Spruch gemäß meinten, es geschähe Gotteslästerung dadurch, daß Jesus Sünden vergab — da nahm er diese Vollmacht nicht nur ausdrücklich für sich in Anspruch, sondern bekräftigte sie auch mit einem Wunder (Matth. 9,6). So sehen wir, daß nicht nur das Amt, sondern die (freie) Vollmacht der Sündenvergebung bei ihm lag — während sich doch der Herr weigert, sie an jemand anders zu übertragen! Ist es nicht einzig und allein Gottes Macht, die verschwiegenen Gedanken des Herzens zu erkunden und zu durchschauen? Aber auch diese Macht besaß Christus (Matth. 9,4), woraus wiederum seine Gottheit hervorgeht.
Wie hell leuchtet sie aber auch aus seinen Wundern hervor! Nun haben, wie ich gern zugebe, auch die Propheten und die Apostel ähnliche oder gar gleiche Wunder getan. Aber der unüberbrückbare Gegensatz besteht darin, daß diese in ihrem Amt und Dienst Gottes Gaben austeilten, während er seine eigene Kraft wirken ließ! Er hat sich freilich zuweilen auch des Gebets bedient, um dem Vater die Ehre zu geben, aber in den meisten Fällen sehen wir ihn seine eigene Kraft äußern. Wie sollte er nicht der wahre Urheber der Wunder sein, da er doch mit seiner Autorität anderen die Vollmacht dazu erteilt? Denn der Evangelist berichtet, daß er den Jüngern Macht gegeben hat, Tote zu erwecken, Aussätzige rein zu machen, Teufel auszutreiben usw. (Matth. 10,8; Mark. 3,15; 6,7). Diese aber haben ihr Amt so erfüllt, daß dabei ganz klar wurde: die Kraft kam von niemandem anders als von Christus. „Im Namen Jesu Christi stehe auf und wandle“, sagt Petrus (Apg. 3,6). Es ist deshalb auch nicht zu verwundern, daß Christus auf seine Wunder verwies, um den Unglauben der Juden zu besiegen; denn was aus seiner Kraft heraus geschehen war, mußte ja zugleich ein voller Beweis für seine Gottheit sein (Joh. 5,36; 10,37; 14,11). Wenn ferner außer Gott kein Heil, keine Gerechtigkeit, kein Leben ist und anderseits Christus alles das in sich hat, dann ist er gewiß als Gott ausgewiesen. Es soll mir nun aber keiner einwerfen, es sei von Gott her Leben und Heil in ihn übergegangen. Denn es heißt nicht, daß er Heil empfangen habe, sondern daß er das Heil sei! Und wenn keiner gut ist als Gott allein (Matth. 19,17), wie sollte dann ein bloßer Mensch — nicht gut und gerecht, sondern — die Güte und Gerechtigkeit selber sein? War nicht nach dem Zeugnis des Evangelisten seit Anbeginn der Welt in ihm das Leben, und war er nicht selbst, der er schon damals das Leben war, das Licht der Menschen? (Joh. 1,4). Deshalb wagen wir, auf solche Zeugnisse gestützt, auf ihn unseren Glauben und unsere Hoffnung zu setzen, obwohl wir doch genau wissen, daß es Frevel und Gottlosigkeit ist, wenn einer sein Vertrauen auf die Kreatur setzt! „Glaubet ihr an Gott, so glaubet auch an mich“ spricht er (Joh. 14,1; nicht Luthertext). So legt auch Paulus zwei Jesajastellen aus: „Wer auf ihn hoffet, wird nicht zu Schanden werden“ und „Aus der Wurzel Isai wird einer erstehen, um die Völker zu regieren; auf ihn werden die Völker hoffen“ (Jes. 28,16; 11,10; Röm. 10,11; 15,12). Aber wozu sollen wir hierzu weiter Schriftzeugnisse aufführen, da es doch immer wieder heißt: „Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben“? So gebührt ihm auch die gläubige Anrufung, die doch der göttlichen Majestät eigen ist, wenn überhaupt etwas. Denn es sagt der Prophet: „Wer den Namen des Herrn anrufen wird, der wird gerettet werden“ (Joel 3,6). Und wieder ein anderer ruft aus: „Der Name des Herrn ist ein festes Schloß; der Gerechte läuft dahin und wird beschirmt“ (Spr. 18,10). Nun wird aber der Name Christi zum Heil angerufen; und daraus wird klar, daß er „der Herr“ ist. Wir haben ein Beispiel solcher Anrufung, nämlich das des Stephanus: “Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!“ (Apg. 7,58). Auch weitere Beispiele besitzen wir in der ganzen Kirche, wie es zum Beispiel Ananias im gleichen Buche darstellt, wenn er sagt: „Herr, du weißt, wieviel Übels dieser Mensch allen Heiligen getan hat, allen, die deinen Namen anrufen (Apg. 9,13.14). Und damit recht deutlich erkannt werde, daß in ihm alle Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt, bekennt der Apostel, er habe unter den Korinthern keinerlei Lehre vertreten als allein die Erkenntnis Christi, er habe nichts anderes gepredigt als diese! (1. Kor. 2,2). Ist es denn nicht eigenartig und sonderbar, daß Gott uns, denen er doch gebietet, sich allein seiner Erkenntnis zu rühmen (Jer. 9,23), allein den Namen des Sohnes verkündigen läßt? Wer wollte sich erkühnen, den für ein bloßes Geschöpf zu erklären, dessen Erkenntnis allein unser Ruhm ist? Dazu kommt noch, daß Paulus in den Grußworten, die am Anfang seiner Briefe stehen, vom Sohne die nämlichen Segnungen erbittet wie vom Vater. Daraus folgt für uns die Lehre, daß wir nicht bloß durch sein Eintreten für uns empfangen, was uns der himmlische Vater zuteil werden läßt, sondern daß der Sohn vermöge seiner Teilhabe an der Macht selbst der Urheber ist. Diese praktische Erkenntnis ist ohne Zweifel gewisser und zuverlässiger als alles müßige Gedankenspiel. Denn da sieht die gläubige Seele Gott in völliger Nähe, ergreift ihn schier mit den Händen und erfährt, daß sie von ihm lebendig gemacht, erleuchtet, gerettet, gerechtfertigt und geheiligt wird!
Der Erweis der Gottheit des Geistes muß nun aus den gleichen Quellen geführt werden.
Ohne alle Dunkelheit ist das Zeugnis des Mose in der Schöpfungsgeschichte: der Geist habe über dem Abgrund oder dem ungestalteten Stoff geschwebt (Gen. 1,2). Dadurch zeigt er, daß nicht nur die Schönheit der Welt, wie man sie jetzt erblickt, durch die Kraft des Geistes ihren Bestand hat, sondern daß der Geist bereits, ehe all diese Zier aufkam, die ungeordnete Masse erhalten hat. Keinerlei Ausflüchte gestattet auch der Ausspruch bei Jesaja: „Und nun sendet mich der Herr, Herr und sein Geist“ (Jes. 48,16); denn er teilt damit die höchste Befehlsgewalt bei der Sendung der Propheten auch dem Geiste zu, woraus seine göttliche Majestät hervorleuchtet. Aber der beste Beweis kommt doch, wie ich bereits sagte, aus vertrauter Erfahrung. Denn hoch über alle Kreatur ist erhaben, was ihm die Schrift beilegt und was wir selbst in sicherer Erfahrung der Frömmigkeit lernen. Denn er ist überall gegenwärtig und erhält, nährt und belebt alle Dinge im Himmel und auf Erden. Schon dadurch wird er der Zahl der Geschöpfe entnommen, daß ihn keinerlei Grenzen umschließen. Aber daß er seine Kraft in alles ergießt und dadurch allen Dingen Wesen, Leben und Bewegung verleiht, das ist offenkundig göttlich. Und wenn weiterhin die Wiedergeburt zu unvergänglichem Leben höher und viel erhabener ist als alles gegenwärtige Wachsen und Werden, wie muß man dann über den Geist urteilen, aus dessen Kraft solches Leben hervorgeht? Denn daß er selbst nicht durch Übertragung, sondern durch seine eigene Kraft der Urheber der Wiedergeburt ist, das lehrt die Schrift an vielen Stellen. Er ist aber nicht allein der Urheber der Wiedergeburt, sondern auch der Begründer künftiger Unsterblichkeit. Es werden also dem Geist genau wie dem Sohn alle Wirksamkeiten der Gottheit, und zwar besonders die ganz eigentümlichen, zugeschrieben. Wenn doch der Geist die Tiefen des Gottes erforscht, der unter den Geschöpfen keinen Ratgeber hat (1. Kor. 2,10.16), wenn er Weisheit und Redefähigkeit darreicht (1. Kor. 12,10), wo doch der Herr dem Mose sagt, das sei ausschließlich sein Werk (Ex. 4,11), dann gelangen wir durch ihn derart zur Gemeinschaft mit Gott, daß wir seine Kraft als lebendigmachende an uns erfahren. Unsere Rechtfertigung ist sein Werk, von ihm kommt Kraft, Heiligung, Wahrheit, Gnade und was man nur Gutes erdenken kann. Denn es ist ein Geist, von dem alle Gaben kommen. Besonders ist hier der Satz des Paulus erwähnenswert: Wie mannigfaltig auch die Gaben sind, wie vielfältig und verschieden sie verteilt sind, „es ist ein Geist“ (1. Kor. 12,4). Damit stellt er fest, daß der Geist nicht etwa bloß der Anfang und die Quelle, sondern wirklich der Urheber ist. Das drückt er noch klarer kurz danach so aus: „Dies alles aber wirket derselbe eine Geist und teilt einem jeglichen seines zu, nach dem er will.“ (1. Kor. 12,11). Wäre der Geist nicht eine Seinsweise in Gott, so würde ihm sicherlich in keiner Weise Wahl und Wille zugeschrieben. Deshalb mißt also Paulus dem Geist mit voller Klarheit göttliche Macht bei und zeigt, daß er als eigene Wesenheit (hvpostatice) in Gott wohne.
Auch bedient sich die Schrift, wenn sie vom Geiste redet, des Namens „Gott“. Denn Paulus folgert daraus, daß der Geist in uns wohnt, daß wir ein Tempel Gottes sind (1. Kor. 3,17; 6,19; 2. Kor. 6,16). Darüber darf man nicht schnell hinweggehen. Denn Gott verheißt so oft, er werde sich uns als seinen Tempel erwählen — und erfüllt diese Verheißung dadurch, daß der Geist in uns wohnt! Augustin hat sicher mit seiner ausgezeichneten Bemerkung recht: Wenn wir den Befehl erhielten, dem Geist aus Holz und Stein einen Tempel zu bauen, wo doch solche Verehrung einzig Gott gebührt, so wäre das ja schon ein klarer Beweis für seine Gottheit; wieviel klarer ist er aber nun, da wir ihm nicht einen Tempel bauen, sondern selbst ein Tempel sein sollen! (Brief 170). Der Apostel schreibt einmal, wir seien Gottes Tempel, das andere Mal in völlig gleichem Sinne, wir seien Tempel des Heiligen Geistes! Und als Petrus den Ananias tadelte, daß er „dem Heiligen Geiste gelogen“ habe, da sagte er, Ananias habe „nicht Menschen, sondern Gott gelogen“ (Apg. 5,3f.). Und wo Jesaja den Herrn der Heerscharen redend einführt (Jes. 6,9), da lehrt Paulus, es sei der Heilige Geist, der da rede. (Apg. 28,25f.). Überhaupt: wo die Propheten immer wieder sagen, die Worte, die sie redeten, seien solche des Herrn der Heerscharen, da nennen Jesus und die Apostel den Heiligen Geist. Auch daraus geht hervor, daß er wahrhaftig „der Herr“ (Jehovah) ist, der der höchste Urheber aller Prophetie ist. Wo andererseits Gott sich darüber beschwert, daß er durch des Volkes Halsstarrigkeit herausgefordert werde, da sagt Jesaja, es sei sein Heiliger Geist betrübt worden (Jes. 63,10). Und wenn endlich die Lästerung des Geistes weder in dieser Welt noch in der zukünftigen vergeben werden soll, während doch der, der den Sohn lästert, Vergebung empfangen kann (Matth. 12,31; Mark. 3,29; Luk. 12,10), so ist auch das ein klarer Ausdruck der göttlichen Majestät des Geistes, die zu verletzen oder anzutasten ein unvergebbarer Frevel ist. Mit voller Absicht übergehe ich viele Zeugnisse, die die Alten hier genannt haben. Ihnen schien es angebracht, hier z.B. die Psalmstelle anzuführen: „die Himmel sind durch des Herrn Wort gemacht und all ihr Heer durch den Geist seines Mundes“ (Ps. 33,6), um zu beweisen, die Welt sei ebensosehr des Heiligen Geistes Werk wie das des Sohnes. Aber da es in den Psalmen üblich ist, dasselbe zweimal zu sagen, und da ferner bei Jesaja „Geist seines Mundes“ soviel bedeutet wie „Wort“ (Jes. 11,4), so scheint mir dies eine schwache Beweisstelle zu sein. Ich wollte deshalb nur kurz das berühren, auf das sich der fromme Sinn mit Sicherheit stützen kann.
Wie sich nun Gott in der Ankunft Christi deutlicher offenbart hat, so hat er sich dort auch in den drei Personen vertrauter kundgemacht. Aus den vielen Zeugnissen davon mag uns eines genügen: Es verbindet nämlich Paulus diese drei: Gott, Glaube und Taufe (Eph. 4,5) derart, daß er vom einen zum anderen folgert: weil ein Glaube ist, so erweist sich daraus, daß ein Gott ist, und weil eine Taufe ist, so zeigt er daraus, daß auch ein Glaube sei. Wenn wir also durch die Taufe in den Glauben an den einen Gott und seine Verehrung eingeführt werden, so müssen wir als den wahren Gott notwendig den erkennen, in dessen Namen wir getauft werden. Und wenn Christus sagte: „Taufet sie in den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“, so wollte er mit so feierlicher Formel ohne Zweifel bezeugen, daß das Licht des Glaubens bereits vollständig offenbart sei. Denn diese Formel bedeutet soviel wie die Forderung der Taufe auf den Namen des einen Gottes, der in voller Klarheit im Vater, im Sohne und im Geiste erschienen ist; und daraus ergibt sich deutlich, daß in Gottes Wesen drei Personen sind, in welchen der eine Gott erkannt wird! Und da nun der Glaube nicht nach allen Seiten umherschauen und auch nicht in allen Richtungen sich herumtreiben soll, sondern auf den einen Gott blicken, an ihm hängen und an ihm bleiben soll, so müßte es ja, wenn es mehrerlei Glauben gäbe, auch mehrere Götter geben. Weil aber das Sakrament des Glaubens die Taufe ist, so versichert sie uns dadurch der Einheit Gottes, daß sie eben eine Taufe ist! Daraus folgt auch, daß man nur auf den einen Gott getauft werden darf; denn wir sollen ja an den glauben, in dessen Namen wir getauft werden. Wenn also Christus anordnete, die Taufe solle in den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes geschehen, was konnte er dabei anders im Sinne haben, als daß wir eben mit einem Glauben an den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist glauben sollten! War das aber so, was wollte er dann anders, als deutlich bezeugen, daß der Vater, der Sohn und der Geist der eine Gott ist? Bleibt es also bestehen, daß Gott einer ist und eben nicht viele, so können Wort und Geist nichts anderes sein als Gottes Wesen selbst! Und deshalb war es ganz besonders töricht und ungeziemend, wenn die Arianer zwar die Gottheit Christi bekennen, ihm aber Gottes Wesen (Grundwesen) absprechen wollten! Ein ganz ähnlicher Wahn trieb die Macedonianer, wenn sie meinten, unter dem Geist seien nur die den Menschen zugeflossenen Gnadengaben zu verstehen. Denn wie Weisheit, Einsicht, Verstand, Kraft und Furcht des Herrn von ihm kommen, so ist er eben selbst der eine Geist der Weisheit, der Klugheit, der Kraft und der Frömmigkeit. Er wird auch nicht gemäß der Austeilung seiner Gaben selbst zerteilt; sondern so verschieden die Gaben geteilt werden, so bleibt er doch immer einer und derselbe, wie der Apostel sagt (1. Kor. 12,11).
Aber auf der anderen Seite wird in der Schrift auch ein gewisser Unterschied des Vaters gegenüber dem Worte und des Wortes gegenüber dem Geiste aufgestellt. Die Tiefe des Geheimnisses mahnt uns indessen selbst, bei der Betrachtung dieses Unterschieds mit größter Ehrfurcht und Besonnenheit zu Werke zu gehen. Mir gefällt besonders das Wort des Gregor von Nazianz: „Ich vermag nicht, einen zu denken, ohne sofort von den dreien umstrahlt zu werden; und ich kann die drei nicht scheiden, ohne auf den einen zurückzukommen.“ (Gregor von Nazianz, Von der Heiligen Taufe). Auch wir dürfen die Dreieinigkeit der Personen nicht so auffassen, daß unsere Gedanken dabei in sich zerteilt und auseinandergebracht und nicht vielmehr alsbald zur Einheit zurückgeführt würden. Gewiß bedeuten schon die Bezeichnungen „Vater“, „Sohn“ und „Geist“ eine wirkliche Unterscheidung, und man soll nicht meinen, es wären darunter bloß Beinamen zu verstehen, die Gott nach seinen verschiedenen Wirkungen bezeichneten. Aber es handelt sich um Unterscheidung und nicht um Scheidung. Daß er, der Sohn, eine vom Vater unterschiedene Eigenheit (proprietas) besitzt, das zeigten uns die bereits angeführten Stellen. Denn das Wort wäre nicht „bei“ Gott, wenn es sich nicht vom Vater unterschiede, auch hätte es dann nicht seine Herrlichkeit „beim“ Vater. Ebenso macht der Sohn zwischen sich und dem Vater einen Unterschied, wenn er sagt: „Es ist ein anderer, der für mich zeugt“ (Joh. 5,32; 8,16 u.a.). In diese Reihe gehört auch der an anderer Stelle vorkommende Satz: der Vater habe alles durch das Wort geschaffen (Hebr. 11,3); denn auch hier wird eine Unterscheidung vorausgesetzt. Auch kam ja nicht der Vater auf die Erde, sondern der, der vom Vater ausging. Nicht der Vater ist gestorben und auferstanden, sondern der, den er gesandt hat. Aber diese Unterscheidung beginnt nicht erst mit der Fleischwerdung, sondern es wird bezeugt, daß schon zuvor der Eingeborene im Schoß des Vaters war (Joh. 1,18). Denn wer wollte sich unterstehen zu behaupten, der Sohn sei erst da in den Schoß des Vaters eingegangen, als er vom Himmel herabkam und Mensch wurde? Er war also schon zuvor im Schoße des Vaters (Joh. 1,18) und besaß seine Herrlichkeit bei dem Vater (Joh. 17,5). Die Unterscheidung des Heiligen Geistes vom Vater deutet Christus an, wenn er sagt, der Geist gehe vom Vater aus (Joh. 14,26; 15,26); oft unterscheidet er ihn auch von sich selbst, wenn er etwa sagt: „Ich will euch einen anderen Tröster senden“ (Joh. 14,16), aber auch noch an anderen Stellen.
Um diese Unterscheidung näher zu kennzeichnen, hat man zuweilen Ähnlichkeiten aus menschlichen Verhältnissen entlehnt. Aber ich weiß nicht, ob dabei etwas herauskommt. Auch die Alten tun das manchmal; aber sie gestehen doch zugleich, es sei ein großer Unterschied zwischen Sache und Bild. Deshalb scheue ich hier alle Kühnheit; es könnte zu leicht etwas unbedacht Vorgebrachtes den Bösen zu Schmähungen und den Schwachen zum Irrtum Anlaß geben! Jedoch gebührt es uns nicht, die Art der Unterscheidung zu verschweigen, die wir in der Schrift bezeichnet finden. Diese besteht aber in folgendem: dem Vater ist der Anfang des Wirkens zugeschrieben, er ist aller Dinge Quelle und Brunnen, dem Sohne eignet die Weisheit, der Rat und die geordnete Austeilung, dem Geiste die Kraft und Wirksamkeit im Handeln. Ferner ist zwar die Ewigkeit des Vaters auch die des Sohnes und des Geistes — denn Gott konnte ja nie ohne Weisheit und Kraft sein, und in der Ewigkeit kann anderseits kein Vorher und Nachher gefunden werden. Aber trotzdem ist es eine keineswegs leere oder überflüssige Ordnungsfolge, wenn der Vater als der Erste gilt, dann der Sohn aus ihm folgt, und dann aus beiden der Geist. Denn jedes Menschen Herz neigt ganz von selbst dazu, zuerst den Vater zu betrachten, dann die aus ihm hervorbrechende Weisheit und dann zum Schluß die Kraft, durch die er seine Ratschlüsse verwirklicht. Aus diesem Grunde sagt man, der Sohn habe sein Wesen nur durch den Vater, der Geist durch den Vater und den Sohn gemeinsam. So finden wir es denn auch an vielen Schriftstellen; nirgendwo aber klarer als in Römer 8, wo derselbe Geist einmal als der Geist Christi und dann wieder als der Geist dessen bezeichnet wird, „der Christus von den Toten auferweckt hat“ (Röm. 8,9). Und das mit Recht. Bezeugt doch auch Petrus, daß es Christi Geist gewesen sei, in dem die Propheten geweissagt haben (1. Petr. 1,11), wo doch sonst die Schrift so oft lehrt, daß es des Vaters Geist gewesen ist.
Aber diese Unterscheidung tut der vollen Einheit Gottes durchaus keinen Abbruch. Ja, es kann vielmehr gerade aus ihr erwiesen werden, daß der Sohn ein Gott ist mit dem Vater, weil er auch zugleich mit ihm den einen Geist hat, daß aber auch der Geist nicht etwas anderes, vom Vater und vom Sohne Getrenntes ist, weil er ja der Geist des Vaters und des Sohnes ist! Denn unter jeder einzelnen Person (Hypostase) wird die ganze (göttliche) Natur verstanden, mit dem zusammen, was jeder als Eigenheit zukommt. Der Vater ist ganz in dem Sohne, der Sohn ganz im Vater, wie er ja auch selbst sagt: „Ich bin im Vater und der Vater ist in mir“ (Joh. 14,10), und die kirchlichen Schriftsteller gestehen nicht zu, daß der eine vom andern durch irgendeinen Unterschied im Wesen getrennt wäre. „Mit den Benennungen, die eine Unterscheidung betreffen“, sagt Augustin, „wird ihr gegenseitiges Verhältnis bezeichnet, nicht aber das Grundwesen (substantia), in welchem sie doch eins sind.“ (Augustin, Brief 238). In diesem Sinne muß man die Aussagen der Alten zusammensehen — sonst müßten sie den Eindruck erwecken, nennenswert gegeneinander zu stehen. Denn bald sagen sie, der Vater sei der Ursprung des Sohnes, bald bestehen sie darauf, der Sohn habe seine Gottheit und sein Wesen von sich selber, sei also ein Anfang mit dem Vater (Augustin, Brief 238 und zu Ps. 109,13). Den Grund dieser Verschiedenheit erklärt Augustin an anderer Stelle ganz deutlich: „Christus wird an und für sich Gott genannt, in seinem Verhältnis zum Vater aber Sohn. Und anderseits: der Vater wird an und für sich Gott genannt, in seinem Verhältnis zum Sohn aber Vater. Wenn er also dem Sohn gegenüber Vater ist, so ist er eben nicht der Sohn, und wenn der Sohn gegenüber dem Vater Sohn heißt, so ist er eben nicht der Vater; der aber an und für sich Vater und der an und für sich Sohn genannt wird, der ist derselbe Gott!“ (Augustin zu Psalm 68). Wenn wir also vom Sohne schlechthin, ohne Rücksicht auf den Vater reden, so können wir recht und wirklich sagen, er sei aus sich selber, und so können wir ihn den einzigen Ursprung nennen; wenn wir aber sein Verhältnis zum Vater ins Auge fassen, so sagen wir mit Recht, daß der Vater der Ursprung des Sohnes sei. Die Entfaltung dieser Gedanken bildet den Inhalt des fünften Buches in Augustins Werk „Von der Dreieinigkeit“. Jedenfalls ist es viel sicherer, bei der Verhältnisbestimmung, die er gibt, zu bleiben, als tiefer in dieses erhabene Geheimnis einzudringen und sich dann in allerhand leeres Gedankenspiel zu verlieren.
Also mögen nun diejenigen, die nüchternen Herzens und mit dem Maß des Glaubens zufrieden sein möchten, kurz merken, was nützlich ist zu wissen. Nämlich, wenn wir bekennen, an den einen Gott zu glauben, so versteht man unter „Gott“ das eine und einfache Wesen, in dem wir drei Personen oder Hypostasen begreifen. Wird Gottes Name ohne nähere Bestimmung gebraucht, so ist nicht weniger der Sohn und der Geist als der Vater gemeint. Tritt neben den Vater der Sohn, so ist das Verhältnis (relatio) zu beachten, und so unterscheiden wir zwischen den Personen. Nun aber stehen die Eigenheiten (proprietates) der Personen untereinander in einer gewissen Ordnung, so daß der Vater Anfang und Ursprung ist. Wo also der Vater und der Sohn oder auch der Geist zusammen genannt werden, da wird der Name „Gott“ in besonderer Weise dem Vater beigelegt. Dadurch wird die Einheit des Wesens beibehalten und die Ordnung bewahrt; aber dies nimmt doch der Gottheit des Sohnes und des Geistes nichts. Und da, wie wir oben gesehen haben, die Apostel behaupten, daß der Sohn Gottes der gewesen sei, den die Propheten als „den Herrn“ bezeugt haben, so muß man gewiß notwendig immer wieder zur Einheit des Wesens zurückkommen. Deshalb ist es für uns ein verabscheuungswürdiger Frevel, wenn man sagt, der Sohn sei ein vom Vater verschiedener Gott. Denn der einfache Name „Gott“ läßt keinerlei Verhältnisbestimmung zu, man kann auch nicht sagen, daß Gott im Verhältnis zu sich selber das oder das sei. Daß der Name „der Herr“ (Jehovah), wenn er nicht näher bezeichnet ist, auch Christus zukommt, leuchtet auch aus dem Pauluswort ein: ,,Deshalb habe ich den Herrn dreimal gebeten“ — denn nachdem er Christi Antwort berichtet hat: „Laß dir an meiner Gnade genügen“, setzt er gleich hinzu: „... daß die Kraft Christi bei mir wohne ...“ (2. Kor. 12,9). Da ist ja ganz klar der Name „Herr“ für „Jehovah“ gesetzt, und so wäre es leichtsinnig und kindisch, ihn auf die Person des Mittlers zu beschränken; denn es handelt sich um eine Rede ohne jeden Gedanken an ein (innergöttliches) Verhältnis (absolute); ein Vergleich zwischen dem Vater und dem Sohne findet also nicht statt. Und aus der Gewohnheit der Griechen wissen wir auch, daß die Apostel zuweilen den Namen „Kyrios“ (Herr) für „Jehovah“ setzten. Um nicht von weither ein Beispiel zu holen: Wenn Paulus zum „Herrn“ betete, so geschah das in demselben Sinne, wie Petrus die Joelstelle anführt: „Wer den Namen des Herrn anruft, der wird gerettet werden“ (Apg. 2,16; Joel 3,5). Wo dieser Name („Herr“) in besonderer Weise dem Sohne allein beigelegt wird, da hat es damit eine andere Bewandtnis, wie an anderer Stelle gezeigt werden soll. Jetzt wollen wir nur festhalten: Paulus fügt, nachdem er zu Gott ohne nähere Bestimmung gebetet hat, sogleich Christi Namen an.
So nennt Christus Gott auch ganz „Geist“ (Joh. 4,24). Denn es steht nichts dagegen, daß das ganze Wesen Gottes geistlich sei — da doch in ihm Vater, Sohn und Geist begriffen werden. Dies wird auch durch die Schrift bestätigt; denn wie wir Gott hier „Geist“ nennen hören, so hören wir auch, wie vom Geiste, da und sofern er ja eine „Person“ (Hypostase) des ganzen Wesens ist, gesagt wird, er sei Gottes Geist und komme von Gott.
Nun hat der Teufel, um unseren Glauben mit der Wurzel auszurotten, zu allen Zeiten einerseits über das göttliche Wesen des Sohnes und des Geistes, anderseits über die Unterscheidung der Personen gewaltige Streitigkeiten erregt. Und wie er fast in allen Jahrhunderten gottlose Menschen aufgebracht hat, um durch sie die rechtgläubigen Lehrer an diesem Punkte zu plagen, so versucht er auch heute aus alten Funken ein neues Feuer anzuzünden. Deshalb aber ist es hier der Mühe wert, dem verdrehten Wahn von einigen dieser Leute entgegenzutreten. In der bisherigen Darstellung war hauptsächlich die Absicht, gelehrige Menschen mit der Hand zu leiten, aber nicht, mit halsstarrigen und zanksüchtigen zu streiten. Jetzt aber muß die Wahrheit, die in Ruhe dargestellt wurde, gegen alles Schmähen der Gottlosen verteidigt werden. Freilich ist es mir doch am wichtigsten, daß die, welche dem Worte Gottes gern ihr Ohr öffnen, einen Grund haben, auf dem sie stehen können. Wenn es irgendwo angesichts der verborgenen Geheimnisse der Schrift der Besonnenheit und Mäßigung beim Nachsinnen bedarf, so gilt das hier in ganz besonderem Maße. Es gehört auch viel Vorsicht dazu, daß nicht der Gedanke oder die Sprache weiter geht, als Gottes Wort uns verstattet. Wie sollte auch der Menschengeist Gottes unermeßliches Wesen nach seinem Maße messen wollen, wo er noch nicht einmal sicher feststellen kann, was denn die Sonne für ein Körper sei — die er doch alle Tage mit Augen sieht! Oder wie soll er selbständig dazu kommen, Gottes Grundwesen zu erforschen, wo er doch sein eigenes nicht im mindesten kennt? Deshalb wollen wir die Erkenntnis Gottes ihm selber überlassen. Denn er ist doch nach dem Worte des Hilarius allein ein vollgültiger Zeuge für sich selbst, und man kann ihn nur durch ihn selbst erkennen. Wir verfahren aber dann nach dieser Einsicht, wenn wir ihn so betrachten, wie er sich uns geoffenbart hat, und über ihn an keiner anderen Stelle eine Kunde suchen als in seinem Wort. So bestehen über diesen Gegenstand fünf Predigten des Chrysostomus gegen die Anhomöer; aber auch diese vermochten die Vermessenheit der Klüglinge (Sophisten) nicht zu bändigen und ihrer Schwatzhaftigkeit keinen Zaum anzulegen. Denn sie haben sich hier nicht bescheidener betragen, als sie sonst zu tun pflegen. Wir aber sollen aus den heillosen Folgen solcher Vermessenheit lernen, in dieser Sache mehr Lernbegier als Scharfsinn zu entwickeln und uns vor allem nicht in den Sinn kommen zu lassen, Gott irgendwo anders zu suchen als nur in seinem heiligen Wort, oder über ihn etwas zu denken als allein unter Leitung seines Wortes, oder etwas zu reden als allein das, was aus seinem Worte kommt. Die Unterscheidung zwischen Vater, Sohn und Geist innerhalb der einen Gottheit, die ja sehr schwer zu erkennen ist, hat einigen Geistern mehr Mühe und Beschwerde gemacht, als nützlich war; deshalb wollen wir uns daran erinnern, daß der Menschengeist in einen Irrgarten hineinrennt, wenn er sich seiner eigenen Neugier überläßt, und uns von den himmlischen Offenbarungsworten leiten lassen, da wir die Tiefe des Geheimnisses nicht begreifen können.
Es würde zu weit führen und nur unnützen Überdruß erregen, wollte man all die Irrtümer aufzählen, mit denen die Lauterkeit des Glaubens in diesem Hauptstück der Lehre je angefochten worden ist. ist. Viele von den Urhebern der Ketzerei haben mit ihrem groben Wahn den Versuch, Gottes Herrlichkeit gar zunichte zu machen, so unternommen, daß sie sich damit begnügten, Unerfahrene zu erschüttern oder in Verwirrung zu bringen. Alsbald aber entsprangen aus einzelnen Menschen ganze Sekten, die zum Teil Gottes Wesen zerreißen, zum Teil die Unterschiedenheit der Personen verwischen wollten. Wenn wir aber nun festhalten, was oben aus der Schrift hinlänglich bewiesen wurde, nämlich daß das Wesen des einen Gottes einfach und unteilbar ist, und daß es dem Vater, dem Sohne und dem Geiste (gleichermaßen) zukommt, daß sich wiederum der Vater durch eine bestimmte Eigenheit vom Sohne und der Sohn vom Geiste unterscheidet — dann ist dem Arius und dem Sabellius und allen früheren Irrlehrern der Eingang versperrt.
Aber es sind zu unserer Zeit einige Schwindelköpfe wie Servet und seinesgleichen aufgetreten und haben mit neuem Blendwerk alles zu verwirren gesucht, und deshalb ist es doch der Mühe wert, ihre Trügereien kurz zu prüfen. Dem Servet war der Ausdruck „Trinität“ dermaßen verhaßt, ja abscheulich, daß er uns alle „Trinitarier“ nannte und uns als solche für Atheisten erklärte. Ich will dabei noch die Schmähworte übergehen, die er sich ausgedacht hat. Der Hauptinhalt seiner Spekulationen war der: Wo man von dem Dasein dreier Personen in Gottes Wesen spräche, da hätte man einen dreiteiligen Gott aufgebracht, und diese Dreiheit sei reine Einbildung, da sie ja gegen die Einheit Gottes verstoße. Nach seiner Anschauung wären nun die Personen gewisse äußere Vorstellungen, die nicht etwa wirklich in Gottes Wesen bestünden, sondern uns Gott nur in dieser oder jener Beziehung darstellen sollten. Im Anfang habe es in Gott keinerlei Unterschiedenheit gegeben, weil ehedem Wort und Geist noch dasselbe gewesen seien; seitdem aber Christus als Gott von Gott ausgegangen wäre, sei auch ein anderer Geist, ebenfalls als Gott, aus Gott hervorgegangen. Zuweilen putzt er seine Albernheiten mit Sinnbildern auf. So sagt er, das ewige Wort Gottes sei der ewige Geist Christi bei Gott gewesen und ein Abglanz der Idee. Oder auch: der Geist sei der Schatten der Gottheit gewesen. Kurz darauf macht er aber dann doch beider Gottheit zunichte und behauptet, es sei nach dem Maße der (göttlichen) Austeilung im Sohne wie im Geiste ein Teil Gottes gewesen, so wie derselbe Geist seinem Grundwesen nach in uns und auch in Holz und Stein als ein Teil Gottes vorhanden sei. Was er über die Person des Mittlers schwatzt, werden wir bei Gelegenheit sehen. Seine tolle Erfindung, Person bedeute nichts anderes als eine sichtbare Gestalt der Herrlichkeit Gottes, bedarf keiner langen Widerlegung. Denn wenn Johannes sagt, daß der Logos (das Wort) bereits vor Erschaffung der Welt Gott gewesen sei, so versteht er darunter etwas ganz anderes als eine Idee oder eine sichtbare Gestalt (Joh. 1,1). Wenn aber der Logos, der doch Gott war, schon dazumal und seit aller Ewigkeit bei dem Vater war und seine eigene Herrlichkeit bei dem Vater hatte (Joh. 17,5), dann konnte er nicht ein äußerer und abbildender Schein sein, sondern mußte doch vielmehr eine Hypostase, eine Seinsweise sein, die in Gott wohnte. Und obwohl der Geist nur bei der Weltschöpfung erwähnt wird, erscheint er doch dort keineswegs als Schatten, sondern als wesentliche Kraft Gottes, wie denn Mose auch berichtet, er habe diese ungeformte Masse umschwebt und getragen (Gen. 1,2). Daß also der ewige Geist stets in Gott gewesen ist, das kommt darin zum Vorschein, daß er den verworrenen Stoff Himmels und der Erde pflegte, bis Schönheit und Ordnung hineinkam. Da konnte gewiß noch kein Bild, auch keine Darstellung Gottes da sein, wie Servet träumt. An anderer Stelle kommt seine Gottlosigkeit noch offener zutage, wenn er behauptet, Gott habe sich dadurch sichtbar offenbart, daß er sich nach seinem ewigen Ratschluß einen sichtbaren Sohn erwählte. Denn wäre das wahr, so bestünde Christi Gottheit nur noch darin, daß er aus Gottes ewigem Rat zum Sohn bestimmt worden wäre. Dazu kommt, daß er die Gespenster, welche er an Stelle der Personen unterschiebt, derart umgestaltet, daß er sich nicht scheut, Gott neu hinzukommende Eigenschaften anzudichten. Aber am abscheulichsten von allem ist es doch, daß er den Sohn und den Geist Gottes mit allen Kreaturen durcheinandermengt. Denn er behauptet, diese seien Teile oder Einteilungen im Wesen Gottes, von denen jede einzelne ein Teil Gottes sei; vor allem seien die Geister der Gläubigen von gleicher Ewigkeit und gleichem Grundwesen wie Gott, wie er denn auch anderswo der Seele des Menschen und auch anderen geschaffenen Dingen wesenhafte Gottheit zuschreibt.
Aus diesem Sumpf ist dann ein anderes, ähnliches Ungeheuer heraufgestiegen. Denn einige Bösewichter, die der Verachtung und Schande des Servetschen Wahns entgehen wollten, haben zwar bekannt, es seien drei Personen, aber dann als Begründung hinzugefügt: weil der Vater, der allein wirklich und eigentlich Gott ist, den Sohn und den Geist schuf und dadurch seine Gottheit auf sie überströmen ließ! Sie haben sogar nicht einmal die schauderhafte Redensart vermieden, den Vater darin vom Sohn und vom Geist unterschieden zu sehen, daß er eben der Seinsurheber (essentiator) sei. Sie suchen ihrer Sache dadurch ein Ansehen zu verschaffen, daß sie sagen, Christus werde doch durchweg Sohn Gottes genannt, und daraus schließen sie, im eigentlichen Sinne sei nur der Vater Gott! Dabei sehen sie an den Tatsachen gänzlich vorbei. Denn der Name Gott, der dem Vater und dem Sohne gemeinsam zukommt, wird doch nur darum gelegentlich dem Vater in besonderer Weise beigelegt, weil er Quelle und Anfang der Gottheit ist, und zwar, damit die unteilbare Einheit des Wesens hervortrete! Auch sagen sie, wenn Christus wirklich Gottes Sohn sei, so sei es doch widersinnig, ihn für den Sohn einer „Person“ (nämlich: des Vaters!) zu halten! Ich antworte: es ist beides wahr. Denn er ist Gottes Sohn, weil er vom Vater als das Wort von Ewigkeit her gezeugt ist — ich rede nämlich hier noch nicht von ihm als dem Mittler. Es muß aber um des Verständnisses willen auch auf die Person geachtet werden: der Name „Gott“ (in der Aussage „Gottes Sohn“) wird also hier nicht allgemein gebraucht, sondern statt „Vater“. Denn wenn wir keinen anderen als Gott anerkennen wollten als den Vater, so würde der Sohn dieser Würde offenkundig beraubt! Wo deshalb die Gottheit erwähnt wird, da ist eine Gegenüberstellung zwischen Sohn und Vater nicht im mindesten angebracht, etwa in dem Sinne, als ob dem Vater allein der Name „wahrer Gott“ zukäme. Denn gewiß war der Gott, der dem Jesaja erschien, der wahre und einige Gott, (Jes. 6,1), und doch behauptet Johannes, das sei Christus gewesen (Joh. 12,41). Und der durch den Mund des Jesaja verhieß, er werde den Juden ein Stein des Anstoßes sein (Jes. 8,14), der war der einige Gott — und Paulus verkündet doch, daß es Christus war! (Röm. 9,33). Wenn er durch Jesaja ausruft: „Ich lebe! Und mir sollen sich alle Knie beugen ...“ (Jesaja 45,23), so ist er der einige Gott, und doch wendet Paulus die Stelle auf Christus (Röm. 14,11). Dazu kommen noch die Zeugnisse, die ein anderer Apostel anführt (Hebr. 1,10): „Du, Gott, hast Himmel und Erde gegründet“ (Ps. 102,26) und „Es sollen ihn anbeten alle Engel Gottes“ (Ps. 97,7). Die beziehen sich beide auf den einigen Gott allein, und doch behauptet der Apostel, daß es eigentliche Lobpreisungen Christi sind. Die Ausflucht, es werde das, was Gott eigen ist, auf Christus übertragen, weil er ja der Widerschein seiner Herrlichkeit sei, kann dagegen nichts machen. Denn da überall der Name „der Herr“ steht, so folgt, daß er hinsichtlich seiner Gottheit aus sich selber ist. Wenn er „der Herr“ ist, so kann eben nicht geleugnet werden, daß er derselbe Gott ist, der durch Jesaja an anderer Stelle ausruft: „Ich bin es, ich, und ist kein Gott außer mir!“ (Jes. 44,6). Zu beachten ist auch der Ausspruch des Jeremia: „Die Götter, die nicht Himmel und Erde gemacht haben, die sollen von der Erde verschwinden, die unter dem Himmel ist“ (Jer. 10,11). Andererseits wird man doch zugeben müssen, daß der, dessen Gottheit bei Jesaja mehrmals aus der Weltschöpfung bewiesen wird, Gottes Sohn sei. Wie sollte auch der Schöpfer, der allem das Sein gibt, nicht selbst aus sich selber sein, sondern sein Wesen von anderswoher leihen müssen? Denn wer behauptet, der Sohn habe vom Vater das Wesen empfangen, der leugnet, daß er aus sich selbst sei. Eben dies aber beansprucht der Heilige Geist für ihn, indem er ihn „den Herrn“ nennt. Denn wenn wir annähmen, alles göttliche Wesen sei im Vater allein, so müßten wir dies entweder für teilbar halten oder aber dem Sohn absprechen, der dann, seines Wesens beraubt, nur noch dem Namen nach Gott wäre. Das Wesen Gottes kommt nach der Meinung jener Schwätzer nur dem Vater zu, sofern er allein Wesen hat und dem Sohn das Wesen gibt. So wäre die Gottheit des Sohnes also etwas von Gott Abgeleitetes oder die Abtrennung eines Teils vom Ganzen. Nun müssen sie aber aus ihrem Grundsatz zugeben, daß der Geist einzig des Vaters Geist ist; denn wenn er eine Ableitung aus dem eigentlichen Wesen ist, das ja nur dem Vater eigen ist, so kann er nicht mit Recht für den Geist des Sohnes gehalten werden. Dies aber weist Paulus an jener Stelle zurück, wo er ihn als des Vaters Geist und zugleich als Christi Geist bezeichnet (Röm. 8,9). Nimmt man nun die Person des Vaters solchermaßen aus der Dreieinigkeit heraus, so muß er sich doch wohl vom Sohne und vom Geiste scharf unterscheiden; und worin sollte der Unterschied dann schließlich anders geschehen als darin, daß er allein wahrer Gott wäre? Man gibt zu, Christus sei Gott, und behauptet doch, er unterschiede sich (hinsichtlich seiner Gottheit) vom Vater. Auf der anderen Seite muß es aber auch ein Merkmal zur Unterscheidung geben, so daß der Vater nicht der Sohn ist. Wer diese im Wesen selbst sucht, der macht offenkundig Christi wahre Gottheit zunichte. Denn ohne das Wesen, und zwar das ganze Wesen, kann sie ja nicht bestehen. Der Vater würde sich doch gar nicht vom Sohne unterscheiden, wenn er nicht etwas Eigenes hätte, an dem der Sohn keinen Anteil hat. Wie soll man nun unterscheiden? Liegt die Unterscheidung im Wesen, so soll man antworten, ob er das Wesen denn nicht dem Sohne mitgeteilt habe. Dies aber konnte nicht teilweise geschehen, weil es Frevel wäre, sich einen halbierten Gott vorzustellen. Auf solche Weise hätte man Gottes Wesen gemein zerrissen. Es bleibt daher nur, daß das Wesen ganz und unzerstörbar dem Vater und dem Sohne gemeinsam war. Dann aber gibt es, was das Wesen betrifft, zwischen Vater und Sohn keinen Unterschied. Wendet man dagegen ein, der Vater bliebe, indem er dem Sohn das Wesen gebe, doch der einige Gott, der das Wesen hat, so macht man Christus zu einem bloß scheinbaren Gott, der es dem Namen nach ist, aber nicht in Wirklichkeit: denn nichts ist Gott so eigen wie das Sein, wie geschrieben steht: „Der Seiende sandte mich zu euch“ (Ex. 3,14).
Die Behauptung der Gegner, sooft die Schrift „Gott“ schlechtweg nenne, sei ausschließlich der Vater gemeint, kann leicht aus vielen Stellen widerlegt werden; sie zeigen freilich auch bei den Stellen, die sie für sich anführen, ihre Gedankenlosigkeit. Denn dort wird der Name des Sohnes ausdrücklich hinzugesetzt, und eben das zeigt ja, daß der Name „Gott“ in diesem Falle (nicht schlechthin, sondern) in einer Beziehung auftritt und sich daher auf die Person des Vaters beschränkt (vgl. auch Abschnitt 20 dieses Kapitels). Aber ihr Widerspruch ist mit einem einzigen Wort zum Schweigen zu bringen. „Wäre nicht allein der Vater wahrer Gott, so wäre er ja sein eigener Vater“, sagen sie. Nun ist aber nichts Widersinniges darin zu finden, daß gemäß der Reihenfolge und Ordnung der Vater in besonderer Weise „Gott“ genannt wird, da er nicht nur seine Weisheit aus sich heraus gezeugt hat, sondern auch der Gott des Mittlers ist, wie noch näher gezeigt werden soll. Denn seitdem Christus im Fleische geoffenbart wurde, heißt er nicht nur deshalb „Sohn Gottes“, weil er als das ewige Wort von Ewigkeit her vom Vater gezeugt war, sondern weil er eben Person und Amt des Mittlers angenommen hatte, um uns mit Gott zu vereinigen. Und wenn diese Leute in ihrer Vermessenheit Christus von Gottes Herrlichkeit ausschließen, so möchte ich wissen, ob sich Christus dann nicht auch die Eigenschaft abspricht, gut zu sein, wenn er doch sagt, niemand sei gut denn nur der einige Gott (Matth. 19,17). Ich rede hier nicht von seiner menschlichen Natur — sie könnten sonst sagen, es sei ihm als freies Geschenk Gottes zugeflossen, was in dieser gut war. Nein, ich frage, ob das ewige Wort Gottes gut sei oder nicht. Leugnen sie das, so steht ihre Gottlosigkeit unabstreitbar fest; geben sie es zu, so machen sie sich selbst zunichte. Daß aber Christus auf den ersten Blick die Bezeichnung „gut“ von sich abzuwehren scheint, bestätigt unsere Überzeugung. Denn wenn er auf gewöhnliche Weise als „gut“ gegrüßt wurde, was doch ein einzig und allein Gott zukommender Lobpreis ist, und wenn er dann solche falsche Ehre ablehnt — so weist er selbst darauf hin, daß die Güte, die er besitzt, göttlich sei! Ich frage weiter, ob denn damit, daß Paulus Gott für den allein Unsterblichen, Weisen und Wahrhaftigen erklärt (1. Tim. 1,17), Christus in die Reihe der Sterblichen, Unweisen und Unwahrhaftigen eingefügt wird? Der sollte nicht unsterblich sein, der von Anbeginn her das Leben war und den Engeln die Unsterblichkeit gab? Der sollte nicht weise sein, der Gottes ewige Weisheit ist? Der sollte nicht wahrhaftig sein, der doch die Wahrheit selber ist? Ich stelle weiter die Frage, ob jene Leute denn der Meinung sind, Christus sei anzubeten. Denn wenn er ja selber dieses Recht in Anspruch nimmt, daß „vor ihm aller Knie sich beugen sollen“ (Phil. 2,10), so folgt, daß er der Gott ist, der im Gesetz verboten hat, irgendwen anders anzubeten als ihn allein. Wollen sie nur auf den Vater anwenden, was bei Jesaja steht:
„Ich bin es, und ist keiner außer mir“ (Jes. 44,6), so wende ich dieses Zeugnis gegen sie selber an, da wir doch sehen, wie der Apostel Christus beilegt, was Gott zukommt! Sinnlos ist auch ihr Einwurf, Christus sei im Fleische erhöht worden, in welchem er sich entäußert hatte, und nach dem Fleische sei ihm alle Gewalt gegeben worden im Himmel und auf Erden. Denn es ergreift zwar die Majestät des Königs und des Richters die ganze Person des Mittlers; aber wenn sich in ihm nicht Gott geoffenbart hätte im Fleisch, so könnte er eben nicht in solche Höhe erhoben werden, ohne daß Gott mit sich selber in Widerspruch träte! Diesem Streit macht Paulus aufs beste ein Ende, wenn er lehrt, er sei Gott gleich gewesen, bevor er sich in Knechtsgestalt erniedrigte (Phil. 2,6f.). Wie sollte aber diese Gleichheit bestehen, wenn er nicht der Gott gewesen wäre, der da heißt „Jah“ und „Jehovah“, der da fährt über den Cherubim, der der König ist über die ganze Erde und König in Ewigkeit? Wie sehr sie sich auch sträuben: man kann Christus nicht absprechen, was Jesaja an anderer Stelle sagt: „Siehe, das ist unser Gott, auf den wir harren“ (Jes. 25,9); denn in diesen Worten beschreibt der Prophet die Ankunft des Erlösers, der nicht nur das Volk aus der babylonischen Gefangenschaft erretten, sondern seine Kirche in jeder Hinsicht wiederherstellen sollte.
Auch mit der anderen Ausflucht erreichen die Gegner nichts: Christus sei bloß in seinem Vater Gott. Wir geben zwar zu, daß nach Ordnung und Reihenfolge der Anfang der Gottheit im Vater liegt. Aber wir erklären es für eine abscheuliche Erdichtung, wenn man sagt, einzig dem Vater sei das göttliche Wesen eigen, als ob er also den Sohn zum Gott gemacht hätte. (filii deificator esset). Denn auf diese Weise wäre das göttliche Wesen vielfältig, oder aber Christus wäre nur dem Namen und der Einbildung nach Gott! Wenn sie zugeben, daß Christus Gott sei, aber nur als Zweiter neben dem Vater und durch ihn, dann würde in ihm das Wesen, das im Vater ungezeugt und ungestaltet ist, gezeugt und gestaltet vorhanden sein. Ich weiß, daß viele darüber ihren Spott haben, daß wir aus Moses Worten eine Unterscheidung der Personen entnehmen, wenn da Gott so redet: „Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei ...“ (Gen. 1,26). Aber jeder fromme Leser wird doch einsehen, wie abgeschmackt und unangemessen dieses (göttliche) Selbstgespräch bei Mose wäre, wenn nicht in Gott mehrere Personen ihr Dasein hätten. Denn die, welche der Vater anredet, müssen unbedingt ungeschaffen gewesen sein; außer Gott aber, und zwar dem einen, gibt es nichts Ungeschaffenes. Wenn sie nun aber nicht zugeben würden, daß die Schöpfungsgewalt und Befehlsvollmacht dem Vater, dem Sohne und dem Geiste gemeinsam zukomme, dann würde sich ergeben, daß Gott eben nicht in sich selber so geredet, sondern an andere, außer ihm bestehende Werkmeister das Wort gerichtet hätte. Endlich wird eine Stelle zwei ihrer Einwürfe zugleich mit Leichtigkeit unwirksam machen. Denn das Wort Christi selber: „Gott ist Geist“ (Joh. 4,24) ist ja unmöglich auf den Vater allein einzuschränken, als ob das Wort etwa nicht geistlichen Wesens sei! Wenn also dem Sohne gleichwie dem Vater der Name „Geist“ zukommt, so ist folglich in dem nicht näher bestimmten Begriff „Gott“ auch der Sohn mit gemeint. Gleich anschließend sagt anderseits Christus, als echte Anbeter Gottes würden nur die anerkannt, die ihn „im Geist und in der Wahrheit anbeten“ (Joh. 4,24). Daraus ergibt sich als Weiteres: übt der Sohn unter dem Haupte (dem Vater!) das Amt des Lehrers aus, so schreibt er dem Vater den Namen „Gott“ zu, nicht um seine eigene Gottheit abzutun, sondern um uns stufenweise zu ihr zu erheben.
Der Irrtum unserer Gegner besteht darin, daß man sich in Gott drei Einzelwesen erträumt, die je einen Teil des (göttlichen) Wesens hätten. Aus der Schrift heraus aber lehren wir, daß Gott seinem Wesen nach einer ist und daß deshalb das Wesen des Sohnes und des Geistes ungezeugt ist. Freilich, sofern der Vater der Ordnung nach der Erste ist und seine Weisheit aus sich heraus zeugte, heißt er, wie wir oben schon sagten, mit Recht Anfang und Quelle der Gottheit. So ist Gott— ohne nähere Bestimmung — ungezeugt, und der Vater auch hinsichtlich seiner Person ungezeugt. In ihrer Torheit meinen sie aus unserem Satz die Annahme einer Vierheit folgern zu können, weil sie fälschlich und lästerlich uns das Gebild ihres Gehirns unterschieben, als ob wir meinten, die drei Personen gingen in der Weise einer Ableitung aus dem einen Wesen (das dann ein Viertes wäre!) hervor. Und dabei leuchtet doch aus unseren Schriften mit Deutlichkeit ein, daß wir die Personen nicht aus dem Wesen ableiten, sondern eine Unterscheidung setzen, da sie ja in dem Wesen beruhen. Wären die Personen vom Wesen geschieden, so wäre die gegnerische Meinung zu begreifen; aber dann handelte es sich um eine Dreieinigkeit von Göttern, nicht aber von Personen, die der eine Gott in sich umfaßt. So verschwindet auch ihre abgeschmackte Frage, ob denn das göttliche Wesen zur Bildung der Trinität mitwirke — als ob wir uns einbildeten, daß aus dem Wesen drei Götter kämen! Wenn sie sagen, dann sei das ja eine Dreieinigkeit ohne Gott, so stammt das aus der gleichen Unsinnigkeit; denn obwohl das göttliche Wesen nicht als Teil oder Glied mit zur Unterscheidung kommt, so sind doch die Personen weder ohne dies Wesen, noch außerhalb seiner: der Vater könnte nicht der Vater sein, wenn er nicht Gott wäre, und der Sohn ist nur dadurch der Sohn, daß er Gott ist. Die Gottheit schlechthin ist aus sich selber, und so bekennen wir, daß der Sohn als Gott, abgesehen von der Person, aus sich selber ist, daß er aber als Sohn vom Vater her ist. So hat sein Wesen keinen Anfang, aber seine Person hat ihren Anfang in Gott selber. So beziehen auch die rechtgläubigen Schriftsteller, die früher über die Dreieinigkeit gesprochen haben, diesen Begriff ausschließlich auf die Personen; denn es wäre widersinnig, grob und gottlos, das Wesen selbst zum Gegenstand einer Unterscheidung zu machen. Wer also meint, es wirkten die drei zusammen: das (göttliche) Wesen, der Sohn und der Geist, der macht offenkundig das göttliche Wesen des Sohnes und des Geistes selber zunichte! Andernfalls müßten die „Teile“ miteinander vermischt werden und zusammenfallen (also sozusagen alle im „Wesen“ aufgehen!) - aber damit wäre alle Unterscheidung zunichte! Wenn schließlich „Vater“ und „Gott“ gleichbedeutende Begriffe wären, der Vater also der Gottschöpfer (deificator) wäre, dann bliebe im Sohne nichts übrig als ein Schatten, und die ganze Dreieinigkeit wäre nichts anderes als die Vereinigung Gottes mit — zwei geschaffenen Dingen!
Der Einwand, Christus trage, wenn er im eigentlichen Sinne Gott sei, die Bezeichnung Gottes Sohn zu Unrecht, ist bereits beantwortet worden: Wo eine Person mit der anderen verglichen wird, da wird der Name „Gott“ nicht allgemein, schlechthin gebraucht, sondern auf den Vater beschränkt, weil er ja der Anfang der Gottheit ist, und zwar nicht — wie die Schwärmer schwatzen — seinem Wesen, sondern der Ordnung nach. In diesem Sinne ist Christi Anrede an den Vater aufzufassen: „Das ist das ewige Leben, daß sie dich, der du allein wahrer Gott bist, erkennen, und den du gesandt hast ...“ (Joh. 17,3). Denn wenn er als der Mittler redet, so steht er mitten zwischen Gott und den Menschen — aber darüber wird seine Majestät doch nicht verringert. Denn obwohl er sich entäußert hat, so hat er doch seine Herrlichkeit, die vor der Welt verborgen wurde, beim Vater nicht verloren. So scheut sich auch der Verfasser des Hebräerbriefs, obwohl er bekennt, Christus sei eine Zeitlang unter die Engel erniedrigt worden (Hebr. 2,7.9), doch nicht, gleichzeitig zu behaupten, er sei der ewige Gott, der die Erde gegründet hat (Hebr. 1,10).
Man muß also festhalten: sooft Christus als unser Mittler den Vater anredet, versteht er unter dem Namen „Gott“ die Gottheit, die ihm auch selber zukommt. Wenn er zu den Aposteln sagt: „Es ist gut, daß ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich“ (Joh. 16,7; 14,28), so schreibt er sich damit nicht eine Art „Neben-Gottheit“ zu, als ob er auch hinsichtlich der ewigen Gottheit geringer sei als der Vater, sondern er sagt es, weil er, im Besitz seiner himmlischen Herrlichkeit, auch die Gläubigen zur Teilnahme an dieser Herrlichkeit führt. Er gibt dem Vater den höheren Platz, sofern sich die sichtbare Vollkommenheit des Glanzes, die im Himmel erscheint, von dem Maß der Herrlichkeit unterscheidet, die an ihm in seiner Fleischgestalt zu sehen war. In diesem Sinne sagt auch Paulus, Christus werde Gott und dem Vater das Reich zurückgeben, auf daß Gott sei alles in allen (1. Kor. 15,24). Es gibt nichts Widersinnigeres, als der Gottheit Christi ihren immerwährenden Bestand abzusprechen. Denn er wird nie aufhören, der Sohn Gottes zu sein, und er wird stets bleiben, der er von Anbeginn war; daraus folgt, daß hier unter dem „Vater“ das eine Wesen Gottes zu verstehen ist, das dem Vater und dem Sohne gemeinsam ist. Und Christus ist doch gewiß zur Erde gekommen, damit er uns nicht nur zum Vater ziehe, sondern zugleich zu sich selber, denn er ist ja eins mit dem Vater. Den Namen „Gott“ aber auf den Vater zu beschränken und ihn dem Sohne zu nehmen, das ist weder erlaubt noch richtig. Denn wenn Johannes sagt, er sei wahrer Gott (Joh. 1,1), so hat er damit auch vermeiden wollen, daß jemand meinte, er stehe auf einer zweiten Stufe der Gottheit unter dem Vater. Ich kann mir auch nicht vorstellen, was sich diese Erschaffer neuer Götter eigentlich denken, wenn sie einerseits bekennen, Christus sei wahrer Gott — und ihn dann doch von der Gottheit des Vaters ausschließen, als ob einer wahrer Gott wäre, der nicht der eine ist, und als ob eine übertragene Gottheit nicht ein neues Trugbild wäre!
Nun häufen die Gegner der Dreieinigkeitslehre eine Menge Stellen aus Irenäus an, wo dieser behauptet, der Vater Jesu Christi sei der einige, ewige Gott Israels. Aber das geschieht aus beschämender Unwissenheit oder höchster Gottlosigkeit. Denn sie hätten doch bemerken müssen, daß dieser rechtschaffene Mann mit Schwindelköpfen zu tun und zu streiten hatte, die behaupteten, nicht der Vater Christi sei der Gott, der einst durch Mose und die Propheten geredet hatte, sondern ich weiß nicht was für ein aus dem Verfall der Welt entsprungenes Gespenst. Deshalb besteht seine ganze Mühe darin, zu zeigen, daß in der Schrift kein anderer Gott verkündigt wird als der Vater Christi, und daß es Unsinn sei, sich einen anderen auszudenken. Aus diesem Grunde ist es auch nicht verwunderlich, daß er so oft feststellt, der Gott Israels sei kein anderer als der, den Christus und die Apostel verherrlichten! So werden wir doch auch jetzt, wo wir dem umgekehrten Irrtum entgegentreten müssen, in Wahrheit sagen, der Gott, der einst den Vätern erschien, sei kein anderer gewesen als Christus. Und wenn dann einer einwenden wollte, es sei der Vater gewesen, so werden wir ihm sofort antworten: wenn wir für Christi Gottheit kämpfen, so schließen wir doch die des Vaters nicht im mindesten aus. Wenn der Leser auf die dargelegte Absicht des Irenäus achtet, so wird aller Streit aufhören. Aber auch aus dem sechsten Kapitel des dritten Buches wird der Zwist leicht geschlichtet: denn da stellt der fromme Mann mit Nachdruck das eine fest: Der wahre, einige Gott ist der, welcher in der Schrift schlechthin und ohne nähere Bestimmung Gott genannt wird — Christus aber wird schlechthin Gott genannt. Wir wollen uns aber erinnern, daß dies der Hauptpunkt der Erörterung war — wie aus dem ganzen Gedankengang und insbesondere aus dem 46. Kapitels des zweiten Buches deutlich wird: nämlich daß die Schrift den Vater nicht etwa figürlich oder gleichnisweise so nennt, als ob er in Wirklichkeit nicht Gott wäre. Auch stellt er doch die Behauptung auf, der Sohn wie der Vater würden miteinander von den Propheten und Aposteln „Gott“ genannt (Buch III, Kap. 9). Danach setzt er auseinander, wie Christus, der der Herr, König, Gott und Richter über alles sei, von dem, der der Gott über alles sei, seine Macht empfangen habe — natürlich hinsichtlich seiner Erniedrigung, weil er ja erniedrigt wurde bis zum Tode am Kreuz (Buch III, Kap. 12). Kurz danach behauptet er indes, der Sohn sei der Schöpfer Himmels und der Erden, der durch Moses Hand das Gesetz gegeben habe und den Vätern erschienen sei (Buch III, Kap. 15). Wenn auch jetzt noch jemand schwatzt, für Irenäus sei der Gott Israels einzig und allein der Vater, dann werde ich ihm entgegenhalten, was derselbe Schriftsteller offen lehrt, nämlich daß das gleiche auch von Jesus Christus gilt — wie denn auch Irenäus auf ihn die Weissagung des Habakuk bezieht: „Gott wird von Süden kommen.“ (Hab. 3,3; Irenäus Buch III, Kap. 16 und 20). Dahin gehört auch, was man im neunten Kapitel des vierten Buches lesen kann: Er, Christus ist mit dem Vater der eine Gott der Lebendigen. Und im zwölften Kapitel desselben Buches setzt er auseinander, Abraham habe Gott geglaubt; denn Christus sei der Schöpfer Himmels und der Erde und der einige Gott!
Ebensowenig wahrheitsgemäß machen sie auch den Tertullian zu ihrem Patron. Denn obwohl er zuweilen in seiner Redeweise rauh und verworren ist, so bringt er den Hauptinhalt der Lehre, die wir hier verteidigen, völlig eindeutig vor: nämlich daß ein Gott sei, und daß doch nach gewisser Ordnung sein Wort da sei, daß er ein einiger Gott sei durch die Einheit des Grundwesens (substantia), und daß doch die Einheit im Geheimnis ihrer Wirkung zur Dreieinigkeit sich ordne. Drei seien es nicht dem Stande, sondern dem Grade nach, nicht der Substanz, sondern der Form nach, nicht der Gewalt, sondern der Zahl der Personen nach, sagt er. Er behauptet zwar zu verteidigen, daß der Sohn dem Vater nachstehe, aber er sieht ihn deshalb nicht für einen anderen an, sondern macht nur eine Unterscheidung. Gelegentlich nennt er den Sohn sichtbar; aber nachdem er dafür und dawider geredet hat, schließt er doch, er sei unsichtbar, sofern er das Wort ist. Endlich stellt er den Satz auf, der Vater werde durch seine eigene Person bestimmt — und beweist damit, wie fern er dem Einfall steht, den wir hier bekämpfen. Gewiß: er erkennt keinen anderen Gott an als den Vater. Aber gleich darauf setzt er dann doch seine eigene Meinung auseinander und zeigt, daß er den Sohn nicht ausschließt; denn er leugnet ja eben, daß er ein vom Vater verschiedener Gott sei, und zeigt also, daß durch Unterscheidung der Personen die Einherrschaft (monarchia) Gottes gewahrt werde. Aber man kann den Sinn seiner Worte aus der dauernden Absicht erkennen, die er verfolgt. Denn er kämpft gegen Praxeas und behauptet ihm gegenüber: wenn auch Gott in drei Personen unterschieden ist, so entstehen dadurch nicht mehrere Götter, und die Einheit Gottes wird nicht zerrissen. Und weil nach der Phantasterei des Praxeas Christus nur dann Gott sein könnte, wenn er zugleich auch der Vater wäre, so macht sich Tertullian mit der Unterscheidung solche Mühe. Daß er dabei das Wort und den Geist als Teile des Ganzen bezeichnet, ist zwar eine harte Redeweise, aber immerhin zu entschuldigen. Denn er bezieht diesen Ausdruck nach seinem eigenen Zeugnis nicht auf das Grundwesen (ad substantiam), sondern will damit nur eine Anordnung und Wirkungsgestalt (dispensatio) bezeichnen, die den einzelnen Personen zukommt. Daher kommt auch das Wort: „Du verdrehter Praxeas, wieviel 'Personen' gibt es eigentlich nach deiner Ansicht? Sind es nicht ebensoviele, wie es Namen gibt?“ Oder ähnlich kurz danach: „Man soll an den Vater und den Sohn glauben, an jeden in seinem Namen und seiner Person.“ Mit diesen Ausführungen kann man nach meiner Meinung in ausreichender Weise solchen Leuten entgegentreten, die in ihrer Unverschämtheit mit der Autorität des Tertullian Einfältige zu täuschen versuchen.
Wer die Schriften der Alten sorgfältig untereinander vergleicht, der wird sicher bei Irenäus nichts anderes finden als bei den anderen, die nach ihm gekommen sind. Justinus ist einer der ältesten Lehrer der Kirche; er stimmt in allen Stücken mit uns überein. Man macht den Einwand, bei ihm wie bei den anderen werde der Vater Christi der einige Gott genannt. Aber dasselbe sagt auch Hilarius, ja, er braucht den harten Ausdruck, die Ewigkeit sei in dem Vater. Will er aber damit dem Sohne Gottes Wesen absprechen? Er steht doch ganz in der Verteidigung des Glaubens, den wir bekennen! Aber trotzdem gibt es Leute, die sich nicht schämen, wer weiß was für auseinandergerissene Aussprüche zusammenzuklauben, um den Beweis zu erbringen, Hilarius sei ein Schutzpatron ihres Irrtums!
Man will den Ignatius für sich in Anspruch nehmen. Aber wenn man will, daß darauf irgendwelcher Wert gelegt wird, dann muß man zuvor beweisen, die Apostel hätten ein Gesetz über das vierzigtägige Fasten oder dergleichen Irrtümer gegeben. Es ist doch nichts beschämender als das Geschwätz, das unter dem Namen des Ignatius herausgekommen ist. Um so unerträglicher aber ist die Schamlosigkeit solcher Leute, die sich solcher Larven zum Truge bedienen! Es geht doch die Übereinstimmung der Alten schon daraus deutlich hervor, daß auf dem Konzil zu Nicäa Arius nicht wagte, sich hinter der Autorität irgendeines anerkannten Schriftstellers zu verstecken, und daß keiner von den Griechen oder Lateinern sich entschuldigt, daß er von den Alten abweiche. Es bedarf nicht der Ausführung, wie sorgsam Augustin, den diese Windbeutel über alles hassen, die Schriften aller Väter durchforscht, wie ehrfürchtig er sie behandelt hat! Er pflegt doch wahrhaftig bei den geringsten Bedenklichkeiten anzugeben, warum er von ihnen abzuweichen genötigt ist. Auch verhehlt er es durchaus nicht, wenn er etwa bei anderen in dieser Frage etwas Zweideutiges oder Dunkles gefunden hat. Aber was die Lehre betrifft, die diese Leute bestreiten wollen, so nimmt er als allgemeinbekannt an, daß sie seit der ältesten Zeit ohne Streit bestanden habe. Und daß ihm nicht verborgen war, was andere vor ihm gelehrt hatten, das geht schon aus einem einzigen Wort hervor: er sagt an einer Stelle, im Vater sei die Einheit (Von der christlichen Unterweisung, Buch I). Will man nun kläffen, er habe sich (mit dieser Formel) selbst vergessen? Aber an anderer Stelle reinigt er sich von diesem Vorwurf, wenn er den Vater den Anfang der ganzen Gottheit nennt, weil er ja niemandem sein Dasein verdankt; dabei überlegt er weislich, daß dem Vater der Name „Gott“ in besonderer Weise beigelegt werde, da ja die einfache Einheit Gottes nicht begriffen werden kann, wenn man nicht bei ihm den Anfang macht.
Aus dem allen wird nun hoffentlich der fromme Leser erkennen, wie all die Schmähungen, mit denen der Teufel bislang die Reinheit unseres Glaubens zu verdrehen und zu verdunkeln versucht hat, zunichte sind. Kurz, ich hoffe, den Hauptinhalt dieser Lehre treulich dargestellt zu haben — nur müssen die Leser ihre Neugierde im Zaum halten, um sich nicht über Gebühr in mühsame und verworrene Streitfragen einzulassen. Denn wer sich an unmäßiger Spekulation erfreut — den zufriedenzustellen ist nicht meines Amtes. Jedenfalls habe ich nichts mit List übergangen, wovon ich meinte, es könnte gegen mich stehen. Da ich aber um die Auferbauung der Kirche mich mühe, so erschien es mir geraten, vieles nicht zu berühren, was nur wenig hätte nutzen können und die Leser bloß mit überflüssiger Mühsal belastet hätte. Was nützt zum Beispiel der Streit darüber, ob der Vater noch immer den Sohn zeuge? Denn es ist töricht, ein fortwährendes Erzeugen zu erfinden, nachdem nun einmal klar ist, daß in Gott von Ewigkeit her drei Personen gewesen sind!
Zwar wirft Jesaja den Götzendienern mit Recht Gedankenlosigkeit vor, daß sie nicht (schon) aus den Grundfesten der Erde und dem Umkreis des Himmels gelernt hätten, wer denn der wahre Gott sei (Jes. 40,21). Weil aber unser Verstand so träge und stumpf ist, so mußte Gott den Gläubigen noch klarer dargestellt werden, damit sie nicht den Erdichtungen der Heiden verfielen. Denn die Beschreibung des Wesens Gottes, die bei den Philosophen noch für die erträglichste gehalten wird, nämlich: Gott sei die Seele der Welt, ist ja eine hohle Rede, und deshalb ist um so mehr eine vertrautere Erkenntnis nötig, damit wir nicht immerzu ungewiß hin und her schwanken. Deshalb hat uns Gott die Schöpfungsgeschichte gegeben: auf sie gestützt, soll der Glaube der Kirche keinen anderen Gott suchen als den, den Mose als Schöpfer und Gründer der Welt verkündet.
Da ist zunächst die Zeit bezeichnet, damit die Gläubigen durch die ununterbrochene Reihe der Jahre bis zum Ursprung aller Dinge zurückdringen können. Solche Erkenntnis ist von Nutzen: man kann damit jenen abenteuerlichen Fabeln entgegentreten, die in Ägypten und anderen Gegenden der Erde verbreitet sind —, und erst recht leuchtet Gottes Ewigkeit heller hervor und reißt uns noch mehr zur Bewunderung hin, wenn wir erkennen, daß die Welt einen Anfang gehabt hat. Nicht der Betrachtung wert ist der gemeine Hohn, es sei doch verwunderlich, daß es Gott nicht eher eingefallen wäre, Himmel und Erde zu schaffen, sondern daß er einen unermeßlichen Zeitraum hätte müßig verstreichen lassen, wo er doch schon viele Jahrtausende zuvor alles hätte hervorbringen können — und dabei habe die Welt, die doch schon ihrem Ende zugeht, kaum sechstausend Jahre erreicht! Denn die Frage, warum Gott so lange damit gewartet habe, ist weder gestattet, noch von irgendwelchem Belang. Wollte unser Verstand dahin vordringen, so müßte er hundertmal auf dem Wege straucheln. Es ist auch nicht von Nutzen, zu erkennen, was Gott absichtlich verborgen sein ließ, um die Bescheidenheit unseres Glaubens auf die Probe zu stellen. Es war schon einsichtig, wenn einst ein alter Mann auf die spöttische Frage, was denn Gott vor Erschaffung der Welt getrieben habe, die Antwort gab, da habe er für vorwitzige Leute die Hölle gemacht!
Diese ebenso ernste wie strenge Mahnung mag den Leichtsinn zähmen, der manche Menschen kitzelt und zu verkehrten und schädlichen Gedankenspielereien (Spekulationen) treibt! Auch sollen wir schließlich bedenken, daß uns Gott, der da unsichtbar ist und dessen Weisheit, Kraft und Gerechtigkeit unbegreiflich ist, die (Schöpfungs-)Geschichte bei Mose als Spiegel vorhält, in dem sein lebendiges Bild erscheint. Denn wie die Augen, wenn sie durch das Alter geschwächt oder aus Krankheit abgestumpft sind, ohne Brille nichts mehr sehen können, so gehen wir in unserer Schwachheit unweigerlich in die Irre, wofern uns nicht die Schrift lenkt, wenn wir Gott suchen. Wer sich aber jetzt nicht warnen lassen will und sich seinen Gelüsten hingibt, der wird in furchtbarem Untergang zu spät merken, wieviel besser es gewesen wäre, Gottes geheime Ratschlüsse ehrfürchtig anzuschauen, als Schmähungen in die Welt zu setzen und damit den Himmel zu verfinstern. Mit vollem Recht erhebt Augustin die Klage, es geschehe Gott Unrecht, wo man einen höheren Grund der Dinge suche als seinen Willen (Buch von der Genesis gegen die Manichäer). An anderer Stelle weist er sehr richtig darauf hin, es sei verkehrt, über die Unermeßlichkeit der Zeit wie auch über die Unendlichkeit des Raumes viel Fragens zu machen (Vom Gottesstaat, Buch 11). Gewiß: so weit auch der Umkreis des Himmels sich dehnt, so hat er doch eine bestimmte Größe. Aber wenn nun einer mit Gott darüber rechten wollte, daß der leere Raum hundertmal größer sei (als der erfüllte) — wäre das nicht eine allen Frommen widerwärtige Unverschämtheit? Ebenso toll sind aber die, welche Gott müßig schelten, weil er nach ihrem Dünken die Welt nicht schon vor unzähligen Jahrhunderten geschaffen hat. Um seinem Gelüste nachgehen zu können, versucht man, außerhalb der Welt zu gelangen —, als ob nicht im gewaltigen Umkreis Himmels und der Erde genug Dinge uns begegneten, die mit ihrem herrlichen Glanz alle Sinne erfüllen, als ob nicht Gott innerhalb der sechs Jahrtausende uns genug Beweise gegeben hätte, deren stete Erwägung unsere Seele ganz in Anspruch nehmen könnte! Wir wollen also gern innerhalb der Grenzen bleiben, die uns Gott hat setzen wollen, und unsere Seele sozusagen zurückhalten, damit sie nicht frei herumlaufe und sich verliere!
Aus ähnlicher Erwägung berichtet auch Mose, daß Gottes Werk nicht in einem Augenblick, sondern in sechs Tagen vollendet worden sei. Denn auch dadurch werden wir von allen erdichteten Göttern weg zu dem einigen Gott gewiesen, der in sechs Tagen sein Werk durchführte, damit es uns nicht beschwerlich falle, unser ganzes Leben lang dies Werk zu betrachten. Gewiß, wohin auch unser Auge sich richtet, stets wird es genötigt, beim Anblick der Werke Gottes zu verweilen. Aber wir sehen doch, wie flüchtig solches Aufmerken ist und wie schnell fromme Erwägungen vergehen, die uns etwa berühren! Auch hier sträubt sich die menschliche Vernunft, als ob solches Nacheinander (des Sechstagewerks) der göttlichen Macht zuwider sei — bis sie unter dem Gehorsam des Glaubens jener Ruhe zu pflegen lernt, zu der uns die Heiligung des siebenten Tages einlädt. Gerade in der Ordnung der Dinge soll doch Gottes väterliche Liebe gegen die Menschheit mit Fleiß betrachtet werden: hat er doch den Adam erst geschaffen, als er die Welt mit der Fülle aller Güter ausgerüstet hatte! Denn hätte er ihn auf die noch öde und leere Erde gesetzt, hätte er ihm das Leben vor der Erschaffung des Lichtes gegeben, so müßte der Eindruck entstehen, er sei nicht um sein Wohl besorgt gewesen. Nun aber hat er die Bewegung der Sonne und der Gestirne zum Nutzen des Menschen geordnet, Erde, Wasser und Luft mit allerlei lebendigen Wesen erfüllt, einen Überfluß an allerlei Früchten zur Nahrung gegeben; so zeigt er sich als ein vorsorglicher und treuer Hausvater, der in seiner Fürsorge seine wundersame Güte gegen uns offenbart. Wenn jemand das, was ich nur kurz berühre, genauer bei sich erwägt, so wird ihm einleuchten, daß Mose ein zuverlässiger Zeuge und Herold des einigen Gottes, des Schöpfers gewesen ist. Ich übergehe hier, was ich schon auseinandergesetzt habe: nämlich, daß hier nicht von Gottes bloßem Wesen die Rede ist, sondern auch Gottes ewige Weisheit und sein heiliger Geist uns hier entgegentritt, damit wir uns ja keinen anderen Gott erträumen als den, der in jenem klaren Ebenbild erkannt sein will.
Bevor ich aber ausführlicher vom Wesen des Menschen zu reden beginne, muß einiges über die Engel eingefügt werden. Freilich erwähnt Mose, da er sich dem einfältigen Verstehen des großen Haufens anpaßt, in der Schöpfungsgeschichte nur die Werke Gottes, die wir mit Augen wahrnehmen können. Aber wenn er nachher die Engel als Diener Gottes erwähnt, so folgt daraus leicht, daß der Gott, dem sie doch ihre Kräfte und Dienste widmen, auch ihr Schöpfer ist. Obwohl also Mose in seiner volkstümlichen Redeweise die Engel nicht gleich zu Anfang unter Gottes Geschöpfen erwähnt, so spricht doch nichts dagegen, daß wir hier ausführlich und deutlich behandeln, was die Schrift sonst durchweg lehrt. Denn wenn uns daran liegt, Gott aus seinen Werken zu erkennen, so kann ja ein so herrlicher und edler Erweis seines Tuns nicht übergangen werden. Auch ist dieser Abschnitt der Lehre zur Abwehr vieler Irrtümer sehr wichtig. Die hervorragende Stellung des Wesens der Engel (Angelicae naturae) hat vielen Leuten einen solchen Eindruck gemacht, dass sie meinten, es geschähe diesen Eintrag, wenn sie der Herrschaft des einen Gottes unterworfen, gleichsam in Ordnung gehalten würden; und so hat man ihnen die Gottheit angedichtet. Auch ist ja Manichaeus (Mani) aufgetreten mit seiner Sekte und hat sich zwei Urwesen (principia) erdacht, Gott und den Teufel, wobei er Gott den Ursprung aller guten Dinge beilegte, alle schlechten Wesen aber auf den Teufel als Urheber zurückführte. Wenn dieser Wahnsinn unser Herz gefangenhielte, so würde Gottes Ehre in der Erschaffung der Welt keinen Bestand haben. Denn nichts ist Gott mehr eigen als die Ewigkeit und die „Autusia“, das Sein aus sich selber, wenn ich mich so ausdrücken darf. Wer das also dem Teufel beimißt (indem er auch ihn zum Urwesen macht), der ziert ihn ja mit der Würde der Gottheit! Und wo bleibt Gottes Allmacht, wenn man dem Teufel eine derartige Herrschaftsgewalt zugesteht, daß er auch gegen den Willen und Widerstand Gottes tun kann, was er will? Der einzige Grund, den die Manichäer haben, nämlich, es sei unrecht, wenn man Gott, dem Guten, die Erschaffung irgendeines schlechten Wesens beimessen wollte, trifft die rechte Lehre in keiner Weise. Denn diese bestreitet, daß irgendwo in der ganzen Welt ein von Natur böses Wesen (eine böse Natur; aliqua mala natura) bestehe. Denn die Verderbnis und Bosheit des Menschen wie des Teufels und alle Sünde, die daherrührt, ist nicht aus der Natur, sondern aus der Verderbnis der Natur entstanden. Von Anfang her gab es nichts, in dem nicht Gott ein Zeugnis seiner Weisheit und Gerechtigkeit niedergelegt hätte! Um solchen verdrehten Wahnideen entgegenzutreten, muß man seine Gedanken höher erheben, als die Augen zu sehen vermögen. Daran erinnert auch das nicänische Symbol, wenn es bei dem Artikel von Gott, dem Schöpfer aller Dinge, auch die unsichtbaren Dinge ausdrücklich erwähnt. Man muß freilich sehr darauf achten, das Maß zu halten, das die Regel der Frömmigkeit uns vorschreibt — damit man nicht sein Gedankenspiel (seine Spekulationen) tiefer treibe, als recht ist, und darüber von der Einfalt des Glaubens abkomme. Wahrlich, der Heilige Geist lehrt uns stets das, was uns heilsam ist, und er verschweigt oder berührt nur kurz, was wenig zur Auferbauung dient. Deshalb ist es auch unsere Pflicht, gern auf die Kenntnis solcher Dinge zu verzichten, die unnütz sind.
Daß die Engel als Diener Gottes, die bestimmt sind, seine Befehle auszuführen, auch seine Geschöpfe sind, muß außer Zweifel stehen. Über die Zeit und die Ordnung, in der sie geschaffen wurden, einen Streit anzufangen, würde Vorwitz, aber nicht eben rechtes Nachdenken bezeugen. Mose erzählt (1. Mose 2,1), die Erde sei vollendet gewesen, auch der Himmel und all sein Heer; was soll man da genau nachsehen, am wievielten Tage denn außer den Gestirnen und Planeten auch jene anderen, verborgeneren Heere des Himmels ihren Anfang genommen haben? Kurz, wir wollen hier wie in der ganzen christlichen Lehre beachten, daß da die eine Regel der Bescheidenheit und Nüchternheit zu wahren ist: wir sollen über verborgene Dinge nichts reden, nichts denken, nichts wissen wollen, als was uns in Gottes Wort kundgemacht ist. Und dazu kommt das Zweite: wir sollen bei dem Lesen der Schrift stets das aufsuchen und bedenken, was der Auferbauung dient, nicht aber dem Vorwitz und der Erforschung unnützer Fragen uns hingeben. Und weil der Herr uns nicht in leichtsinnigen Fragen, sondern in echter Frömmigkeit, in der Furcht seines Namens, in rechtem Vertrauen, in der Heiligung des Lebens hat unterrichten wollen, so wollen wir uns an diesem Wissen genügen lassen. Wollen wir also recht vorgehen, so müssen wir jene leeren Reden (mataiomata) fahren lassen, wie sie müßige Leute abseits von Gottes Wort über die Natur, die Rangordnungen und die Zahl der Engel geführt haben. Ich weiß wohl, daß manche derartiges mit großer Begierde aufgreifen und daran viel mehr Vergnügen finden als an dem, was uns zu alltäglichem Gebrauch gesetzt ist. Wenn wir uns aber nicht scheuen, Christi Jünger zu sein, so dürfen wir auch keine Scheu tragen, der Erkenntnisweise (methodus) zu folgen, die er uns aufgetragen hat. Tun wir das, dann sind wir mit ihm als unserem Meister zufrieden und stehen so überflüssigem Gedankenspiel, das er uns verbietet, mit ablehnender Zurückhaltung, ja mit Abscheu gegenüber. Kein Mensch wird leugnen, daß jener Dionysius, wer er auch gewesen sein mag, über die himmlische Rangordnung vieles fein und scharfsinnig vorgetragen hat. Sieht man aber näher zu, so findet man, daß das meiste reines Geschwätz ist. Ein Theologe aber soll nicht mit Geschwätz die Ohren kitzeln, sondern Wahres, Gewisses und Förderliches lehren und dadurch die Gewissen aufrichten! Liest man jenes Buch (des Dionysius Areopagita), dann meint man, da berichte ein Mensch, der vom Himmel gefallen sei, nicht was er gehört, sondern was er mit Augen gesehen hat! Paulus dagegen, der doch in den dritten Himmel entrückt ward (2. Kor. 12,2), hat nicht nur nichts dergleichen mitgeteilt, sondern sogar bezeugt, kein Mensch könne jene Geheimnisse, die er schaute, aussprechen (2. Kor. 12,4). So wollen wir denn jener schwatzhaften Weisheit den Abschied geben und aus der schlichten Lehre der Schrift zusehen, was der Herr uns über seine Engel hat wissen lassen wollen.
Da ist nun in der Schrift durchweg zu lesen, daß die Engel himmlische Geister sind, deren Dienst und Gehorsam Gott benutzt, um alle seine Befehle auszuführen. Daher ist ihnen auch diese Bezeichnung („Engel“ = Boten) gegeben worden, weil Gott sie gewissermaßen als Mittelspersonen, als „Boten“ benutzt, um sich den Menschen zu offenbaren. Auch andere Benennungen, mit welchen sie ausgezeichnet werden, beruhen auf demselben Grunde. So werden sie „Heer“ genannt, weil sie wie Schildträger ihren Herrn umgeben, seine Herrlichkeit zieren und sichtbar machen, wie Soldaten allezeit auf den Wink ihres Führers harren und so bereit und gerüstet sind, seine Befehle zu empfangen, um auf seinen Wink zum Werke sich zu rüsten oder vielmehr schon am Werke zu sein. Solch ein Bild des Thrones Gottes geben uns die Propheten, um Gottes Herrlichkeit kundzumachen; in besonderer Weise tut das Daniel, wenn er sagt, daß tausendmal tausend, ja zehntausendmal zehntausend vor Gott gestanden hätten, als er sich zum Gericht niedersetzte (Dan. 7,10). Da nun aber der Herr die Kraft und Stärke seiner Hand durch sie wunderbar erweist und offenbart, so werden sie auch „Kräfte“ genannt. Und weil er seinen Befehl durch sie in der Welt ausübt und verwaltet, so heißen sie bald „Fürstentümer“, bald „Mächte“, bald „Herrschaften“ (Kol. 1,16; Eph. 1,21). Und endlich: weil in ihnen gewissermaßen Gottes Herrlichkeit, Gottes Ehre ihren Sitz hat, so werden sie auch „Throne“ (Kol. 1,16) genannt. Über den letzten Punkt will ich indessen nichts behaupten, weil eine andere Auslegung ebensogut, ja vielleicht besser paßt. Aber wenn wir diesen letzten Namen auch weglassen: die übrigen benutzt der Heilige Geist häufig, um die Würde des Amtes der Engel zu erheben. Denn es wäre nicht recht, jene Werkzeuge ungerühmt zu lassen, durch welche Gott seine Gegenwart besonders offenbart. Ja, sie werden aus diesem Grunde mehr als einmal „Götter“ genannt, weil sie uns in ihrem Dienste wie in einem Spiegel Gottes Macht und Ehre selbst gewissermaßen vor Augen stellen. Freilich mißfällt mir auch die Ansicht einiger alter Schriftsteller nicht: wo die Schrift davon redet, daß der Engel Gottes dem Abraham, Jakob, Mose und anderen erschienen sei, da sei Christus dieser Engel gewesen (Gen. 18,1; 32,1.28; Jos. 5,14; Richter 6,14; 13,22). Aber mehrfach, wo die Engel in ihrer Gesamtheit erwähnt werden, erhalten sie jenen Namen („Götter“). Das kann auch nicht wundernehmen: denn wenn Fürsten und anderer Obrigkeit diese Ehre zuteil wird (Ps. 82,6), weil sie in ihrem Amt an Stelle Gottes handeln, der der oberste König und Richter ist, so kann sie doch mit noch größerem Rechte auf die Engel übertragen werden, in denen die Klarheit der Ehre Gottes noch viel gewaltiger aufleuchtet.
Aber die Schrift rückt in den Vordergrund, was uns am meisten zum Trost und zur Aufrichtung des Glaubens dienen kann: nämlich, daß die Engel Gottes Güte gegen uns verwalten und austeilen. Deshalb erwähnt sie, daß sie über unserm Heil auf der Wacht stehen, unsere Verteidigung führen, unsere Wege lenken und uns schützen, damit uns nichts Widerwärtiges zustoße. Umfassend sind die Schriftstellen, die sich zunächst auf Christus als das Haupt der Kirche und dann auch auf alle Gläubigen beziehen. „Er hat seinen Engeln befohlen über dir, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen, daß sie dich auf ihren Händen tragen, und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest“ (Ps. 91,11f.). Oder: „Der Engel des Herrn lagert sich um die her, die ihn fürchten, und hilft ihnen aus“ (Ps. 34, 8). Damit zeigt Gott, daß er den Schutz derer, die er bewahren will, seinen Engeln übertragen hat. Dementsprechend tröstet der Engel des Herrn die Hagar auf ihrer Flucht und befiehlt ihr, sich wieder mit ihrer Herrin auszusöhnen (Gen. 16,9). So verspricht Abraham seinem Knechte, ein Engel werde sein Führer auf dem Wege sein (Gen. 24,7). So bittet Jakob in dem Segenswort über Ephraim und Manasse, der Engel des Herrn, durch den er von allem Übel erlöst worden war, möge auch sie segnen (Gen. 48,16). So war ein Engel zum Schulz des Lagers der Israeliten eingesetzt (Ex. 14,19; 23,20), und wenn Gott Israel aus der Hand seiner Feinde erretten wollte, so erweckte er ihm Retter durch den Dienst der Engel (Richter 2,1; 6,11; 13,3ff.). So dienten endlich — um nicht noch mehr aufzuzählen — Christus die Engel (Matth. 4,1) und standen ihm bei in allen Ängsten (Luk. 22,43). Den Frauen verkündigten sie seine Auferstehung und den Jüngern seine herrliche Wiederkunft (Matth. 28,5.7; Luk. 24,5; Apg. 1,10). Um ihrem Amte nachzukommen, uns zu schützen, streiten sie wider den Teufel und alle unsere Feinde und vollziehen Gottes Strafe an denen, die uns hassen. So lesen wir auch, daß der Engel Gottes, um Jerusalem von der Belagerung zu befreien, in einer Nacht hundertfünfundachtzigtausend Mann im Lager des Königs von Assur geschlagen habe (2. Kön. 19,35; Jes. 37,36).
Ob übrigens den einzelnen Gläubigen einzelne Engel zu ihrem Schutz zugeteilt sind, das möchte ich nicht sicher zu behaupten wagen. Gewiß: wenn Daniel einen Engel der Perser und einen Engel der Griechen nennt (Dan. 10,13.20; 12,1), so zeigt er damit an, daß für Königreiche und Gebiete bestimmte Engel gewissermaßen als Vorsteher eingesetzt sind. Auch wenn Christus sagt, die Engel der Kindlein schauten allezeit das Angesicht des Vaters (Matth. 18,10), so deutet er damit an, daß gewissen Engeln ihr Wohl anvertraut sei. Aber ich weiß doch nicht, ob man daraus folgern darf, ein jeder habe seinen eigenen Engel. Jedenfalls ist das sicher, daß sich nicht etwa bloß ein Engel um jeden von uns kümmert, sondern daß sie alle einmütig über unser Heil wachen! Denn über alle Engel zusammen wird gesagt, daß sie sich mehr freuen über einen Sünder, der Buße tut, als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen (Luk. 15,7). Von mehreren Engeln wird auch gesagt, daß sie die Seele des Lazarus in Abrahams Schoß trugen (Luk. 16,22). Und nicht ohne Grund zeigt Elisa seinem Diener so viele feurige Wagen, die für ihn besonders bestimmt waren (2. Kön. 6,17). Es gibt nun eine Stelle, die dies (nämlich, daß es „Schutzengel“ gebe) klarer zu beweisen scheint als andere. Nämlich, als Petrus nach seiner Befreiung aus dem Gefängnis an die Tür des Haufes klopfte, in dem die Brüder versammelt waren, da sagten sie, weil sie ja nicht ahnen konnten, daß er es sei, es sei „sein Engel“ (Apg. 12,15). Dies scheint ihnen in den Sinn gekommen zu sein nach der allgemeinen Anschauung, den einzelnen Gläubigen seien ihre Engel zum Schutz zugeordnet. Freilich kann man darauf erwidern, daß darunter auch jedweder Engel verstanden werden kann, dem der Herr damals den Schutz des Petrus aufgetragen hatte, ohne daß er deshalb sein steter Hüter gewesen sein müßte, wie man sich gewöhnlich vorstellt, als ob jedem Menschen zwei Engel, ein guter und ein böser, gleich wie Genien zugeteilt wären! Aber es lohnt nicht, genau zu forschen, was zu wissen uns wenig nützen kann. Denn wem es nicht genügt, daß alle Ordnungen der himmlischen Heerscharen zu seinem Heil auf der Wacht stehen, — was soll dem die Einsicht helfen, daß ihm ein Engel in besonderer Weise zum Hüter gegeben sei? Wer aber all die Obhut, die Gott einem jeden von uns zuteil werden läßt, auf einen Engel beschränkt, der tut sich und allen Gliedern der Kirche unrecht: er tut so, als ob uns jene Hilfstruppen ohne Ursache zugesagt wären, die uns von allen Seiten umgeben und schützen, damit wir um so tapferer streiten!
Wer nun über die Zahl und die Ordnungen der Engel genauere Aussagen machen will, der soll zusehen, worauf er sie gründe. Ich gebe zu: Michael wird bei Daniel ein großer Fürst genannt (Dan. 12,1), und bei Judas heißt er „Erzengel“ (Jud. 9). Nach Paulus wird es ein Erzengel sein, der mit dem Schall der Posaune die Menschen zum Gerichte lädt (1. Thess. 4,16). Aber wer könnte von da aus die Ehrenstufen unter den Engeln feststellen, die Kennzeichen und Würden unterscheiden und jedem seinen Platz und seine Stellung zuweisen? Denn selbst die zwei Namen, die in der Schrift auftreten — nämlich Michael und Gabriel, wozu ebenfalls noch der dritte (Raphael) aus dem Buche Tobia käme — können den Engeln auch um der Schwachheit unseres Verstehens willen figürlich beigelegt sein — obwohl ich diese Frage lieber in der Schwebe lassen will.
Was die Zahl betrifft, so hören wir aus Christi Munde viele Legionen (Matth. 26,53), von Daniel viele Zehntausende nennen (Dan. 7,10); viele Wagen schaute der Diener des Elisa (2. Kön. 6,17), und es läßt auf eine ungeheure Zahl schließen, wenn wir hören, daß sie sich rings um die lagern, die Gott fürchten (Ps. 34,8).
Sicher ist, daß die Geister keine Gestalt haben; aber trotzdem stellt die Schrift nach dem Maß unseres Begreifens die Cherubim und Seraphim nicht ohne Grund mit Flügeln dar, damit wir nicht zweifeln, daß sie, sobald es dessen bedarf, mit unglaublicher Schnelligkeit uns zur Hilfe da sein werden, wie wenn ein Blitz in seiner Geschwindigkeit zu uns herniederführe! Wir sollen übrigens glauben, daß die näheren Fragen hierzu jener Art von Geheimnissen angehören, deren volle Enthüllung dem Jüngsten Tage vorbehalten ist. Deshalb wollen wir wohl darauf achten, uns vor zu großer Neugier über unserem Fragen und vor zu großer Kühnheit über unserem Reden zu hüten!
Jedoch muß — gegen den Zweifel einiger unruhiger Menschen! — dies feststehen: die Engel sind „dienstbare Geister“ (Hebr. 1,14), deren Gehorsamsleistung Gott benutzt, um die Seinen zu schützen, und durch welche er seine Wohltaten unter die Menschen austeilt und auch seine übrigen Werke durchführt. Nun war da einst die Auffassung der Sadduzäer, unter den Engeln seien bloß Regungen, die Gott den Menschen eingibt, oder auch Erweisungen seiner Kraft zu verstehen. Aber es widersprechen diesem Wahnwitz derartig viele Zeugnisse der Schrift, daß man sich wundern muß, daß eine so grobe Unwissenheit in jenem Volke überhaupt geduldet wurde. Ich will dabei die oben bereits angeführten Stellen kurz übergehen, wo ja Tausende und Legionen von Engeln erwähnt werden, wo ihnen Freude zugesprochen wird, wo es heißt, daß sie die Gläubigen auf ihren Händen tragen, ihre Seelen zur Ruhe bringen, das Angesicht des Vaters sehen — und dergleichen mehr. Es gibt vielmehr andere Stellen, aus denen völlig klar hervorgeht, daß die Engel Geister von eigener Wesenheit (spiritus naturae subsistentis) sind. Da sagen Stephanus und Paulus, das Gesetz sei durch die Hand von Engeln gegeben worden (Apg. 7,53; Gal. 3,19). Da verheißt Christus, die Auserwählten würden nach der Auferstehung den Engeln gleich sein, oder, der Tag des Gerichtes sei nicht einmal den Engeln bekannt (Matth. 22,30; 24,36), oder, Christus werde alsdann kommen mit seinen heiligen Engeln (Matth. 25,31; Luk. 9,26). Man mag diese Stellen noch so drehen und wenden: man muß sie doch in diesem Sinne verstehen. Wenn Paulus dem Timotheus„vor dem Herrn Jesus Christus und den auserwählten Engeln“ „bezeugt“, er solle seine Vorschriften beachten (1. Tim. 5,21), so versteht er doch unter den Engeln nicht Eigenschaften oder Eingebungen ohne eigenes Wesen, sondern wirkliche Geister! Und wenn wir im Hebräerbriefe lesen, Christus sei höher gemacht denn die Engel (Hebr. 1,4), den Engeln sei der Erdkreis nicht unterworfen (Hebr. 2,5), Christus habe nicht ihre, sondern des Menschen Natur angenommen (Hebr. 1,4; 2,16) — so hat das nur einen Sinn, wenn wir darunter selige Geister verstehen, auf die solche Vergleichungen zutreffen. Der Verfasser des Hebräerbriefes deutet seine eigene Aussage, wenn er die Seelen der Gläubigen und die heiligen Engel im Reiche Gottes nebeneinanderstellt (Hebr. 12,22). Dazu kommt noch, was wir bereits anführten: daß die Engel der Kindlein allezeit das Angesicht Gottes schauen, daß wir durch ihren Schutz verteidigt werden, daß sie sich an unserem Heil freuen, die vielfältige Gnade Gottes an seiner Kirche bewundern und daß sie Christus als dem Haupte untertan sind. Dahin gehört auch die Tatsache, daß sie den heiligen Vätern oftmals in menschlicher Gestalt erschienen sind, mit ihnen geredet haben und gar von ihnen beherbergt worden sind! Auch Christus selbst wird ja wegen der Herrschaftsstellung, die er als Mittler ausübt, „Engel“ genannt (Mal. 3,1). Das mag genügen, um die Einfältigen gegen jene törichten und widersinnigen Gedanken zu schützen, die vor vielen Jahrhunderten vom Satan aufgebracht wurden und von Zeit zu Zeit wieder aufkommen.
Jetzt müssen wir noch dem Aberglauben entgegentreten, der zumeist daraus entsteht, daß es von den Engeln heißt, durch ihren Dienst widerfahre uns alles Gute. Da läßt sich nämlich die Vernunft des Menschen leicht dazu hinreißen, ihnen jedwede Ehre zu übertragen. So wird ihnen denn beigelegt, was nur Gott und Christo zukommt. Auf diese Weise ist, wie wir sehen, Christi Ehre schon seit vielen Jahrhunderten auf mancherlei Weise verdunkelt worden, dadurch, daß man die Engel ohne Begründung in Gottes Wort mit allerlei maßlosem Ruhm bedeckt hat. Und unter allen Verderbnissen, gegen die wir heutzutage zu kämpfen haben, ist kaum eines älter als eben dies. Hatte doch offenbar schon Paulus mit einigen Leuten zu streiten, die die Engel so hoch erhoben, daß Christus beinahe zu ihresgleichen erniedrigt wurde! Darum dringt er im Briefe an die Kolosser mit solcher Schärfe darauf, daß Christus nicht nur vor allen Engeln den Vorrang habe, sondern daß er auch für sie der Ursprung alles Guten sei (Kol. 1,16.20). Deshalb dürfen wir nicht den Herrn verlassen und uns den Engeln zuwenden, die doch selber nicht aus sich bestehen können, sondern aus derselben Quelle schöpfen wie wir! Freilich, weil ein Abglanz göttlicher Herrlichkeit aus ihnen erstrahlt, so geschieht es gar leicht, daß wir uns vor ihnen aus einer gewissen inneren Bestürzung anbetend niederwerfen und dann ihnen alles zuschreiben, was doch Gott allein zu verdanken ist. Schreibt doch selbst Johannes in der Apokalypse, daß ihm das widerfahren sei, — aber dann fügt er gleich hinzu, ihm sei erwidert worden: „Siehe zu, tue es nicht, ich bin dein Mitknecht ..., bete Gott an!“ (Apok. 19,10).
Der Gefahr solchen Aberglaubens werden wir dann recht entgehen, wenn wir erwägen, warum denn Gott lieber durch die Engel als ohne ihr Zutun, rein aus sich selber, seine Macht zu offenbaren, den Seinen das Heil zu schaffen und ihnen die Güter seiner Freundlichkeit mitzuteilen pflegt. Er tut das sicher nicht aus irgendeiner Notwendigkeit heraus, als ob er sie nicht entbehren könnte. Denn sooft es ihm gefällt, vollbringt er sein Werk ohne sie, allein durch seinen Wink und Willen. Es kann also gar keine Rede davon sein, daß sie etwa ihm behilflich sein müßten, weil ihm ohne sie sein Werk zu schwer wäre. Er tut es also unserer Schwachheit zum Trost, damit uns nichts mangle, was dazu dient, unsere Seele zu froher Hoffnung aufzurichten und zu fester Gewißheit zu starren. An sich müßte uns das eine mehr als genug sein, daß der Herr verheißt, unser Hüter zu sein. Aber wenn wir uns von soviel Gefahren, soviel Nöten, so vielerlei Feinden umgeben sehen, — wie leicht könnten wir da in unserer Schwachheit und Gebrechlichkeit ans Zittern geraten oder gar verzweifeln, wenn uns nicht der Herr nach unserem Verstehen seine gegenwärtige Gnade zu erfahren gäbe! Deshalb verheißt er nicht allein, daß er sich um uns kümmere, sondern auch, daß er unzählige Schildträger habe, denen er die Sorge um unser Heil aufgetragen hat, und daß — was für Gefahr uns auch bedrohe — kein Übel uns anrühren kann, solange wir unter ihrem Schutz, ihrer Hut stehen! Freilich ist es verkehrt, daß wir angesichts der schlichten Verheißung, Gott sei allein unser Hüter, noch immer umherschauen, woher uns Hilfe kommen könne. Aber doch will uns der Herr in seiner unermeßlichen Milde und Freundlichkeit in unserer Verkehrtheit zu Hilfe kommen, — und deshalb dürfen wir von so großer Gabe nicht gering denken. Dafür haben wir ein Beispiel in dem Knecht des Elisa: als er sah, daß der Berg vom Heere der Syrer ganz umlagert war und kein Ausweg mehr blieb, da packte ihn der Schrecken, als ob es um ihn und seinen Herrn geschehen wäre. Da bat Elisa Gott, er möchte ihm die Augen öffnen, — und nun sah er alsbald den Berg voll feuriger Wagen, einer Menge von Engeln nämlich, die ihn mit dem Propheten schützen sollten! (2. Kön. 6,17) Als er das geschaut hatte, da wurde er gestärkt und faßte sich, so daß er unerschrocken die Feinde verachten konnte, deren Anblick ihn zuvor beinahe umgebracht hätte!
Alles, was man vom Dienste der Engel sagen kann, muß also dem Zweck dienen, daß aller Vertrauenslosigkeit ein Ende gemacht und unsere Hoffnung auf Gott gefestigt werde. Dieser Schutz ist uns deshalb von Gott bereitet, daß wir uns von der Zahl der Feinde nicht schrecken lassen, als ob sie ihm zu stark wären, — sondern vielmehr zu jenem Ausspruch des Elisa unsere Zuflucht nehmen: Es sind mehr für uns denn gegen uns (2. Kön. 6,16; nicht wörtlich). Wie widersinnig wäre es nun, wenn wir uns durch die Engel von Gott abbringen ließen, die doch dazu verordnet sind, uns zu bezeugen, wie gar nahe seine Hilfe ist! Dann freilich bringen sie uns von Gott ab, wenn sie uns nicht auf geradem Wege dahin leiten, daß wir ihn als einzigen Helfer ansehen, anrufen und preisen, wenn wir sie nicht als seine Hände betrachten, die sich zu keinem Werke regen ohne seinen Befehl, wenn sie uns nicht bei dem einen Mittler Christus halten, daß wir ganz und gar von ihm abhängen, in ihm bleiben, zu ihm uns wenden und in ihm unser volles Genüge haben! Denn was uns in dem Gesicht des Jakob (Gen. 28,12) beschrieben wird, das müssen wir ganz fest zu Herzen nehmen: daß die Engel zu den Menschen auf Erden herabsteigen und von den Menschen wiederum zum Himmel hinauf — auf der „Leiter“, auf welcher der Herr der Heerscharen obenan sitzt! Da wird deutlich: einzig durch Christi Eintreten (intercessio) für uns kommt jener Dienst der Engel an uns zustande, wie er es ja selbst ausspricht: „Von nun an werdet ihr den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren auf des Menschen Sohn“ (Joh. 1,51). So ruft auch der Knecht Abrahams, der der Hut des Engels befohlen war, nicht etwa diesen um Beistand an, sondern er bringt im Vertrauen auf jene Verheißung sein Gebet vor den Herrn und bittet ihn, seine Barmherzigkeit gegen Abraham zu erweisen (Gen. 24,7). Denn Gott macht die Engel nicht zu Dienern seiner Macht und Güte, um seine Ehre mit ihnen zu teilen, und ebenso verheißt er uns nicht seine Hilfe durch ihren Dienst, damit wir etwa unser Vertrauen zwischen ihm und den Engeln teilten! Deshalb wollen wir nichts mit jener platonischen Weisheit zu tun haben, die uns anweist, den Zugang zu Gott durch Vermittlung der Engel zu suchen und ihnen Verehrung zu erweisen, damit sie uns Gott geneigter machen! (Platon, Epinomis; Kratylos). Diese Philosophie haben abergläubische und vorwitzige Leute von Anfang an in unsere Religion hineinzubringen versucht und tun es noch heute mit Beharrlichkeit!
Was die Schrift von den Teufeln lehrt, hat alles den Zweck, daß wir auf der Hut sein sollen gegen ihre Lücke und Nachstellungen und uns mit solchen Waffen rüsten, die stark und fest genug sind, ihnen als den gefährlichsten Feinden Widerstand zu leisten. Denn wenn der Teufel als Gott und Fürst dieser Welt bezeichnet wird, wenn es von ihm heißt, er sei ein starker Gewappneter (Matth. 12,29), der „Fürst, der in der Luft herrscht“ (Eph. 2,2), ein „brüllender Löwe“ (1. Petr. 5,8) — so haben solche Beschreibungen keinen anderen Zweck, als uns vorsichtiger, wachsamer und kampfbereiter zu machen. Das wird mitunter auch ausdrücklich gesagt. Petrus spricht es ja aus, der Teufel gehe umher wie ein brüllender Löwe und suche, welchen er verschlinge (1. Petr. 5,8). Aber dann fügt er gleich die Mahnung hinzu, im Glauben tapfer Widerstand zu leisten! Und Paulus, der daran erinnert, daß wir nicht mit Fleisch und Blut zu streiten haben, sondern mit den Fürsten der Luft, den Beherrschern der Finsternis und den bösen Geistern (Eph. 6,12), befiehlt doch sogleich, die Waffen zu ergreifen, mit denen wir einen so gefährlichen Kampf bestehen können (Eph. 6,13ff.). Deshalb sollen wir alles daran wenden, daß uns der Feind — dieser kampfbereiteste in seiner Kühnheit, dieser gewaltigste in seiner Kraft, dieser schlaueste in seinen Ränken, unermüdlich in seiner Umsicht und Schnelligkeit, voll Tücke aller Art, kampferfahren bis aufs äußerste, der uns, wie wir gewarnt sind, ohne Unterlaß bedroht! —, daß uns dieser Feind nicht in Sorglosigkeit und Trägheit überfalle, sondern wir wackeren und aufrechten Geistes festen Fuß fassen, um ihm zu widerstehen! Und weil dieser Kriegsdienst (militia) erst mit dem Tode endet, so werden wir zur Beharrlichkeit ermahnt. Vor allem aber sollen wir im Bewußtsein unserer Schwachheit und Unerfahrenheit Gottes Hilfe anrufen und nichts ohne Vertrauen auf ihn unternehmen; — denn er allein kann Rat und Kraft, Mut und Rüstung schenken!
Um uns aber zu solchem Streit um so kräftiger zu ermuntern und anzuspornen, zeigt uns die Schrift, daß wir es nicht mit einem oder zwei Feinden oder wenigstens bloß mit einer geringen Zahl zu tun haben, sondern daß uns ein großes Heer in diesem Krieg gegenübersteht! Denn es heißt, daß Maria Magdalena von sieben Dämonen befreit worden sei, die sie besessen hatten (Mark. 16,9), und Jesus erklärt es für das Regelmäßige, daß der böse Geist, falls man ihm nach seiner Austreibung noch einmal Einlaß gewährt, sieben noch bösere Geister mit sich nimmt und in den leeren Besitz zurückkehrt (Matth. 12,43). Ja, wir hören, daß eine ganze Legion einen einzigen Menschen besessen hat! (Luk. 8,30). Daraus erfahren wir also, daß wir mit einer unendlichen Menge von Feinden zu kämpfen haben — damit wir nicht verächtlich meinen, es wären bloß wenige, und dann im Kampf nachlässig werden oder uns gar in der Meinung, es werde uns eine Kampfpause gewährt, der Trägheit hingeben.
Daß dagegen der Satan oder Teufel uns oft als einzelner gegenübertritt, das soll uns zeigen: es gibt eine Herrschaft der Bosheit, die sich dem Reich der Gerechtigkeit entgegensetzt. Denn wie die Kirche und die Schar (societas) der Heiligen Christus zum Haupte hat, so wird uns auch die Rotte der Gottlosen und die Gottlosigkeit selbst mit ihrem Fürsten vor Augen gestellt, der dort die oberste Herrschaft führt. Daher auch der Spruch: „Geht hin, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das da bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln“ (Matth. 25,41).
Auch das muß uns zu unaufhörlichem Kampf gegen den Teufel anfeuern, daß er überall Gottes und unser Feind heißt. Liegt uns nämlich, wie es billig ist, Gottes Ehre am Herzen, so müssen wir uns ja mit allen Kräften gegen den stemmen, der diese Ehre auslöschen will! Sind wir wirklich gesonnen, das Reich Christi zu behaupten, wie es doch sein muß, so müssen wir ja notwendig einen unversöhnlichen Krieg mit dem haben, der sich zu seinem Sturz verschworen hat. Wenn uns anderseits die Sorge um unser Heil anliegt, so kann es ja weder Frieden noch Waffenruhe dem gegenüber geben, der es stets heimtückisch zunichte zu machen gierig ist. So wird er uns ja auch im dritten Kapitel der Genesis beschrieben: da zieht er den Menschen vom schuldigen Gehorsam gegen Gott ab, um Gott seiner ihm zukommenden Ehre zu berauben und zugleich den Menschen selbst ins Unheil zu stürzen. So tritt er uns bei den Evangelisten entgegen: da heißt er der „Feind“ (Matth. 13,28), und da streut er Lolch, um den Samen des ewigen Lebens zu verderben (Matth. 13,25). Insgemein: was Christus von ihm aussagt, nämlich, daß er ein Menschenmörder und Lügner von Anfang gewesen sei, — das erfahren wir in allen seinen Taten! (Joh. 8,44). Denn mit Lügen kämpft er gegen Gottes Wahrheit an, mit Finsternis bedeckt er das Licht, mit Irrtum hält er der Menschen Herzen gefangen, Haß erregt er, Zwiespalt und Hader läßt er aufkommen, — und das alles, um Gottes Reich zu zerstören und Menschen mit sich ins ewige Verderben zu reißen! Er ist also — das steht fest — von Natur verderbt, schlecht und boshaft. Denn in einem Sinn, der bloß auf die Vernichtung der Ehre Gottes und des Heils der Menschen bedacht ist, muß ja notwendig die tiefste Verderbtheit stecken! Das drückt Johannes in seinem ersten Briefe so aus: „Er sündigt von Anfang“ (1. Joh. 3,8). Das soll heißen: er ist aller Bosheit und Ungerechtigkeit Urheber, Rädelsführer und Meister!
Da aber der Teufel von Gott geschaffen ist, so müssen wir bedenken: all diese Bosheit, die wir seiner Natur beilegen, stammt nicht aus der Schöpfung, sondern aus der Verderbnis! Was er Verdammliches an sich hat, er hat es sich in Abfall und Empörung selbst zugezogen! Daran mahnt uns die Schrift, damit wir nicht etwa meinen, er sei so aus Gottes Hand hervorgegangen, und dann Gott zuschreiben, was ihm ja das Allerfremdeste ist. Deshalb erklärt Christus, der Satan rede aus seinem Eigenen, wenn er die Lüge rede (Joh. 8,44), und setzt als Grund hinzu: weil er nicht in der Wahrheit bestanden ist. Sagt er nun, er sei nicht in der Wahrheit bestanden, so deutet er damit an, daß er einstmals in ihr gewesen ist, und nennt er ihn den Vater der Lüge, so nimmt er ihm damit die Möglichkeit, Gott die Verderbnis zuzuschreiben, die er sich selbst verursacht hat! Obwohl das nun nur kurz und nicht sehr deutlich gesagt ist, so genügt es doch vollauf, um Gottes Majestät von jedem Vorwurf zu befreien. Und was sollte uns auch daran liegen, von den Teufeln mehr zu wissen oder etwas zu anderem Zweck zu erfahren? Da murren einige, daß die Schrift nicht an mehr Stellen jenen Fall, seinen Grund, seine Art, seine Zeit und den näheren Vorgang genau beschreibe. Aber weil uns dergleichen nichts angeht, so war es besser, daß es, wenn nicht eben verschwiegen, so doch nur kurz berührt wurde. Denn es ist nicht des Heiligen Geistes würdig, mit unnützen Geschichten unsere Neugier ohne Frucht zu befriedigen. Und wir sehen ja auch, daß der Herr die Absicht hatte, uns in seinen heiligen Worten nichts zu lehren, das nicht zu unserer Erbauung führen könnte. Deshalb wollen wir uns auch selbst nicht mit Überflüssigkeiten aufhalten. Es muß uns genügen, von der Natur der Teufel zu wissen, daß sie im Anfang, in der Schöpfung Engel Gottes gewesen, aber, durch Entartung verderbt, dann anderen zum Werkzeug des Verderbens geworden sind, weil dies zu wissen nützlich ist, so wird es auch bei Petrus und Judas klar gelehrt. „Die Engel“, heißt es da, „welche gesündigt und ihr Fürstentum nicht bewahrt haben, die hat Gott nicht geschont“ (2. Petr. 2,4; Jud. 6). Und wenn Paulus von „auserwählten Engeln“ redet, so deutet er damit ohne Zweifel stillschweigend an, daß es auch verworfene gibt (1. Tim. 5,21).
Was aber den Widerspruch und Streit betrifft, den der Teufel wider Gott führt, so müssen wir dabei allen Erwägungen die feste Gewißheit zugrunde legen, daß der Teufel ohne Gottes willen und Erlaubnis (nisi volente et annuente Deo) nichts ausrichten kann. Denn wir lesen in der Geschichte von Hiob, daß er sich vor Gott hinstellt, um Befehle zu empfangen, und daß er ohne Erlaubnis nicht zur Vollführung eins Werkes zu schreiten wagt (Hiob 1,6; 2,1). Und als Ahab in die Irre geführt werden soll, da übernimmt er es, ein Geist der Lüge im Munde aller Propheten zu sein: der Herr sendet ihn, und er vollführt seinen Befehl (1. Kön. 22,22ff.). Aus dem Grunde wird er auch der böse Geist vom Herrn genannt, der den Saul quälte, weil durch ihn wie mit einer Geißel die Sünden des gottlosen Königs gestraft wurden (1. Sam. 16,14; 18,10). Und an anderer Stelle steht geschrieben, die Plagen seien den Ägyptern von Gott durch böse Engel zugefügt worden (Ps. 78,49). Entsprechend solchen einzelnen Beispielen bezeugt Paulus ganz allgemein, daß die Verblendung der Ungläubigen ein Werk Gottes ist — obwohl er sie doch gerade zuvor eine Wirkung des Satan genannt hat: (2. Thess. 2,9.11). Es steht also fest: der Satan ist unter Gottes Gewalt und wird von seinem Wink so gelenkt, daß er ihm gezwungen gehorcht. Ja, wenn wir sagen, daß der Satan Gott widerstrebt und daß seine Werke mit Gottes Werken im Streit liegen, so behaupten wir doch zugleich, daß auch dies Widerstreben und dieser Streit von Gottes Zulassung (permissio) abhängt! Dabei rede ich nun nicht von des Teufels Wollen oder auch seinem Vorhaben, sondern nur von dem, was er tatsächlich vollbringt. Denn der Teufel ist von Natur gottlos und deshalb keineswegs zum Gehorsam gegen Gottes Willen geneigt, sondern er hat einen unaufhörlichen Hang zu Widerstand und Empörung. So kommt es also aus ihm selbst und aus seiner Bosheit, daß er Gott mit Willen und Absicht widerstrebt. Diese Verruchtheit reizt ihn, solche Dinge zu unternehmen, von denen er meint, daß sie Gott völlig zuwider wären. Aber Gott hält ihn mit dem Zügel seiner Allmacht fest gebunden, und deshalb kann er nur das zuwege bringen, was ihm Gott zuläßt; so gehorcht er, mag er wollen oder nicht, seinem Schöpfer, weil er ihm ja gezwungen dienen muß, wozu er ihn auch gebrauchen mag!
Da aber Gott die unreinen Geister nach seinem Willen regiert, so führt er es so, daß sie die Gläubigen im Kampfe plagen, sie hinterhältig anfallen, durch allerlei Anläufe beunruhigen, im Streite bedrängen, sie auch öfters ermüden, in Verwirrung und Schrecken jagen und zuweilen gar verwunden, aber sie doch nie besiegen oder unterdrücken, daß sie dagegen die Gottlosen gefangen führen, in ihren Seelen und Leibern ihre Herrschaft ausüben und sie wie Sklaven zu allem Frevel mißbrauchen. Die Gläubigen, von solchen Feinden beunruhigt, hören deshalb die Mahnung: „Gebet nicht Raum dem Teufel“ (Eph. 4,27; Luther: „dem Lästerer“) oder: „Der Teufel, euer Widersacher, gehet umher wie ein brüllender Löwe und sucht, welchen er verschlinge; dem widerstehet fest im Glauben ...“ (1. Petr. 5,8) und ähnliche. Selbst Paulus bekennt, von dieser Art Streit nicht unberührt gewesen zu sein, wenn er schreibt, zur Bändigung der Hoffahrt sei ihm „des Satanas Engel“ gegeben worden, um ihn zu demütigen (2. Kor. 12,7). Diese Kampfübung ist also allen Kindern Gottes gemeinsam. Aber die Verheißung, daß dem Satan der Kopf zertreten werden soll, bezieht sich auf Christus und mit ihm zusammen auf alle seine Glieder, und deshalb sage ich, daß die Gläubigen vom Teufel weder besiegt noch unterdrückt werden können. Sie werden zwar oft geängstigt, aber sie verzagen nicht und sammeln sich zu neuem Kampf, sie fallen unter der Wucht der Angriffe, aber danach richten sie sich wieder auf, sie werden verwundet, aber nicht zu Tode, kurz, sie sind ihr ganzes Leben lang in hartem Kampf, doch so, daß sie am Ende, den Sieg behalten. Das will ich freilich nicht auf jeden Kampfabschnitt für sich beziehen. Denn wir wissen, daß durch Gottes gerechte Vergeltung David eine Zeitlang dem Satan überlassen wurde, so daß er auf dessen Antrieb sein Volk zählte (2. Sam. 24,1), und Paulus gibt nicht ohne Grund selbst denen Hoffnung auf Vergebung, die in des Teufels Stricken gefangen gewesen sind (2. Tim. 2,26). Der gleiche Paulus zeigt anderswo, daß die oben angeführte Verheißung (nämlich Gen. 3,15) in diesem Leben, wo gestritten werden muß, erst anfangsweise erfüllt werde, dann aber nach dem Kampfe vollständig, wenn er sagt: „Aber der Gott des Friedens zertrete den Satan unter eure Füße in kurzem“ (Röm. 16,20). In unserem Haupte (Christus) ist dieser Sieg stets völlig da, weil der Fürst dieser Welt nichts gegen ihn vermag, in uns aber, den Gliedern, kommt er jetzt nur zum Teil zum Vorschein, aber er wird einst vollendet sein, wenn wir unser Fleisch ausziehen, das uns immer wieder der Schwachheit unterworfen sein läßt, und wenn wir voll sind der Kraft des Heiligen Geistes. Denn wo das Reich Christi aufkommt und aufgerichtet wird, da zerfällt der Satan mit aller seiner Macht, wie ja der Herr selber sagt: „Ich sah den Satanas vom Himmel fallen wie einen Blitz“ (Luk. 10,18). Mit dieser Antwort nämlich bekräftigt er den Bericht der Apostel von der Gewalt ihrer Verkündigung, wiederum sagt er auch: „Wenn ein starker Gewappneter seinen Palast bewahrt, so bleibt das Seine mit Frieden, wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt ..., so wird er hinausgetrieben ...“ (Luk. 11,21f.; Schluß ungenau). Und dazu hat Christus in seinem Sterben den Satan, der des Todes Gewalt hatte, überwunden und den Triumph geführt über sein ganzes Heer, daß der Kirche kein Schaden geschehe, die sonst vom Teufel in jedem Augenblick hundertmal zertreten werden würde! Denn wie sollten wir — bei unserer Schwachheit und bei des Teufels wütiger Gewalt! — auch nur im mindesten gegen seine vielfältigen und listigen Anläufe bestehen, ohne das Vertrauen auf den Sieg unseres Herzogs? Denn Gott läßt das Reich des Satans nicht in dem Herzen der Gläubigen sein, sondern er übergibt ihm bloß die Gottlosen und Ungläubigen zur Regierung, die er nicht würdigt, zu seiner Herde gezählt zu werden. Denn es heißt von ihm, daß er diese Welt ohne Widerspruch in Besitz hat, bis er von Christus ausgestoßen wird (Luk. 11,21). Auch hören wir, er verblende alle, die dem Evangelium nicht glauben (2. Kor. 4,4). Oder auch, er führe sein Werk in den widerspenstigen Kindern (Eph. 2,2). Und das mit Recht; denn die Gottlosen sind ja alle Gefäße des Zorns — und wem sollten sie dann anders unterworfen sein als dem Diener der göttlichen Rache? Ja, es heißt schließlich, sie seien von ihrem Vater, dem Teufel (Joh. 8,44). Denn wie die Gläubigen als Kinder Gottes daran erkannt werden, daß sie sein Ebenbild tragen, so erweisen sich jene als Söhne des Satans durch sein Ebenbild, zu dem sie entartet sind! (1. Joh. 3,8).
Nun haben wir oben jene geschwätzige Weltweisheit (nugatoria philosophia) abgewiesen, die von den heiligen Engeln lehrt, das seien bloß gute Eingebungen und Regungen, die Gott im Herzen der Menschen aufkommen ließe. Ebenso müssen wir hier denen entgegentreten, die da schwätzen, die Teufel seien bloß schlechte Empfindungen oder verwirrte Gedanken, die uns unser Fleisch eingebe. Das kann aber in aller Kürze vor sich gehen, da hierzu zahlreiche und völlig deutliche Schriftzeugnisse vorhanden sind. Da werden zunächst die unreinen Geister auch abtrünnige Engel genannt, die „von ihrem Ursprung entartet sind“ (Jud. 6). Diese Namen drücken schon ganz klar aus, daß es sich hier nicht etwa um Regungen und Empfindungen handelt, sondern tatsächlich, wie es ja aus dem Wortlaut hervorgeht, um Geister und Wesen mit Empfindung und Verstand! Ähnlich werden von Christus wie von Johannes die Kinder Gottes mit den Kindern des Teufels verglichen (Joh. 8,44; 1. Joh. 3,10). Das wäre ja offenkundig unangebracht, wenn der Begriff „Teufel“ nur böse Eingebungen bezeichnete! Johannes fügt gar noch deutlicher hinzu, der Teufel sündige von Anfang (1. Joh. 3,8). Und wenn Judas einen Kampf des Erzengels Michael mit dem Teufel erwähnt (Jud. 9), so stellt er doch damit sicherlich dem guten Engel einen bösen und abtrünnigen entgegen. Dem entspricht wieder, was wir im Buch Hiob lesen: nämlich, daß der Satan mit den heiligen Engeln vor Gott erschienen sei (Hiob 1,6; 2,1). Am klarsten sind indessen die Stellen, welche die Strafe erwähnen, welche die Teufel durch Gottes Urteil, anfangsweise schon jetzt, dann aber
erst recht einst in der Auferstehung erfahren! „Du Sohn Davids, weshalb kommst du vor der Zeit und quälst uns?“ (Matth. 8,29). „Geht hin, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das da bereitet ist dem Teufel mit seinen Engeln“ (Matth. 25,41). „Denn Gott hat die Engel, die gesündigt haben, nicht verschont, sondern hat sie mit Ketten der Finsternis zur Hölle verstoßen und übergeben, daß sie zum Gericht behalten werden“ (2. Petr. 2,4). Was wären das für unsinnige Redensarten, die Teufel wären dem ewigen Gericht übergeben, ewiges Feuer sei ihnen bereitet, sie würden bereits jetzt durch Christi Herrlichkeit gequält und gemartert — wenn es gar keine Teufel gäbe! Freilich: diese Dinge bedürfen bei denen, die dem Worte Gottes Glauben schenken, keiner Erörterung, und anderseits wird bei den eitlen Grüblern (speculatores), denen nur das Neue gefällt, mit dem Schriftzeugnis wenig erreicht. Deshalb glaube ich meinen Zweck erreicht und fromme Seelen ausreichend gegen dergleichen Unsinn gesichert zu haben, mit dem ruhlose Leute sich und andere, Einfältigere, in Verwirrung bringen. Trotzdem mußten diese Dinge berührt werden, damit der Mensch sich nicht von dem Irrtum zu der Meinung verführen lasse, er hätte ja gar keinen Feind, und deshalb zum Widerstand träger und sorgloser werde!
Unterdessen aber wollen wir doch nicht versäumen, in diesem herrlichen Schauhause (theatrum) aus Gottes offenbaren und uns entgegentretenden Werken fromme Erquickung zu schöpfen! Denn es ist, wie wir schon sagten, zwar nicht der höchste, aber doch nach der Ordnung der Natur der erste Erweis des Glaubens, wenn wir, wohin wir auch die Augen lenken, alles, was uns begegnet, als Gottes Werk ansehen und zugleich mit frommer Erwägung überlegen, zu welchem Zweck es Gott geschaffen habe. Um also mit rechtem Glauben zu erfassen, was wir von Gott wissen sollen, müssen wir vor allem die Geschichte von der Schöpfung der Welt festhalten, wie sie uns Mose kurz berichtet und wie sie dann fromme Männer wie besonders Basilius und Ambrosius genauer beleuchtet haben. Daraus lernen wir dann, daß Gott mit der Kraft seines Wortes und seines Geistes Himmel und Erde aus nichts geschaffen, danach allerlei Tiere und auch leblose Wesen hervorgebracht, die unendliche Vielgestaltigkeit der Dinge in wundersamer Ordnung unterschieden, jedem Geschlecht sein Wesen eingesenkt, seinen Dienst zugewiesen und seinen Ort und seine Wohnstatt geschenkt hat, und daß er, da alles der Verderbnis (corruptio) unterworfen ist, doch Vorsorge getroffen hat, damit alle Arten bis zum Jüngsten Tage unversehrt bleiben! So erhält er — hören wir weiter — die eine Art auf geheimnisvolle Weise und läßt zu Zeiten neue Lebenskraft gewissermaßen in sie überströmen, und anderen hat er wieder die Kraft der Fortpflanzung gegeben, damit mit dem Ende des einzelnen nicht die Gattung aussterbe! Deshalb hat er Himmel und Erde mit der denkbar größten Fülle, Verschiedenheit und Schönheit aller Dinge ausgestattet und wie ein weites und herrliches Haus, mit erlesenstem und wundersamstem Gerät versehen und ausgerüstet, herrlich geschmückt. Schließlich hat er — so lernen wir — den Menschen gebildet, ihn mit so köstlicher Zier, so vielen und so herrlichen Gaben ausgezeichnet und aus ihm auf solche Weise das Meisterstück unter seinen Werken gemacht! Aber ich habe hier nicht vor, die Schöpfung der Welt zu erzählen, und so mag es genügen, dies wenige im Vorbeigehen erwähnt zu haben. Besser ist es, wie ich schon hervorhob, wenn die Leser sich aus Mose und den anderen, welche die Weltschöpfung getreulich und eingehend überliefert haben, eine genauere Kenntnis zu verschaffen suchen.
Auch der Zweck und der wesentliche Gesichtspunkt für eine Betrachtung der Werke Gottes bedarf keiner eingehenden Erörterung. Denn es war ja an anderer Stelle bereits ausführlicher davon die Rede, und im Zusammenhang der jetzigen Erwägung sind nur wenige Worte erforderlich. Wahrlich, wollte man würdig darstellen, wie Gottes unaussprechliche Weisheit, Macht, Gerechtigkeit und Güte am Gebäu der Welt sichtbar wird, so würde kein Glanz der Rede, keine Zier der Darlegung der Größe der Sache entsprechen. Unzweifelhaft hat der Herr gewollt, daß wir in solch heiliger Erwägung immerzu verharren. Und deshalb sollen wir jenen unermeßlichen Reichtum seiner Weisheit, Gerechtigkeit, Güte und Macht, wie wir sie in aller Kreatur gleichwie in einem Spiegel betrachten, nicht etwa bloß mit flüchtigem Blick und sozusagen mit leerer Anschauung durcheilen, sondern wir sollen bei solcher Erkenntnis lange verweilen, sie ernstlich und getreulich im Herzen bewegen und uns je und je ihrer erinnern. Aber wir sind jetzt in lehrhafter Arbeit begriffen, und da müssen wir übergehen, was eigentlich eine weitläufige Rede erforderte. Ich will mich kurz fassen: der Leser wird dann gewißlich in rechtem Glauben erkennen, was es eigentlich heißt, daß Gott der Schöpfer Himmels und der Erde ist, wenn er erstens der allgemeingültigen Regel folgt, an der Macht und Güte, die Gott in seiner Kreatur offenbar werden läßt, nicht mit undankbarer Gedankenlosigkeit und Vergeßlichkeit vorbeizugehen, und wenn er zweitens diese Erkenntnis so auf sich anzuwenden weiß, daß sie ihn im Innersten ergreift! Folgen wir der ersten Regel, so werden wir z. B. überlegen, welch ein Künstler es doch sein mußte, der die Unzahl der Sterne am Himmel so wohl geordnet und gefügt hat, daß kein erhabeneres Schauspiel erdacht werden kann, der die einen an ihrem Ort fest und unbeweglich bleiben läßt, anderen einen freieren Lauf verstattet hat, doch immer so, daß sie nicht von ihrer Bahn abirren können, — der die Bewegungen aller Gestirne so lenkt, daß Tage und Nächte, Monate, Jahre und Jahreszeiten daran gemessen werden, und der auch wiederum die Ungleichheit der Tage derart geregelt hat, daß keinerlei Verwirrung daraus entsteht. Ein weiteres Beispiel für jene erste Regel ist auch dies, daß wir auf seine Macht unser Gemerk richten, mit der er solche Last trägt und diese geschwinde Bewegung des Himmelsgebäudes lenkt — und dergleichen Beispiele mehr. Diese ganz wenigen Andeutungen zeigen deutlich, was es heißt, Gottes Kraft in der Schöpfung der Welt zu erkennen. Wollten wir übrigens, wie gesagt, das Ganze darstellen, so würde kein Aufhören sein. Denn es gibt so viele Wunder göttlicher Macht, so viele Zeichen seiner Güte, so viele Beweise seiner Weisheit, wie es in der Welt Gattungen unter den Geschöpfen, ja einzelne Dinge gibt, große wie kleine.
Nun bleibt noch das zweite Erfordernis, das dem Wesen des Glaubens noch näher steht. Wenn wir nämlich sehen, wie Gott alles uns zugut, uns zum Heil geordnet hat, und wenn wir seine Macht und Gnade empfinden, die er an uns selber und an so vielen Gaben erzeigt, die er uns geschenkt hat, dann sollen wir uns eben dazu bringen lassen, ihm zu vertrauen, ihn anzurufen, ihn zu loben und zu lieben! Denn daß er alles um des Menschen willen geschaffen hat, das hat der Herr in der Reihenfolge seines Schaffens selbst gezeigt, wie ich oben bemerkte. Denn er hat nicht ohne Grund die Erschaffung der Welt auf sechs Tage verteilt; wäre es ihm doch ebenso leicht gewesen, das ganze Werk in einem Augenblick in aller Vollkommenheit hinzustellen, wie in solchem allmählichen Fortschreiten zur Vollendung zu kommen. Aber er wollte uns dadurch seine Vorsehung und väterliche Sorge erweisen, daß er, bevor er den Menschen schuf, alles bereitete, was ihm nach seiner Voraussicht nützlich und heilsam sein konnte. Was wäre das für eine Undankbarkeit, wenn wir an der Fürsorge dieses unendlich gütigen Vaters zweifeln wollten, der sich doch schon um uns gemüht hat, ehe denn wir geboren wurden! Was für eine Gottlosigkeit wäre es, wenn wir je mißtrauisch zittern wollten, es könnte uns etwa einmal in der Not seine Güte verlassen, die doch, wie wir bemerken, schon vor unserem Dasein sich im Überfluß aller Güter wirksam erwies! Dazu hören wir bei Mose, daß er uns in seiner Freigebigkeit auch alles Untertan gemacht hat, was in der Welt ist (Gen. 1,28; 9,2). Und das hat er gewiß nicht getan, um uns mit dem bloßen Schein einer Schenkung zu täuschen. Es wird uns demnach nichts je abgehen, dessen wir zu unserem Heil bedürfen. Zum Schluß noch dies: sooft wir Gott den Schöpfer Himmels und der Erde nennen, soll uns auch zugleich das in den Sinn kommen, daß die Verwaltung alles dessen, was er gemacht hat, in seiner Hand und Macht liegt — daß aber wir seine Kinder sind, die er in seine Treue und Obhut genommen hat, um sie zu erhalten und aufzuziehen! Deshalb sollen wir die Fülle aller Güter von ihm allein erwarten und ihm gewißlich zutrauen, daß er uns nie an dem wird Mangel leiden lassen, was wir zum Heile brauchen — und so soll unsere Hoffnung an nichts anderem hängen als an ihm! Deshalb sollen wir aber auch, wenn wir irgend etwas wünschen, unsere Blicke auf ihn allein richten, alles Gute, das uns zuteil wird, als seine Wohltat erkennen und ihm dafür Dank sagen! Und wir sollen aus allen diesen Gründen, gezogen durch soviel liebliche Güte und Freundlichkeit, ihn von ganzem Herzen zu lieben und zu ehren uns befleißigen.
Es muß nun weiter auch von der Schöpfung des Menschen die Rede sein. Denn er ist unter allen Werken Gottes der edelste und sichtbarste Erweis seiner Gerechtigkeit, Weisheit und Güte. Und besonders kann ja, wie wir am Anfang ausführten, Gott von uns gar nicht rein und gewiß erkannt werden, wenn nicht wiederum die Selbsterkenntnis hinzukommt. Diese Selbsterkenntnis ist freilich von doppelter Art: wir müssen zunächst wissen, wie wir im Ursprung geschaffen waren, und dann auch, wie wir seit Adams Fall daran sind: — es würde uns nicht viel nutzen, von unserer Erschaffung zu wissen, wenn wir nicht all diesem schrecklichen Zerfall, in dem wir nun leben, die Verderbnis und Entstellung unserer Natur erkennten! Wir wollen aber trotzdem hier zunächst die Beschreibung unserer ursprünglich reinen (integrae) Natur vornehmen. Und es ist auch tatsächlich, ehe wir uns dem jämmerlichen Zustande des Menschen zuwenden, dem er heute unterworfen ist, durchaus der Mühe wert, ins Auge zu fassen, wie er denn eigentlich im Anfang geschaffen worden ist. Denn wir müssen uns sehr wohl vor dem Anschein hüten, als schrieben wir, indem wir bloß die natürliche Bosheit des Menschen genau darlegten, sie gar dem Urheber der Natur zu. Denn die Gottlosigkeit möchte sich allzugern mit diesem Vorwand verteidigen, wenn sie zu behaupten unternimmt, alles, was sie Böses in sich trage, das sei gewissermaßen von Gott ausgegangen — und sie zögert ja auch, wenn sie gestraft wird, keineswegs, mit Gott selber rechten zu wollen und ihm die Schuld zuzuschieben, deren sie mit Recht angeklagt wird. Und Leute, die auf den Schein frommeren Redens von der Gottheit Wert legen, suchen doch ihre Verkehrtheit gern mit der Natur zu entschuldigen und bedenken dabei gar nicht, daß sie damit auch Gott beschimpfen — wenn auch etwas heimlicher! Denn es wäre doch eine Schande für ihn, wenn man beweisen könnte, an der Natur sei etwas Verkehrtes. Wir sehen also, wie das Fleisch nach allerlei Ausflüchten hascht, um dadurch nach seiner Meinung die Schuld von sich auf einen anderen wälzen zu können. Und dieser Bosheit müssen wir mit Fleiß entgegentreten. Deshalb muß man das menschliche Unheil so behandeln, daß von vornherein alle Auswege abgeschnitten sind und die Gerechtigkeit Gottes von jeder Anschuldigung frei bleibt. Später werden wir dann, wenn wir soweit sind, zusehen, wie weit wir Menschen von der Reinheit entfernt sind, die dem Adam geschenkt war. Vorerst müssen wir aber das bedenken: der Mensch ist aus Erde und Lehm genommen, und damit ist seinem Stolz ein Zügel angelegt; denn es wäre ja völlig widersinnig, wenn sich einer seiner hervorragenden Stellung rühmen wollte, der nicht nur in einer Lehmhütte seine Wohnstatt hat, sondern gar selbst zum Teil aus Erde und Asche ist! Freilich, Gott hat sich herbeigelassen, dieses irdene Gefäß lebendig zu machen (zu beseelen), und er hat es gar zum Wohnsitz eines unsterblichen Geistes ersehen. Solcher Großmut seines Schöpfers konnte sich Adam mit Recht rühmen!
Weiterhin muß außer allem Streite stehen, daß der Mensch aus Seele und Leib besteht. Dabei verstehe ich unter „Seele“ ein unsterbliches, wenn auch geschaffenes Wesen, das des Menschen edlerer Teil ist. Oft wird sie auch „Geist“ genannt, und obwohl diese beiden Namen, wenn sie nebeneinanderstehen, von verschiedener Bedeutung sind, so bedeutet doch „Geist“, wenn das Wort allein auftritt, dasselbe wie „Seele“. So redet zum Beispiel Salomo vom Tode und sagt, dann kehre „der Geist“ zu Gott zurück, der ihn gegeben habe (Pred. 12,7). Auch Christus befiehlt dem Vater seinen „Geist“ (Luk. 23,46), ebenso Stephanus Christo (Apg. 7,58), und darunter verstehen sie nichts anderes, als daß, wenn die Seele aus dem Sklavenhaus des Fleisches erlöst ist, Gott immerdar ihr Hüter sei. Einige meinen zwar, die Seele hieße „Geist“, weil sie ein Hauch oder eine Kraft von Gott sei, die er den Körpern eingeflößt habe und die selbst kein eigenes Wesen besitze. Aber die Sache selbst wie auch die ganze Schrift zeigt, daß dies grober Unsinn ist. Gewiß, weil die Menschen gar zu sehr an der Erde hängen, so werden sie schwachsichtig, ja, in ihrer Entfremdung von dem Vater des Lichts in Finsternis verblendet, so daß sie kaum noch ein Fortleben nach dem Tode anzunehmen vermögen. Aber unterdessen ist das Licht noch nicht so sehr in der Finsternis erloschen, daß sie nicht eine Ahnung der Unsterblichkeit berührte! Denn das Gewissen, das in seiner Unterscheidung zwischen Gut und Böse dem Gericht Gottes entspricht, ist ein unbezweifelbares Zeichen für die Unsterblichkeit des Menschengeistes (immortalitatis spiritus). Wie sollte auch eine bloße Regung ohne jedes eigene Wesen vor Gottes Richterstuhl dringen und aus der Gewißheit der Verschuldung heraus in Schrecken geraten? Auch kann nicht etwa der Leib von der Furcht vor geistlicher Strafe ergriffen werden, sondern die trifft bloß die Seele, und daraus folgt, daß sie ein eigenes Wesen besitzt. Ja, schon die Erkenntnis Gottes beweist zur Genüge, daß ein Geist, der sich über die Welt erhebt, unsterblich ist, weil zur Quelle des Lebens keine wesenlose Kraft vordringen könnte. Schließlich ist doch auch des Menschen Gemüt so voller herrlicher Gaben, die laut zeugen, daß ihm etwas Göttliches eingegraben sei — und diese Gaben sind allesamt Zeugnisse für die Unsterblichkeit. Denn das Empfinden, das in den vernunftlosen Tieren wohnt, geht nicht über den Körper hinaus und erstreckt sich wenigstens nicht weiter als bis auf die ihm unmittelbar sich darbietenden Gegenstände. Der Menschengeist aber durchforscht in seiner Beweglichkeit Himmel und Erde und die Geheimnisse der Natur, und wenn er alle Jahrhunderte mit Verstand und Gedächtnis (intellectu et memoria) erfaßt hat, ordnet er alles einzelne ein, schließt aus dem Vergangenen das Zukünftige — und beweist eben dadurch, daß im Menschen etwas verborgen liegt, das vom Leibe verschieden ist. Wir können den unsichtbaren Gott und die Engel mit unserem Verstande denken; auch das steht dem Körper keineswegs zu! Das Rechte, Gute, Anständige, das doch körperlichen Sinnen verborgen ist, vermögen wir zu erfassen. Deshalb muß der Sitz solchen Erfassens der Geist sein. Selbst der Schlaf, der den Menschen betäubt und ihm fast das Leben zu nehmen scheint, ist ein klarer Zeuge für die Unsterblichkeit. Denn er drängt uns Gedanken an Dinge auf, die nie geschehen sind, ja, selbst Ahnungen der Zukunft. Ich berühre diese Dinge nur kurz: selbst heidnische Schriftsteller erheben sie gewaltig in glänzender Rede; bei den Frommen wird freilich die schlichte Erwähnung genügen.
Wäre die Seele nicht ein selbständiges Wesen, vom Körper unterschieden, so könnte die Schrift nicht sagen, wir wohnten in Lehmhütten, wanderten im Tode aus dem Zelt des Fleisches hinaus, zögen aus, was verweslich ist, um dann am Jüngsten Tage den Lohn davonzutragen, je nachdem ein jeglicher gehandelt hat bei Leibesleben. Denn diese Schriftstellen und ähnliche, wie sie oft genug vorkommen, unterscheiden die Seele doch gewiß ganz deutlich vom Leibe, ja, sie geben auch der Seele den Namen „Mensch“ und zeigen dadurch klar, daß sie der hervorragendste Teil ist. Wenn dann Paulus die Gläubigen ermahnt, sie sollten sich reinigen von aller Unreinigkeit des Fleisches und des Geistes (2. Kor. 7,1), so stellt er damit fest, daß es zwei Bereiche gibt, in denen der Schmutz der Sünde wohnt. Auch dies: Petrus nennt Christum den „Hirten und Hüter der Seelen“ (1. Petr. 2,25), — und das wäre ja ganz verkehrt, wenn es nicht Seelen gäbe, an denen er solches Amt ausüben könnte! Auch wäre es, wenn die Seele gar kein eigenes Wesen hätte, sinnlos, daß er vom ewigen Heil der Seele spricht (1. Petr. 1,9), oder auch, daß er den Befehl gibt, die Seelen zu reinigen, und sagt, die bösen Lüste stritten wider die Seele (1. Petr. 2,11). Ungereimt wäre es dann auch, daß der Verfasser des Hebräerbriefs schreibt, die Hirten ständen auf der Wacht, um Rechenschaft ablegen zu können über unsere Seelen (Hebr. 13,17). In derselben Richtung geht es, daß Paulus Gott zum Zeugen „auf“ seine „Seele“ anruft (2. Kor. 1,23); denn sie würde vor Gott gar nicht beschuldigt werden können, wenn sie nicht straffähig wäre. Noch deutlicher drückt sich das in den Worten Christi aus, man solle den fürchten, der, nachdem er den Leib getötet hätte, auch die Seele in das höllische Feuer werfen könne (Matth. 10,28; Luk. 12,5). Und wenn der Verfasser des Hebräerbriefs unsere leiblichen Väter von Gott unterscheidet, der „der Vater der Geister“ ist (Hebr. 12,9), so konnte er die eigene Wesenhaftigkeit der Seele gar nicht deutlicher behaupten. Wenn ferner die Seele nach ihrer Befreiung aus dem Sklavenhause des Körpers nicht bestehen bliebe, so wäre es widersinnig, daß Christus davon redet, die Seele des Lazarus genieße Freude in Abrahams Schoß, und anderseits, die Seele des Reichen leide Pein in ihrer Qual (Luk. 16,22ff.). Dem stimmt wiederum Paulus bei, wenn er sagt, wir wallten ferne vom Herrn, solange wir im Fleische wohnen, feine Gegenwart aber würden wir außer dem Fleische genießen (2. Kor. 5,6.8). Ich will aber in dieser klaren Sache nicht zu ausführlich reden. Nur noch dies: bei Lukas hören wir doch, daß es zu den Irrtümern der Sadduzäer gehörte, das Dasein von Geistern und Engeln zu bestreiten (Apg. 23,8).
Ein zuverlässiger Beweis für diese Wahrheit liegt auch darin, daß es vom Menschen heißt, er sei nachdem Ebenbilde Gottes geschaffen (Gen. 1,27). Nun strahlt gewiß auch am äußeren Menschen Gottes Herrlichkeit hervor; aber der eigentliche Sitz jenes Ebenbildes liegt doch zweifellos in der Seele. Ich leugne gewiß nicht, daß uns die äußere Gestalt, die uns von den Tieren unterscheidet und trennt, zugleich auch mit Gott verbindet. Auch will ich mich nicht ereifern, wenn jemand zum Ebenbild Gottes auch dies rechnet, daß, während die übrigen Lebewesen mit gesenktem Haupte zur Erde blicken, „hohes Antlitz dem Menschen verliehn ward, den Himmel zu schauen und zu den Sternen hinauf erhobene Blicke zu senden“ (Ovid). Nur muß das fest bestehen bleiben: das Bild Gottes, das an solch äußeren Merkmalen sichtbar hervorschimmert, ist geistlich. Osiander nämlich — der nach Ausweis seiner Schriften auf verkehrte Weise klug war — bezieht das Ebenbild Gottes so gut auf den Leib wie auf die Seele und wirft so Himmel und Erde durcheinander. Er sagt, Vater, Sohn und Heiliger Geist stellten im Menschen ihr Ebenbild dar; denn Christus wäre auch Mensch geworden, wenn Adam nicht gesündigt hätte. So wäre denn der Leib, den Christus einst annehmen sollte, das Vor- und Urbild für die leibliche Gestalt gewesen, die damals (in der Erschaffung des Menschen) gebildet wurde! Aber wo will Osiander finden, daß Christus (der doch Mensch gewordene!) auch das Ebenbild des Geistes sei? Gewißlich leuchtet in der Person des Mittlers die Herrlichkeit der ganzen Gottheit — aber wie sollte das ewige Wort zugleich Ebenbild des Geistes genannt werden können, dem es doch in der (trinitarischen) Ordnung vorangeht? Zudem wird ja die Unterscheidung zwischen Sohn und Geist aufgehoben, wenn Osiander den Sohn das Bild des Geistes nennt! Auch möchte ich dann gerne von Osiander wissen, wieso denn eigentlich Christus im Fleische, das er annahm, dem Geiste ähnlich sei, und mit was für Merkmalen oder Andeutungen er die Ähnlichkeit mit ihm beweise. Aber auch das: „Lasset uns Menschen machen“ (Gen. 1,26) ist ja auch ein solcher des Sohnes — und nach Osiander müßte dieser dann sein eigenes Ebenbild sein, was aller Vernunft zuwider wäre! Dazu kommt, daß — wenn man die Phantasien des Osiander übernehmen wollte! — der Mensch nur nach dem Urbild und Vorbild des Menschen Christus geschaffen worden wäre; und so wäre denn Christus, sofern er das Fleisch annehmen sollte, das Urbild, aus welchem Adam genommen wurde. Die Schrift aber lehrt ganz anders: sie sagt, er sei zu Gottes Ebenbild erschaffen worden! Andere verstehen die Sache so: Adam sei zum Ebenbilde Gottes geschaffen worden, weil er Christus, der das einzige Ebenbild Gottes ist, gleichförmig war. Diese spitzfindige Redeweise hat mehr Farbe; aber auch in ihr steckt nichts Ordentliches.
Weiter herrscht eine erhebliche Uneinigkeit über die Begriffe „Ebenbild“ (imago) und „Gleichnis, Ähnlichkeit“ (similitudo). Die Ausleger suchen nämlich zwischen beiden Ausdrücken einen Unterschied, der gar nicht da ist. Einzig ist „Gleichnis“ zur näheren Erläuterung von „Ebenbild“ gesetzt. Erstlich wissen wir doch, daß bei den Hebräern Wiederholungen üblich sind, die doch nur dasselbe zweimal sagen. Und zweitens ist auch in der Sache selbst keinerlei Zweideutigkeit: der Mensch heißt Gottes „Ebenbild“, weil er eben Gott „ähnlich“ ist! Daher machen sich die Leute lächerlich, die betreffs dieser Namen eine spitzfindige Philosophie entwickeln. Die einen meinen, das Wort „Zelem“ (also Ebenbild, imago) beziehe sich auf das Grundwesen der Seele, während „Demuth“ (d.h. Gleichnis, Ähnlichkeit, similitudo) die Eigenschaften betreffe. Andere versuchen den Unterschied wieder anders zu beschreiben. Die Sache ist doch so: Gott hat beschlossen, den Menschen „nach seinem Ebenbilde“ zu schaffen; dieser Ausdruck ist vielleicht etwas schwerverständlich; so wiederholt er: „zum Gleichnis, zur Ähnlichkeit“, als wollte er sagen: ich will einen Menschen machen, der mich wie in einem Ebenbilde darstellt, und zwar vermöge der ihm eingeprägten Merkmale der Ähnlichkeit! Deshalb setzt auch Mose, da er dieselbe Sache noch einmal erwähnt (Gen. 1,27), zweimal „Ebenbild Gottes“, ohne wieder „Ähnlichkeit“ zu brauchen! Ganz abgeschmackt ist es aber, wenn Osiander behauptet, es heiße hier nicht etwa bloß ein Teil des Menschen, etwa die Seele mit ihren Fähigkeiten, Ebenbild Gottes, sondern der ganze Adam, der doch seinen Namen von der Erde empfing, aus der er genommen war! Jeder verständige Leser wird mit mir urteilen, daß dies eben abgeschmackt ist! Denn wenn auch der ganze Mensch sterblich genannt wird, so ist deshalb die Seele doch nicht dem Tode unterworfen, und wenn anderseits der ganze Mensch ein vernünftiges Wesen heißt, so bezieht sich Vernunft und verstand doch nicht auch auf seinen Körper! Obgleich also der Mensch nicht die Seele ist, so ist es doch nicht widersinnig, wenn er um seiner Seele willen Ebenbild Gottes genannt wird — wobei ich freilich an dem oben entwickelten Grundsatz festhalte, daß sich Gottes Bild auf die ganze Vorzugsstellung erstreckt, welche die Natur des Menschen gegenüber allen anderen Arten von Lebewesen genießt. Deshalb bezieht sich also dieser Ausdruck (Ebenbild) auf die ursprüngliche Reinheit, die Adam besaß, als sein Verstand völlig richtig war, seine Neigungen der Vernunft entsprachen, alle seine Empfindungen aufs beste geordnet waren und er tatsächlich in seinen ausgezeichneten Gaben die Herrlichkeit seines Schöpfers hervortreten ließ! Aber so gewiß der Sitz des göttlichen Ebenbildes vornehmlich in Gemüt und Herz, in der Seele und ihren Anlagen sich befand, so wenig gab es irgend etwas an ihm, einschließlich des Körpers, in dem nicht gewisse Fünklein davon aufgeleuchtet wären. Es treten ja sicherlich in allen Teilen der Welt gewisse Andeutungen der Herrlichkeit Gottes hervor: wenn nun aber Gottes Ebenbild im Menschen dargestellt ist, so liegt darin offenkundig ein stillschweigender Unterschied beschlossen, der den Menschen über alle andere Kreatur hinaushebt und sozusagen von deren großer Masse trennt. Nun ist gewiß auch nicht zu leugnen, daß die Engel zu Gottes Bild geschaffen sind; denn nach Christi Zeugnis besteht ja unsere höchste Vollkommenheit darin, ihnen gleich zu werden (Matth. 22,30). Aber Mose hat doch recht, wenn er an dieser besonderen Auszeichnung Gottes Gnade gegen uns besonders preist, zumal da er ja bloß die sichtbaren Geschöpfe mit dem Menschen vergleicht.
Indessen scheint mir die Beschreibung des Ebenbildes doch noch unvollkommen zu sein, wenn nicht noch klarer hervortritt, was das denn für Anlagen sind, durch die der Mensch sich auszeichnet und in denen man einen Spiegel der Herrlichkeit Gottes erkennen muß. Das kann man aber am besten aus der Wiederherstellung der verderbten Natur erkennen. Denn Adam ist unzweifelhaft mit seinem Abfall von Gott entfremdet worden. Selbst wenn wir also zugeben, das Ebenbild Gottes sei in ihm nicht ganz erloschen oder zerstört worden, so war es doch derart verderbt, daß alles etwa übrigbleibende nur grausige Entstellung war! wenn wir also das Heil wiedergewinnen, so beginnt das mit der Erneuerung, die wir durch Christus empfangen, der ja auch aus dem Grunde der zweite Adam heißt, weil er uns zu wahrer und bleibender Unschuld zurückbringt. Freilich stellt Paulus den lebendigmachenden Geist, den Christus den Gläubigen zuteil werden läßt, der „lebendigen Seele“ gegenüber, zu welcher Adam geschaffen wurde (1. Kor. 15,45). Er zeigt damit, daß in der Wiedergeburt ein reicheres Maß der Gnade liegt; aber er hebt damit doch nicht den zweiten Hauptpunkt auf, nämlich daß der Zweck der Wiedergeburt darin besteht, daß uns Christus zum Ebenbild Gottes erneuere. Deshalb spricht er an anderer Stelle auch aus, der neue Mensch werde gemäß dem Ebenbilde dessen erneuert, der ihn geschaffen hat (Kol. 3,10). Dem entspricht auch die Forderung: „Ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist“ (Eph. 4,24). Jetzt wollen wir zusehen, was Paulus vornehmlich unter dieser Erneuerung versteht.
An erster Stelle nennt er die Erkenntnis, an zweiter die rechtschaffene Gerechtigkeit und Heiligkeit. Daraus ergibt sich nun, daß im Anfang das Ebenbild Gottes in der Erleuchtung des Geistes, in der Aufrichtigkeit des Herzens und in der Vollkommenheit des ganzen Menschen zu erblicken war. Dabei gebe ich zu, daß Paulus hier andeutend redet; aber der Grundsatz kann doch nicht umgestoßen werden: was in der Erneuerung des Ebenbildes Gottes an erster Stelle steht, das muß auch in der Schöpfung selbst das wesentlichste gewesen sein. Dahin gehört auch der Satz: „Nun aber spiegelt sich in uns allen des Herrn Klarheit mit aufgedecktem Angesicht, und wir werden verklärt in dasselbe Bild ...“ (2. Kor. 3,18). Daraus können wir sehen: Christus ist das vollkommenste Ebenbild Gottes, ihm sollen wir gleichgestaltet und dadurch derart erneuert werden, daß wir in wahrer Frömmigkeit, Gerechtigkeit, Reinheit und Erkenntnis das Ebenbild Gottes tragen. Stellt man das fest, so ist es mit jener Phantasterei des Osiander vom Urbild des Leibes von selbst vorbei. Die Stelle bei Paulus aber, in welcher allein der Mann Ebenbild und Abglanz Gottes heißt und die Frau von dieser Würde und Ehre ausgeschlofssen wird (1. Kor. 11,7), bezieht sich nach dem Zusammenhang offenbar auf die bürgerliche Ordnung (ad ordinem politicum). Daß nun unter dem Ebenbilde, das wir erwähnten, alles zu begreifen ist, was sich auf das geistliche, ewige Leben bezieht, das glaube ich ausreichend gezeigt zu haben. Auch Johannes bezeugt es mit anderen Worten, wenn er sagt, das Leben, das im Anfang im ewigen Worte war, sei das Licht der Menschen gewesen (Joh. 1,4). Denn er hat die Absicht, die einzigartige Gnade Gottes zu rühmen, die den Menschen gegenüber allen sonstigen Lebewesen auszeichnet, und ihn so von allem Gemeinen abzusondern, weil er ja nicht bloß das gewöhnliche Leben erlangt hat, sondern noch dazu das Licht der Erkenntnis; und damit zeigt er zugleich, wieso denn der Mensch zum Ebenbilde Gottes geschaffen worden ist. Das Ebenbild Gottes ist also die ursprünglich hervorragende Stellung der menschlichen Natur, die in Adam vor dem Fall hell erstrahlte, danach aber derart verderbt, ja schier zerstört worden ist, daß aus dem Untergang nur noch Verworrenes, Verstümmeltes und Beflecktes übriggeblieben ist. Eben dieses Ebenbild wird jetzt in den Erwählten, sofern sie aus dem Geiste wiedergeboren sind, teilweise wieder sichtbar, seinen vollen Glanz aber wird es im Himmel bekommen!
Um recht zu erfahren, in welchen Stücken dies Ebenbild Gottes besteht, müssen wir von den Fähigkeiten der Seele reden. Denn Augustins gedankenspielerische Meinung, die Seele sei ein Spiegel der Dreieinigkeit, weil in ihr Verstand, Wille und Gedächtnis wohnten, ist ohne Bestand (Von der Dreieinigkeit, Buch 10; Vom Gottesstaat, Buch 11). Ebensowenig Zustimmung kann die Meinung finden, das Bild Gottes bestehe in der dem Menschen übertragenen Herrschergewalt, als ob nur dies Merkmal eine Ähnlichkeit mit Gott enthalte, daß der Mensch zum Erben und Besitzer aller Dinge eingesetzt ist. Denn Gottes Bild muß doch in und bei, nicht aber außer dem Menschen gesucht werden, ja, es ist ein innerlicher Schatz der Seele.
Bevor ich weitergehe, muß ich aber noch gegen den Wahnwitz der Manichäer angehen, den heutzutage Servet wieder zu erneuern versucht hat. Wenn es da heißt, Gott habe dem Menschen einen lebendigen Odem in seine Nase gehaucht (Gen. 2,7), so meinten sie, die Seele sei ein Ausfluß des Grundwesens Gottes, als ob also ein Teil der unermeßlichen Gottheit auf den Menschen übergegangen sei! Es läßt sich nun aber leicht darlegen, was für grobe und schändliche Widersinnigkeiten dieser teuflische Irrtum mit sich bringt. Denn wenn die Seele des Menschen ein Ausfluß aus Gottes Wesen ist, so folgt, daß Gottes Natur der Veränderlichkeit und gar der Leidenschaft unterworfen ist, ja sogar der Unwissenheit, niedrigen Begierden, der Schwäche und allen Lastern! Denn es ist doch nichts unbeständiger als der Mensch, weil die widerstrebenden Regungen seine Seele hin und her bewegen und in der verschiedensten Weise auseinanderzerren. Oft täuscht ihn Unwissenheit, selbst den geringsten Anfechtungen unterliegt er, ja wir wissen, daß die Seele selbst ein Sumpf und eine Herberge alles Schmutzes ist. Und das alles müßte man der Natur Gottes zuschreiben, wenn man annehmen wollte, die Seele stamme aus Gottes Wesen oder sei ein verborgener Ausfluß der Gottheit! Wer sollte sich bei einer solchen Ungeheuerlichkeit nicht entsetzen! Zwar sagt uns Paulus mit Recht nach Aratus, wir seien „seines Geschlechts“ (Apg. 17,28). Aber doch nicht etwa im Wesen, sondern nach der Beschaffenheit — eben sofern uns Gott mit göttlichen Gaben geziert hat! Auch ist es ja ausbündiger Unsinn, des Schöpfers Wesen zu zerstückeln, daß jeder einen Teil besitze! Es muß also festgestellt werden: obwohl Gottes Ebenbild der Seele eingeprägt ist, so ist sie doch geschaffen, ebenso wie die Engel. Schöpfung aber ist nicht Ausfluß (göttlichen Wesens), sondern Anfang eines Wesens aus dem Nichts. Auch wenn der Geist von Gott gegeben ist und, nachdem er aus dem Fleische ausgewandert, zu ihm zurückkehrt, so kann man doch keineswegs gleich sagen, er sei aus Gottes Grundwesen (substantia) entnommen. Auch in diesem Stück ist Osiander über all seinen Träumereien auf den gottlosen Irrtum verfallen, Gottes Ebenbild im Menschen nicht ohne die wesenhafte Gerechtigkeit (sine essentiali justitia) anzuerkennen, — als ob uns Gott in der unermeßlichen Kraft seines Geistes nur dann sich gleichförmig machen könnte, wenn Christus wesenhaft in uns überginge! Mögen nun einige Leute dieses Blendwerk auch noch so schon färben, — sie werden doch die Augen verständiger Leser nie so verblenden, daß sie etwa den manichäischen Irrtum nicht herausmerkten. Auch wo Paulus von der Erneuerung des Ebenbildes redet, da zeigen seine Worte deutlich, daß der Mensch nicht durch Überfließen des Grundwesens (der „Substanz“), sondern durch die Gnade und Kraft des Geistes Gott gleichgestaltet wird. Denn er sagt, daß wir, indem wir Christi Herrlichkeit anschauen, gleichwie vom Geiste des Herrn in dasselbe Bild verwandelt werden (2. Kor. 3,18). Und dieser Geist wirkt gewiß so in uns, daß er uns nicht etwa mit Gott gleichen Wesens macht!
Es wäre töricht, eine Bestimmung des Wesens der Seele von den Philosophen zu entlehnen. Denn außer Platon hat sie fast keiner von ihnen wirklich als unsterbliches Wesen (substantia immortalis) anerkannt. Zwar reden auch andere Sokratiker davon; aber keiner lehrt es deutlich, weil keiner recht davon überzeugt war! Platons Meinung ist deshalb die richtigere, weil er Gottes Ebenbild in der Seele erkennt. Andere heften ihre Kräfte und Anlagen (potentiae et facultates) dermaßen an das gegenwärtige Leben, daß sie außer dem Körper schließlich nichts übriglassen.
Wir haben nun unserseits bereits gelehrt, daß die Seele unkörperlich ist. Nun ist zu beachten, daß sie zwar nicht in einem bestimmten Raum eingeschlossen, aber dennoch mit dem Körper verbunden ist und in ihm wie in einer Herberge wohnt. Nicht nur so, daß sie alle seine Teile belebt und seine Organe für ihre Wirksamkeit geschickt und brauchbar macht, sondern sie übt die Vorherrschaft in der Führung des Menschenlebens aus, und das nicht nur hinsichtlich der Pflichten des irdischen Lebens, sondern um den Menschen zugleich zur Verehrung Gottes zu reizen. Obwohl das letztere in der Verderbnis nicht deutlich zu bemerken ist, so bleiben doch die Spuren selbst den Lastern eingedrückt. Woher haben denn die Menschen die große Sorge um ihren guten Namen als aus Scham? Woher aber stammt wiederum die Scham anders als aus der Ehrfurcht vor dem, was recht ist? Und die kommt wieder aus der Erkenntnis, daß sie dazu geboren sind, die Gerechtigkeit hochzuhalten — worin der Keim der Religion eingeschloffen ist! Denn wie ohne allen Zweifel der Mensch zum Trachten nach dem himmlischen Leben (ad caelestis vitae meditationem) geschaffen wurde, so wurde ihm auch sicherlich eine Kenntnis davon mit eingepflanzt. Auch würde ja dem Menschen wahrlich der herrlichste Gebrauch des Verstandes (intelligentia) abgehen, wenn ihm die Seligkeit unbekannt wäre, deren Vollendung in der Vereinigung mit Gott besteht. Deshalb ist es auch die wichtigste Wirksamkeit der Seele, nach dieser Seligkeit zu trachten, und je mehr einer danach strebt, Gott näher zu kommen, desto mehr beweist er, daß er mit Vernunft begabt ist.
Manche meinen, der Mensch habe mehrere Seelen, eine empfindende und eine denkende. Aber obwohl sie scheinbar etwas der Wahrheit Nahestehendes vorbringen, müssen wir doch ihre Meinung, weil ihre Gründe keine Beweiskraft haben, ablehnen, sofern wir uns nicht mit leichtfertigen und unnützen Dingen plagen wollen. So sagen sie, es sei ein großer Widerstreit zwischen den Regungen der Leibeswerkzeuge und dem vernünftigen Teil der Seele. Als ob nicht auch die Vernunft selber mit sich uneinig wäre und ihre Erwägungen und Beschlüsse wie feindliche Heere einander Schlachten lieferten! Aber diese Verworrenheit stammt doch aus der Verderbnis der Natur, und deshalb ist es verkehrt, daraus, daß die Anlagen nicht das gebotene Gleichmaß untereinander halten, gleich zu folgern, es gäbe (im Menschen) zwei Seelen.
Über diese Anlagen selbst feinsinnige Untersuchungen anzustellen, überlasse ich indessen den Philosophen; uns kann zur Auferbauung der Frömmigkeit eine einfache Beschreibung genügen. Was sie lehren, ist, das gebe ich zu, wahr und nicht bloß angenehm zu erfahren, sondern notwendig zu wissen und von ihnen sehr geschickt zusammengebracht. Deshalb will ich keinen an ihrem Studium hindern, der danach begierig ist. Ich gebe also zunächst zu, daß es fünf Sinne gibt, die Platon übrigens Organe zu nennen vorzieht. Sie führen dem allgemeinen Empfinden (sensus communis) wie einem Behältnis alle Gegenstände zu (Platon, Theaetet). Dann folgt die Phantasie (phantasia): sie beurteilt das vom allgemeinen Empfinden Erfaßte. Danach kommt die Vernunft (ratio), der das allgemeine Urteil zusteht. Und endlich das Gemüt (mens): es betrachtet mit festem und ruhigem Blick, was die Vernunft im Fluge zu durchfliegen pflegt. Ebenso entsprechen dem Gemüt, der Vernunft und der Phantasie als den drei erkennenden Fähigkeiten der Seele auch wiederum drei begehrende Fähigkeiten: der Wille, welcher begehrt, was Gemüt und Vernunft ihm darbieten; die Zürnkraft, welche an sich reißt, was Vernunft und Phantasie darreichen, und die Begehrkraft, welche annimmt, was ihr Phantasie und Sinne zuwerfen. Um diese Dinge sollte man sich nach meiner Meinung nicht gar zu sehr kümmern — wie wahr oder zum mindesten wahrscheinlich sie auch sein mögen. Ich fürchte nämlich, daß sie durch ihre Dunkelheit ohnehin mehr Verwirrung als Nutzen stiften könnten. Mancher möchte wohl die Anlagen der Seele anders einteilen: in eine begehrende Anlage, die, zwar selbst ohne Vernunft, doch der Vernunft und deren Leitung gehorsam ist, und eine verstehende, die selbst der Vernunft teilhaftig wäre (so Aristoteles, Nik. Ethik, I,13). Ich erhebe dagegen keinen wesentlichen Einspruch. Auch würde ich nicht die Annahme von drei Grundkräften, nämlich Sinnen, Vernunft und Begehren, verwerfen (Aristoteles, Nik. Ethik, VI,2).
Aber wir wollen lieber eine Einteilung wählen, die jeder begreifen kann — die kann man freilich von den Philosophen sicherlich nicht entlehnen! Denn wenn diese ganz schlicht reden wollen, so teilen sie die Seele in Begehren und Denken ein und teilen dann wieder jedes in zwei Stücke. Den Verstand nennen sie einerseits „beschaulich“ (contemplativus), sofern er, mit der Erkenntnis allein zufrieden, gar keinen Antrieb zum Handeln empfindet (Themistius, De anima ...) — was wieder Cicero mit dem Begriff „Selbstgeist“ (ingenium) meint ausdrücken zu können. Andererseits nennt man ihn auch „praktisch“ (practicus), sofern er nämlich vermöge der Erkenntnis des Guten und Bösen den Willen in verschiedener Weise anregt. Darunter gehört auch das Wissen um die gute und rechte Lebensführung. Das Begehren aber teilt man in Willen und Begierde (voluntas et concupiscentia) ein. Dabei redet man vom Willen (bulesis), sofern der Trieb (den sie „horme“ nennen) der Vernunft gehorcht, von der leidenschaftlichen Begierde (pathos) dagegen, wo der Trieb das Joch der Vernunft abschüttelt und ungebändigt ausbricht. In allen Fällen nimmt man also im Menschen die Vernunft als das an, wodurch er sich selbst recht regieren könnte!
Aber eben weil die Philosophen nichts von der Verderbnis der Natur wissen, wie sie aus der Strafe für den Abfall entsprungen ist, und weil sie auf diese Weise zwei sehr verschiedene Zustände („Stände“, status) des Menschen aufs verkehrteste durcheinanderwerfen, deshalb müssen wir von dieser Lehrart ein wenig abweichen. So stellen wir also fest: in der Menschenseele sind zwei Vermögen (partes), die zu unserer jetzigen Lehraufgabe sehr wohl passen, nämlich Verstand und Wille (intellectus et voluntas). Als Aufgabe des Verstandes wollen wir ansehen: unter den Gegenständen zu unterscheiden, je nachdem ihnen Billigung oder Mißbilligung zuzukommen scheint, als Aufgabe des Willens: das zu erwählen und dem nachzugehen, was der Verstand für gut erkannt hat, das zu verachten und dem aus dem Wege zu gehen, was er verworfen hat (so Platon im Phaidros). Dabei sollen uns die Kleinlichkeiten des Aristoteles nicht aufhalten, der meint, das Gemüt (Verstand, mens) habe an sich gar keine Bewegung, sondern das Bewegende sei das Wahlvermögen (electio), das er auch „begehrenden Verstand“ nennt. Um nicht bei überflüssigen Fragen zu verweilen, soll uns die Feststellung genügen, daß der Verstand sozusagen der Führer und Lenker der Seele ist, der Wille dagegen stets auf seinen Wink achtet und sein Urteil bei seinen Wünschen abwartet. In diesem Sinne lehrt der gleiche Aristoteles, im Begehren sei das Fliehen und Nachjagen etwas Ähnliches wie das Verneinen und Bejahen im Gemüt (in mente, Nik. Ethik, VI,2). Wie zuverlässig nun aber ferner diese Leitung des Verstandes über den Willen ist, das werden wir später sehen. Hier wollen wir nur feststellen, daß in der Seele keine Fähigkeit zu finden ist, die sich nicht mit Recht einer der beiden Grundvermögen (Verstand und Wille) zuordnen ließe. So ordnen wir auch die Sinnesneigungen (sensus) dem Verstande unter; andere machen da eine Unterscheidung und sagen, die Sinne neigten zum Vergnügen, während dagegen der Verstand dem Guten folgte, so daß also aus der Regung des Sinnes Begierde und Lust entstünde, aus der des Verstandes aber der Wille. Anderseits verwende ich statt des Begriffs Begehrungsvermögen (appetitus), den jene vorziehen, lieber den Ausdruck „Wille“, weil er gebräuchlicher ist.
So hat also Gott die Menschenseele mit dem Verstande ausgerüstet, durch den der Mensch Gut und Böse, Recht und Unrecht voneinander unterscheiden und im Voraufleuchten des Lichts der Vernunft sehen soll, wem er nachjagen und vor was er fliehen muß. Deshalb haben die Philosophen dieses Vermögen auch „führend“ (to hegemonikόn) genannt. Dazu hat er den Willen gefügt, dem die Entscheidung obliegt. Mit diesen herrlichen Gaben war der ursprüngliche Zustand (prima conditio) des Menschen geschmückt, so daß ihm Vernunft, Verstand, Klugheit und Urteilskraft (iudicium) nicht nur zur Führung des irdischen Lebens hinreichten, sondern ihn auch zu Gott und der ewigen Seligkeit emporhoben. Dazu kam dann die Wählkraft (electio), die die Begehrungen lenkte und alle sinnlichen Regungen beherrschte, so daß also der Wille in voller Übereinstimmung mit der Leitung des Verstandes war.
In dieser ursprünglichen Reinheit war der Mensch im Besitz des freien Willens, so daß er das ewige Leben erlangen konnte, wenn er wollte. An dieser Stelle die Frage nach der verborgenen Prädestination Gottes zu stellen, wäre voreilig; denn es handelt sich hier nicht darum, was geschehen konnte und was nicht, sondern wie die Natur des Menschen tatsächlich beschaffen war. Adam konnte also in seiner ursprünglichen Unschuld bestehen, wenn er wollte; denn er fiel ja nur durch seinen eigenen Willen. Da allerdings sein Wille in jeder Richtung sich neigen konnte und ihm die Beständigkeit zur Beharrung nicht gegeben war, deshalb fiel er so leicht. Trotzdem, seine Entscheidung über Gut und Böse war frei, und nicht nur dies: in Verstand und Willen herrschte vollkommene Rechtschaffenheit, und alle sinnlichen Fähigkeiten waren fein zum Dienst eingerichtet — bis er sich selber verdarb und darüber seine Vorzüge verlor.
Daher aber kommt nun diese große Finsternis, die die Philosophen umgibt: sie suchen unter Trümmern das Gebäude und unter der Zerrüttung die passenden Fugen! Als Grundsatz hielten sie fest, der Mensch sei kein vernünftiges Wesen, wenn er nicht die freie Entscheidung zwischen Gut und Böse hätte, auch kam ihnen in den Sinn, der Unterschied zwischen Tugend und Laster werde hinfällig, wenn der Mensch sein Leben nicht nach eigener Bestimmung ordne. Bis dahin war alles richtig — wäre nur im Menschen keine Veränderung eingetreten! Diese aber kannten sie nicht — und so ist es kein Wunder, daß sie Himmel und Erde durcheinanderwarfen! Wer sich aber als Jünger Christi bekannt hat und trotzdem bei dem verlorenen und dem geistlichen Elend verfallenen Menschen noch den freien Willen sucht, auf diese Weise also zwischen der Meinung der Philosophen und der himmlischen Lehre sich teilt, der geht ganz in der Irre und verfehlt den Himmel und die Erde! Aber darüber findet sich an geeigneterer Stelle Besseres. Jetzt muß nur dies festgehalten werden: der Mensch ist in seiner Erschaffung, am Anfang, etwas völlig anderes gewesen als alle seine Nachfahren; denn sie haben ihren Ursprung im gefallenen Menschen und haben von ihm die Verderbnis zum Erbe empfangen. Denn es waren ja alle Anlagen der Seele recht geschaffen, die Gesundheit der Seele bestand, dazu ein Wille, der frei war, das Gute zu erwählen! (Augustin, Über die Genesis, II,7). Es könnte freilich jemand einwenden, der Wille sei wegen seiner Schwäche sozusagen auf das Schlüpfrige gesetzt worden. Aber seine Stellung (in der ursprünglichen Reinheit) genügt doch schon allein, alle Entschuldigung zu beheben; auch konnte doch Gott nicht das Gesetz aufgezwungen werden, einen Menschen zu schaffen, der überhaupt nicht sündigen konnte noch wollte. Gewiß wäre ein solches Wesen noch vortrefflicher gewesen; aber es wäre doch mehr als ungerecht, über dergleichen mit Gott zu rechten, als ob er es dem Menschen hätte gewähren müssen; denn es stand in seinem freien Ermessen, ihm zu geben, wieviel er wollte. Warum er ihn aber nicht mit der Kraft der Beharrlichkeit (perseverantiae virtute) unterstützt hat, das ist in seinem Ratschluß verborgen — unsere Aufgabe ist, in Nüchternheit klug zu sein! Der Mensch besaß eben das Können, wenn er wollte, aber nicht das Wollen, um zu können — denn solchem Wollen wäre die Beharrlichkeit gefolgt (Augustin, Von Züchtigung und Gnade, 11,32). Entschuldbar ist er trotzdem nicht; denn er hatte soviel empfangen, daß er sich das Verderben aus freien Stücken zuzog. Aber für Gott gab es kein Gesetz, ihm einen anderen als solchen in der Mitte stehenden, wandelbaren Willen zu geben; er wollte selbst aus seinem Fall einen Anlaß nehmen, seine Herrlichkeit zu erzeigen.
Gott zu einem Schöpfer für den Augenblick zu machen, der sein Werk ein für allemal hinter sich gebracht hätte, wäre eine kalte und unfruchtbare Sache; und wir sollen uns gerade darin von den Weltmenschen unterscheiden, daß uns die Gegenwart der Kraft Gottes im fortdauernden Bestehen der Welt ebenso hell entgegenleuchtet, wie in ihrem Ursprung. Gewiss zwingt der Anblick von Himmel und Erde auch die Gottlosen, ihre Seele zum Schöpfer zu erheben. Aber der Glaube hat doch seine eigene Art, Gott den ungeteilten Lobpreis für die Schöpfung darzubringen. Dazu gehört das Apostelwort, das wir oben anführten, nur im Glauben erkennten wir, daß die Welt durch Gottes Wort fertig geworden sei (Hebr. 11,3). Denn wir begreifen erst dann, was es heißt, daß Gott der Schöpfer ist, wenn wir auch seine Vorsehung mit erfassen, mögen wir sonst auch den Anschein erwecken, es im Gemüt zu verstehen und mit der Zunge zu bekennen. Der Sinn des Fleisches bleibt, wenn er sich einmal Gottes Kraft in der Schöpfung vorgestellt hat, dabei stehen; geht er sehr weit, so erwägt und betrachtet er höchstens die Weisheit, Macht und Güte des Meisters, der solch herrliches Werk geschaffen hat - denn das zeigt sich ja alles von selbst und drängt sich auch dem Widerstrebenden auf! Aber in der Erhaltung und Leitung dieses Werkes sieht er bloß eine allgemeine Kraft wirksam, von der die Bewegung ausgeht. Schließlich meint er (der Sinn des Fleisches), zur Erhaltung aller Dinge genüge die Kraft, die Gott der Welt im Anfang mitgegeben hat. Der Glaube dagegen muß höher dringen; denn er soll wissen: der, den er als den Schöpfer aller Dinge kennen gelernt hat, der ist auch ihr ständiger Lenker und Erhalter, und zwar geschieht diese Erhaltung nicht dadurch, daß er das ganze Weltgebäu wie auch seine einzelnen Teile bloß allgemein in Bewegung erhält; nein, er trägt, nährt und umsorgt in besonderer Vorsehung jedes einzelne, das er geschaffen hat, bis zum geringsten Sperling. So hören wir es bei David: gerade hat er kurz ausgesprochen, daß die Welt von Gott geschaffen sei, da kommt er sogleich auf den fortwährenden Gang seiner Vorsehung zu sprechen. „Der Himmel ist durch das Wort des Herrn gemacht, und all sein Heer durch den Geist seines Mundes“ (Ps. 33,6), heißt es zunächst, und dann fügt er bald noch hinzu: „Der Herr schauet ... auf aller Menschen Kinder ...“ (Ps. 33,13); auch die weiteren Verse haben den gleichen Sinn. Es wäre, obwohl hier nicht alle vernünftig nachdenken, doch völlig undenkbar, daß Gott alle menschlichen Geschicke lenke, wenn er nicht der Schöpfer der Welt wäre. Und anderseits kann niemand im Ernste glauben, daß die Welt von Gott gemacht ist, ohne zugleich überzeugt zu sein, daß Gott für seine Geschöpfe sorgt. Eben deshalb ist es in bester Ordnung, wenn David uns beides nacheinander zeigt. Im allgemeinen lehren auch die Philosophen und begreift es der Menschengeist, daß alle Teile der Welt gewissermaßen durch eine geheime Eingebung Gottes Bestand haben. Indessen vermögen sie nicht zu der Höhe vorzudringen, zu der David gelangt und zu der er alle Frommen mit hinaufführt: „Es wartet alles auf dich, Herr, daß du ihnen Speise gebest zu seiner Zeit; du gibst, so sammeln sie; wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gut gesättigt; verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie; du nimmst weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder zu Staub; du lässest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und du erneuerst die Gestalt der Erde“ (Ps. 104,27ff.). Mögen die Philosophen auch dem Satz des Paulus zustimmen: „in ihm leben, weben und sind wir“ (Apg. 17,28), so sind sie doch weit entfernt vom lebendigen Empfinden der Gnade, die er preist, weil sie Gottes besondere Fürsorge, aus der doch seine väterliche Huld zu erkennen ist, gar nicht schmecken.
Damit dieser Gegensatz noch deutlicher werde, müssen wir wissen, daß Gottes Vorsehung, wie sie in der Schrift gelehrt wird, im Gegensatz zu jedem Gedanken an „Glück“ und „Zufall“ steht. Man hat zwar schon zu allen Zeiten allgemein gewähnt, und auch heutzutage herrscht fast unter allen Sterblichen die Meinung, es geschehe alles „zufällig“. Aber durch eine derartige verkehrte Meinung wird ganz gewiss das, was man von der Vorsehung wissen muß, vernebelt und fast gar begraben. Da fällt einer unter die Räuber oder in die Gewalt wilder Tiere, da führt ein plötzlicher Sturm zum Schiffbruch auf dem Meer, da wird einer unter den Trümmern eines Hauses oder unter einem umbrechenden Baum erschlagen, - da findet ein anderer, der durch die Wüste geirrt, doch noch etwas, um seinen Hunger zu stillen, oder ein Schiffbrüchiger erreicht den Hafen, oder es entgeht einer um Fingersbreite wunderbar dem Tode: all diese glücklichen oder unglücklichen Ereignisse schiebt die Vernunft des Fleisches dem Zufall zu! Wer aber aus Christi Mund gelehrt ist, daß auch die Haare auf unserem Haupte alle gezählt sind, der sieht den Grund tiefer und hält daran fest, daß alles Geschehen durch Gottes verborgenen Rat regiert wird! Bei den leblosen Dingen müssen wir uns das so vorstellen: jedes hat gewiss von Natur seine Eigenart in sich; aber keines kann seine Kraft wirken lassen, wenn es nicht durch Gottes gegenwärtige Hand gelenkt wird. Sie sind also nichts anderes als Werkzeuge, denen Gott mit Bedacht soviel Kraft bescheidet, wie er will, und die er nach seinem Ermessen zu dieser oder jener Wirksamkeit lenkt und leitet. So hat kein Geschöpf eine wundersamere und herrlichere Kraft als die Sonne. Abgesehen noch davon, daß sie den ganzen Erdkreis mit ihrem Glanz erhellt: wie großartig ist es doch, daß sie mit ihrer Wärme alles Lebendige erhält und belebt, mit ihren Strahlen die Erde fruchtbar macht, den Samen im Schoß der Erde erwärmt, dann das Grün aus ihm hervorlockt, ihn mit neuer Nahrung erquickt, nährt und stärkt, bis er zum Halm erwächst, ihn weiterhin immerzu mit Tau speist, bis er zur Blüte und dann zur Frucht wird, diese dann wieder unter ihrer Hitze reifen läßt - daß die Bäume und Weinstöcke unter ihrer Wärme knospen und Laub tragen, blühen und Frucht bringen! Aber der Herr hat, damit ihm allein der rechte Lobpreis für das alles zukomme, dafür gesorgt, daß zuerst das Licht da war und die Erde mit aller Art von Kräutern und Früchten erfüllt wurde - bevor er die Sonne schuf! (Gen. 1,3.11). Deshalb soll der Fromme die Sonne nicht zur Hauptursache oder zum notwendigen Grunde von Dingen machen, die doch schon vor ihrer Erschaffung da waren, sondern er soll sie bloß als Werkzeug ansehen, das Gott braucht, weil er es so will! Denn er kann ja ebenso leicht ohne sie, rein aus sich selber handeln! Und wenn wir lesen, die Sonne habe auf Josuas Gebet hin zwei Tage stillgestanden (Jos. 10,13), oder ihr Schatten sei dem König Hiskia zugute zehn Grade rückwärtsgegangen (2. Kön. 20,11), so hat Gott durch diese wenigen Wunder bezeugt: die Sonne geht nicht in blindem Naturtrieb alle Tage auf und unter; nein, er lenkt ihren Lauf, um die Erinnerung an seine väterliche Huld gegen uns immer wieder zu erneuern! Nichts Natürlicheres gibt es, als daß dem Winter der Frühling, dem Frühling der Sommer, dem Sommer der Herbst folgt. Aber in dieser Aufeinanderfolge besteht eine derartige Verschiedenheit und Ungleichheit, daß daraus leicht deutlich wird, daß die einzelnen Jahre, Monate und Tage je in neuer, besonderer Vorsehung Gottes geordnet und regiert werden.
So will sich Gott fürwahr die Allmacht zueignen und sie von uns anerkannt wissen. Das ist freilich nicht jene leere, müßige und fast schlummernde „Allmacht“, die sich die Sophisten erdacht haben, sondern sie ist wachsam, tätig und wirksam und stets im Handeln begriffen. Sie ist auch nicht etwa bloß der allgemeine Beginn einer verworrenen Bewegung, als wenn er einen Fluss innerhalb der einmal festgesetzten Ufer dahinfließen ließe; sondern sie wirkt auf die einzelnen und besonderen Bewegungen allesamt. Er heißt allmächtig, nicht weil er zwar alles vermöchte, aber doch zwischendurch zuweilen ruhte oder aufhörte oder den einmal festgelegten Naturlauf (naturae ordo) auf Grund des allgemeinen Antriebs, den er ihm verliehen, nun weiterwirken ließe. Nein, er heißt deshalb allmächtig, weil er Himmel und Erde mit seiner Vorsehung lenkt und alles so einrichtet, daß nichts ohne seinen Willen geschieht. Denn wenn es im Psalm heißt: „Er kann machen, was er will“ (Ps. 115,3), so wird damit sein Wille als fest und wohlüberlegt bezeichnet. Es wäre nämlich töricht, wenn man nach der Weise der Philosophen dieses Prophetenwort dahin auslegen wollte, Gott sei der Erstantrieb (primum agens), da er ja Anfang und Ursache aller Bewegung ist. Vielmehr freuen sich doch die Gläubigen im Unglück in der tröstlichen Gewissheit, daß ihnen nichts widerfährt ohne Gottes Anordnung und Befehl, weil sie ja in seiner Hand sind. Erstreckt sich also Gottes Leitung auf alle seine Werke, so ist es kindisches Geschwätz, sie in den Lauf der Natur einzuschließen. Denn wer Gottes Vorsehung in so enge Grenzen hineinzwängen will, als ob er alles nach seinem freien Lauf dem stetigen Gesetz der Natur (naturae lex) überließe, der beraubt Gott seiner Ehre und ebenso sehr sich selbst einer sehr nützlichen Einsicht; denn nichts wäre jämmerlicher als der Mensch, wenn er einfach allen Bewegungen des Himmels, der Luft, der Erde und des Wassers ausgesetzt wäre! Außerdem würde ja auf diese Weise die besondere Güte Gottes gegen jeden einzelnen aufs unwürdigste verkleinert! Ruft doch David aus, selbst die jungen Kinder, die noch an der Mutter Brust hängen, seien wohl fähig, Gottes Ruhm zu verherrlichen (Ps. 8,3); denn wenn sie kaum der Mutter Leib verlassen haben, so finden sie ja schon die Nahrung, die ihnen himmlische Fürsorge bereitet hat! Es ist doch ganz allgemein wahr, nur müssen wir auch nicht mit unseren Augen und Sinnen an dem vorbeigehen, was doch die Erfahrung deutlich zeigt: die eine Mutter kann ihr Kindlein reichlich nähren, die andere weniger, je nachdem Gott das eine Kindlein kräftig, das andere bescheidener mit Nahrung versehen will.
Wer nun Gottes Allmacht das ihr zukommende Lob zollt, der hat einen doppelten Segen davon: Erstens erkennt er, daß Gott unerschöpflich wohlzutun vermag, da er ja Himmel und Erde in Besitz hat und da alle Geschöpfe auf seinen Wink schauen, um ihm Gehorsam zu leisten. Zweitens erfährt er, daß man in seinem Schutze sicher ruhen kann; denn seinem Willen ist ja alles unterworfen, was sonst als schädlich zu fürchten wäre; sein Befehl hält den Satan mit all seinem Heer und all seiner List wie an einem Zügel in der Gewalt, und von seinem Wink hängt auch ab, was unserem Heil zuwider ist! Nur dadurch kann die maßlose und abergläubische Angst, die wir zuweilen gegenüber Gefahren empfinden, gemäßigt und gestillt werden. Ich sagte, es sei abergläubisch, wenn wir Angst haben, wenn wir, sooft uns Geschöpfe bedrohen oder Furcht einflößen, alsbald erschrecken, als ob sie aus sich selber Kraft oder Macht hätten, uns zu schaden, oder von selbst oder aus Zufall uns verletzen könnten, oder als ob gegen ihre Anfeindungen nicht Hilfe genug bei Gott wäre! So gebietet zum Beispiel der Prophet, die Kinder Gottes sollten sich nicht vor den Sternen und den Zeichen am Himmel fürchten, wie das die Ungläubigen tun (Jer. 10,2). Damit verdammt er gewiss nicht etwa jede Furcht. Aber wenn die Ungläubigen die Leitung der Welt Gott nehmen und den Gestirnen beilegen und sich einbilden, ihr Glück und Unglück hänge von Bestimmung oder Vorbedeutung der Gestirne und nicht von Gottes Willen ab, dann wird eben ihre Furcht von dem Einen, auf den sie schauen sollten, zu den Sternen und Kometen abgelenkt, wer sich vor solchem Unglauben hüten will, der soll sich stets vorhalten, daß die Geschöpfe keinerlei ungeordnete Macht, Wirksamkeit oder Bewegung in sich tragen, sondern daß sie aus Gottes geheimem Rat so regiert werden, daß nichts geschieht, was nicht nach seinem Wissen und Willen beschlossen wäre.
Vorsehung - das muß der Leser festhalten - bedeutet also nicht, daß Gott müßig im Himmel betrachtete, was auf Erden vor sich geht, sondern im Gegenteil, daß er gewissermaßen das Ruder hält und also alle Ereignisse lenkt. Sie bezieht sich also auf die Hand Gottes nicht weniger als auf sein Auge, wenn Abraham zu seinem Sohne sagte: „Gott wird’s versehen“ (Gen. 22,8), so wollte er damit nicht nur behaupten, Gott sähe zukünftige Geschehnisse voraus, sondern er wollte vielmehr die Sorge um die ungewisse Zukunft auf den Willen dessen werfen, der stets verwickelten und verworrenen Dingen einen Ausgang zu geben weiß. Daraus folgt, daß die Vorsehung Gottes in seinem Wirken besteht, und deshalb ist es unklug, wenn einige von einem bloßen Vorherwissen Gottes schwatzen. Nicht gar so grob ist der Irrtum derer, die Gott zwar die Regierung zuschreiben, aber eine (mit den „anderen“ Mächten) durcheinandergebrachte und verworrene, wie ich schon erwähnt habe. Danach würde er zwar das Weltgebäude mit allen seinen Teilen in allgemeiner Bewegung lenken und treiben, aber nicht etwa die Wirksamkeit jeder einzelnen Kreatur besonders regieren. Nichtsdestoweniger ist auch dieser Irrtum untragbar; denn man erklärt, diese Vorsehung, die man „allgemein“ nennt, hindere keineswegs die Geschöpfe in ihrer zufälligen Bewegung und auch nicht den Menschen, sich in freiem Willensentscheid da- oder dorthin zu wenden. Auf diese Weise teilt man zwischen Gott und dem Menschen. Gott soll dem Menschen durch seine Kraft die Bewegung verleihen, vermöge deren dieser dann nach der Beschaffenheit der ihm innewohnenden Natur tätig sein könnte - der Mensch aber könnte seine Handlungen nach seinem freien Entschluss bestimmen! Man meint also kurz, die Welt, das Geschick des Menschen und der Mensch selbst würden zwar durch Gottes Macht, nicht aber durch seine Bestimmung regiert! Da übergehe ich die Epikuräer - von dieser Pest war die Welt je und je erfüllt! -, die sich einen müßigen und faulen Gott erträumen, auch andere, die keineswegs vernünftiger waren, die einst meinten, Gott beherrsche nur die mittlere Luftregion und überließe dabei das darunter vorgehende dem Schicksal - denn gegen einen derart offenkundigen Wahnsinn erheben schon die stummen Geschöpfe genugsam Einspruch!
Ich will nämlich hier die ganz allgemein verbreitete Meinung widerlegen, die Gott irgendeine sozusagen verworrene Bewegkraft zuschreibt und ihm dadurch das Wesentlichste raubt, nämlich daß er alles in seiner unausforschlichen Weisheit zu seinem Zweck lenkt und leitet. Diese Meinung macht Gott bloß den Worten nach, nicht aber tatsächlich zum Regierer der Welt; denn sie nimmt ihm ja gerade die eigentliche Leitung! Was soll denn Regieren eigentlich anders heißen, als daß man einer Sache so vorsteht, daß man auch in bestimmter Ordnung lenkt, was man beherrscht? Die Redewendung von der „allgemeinen“ Vorsehung will ich trotzdem nicht ganz ablehnen; nur muß man mir dann anderseits zugestehen, die Welt werde von Gott gelenkt, insofern er nicht nur die von ihm der Natur gesetzte Ordnung aufrechterhält, sondern auch die besondere Fürsorge für jedes einzelne seiner Werke ausübt! Denn es ist schon wahr, daß die einzelnen Gattungen sich aus verborgenem Naturtrieb (arcano naturae instinctu) bewegen, als ob sie einem ewigen Befehl Gottes gehorchten und als ob nun von selbst abliefe, was Gott einmal geordnet hat. Dahin kann man auch deuten, daß Christus bezeugt, er und der Vater seien vom Anfang an immerdar am Werke (Joh. 5,17), daß Paulus lehrt: „In ihm leben, weben und sind wir“ (Apg. 17,28), oder daß der Verfasser des Hebräerbriefs, um Christi Gottheit zu beweisen, sagt, durch sein mächtiges Wort werde alles erhalten (Hebr. 1,3). Aber es ist völlig verkehrt, wenn man unter diesem Vorwande die „besondere“ Vorsehung verdunkeln will, die doch von so gewissen und klaren Schriftzeugnissen behauptet wird, daß man sich wundern muß, daß daran überhaupt jemand hat zweifeln können. Tatsächlich müssen ja auch solche, die jene Decke vorhängen, zur Richtigstellung ihres Irrtums selbst hinzufügen, es geschehe vieles aus besonderer Fürsorge Gottes heraus; aber das beschränken sie verkehrterweise bloß auf einzelne Akte. Wir wollen also festhalten: Gottes Walten geschieht so, daß er alle einzelnen Geschehnisse lenkt, und so kommt alles aus seinem bestimmten Ratschluss; es geschieht also nichts aus „Zufall“!
Geben wir zu, der Anfang der Bewegung liege bei Gott, danach aber werde alles vom Zufall gelenkt, wohin die natürliche Neigung es treibt, so ist ja der Wechsel von Tag und Nacht, Winter und Sommer Gottes Werk, sofern er ihnen Lauf und Aufgabe angewiesen und ihnen ein bestimmtes Gesetz gegeben hat. Das träfe jedenfalls zu, wenn alles in gleichem Ablauf immer die gleiche Ordnung hielte: die Tage in ihrer Aufeinanderfolge mit den Nächten, die Monate mit den Monaten, und die Jahre mit den Jahren. Wenn aber bald unmäßige Hitze und Dürre alle Frucht verbrennt, bald unzeitige Regengüsse die Saaten verderben, wenn Hagel und Sturm plötzliche Katastrophen hervorrufen, dann wäre das nicht Gottes Werk - oder doch nur insofern, als Wolken und heiterer Himmel, Kälte und Hitze aus der Stellung und dem Lauf der Gestirne oder aus anderen natürlichen Ursachen ihren Ursprung herleiten. Aber auf solche Weise bleibt weder für Gottes väterliche Huld, noch für seine Gerichte Raum. Sagt man, Gott erweise dem Menschengeschlecht doch schon dadurch genugsam seine Güte, daß er Himmel und Erde die geordnete Kraft eingebe, um die Nahrungsmittel hervorzubringen, so ist das ein nichtiger und gottferner Wahn - als ob die Fruchtbarkeit eines Jahres nicht Gottes besonderer Segen, der Mangel und der Hunger nicht sein Fluch und seine Vergeltung wäre! Aber es würde zu weit führen, alle Gründe aufzuzählen; es soll uns darum Gottes eigene Autorität genügen. Im Gesetz und in den Propheten verkündet er öfters, wenn er mit Tau und Regen die Erde netze, so bezeuge er dadurch seine Gnade, wenn anderseits der Himmel auf seinen Befehl wie Eisen erstarre, wenn Rost und andere Schäden die Saaten verzehrten, wenn Hagel und Sturm die Felder verwüsteten, so sei das ein Zeichen seiner gewissen, besonderen Vergeltung. Wenn wir das annehmen, so ist uns klar, daß nicht ein Regentropfen ohne Gottes gewissen Befehl herniederfällt. So lobt David Gottes „allgemeine“ Vorsehung, daß er den jungen Raben Speise gebe, die ihn anrufen (Ps. 147,9). Aber wenn Gott anderseits selbst den Tieren mit Hunger droht, erklärt er dann nicht genugsam, daß er bald in geringerem, bald in reichlicherem Maße, je nach seinem Wohlgefallen, alles Lebendige versorgt und nährt; es ist, wie ich schon sagte, kindisch, wenn man das auf einzelne Akte einschränken will; Christus selber sagt ja ohne Ausnahme, nicht einmal ein wertloser Sperling falle zur Erde ohne des Vaters Willen (Matth. 10,29). Wahrlich, wenn Gott den Flug der Vögel mit bestimmtem Ratschluss lenkt, so müssen wir mit dem Propheten bekennen: „Wer ist wie der Herr, unser Gott, der sich so hoch gesetzt hat und auf das Niedrige sieht im Himmel und auf Erden?“ (Ps. 113,5f.).
Aber wir wissen, daß die Welt vornehmlich um des Menschengeschlechts willen geschaffen worden ist: diesen Zweck müssen wir auch im Auge behalten, wenn wir über die Weltregierung nachdenken. Der Prophet Jeremia ruft aus: „Ich weiß, Herr, daß des Menschen Tun steht nicht in seiner Gewalt, und stehet in niemandes Macht, wie er ... seinen Gang richte.“ (Jer. 10,23). Und Salomo sagt: „Jedermanns Gänge kommen von dem Herrn; welcher Mensch versteht seinen Weg?“ (Spr. 20,24). Nun soll man hingehen und sagen, der Mensch werde zwar von Gott bewegt gemäß der Neigung seiner Natur, aber er lenke diese Bewegung, wohin er selbst wolle! Wäre das recht geredet, so stände dem Menschen die Entscheidung über seine Wege zu! Dies wird man vielleicht verneinen, weil ja der Mensch nichts ohne Gottes Macht ausrichten könne. Aber der Prophet und Salomo legen Gott ja nicht nur die Macht, sondern auch die Entscheidung und Bestimmung bei, und deshalb hilft jener Einwand nichts. Auch noch an anderer Stelle straft Salomo feinsinnig diese Vermessenheit des Menschen, der sich ohne Rücksicht auf Gott ein Ziel vorsetzt, als ob er nicht von seiner Hand geführt würde: „Der Mensch setzt sich’s wohl vor im Herzen, aber vom Herrn kommt, was die Zunge reden soll“ (Spr. 16,1). Es ist gewiss eine lächerliche Torheit, wenn elende Menschen ohne Gott handeln wollen, die doch nicht einmal reden können ohne seinen Willen!
Um ferner noch deutlicher auszudrücken, daß nichts in der Welt ohne seine Bestimmung geschieht, zeigt die Schrift, daß ihm gerade das unterworfen ist, was ganz zufällig scheint. Was wird man mehr dem Zufall zurechnen, als wenn ein Ast vom Baume bricht und dabei einen vorübergehenden Wanderer erschlägt? Aber der Herr sagt ganz im Gegenteil, er habe ihn in die Hand dessen fallen lassen, der ihn töte (Ex. 21,13). Wer wird nicht den Loswurf dem blinden Glück zuschreiben? Aber auch das leidet der Herr nicht, der sich auch darüber die Entscheidung vorbehalten hat. Denn er lehrt nicht bloß, es geschehe durch seine Macht, daß die Lossteinchen in den Schoß geworfen und wieder herausgezogen würden, nein, gerade das, was man doch fast allein dem Glück zuschreiben möchte, ist nach seinem Zeugnis von ihm her! (Spr. 16,33). Dahin gehört auch das Wort des Salomo: „Arme und Reiche begegnen einander, beider Augen erleuchtet der Herr“ (Spr. 29,13). Denn es sind in der Welt die Reichen unter die Armen gemischt, weil ja von Gott her jedem seine Stellung zugewiesen wird; und deshalb erinnert Salomo daran, daß Gott, der ihnen allen das Licht gebe, nicht etwa selbst sein Auge verschließe, und er ermahnt auf diese Weise die Armen zur Geduld, weil die, welche mit ihrem Los unzufrieden sind, die ihnen von Gott auferlegte Last abzuschütteln suchen. So macht auch ein anderer Prophet den weltlich gesinnten Menschen Vorwürfe, weil sie es der Arbeit der Menschen oder dem Glück zuschreiben, daß die einen im Staube liegen, die anderen zu Ehren kommen: „Nicht vom Aufgang, noch vom Untergang, noch von der Wüste kommt Erhöhung, denn Gott ist der Richter, erniedrigt und erhöht“ (Ps. 75,7f.; nicht Luthertext). Denn Gott kann das Richteramt nicht von sich legen, und daraus wird hier der Schluss gezogen, es geschehe aus seinem verborgenen Ratschluss, daß die einen große Leute werden, die anderen in verachteter Lage bleiben müssen.
Auch die einzelnen Ereignisse sind ganz allgemein Zeugnisse der „besonderen“ Vorsehung Gottes. Gott erweckte in der Wüste einen Ostwind, der dem Volke eine Menge Vögel zutrieb (Ex. 16,13). Als er den Jona ins Meer werfen wollte, da ließ er einen gewaltigen Sturmwind kommen (Jon. 1,4). Da werden nun die, welche nicht glauben, daß Gott die Weltregierung in seiner Hand habe, sagen, das sei eben außerhalb des gewöhnlichen Verlaufs vor sich gegangen. Ich dagegen ziehe daraus den Schluss, daß überhaupt nie ein Wind aufkommt oder losbricht ohne Gottes besonderen Befehl. Wenn er nicht Wolken und Winde nach seinem Wohlgefallen lenkte und an ihnen die besondere Gegenwärtigkeit seiner Kraft erwiese, dann wäre auch das Wort nicht wahr, er mache die Winde zu seinen Boten und Feuerflammen zu seinen Dienern, Wolken zu seinem Gefährt, und reite auf den Flügeln des Windes (Ps. 104,4). So empfangen wir auch an anderer Stelle die Lehre: wenn immer das Meer vom Brausen des Sturmwinds sich aufwühlt (Ps. 107,25.29), so bezeugt solches Ungestüm Gottes besondere Gegenwart. Er gebietet dem Wind, er erregt den Sturm und erhebt dir Wogen des Meeres, dann läßt er den Sturmwind stillestehen, so daß sich die Wellen legen. Auch an anderer Stelle hören wir, er habe das Volk mit brennenden Winden gegeißelt (Am. 4,9). Die Menschen haben gewiss von Natur die Fähigkeit in sich, Kinder zu zeugen; aber trotzdem will es Gott als Zeichen seiner besonderen Gnade angesehen haben, daß er die einen kinderlos läßt, die anderen mit Nachkommen segnet; denn Leibesfrucht ist eine Gabe Gottes (Ps. 127,3). So sagt ja auch Jakob zu seinem Weibe: „Bin ich etwa Gott, daß ich dir Kinder gebe?“ (Gen. 30,2). Und um dies abzuschließen: Nichts gilt in der Welt als natürlicher, als daß wir mit Brot ernährt werden. Und doch sagt der Geist, nicht nur das Erzeugnis der Erde sei ein besonderes Geschenk Gottes, sondern auch: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ (Deut. 8,3); denn es nährt uns nicht die Sättigung selbst, sondern der verborgene Segen Gottes. So droht er ja auch anderseits, er werde des Brotes Nahrungskraft brechen (Jes. 3,1). Und die Bitte um das tägliche Brot könnte doch gar nicht ernst genommen werden, wenn uns nicht Gott mit väterlicher Hand die Speise darreichte! Deshalb sagt auch der Prophet, um die Gläubigen zu überzeugen, daß sich Gott bei ihrer Ernährung als der beste Hausvater erweise, er gebe allem Fleische seine Nahrung (Ps. 136,25). Schließlich: wir hören auf der einen Seite: „Die Augen des Herrn merken auf die Gerechten, und seine Ohren auf ihr Schreien“ (Ps. 34,16), und dann auf der anderen: „Das Antlitz aber des Herrn steht wider die, so Böses tun, daß er ihr Gedächtnis ausrotte von der Erde“ (Ps. 34,17). Daraus sollen wir erkennen, daß alle Geschöpfe im Himmel und auf Erden ihm zum Dienste bereit sind, daß er sie braucht, wozu er will! Und daraus ergibt sich, daß nicht nur seine „allgemeine“ Vorsehung an der Kreatur wirksam ist, so daß er die Ordnung der Natur (ordo naturae) aufrechterhält, sondern daß die Kreatur nach Gottes wunderbaren Rat einem bestimmten und besonderen Zwecke dienstbar gemacht wird.
Wer nun diese Lehre verhasst machen will, der lästert, sie sei eine Lehrmeinung der Stoiker (dogma Stoicorum), sie sei nichts anderes als die Lehre vom Schicksal (fatum). Das ist einst schon dem Augustin vorgeworfen worden (Buch gegen zwei Briefe der Pelagianer, an Bonifacius, II,6). Obwohl ich nicht gern um Worte streite, so will ich doch den Ausdruck „Schicksal“ (fatum) nicht übernehmen; denn er gehört einerseits zu dem, was uns Paulus als „ungeistliches, loses Geschwätz“ (1. Tim. 6,20) meiden lehrt, und anderseits versucht man mit seiner Hilfe Gottes Wahrheit in ein schlechtes Licht zu stellen. Die Lehrmeinung (vom fatum) aber wirft man uns ganz fälschlich und in Bosheit vor! Denn wir reden nicht mit den Stoikern von der „Notwendigkeit“, die aus der stetigen Verflochtenheit der Ursachen (ex perpetuo causarum nexu) kommt und in einer festen Verbindung besteht, wie sie in der Natur enthalten ist. Wir reden im Gegenteil von Gott: der ist der Herrscher und Walter über alles, der hat in seiner Weisheit seit aller Ewigkeit festgelegt, was er tun will, und führt es nun in seiner Macht aus. Deshalb behaupten wir auch, daß seine Vorsehung nicht nur Himmel und Erde und die leblosen Dinge, sondern auch der Menschen Anschläge und Willen regiere, so daß sich alles nach dem von ihr bestimmten Ziele richten muß. Wieso nun, wird man fragen, geschieht wirklich nichts von ungefähr, wirklich nichts aus Zufall? Ich antworte darauf: Basilius der Große hat mit Recht gesagt, „Glück“ und „Zufall“ seien heidnische Ausdrücke, mit deren Inhalt gottesfürchtige Leute nichts zu tun haben sollen. Denn wenn jeder Erfolg Gottes Segnung ist, jede Not und Widerwärtigkeit sein Fluch, dann bleibt jedenfalls hinsichtlich der menschlichen Geschicke für „Glück“ oder „Zufall“ kein Raum. Auch muß die Ausführung des Augustinus beherzigt werden: „Es verdrießt mich, daß ich in den Büchern gegen die Akademiker so oft den Ausdruck ‚Glück’ gebraucht habe, obwohl ich darunter nicht eine Göttin, sondern den zufälligen Ausgang der Dinge im äußeren Geschehen gemeint habe, er sei gut oder böse. Daher kommen denn auch jene Ausdrücke: ‚vielleicht, etwa, möglicherweise, wohl, zufällig’, die keine Religion zu brauchen verbietet. Und dabei muß doch alles ganz auf die göttliche Vorsehung bezogen werden. Das habe ich auch nicht verschwiegen, denn ich sagte ja vielleicht werde das, was man gemeinhin ‚Glück’ nennt, auch nach verborgener Ordnung gelenkt; und wir bezeichnen ja im Geschehen allgemein das als ‘Zufall’, dessen Grund und Ursache unbekannt ist. Das habe ich gesagt, aber es reut mich doch, den Ausdruck ‘Glück’ dabei angewandt zu haben; denn die Menschen haben, wie ich sehe, die üble Gewohnheit, da, wo man sagen müßte: ‘Gott hat es so gewollt’, tatsächlich zu sagen: ‘Das Glück hat es so gewollt’!“ (Retract. I,1). Auch lehrt Augustin durchweg, wenn man dem „Glück“ einen Einfluss verstatte, so sei die Welt dem blinden Zufall unterworfen. Nun lehrt er freilich zuvor an einer Stelle, es geschehe alles teils durch den freien Willen des Menschen, teils durch Gottes Vorsehung. Aber gleich darauf zeigt er dann doch, daß die Menschen der Vorsehung Untertan seien und von ihr regiert würden, und stellt dabei den Grundsatz auf, der größte Widersinn sei die Behauptung, es geschehe irgend etwas ohne Gottes Anordnung; denn dann geschähe es ja ohne jegliche Ursache. Aus diesem Grunde schließt er auch jene Zufälligkeit (contingentia), die vom freien Willen des Menschen abhinge, aus, und sagt dann recht klar, man solle keinen Grund für Gottes Willen suchen. Oft erwähnt er zwar auch die „Zulassung“ (permissio); aber was darunter verstanden werden soll, wird aus einer Stelle ganz deutlich, wo er nämlich sagt, Gottes Wille sei der oberste und erste Grund für alles, nur auf seine Anordnung oder Zulassung geschehe etwas (Verschiedene Fragen, 83; Von der Dreieinigkeit, III,4). Er denkt sich keinen Gott, der, wenn er etwas zulassen will, müßig und zögernd zuschaute; nein, es ist auch dabei sozusagen sein tätiger Wille (actualis voluntas) wirksam! Sonst konnte dieser ja gar nicht als Grund bezeichnet werden!
Aber unser Geist erreicht in seiner Schwerfälligkeit die Höhe der Vorsehung Gottes nicht von ferne; und deshalb muß zu seiner Unterstützung eine Unterscheidung angewandt werden. Ich will mich also folgendermaßen ausdrücken: Obgleich alles durch Gottes Ratschluss in fest bestimmter Regelung geordnet ist, ist es doch für uns „zufällig“. Das bedeutet nicht, daß wir meinten, Welt und Menschen ständen unter der Herrschaft des Glücks und es rolle alles im Himmel und auf Erden zufällig ab - denn ein solcher Wahnwitz muß dem Herzen eines Christenmenschen fernbleiben! Aber weil die Ordnung, die Ursache, der Zweck und die Notwendigkeit der Ereignisse von der menschlichen Erkenntnis nicht begriffen werden, da sie größtenteils in Gottes Ratschluss verborgen sind, so ist das, was tatsächlich ganz gewiss aus Gottes Willen kommt, für uns gewissermaßen zufällig! Es ergibt sich kein anderes Bild, ob wir das alles hinsichtlich seiner eigenen Natur ansehen oder auch nach unserem Verstehen und Urteilen betrachten. Stellen wir uns zum Beispiel einen Kaufmann vor, der in Begleitung zuverlässiger Leute in einen Wald zieht, unvorsichtig von seinen Gefährten abkommt, auf seinem Irrwege in die Gewalt einer Räuberbande gerät und ermordet wird. Sein Tod war von Gottes Auge zuvor gesehen und auch durch seinen Ratschluss bestimmt. Denn es heißt nicht (nur), daß er eines jeden Menschen Lebenslänge vorher gesehen, sondern daß er Grenzen gesetzt und festgelegt habe, über die man nicht hinausgehen kann (Hiob 14,5). Soweit aber unser Verstand reicht, scheint das alles zufällig. Was soll da der Christenmensch denken? Er wird gewiss das, was einen solchen Todesfall veranlaßte, seiner Natur nach, wie es das ja tatsächlich ist, als zufällig erkennen, aber er wird dennoch nicht zweifeln, daß Gottes Vorsehung dabei die Führung gehabt hat, um den „Zufall“ zu ihrem Zweck zu leiten! Genau so sind auch die Zufälligkeiten der Zukunft anzusehen. Denn alles Zukünftige ist uns ungewiss, und darum lassen wir es unbestimmt, als ob es sich zu beiden Seiten neigen könnte. Aber trotzdem haben wir die feste Gewissheit im Herzen, daß nichts eintreten kann, das nicht der Herr schon vorgesehen hat!
In diesem Sinne braucht auch der Prediger mehrmals das Wort „Ausgang“ (Ende?); denn die Menschen können auf den ersten Blick nicht auf die letzte Ursache dringen, weil diese fern und verborgen ist. Und doch ist das, was die Schrift über Gottes verborgene Vorsehung lehrt, niemals derart aus den Herzen der Menschen vertilgt worden, daß nicht mitten im Dunkel immer noch einige Fünklein geblieben wären. So schreiben die Wahrsager der Philister, obwohl sie im Zweifel hin und her schwanken, das Unglück teils Gott, teils dem Glück zu: „Wenn die Lade auf dem einen Wege geht, so wissen wir, daß es Gott ist, der uns das Übel getan hat, geht sie auf dem anderen, so ist es uns von ungefähr widerfahren“ (1. Sam. 6,9). Es ist gewiss töricht, daß sie, da ihnen die Weissagung fehlt, zum Zufall ihre Zuflucht nehmen; indessen merken wir doch, wie sie gezwungenermaßen nicht wagen, das ihnen widerfahrene Unglück für ganz zufällig zu halten. Übrigens können wir noch an einem ganz klaren Beispiel sehen, wie Gott mit dem Zügel seiner Vorsehung alle Ereignisse in der von ihm gewollten Weise lenkt: In dem nämlichen Zeitpunkt, wo David in der Wüste Maon überfallen wurde, brachen die Philister ins Land ein, und Saul mußte weichen! (1. Sam. 23,26f.). Da wollte Gott, um seinen Knecht zu erretten, dem Saul dieses Hindernis in den Weg legen - und so gewiss auch die Philister über alles Erwarten schnell zu den Waffen griffen, so können wir doch nicht sagen, das sei zufällig geschehen, sondern der Glaube wird anerkennen, daß das, was uns zufällig erscheint, tatsächlich Gottes geheimer Antrieb gewesen ist! Dieser Grundsatz tritt nicht immer so klar hervor; aber wir müssen doch festhalten, daß alle Veränderungen in der Welt als verborgene Wirkungen seiner Hand anzusehen sind. Was nun Gott beschlossen hat, das muß notwendig geschehen, auch wenn es an sich, aus seiner eigenen Natur heraus nicht notwendig ist. Ein bekanntes Beispiel haben wir an den Gebeinen Christi. Da er einen dem unseren gleichen Leib annahm, so wird kein vernünftiger Mensch bezweifeln, daß seine Gebeine zerbrechlich waren - und doch war es unmöglich, sie zu zerbrechen! (Joh. 19,33-36) Daraus können wir sehen, daß es nicht grundlos war, wenn man in der Schultheologie einen Unterschied zwischen bedingter (necessitas secundum quid) und absoluter Notwendigkeit (necessitas absoluta) gemacht oder dementsprechend zwischen solchen Geschehnissen, die sich bedingt notwendig (d.h. durch „Mittelursachen“ mitbestimmt) ergeben (necessitas consequentis), und solchen, die sich mit einer (auf Gottes Anordnung und Willen beruhenden) unbedingten Notwendigkeit (necessitas consequentiae) ereignen, unterschieden hat. Denn Gott wollte nicht, daß die Gebeine seines Sohnes wirklich zerbrochen wurden, hat sie aber doch (vermöge der Menschwerdung) der Zerbrechlichkeit unterworfen; so hat er also etwas, das von Natur geschehen konnte, unter die Notwendigkeit seines Ratschlusses beschränkt!
Aber der Menschengeist ist zu leeren Spitzfindigkeiten geneigt, und deshalb müssen notwendig alle, die den guten, rechten Gebrauch dieser Lehre nicht erfassen, sich in verwirrte Knoten verstricken. Deshalb ist es gut, hier noch kurz zu berühren, zu welchem Zweck denn die Schrift lehrt, es werde alles von Gott angeordnet.
Zunächst ist da zu beachten, daß die Vorsehung Gottes auf die Zukunft wie auch auf die Vergangenheit bezogen werden muß. Ferner müssen wir bemerken, daß sie alle Dinge derart lenkt, daß sie bald unter Einschaltung von Mittelursachen, bald ohne solche, bald gegen alle Mittelursachen wirkt. Und endlich ist als Hauptgesichtspunkt anzusehen, daß Gott zeigen will, wie er für das ganze Menschengeschlecht sorgt, wie er aber besonders über der Regierung der Kirche wacht, die er seines näheren Anschauens würdigt. Zuzufügen ist noch das: Gewiss leuchtet aus dem ganzen Gange der Vorsehung entweder seine väterliche Huld und Wohltätigkeit oder auch der Ernst seines Gerichts oftmals deutlich auf; aber es sind dennoch die Gründe des Geschehens oft unbekannt, so daß die Meinung aufkommt, das menschliche Geschick würde durch den blinden Trieb der Natur gedreht und gewendet, oder daß das Fleisch uns zur Einrede reizt, als ob Gott die Menschen wie Bälle daherwürfe und mit ihnen sein Spiel triebe. Aber es ist doch auch wahr, wenn wir mit ruhigem und gelassenem Herzen zum Lernen bereit wären, so würde uns aus dem Ausgang schon klar werden, wie Gott mit seinem Ratschluss stets den besten Weg einschlägt, um die Seinen zur Geduld zu erziehen, oder um ihre bösen Neigungen zu bessern und ihre Geilheit zu zähmen, oder um sie zur Selbstverleugnung zu bringen, oder um sie aus dem Schlaf zu erwecken, andererseits aber auch, um die Übermütigen zu Boden zu werfen, die Lücke der Gottlosen zunichte zu machen und ihre Ränke zu zerstreuen. Und mögen uns auch trotzdem seine Gründe verborgen und fern sein, so dürfen wir sicher glauben, daß sie bei ihm verborgen sind, und deshalb mit David ausrufen: „Herr, mein Gott, groß sind deine Wunder, und deine Gedanken, die du an uns beweisest, sind nicht zu begreifen, wenn ich versuche, sie auszureden, so übersteigen sie alles Erzählen (Ps. 40,6; nicht Luthertext). Denn obgleich wir in Trübsalen immer unserer Sünden gedenken müssen, und obwohl die Strafe selbst uns zur Buße reizt, so sehen wir doch, wie Christus dem geheimen Ratschluss des Vaters ein noch größeres Recht zuschreibt als bloß, daß er jeden nach seinem Verdienst strafe. Denn er sagt von dem Blindgeborenen: „Weder dieser hat gesündigt, noch seine Eltern, sondern damit Gottes Herrlichkeit an ihm offenbar werde!“ (Joh. 9,3). Da war das Unglück doch schon vor dem Tage der Geburt da, und das Gefühl sträubt sich, als ob Gott ohne Gnade Unschuldige so hart behandle. Aber Christus bezeugt, daß in diesem Ereignis die Herrlichkeit seines Vaters hervorleuchte, wenn wir nur klare Augen dazu hätten! Wir müssen eben an der Bescheidenheit festhalten, die Gott nicht zur Rechenschaft zieht; wir sollen vielmehr seine verborgenen Ratschlüsse ehren, damit uns sein Wille der gerechteste Grund aller Dinge sei! Wenn dichte Wolken den Himmel bedecken und heftiger Sturm ausbricht, so sehen unsere Augen nur traurige Finsternis, unsere Ohren betäubt der Donner, und all unsere Sinne erstarren vor Schrecken; deshalb scheint uns alles zusammenzubrechen und durcheinanderzugeraten - aber unterdessen bleibt im Himmel stets die gleiche Ruhe und Heiterkeit! So sollen wir auch festhalten: wenn uns in der Welt das Durcheinander alles Urteilen unmöglich machen will, so leitet doch Gott mit dem reinen Lichte seiner Gerechtigkeit und Weisheit selbst alle diese Bewegungen in bestimmter Ordnung und führt sie zum rechten Ziel. Es ist wahrlich eine merkwürdige Sucht, wenn manche Leute mit so großer Selbstsicherheit Gottes Werke vor ihr Gericht fordern, seine geheimen Ratschläge nachrechnen und über unbekannte Dinge jählings ein Urteil abgeben, mehr, als sie es bei Taten von sterblichen Menschen tun würden! Denn was ist verkehrter, als unsersgleichen gegenüber lieber in Bescheidenheit mit unserem Urteil zurückzuhalten, als uns den Vorwurf der Übereilung zuzuziehen, dagegen über Gottes verborgene Gerichte, die wir in Ehrfurcht betrachten sollten, frech abzuurteilen?
Es wird also niemand Gottes Vorsehung recht und mit Nutzen erwägen, der nicht bedenkt, daß er es mit seinem Schöpfer und dem Wirker der Welt zu tun hat, und sich ihm dementsprechend zu Furcht und Ehrerbietung in gebührender Demut unterwirft. Daß heutzutage so viele Hunde diese Lehre mit giftigen Bissen oder wenigstens mit ihrem Gebell angreifen, das kommt daher, daß sie Gott nicht mehr zugestehen wollen, als ihnen die eigene Vernunft gebietet. Auch uns bekämpfen sie mit aller ihnen zu Gebote stehenden Frechheit, weil wir mit den Vorschriften des Gesetzes nicht zufrieden wären, in denen doch Gottes Wille niedergelegt ist, sondern auch noch behaupteten, die Welt werde durch seine verborgenen Ratschlüsse regiert. Als ob diese Lehre ein Gebild unseres Hirns wäre, als ob der Heilige Geist das alles nicht überall deutlich zu erkennen gäbe und es mit unzähligen Umschreibungen immer wiederholte! Aber sie haben eine gewisse Scheu, ihre Lasterungen gegen den Himmel auszustoßen, und deshalb geben sie, um desto freier rasen zu können, vor, es handle sich um einen Streit mit uns! Aber wenn sie nicht zugeben, daß alles Geschehen in der Welt durch Gottes unbegreiflichen Ratschluss gelenkt werde, dann sollen sie doch Auskunft geben, weshalb denn die Schrift sagt, Gottes Gerichte seien ein tiefer Abgrund! (Ps. 36,7). Denn wenn Mose ausruft, der Wille Gottes sei nicht fern oben in den Wolken, er sei auch nicht im Abgrund zu suchen, weil er ja im Gesetz verständlich dargelegt sei (Deut. 30,11ff.), so folgt daraus: ein anderer, verborgener Wille wird mit dem Abgrunde verglichen! Davon redet ja auch Paulus, wenn er sagt: „O, welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes; wie unerforschlich sind seine Gerichte und wie unbegreiflich seine Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen?“ (Röm. 11,33f.). Es ist wahr: Gesetz und Evangelium enthalten Geheimnisse, die weit über unser Verstehen hinausgehen. Aber Gott erleuchtet das Herz der Seinen mit dem Geiste der Erkenntnis, um diese Geheimnisse zu fassen, die er in seinem Worte zu offenbaren für gut befunden hat; und darum ist hier kein Abgrund mehr, sondern ein Weg, auf dem man sicher gehen kann, und eine Leuchte für unseren Fuß, das Licht des Lebens, die Schule gewisser und deutlicher Wahrheit! Die wundersame Art der Weltregierung dagegen heißt mit Recht Abgrund; denn wir sollen sie in ihrer Verborgenheit ehrerbietig anbeten. Beides drückt Mose sehr schön mit wenigen Worten aus: „Das Geheimnis steht bei unserem Gott; aber was hier geschrieben ist, das geht euch und eure Kinder an“ (Deut. 29,29; nicht Luthertext). Da befiehlt er, wie wir sehen, nicht nur, auf die Beobachtung des Gesetzes eifrig zu halten, sondern auch Gottes geheime Vorsehung in Ehrfurcht zu betrachten. Ein Lobpreis dieser Erhabenheit steht auch im Buche Hiob - und es ist demütigend für uns, was wir da hören! Nachdem der Verfasser das Weltgebäude droben und hienieden betrachtet und dabei großartig von den Werken Gottes geredet hat, fügt er am Ende hinzu: „Wahrlich, das ist der Umkreis seiner Wege, und wie gar wenig haben wir davon vernommen!“ (Hiob 26,14; nicht Luthertext). In diesem Sinne macht er an anderer Stelle auch einen Unterschied zwischen der Weisheit, die bei Gott wohnt, und der Art des Weiseseins, die er den Menschen geboten hat. Denn nach einer Rede über die Geheimnisse der Natur sagt er, die Weisheit sei Gott allein bekannt, und sie entgehe den Augen aller Lebendigen (Hiob 28,21.23). Aber dann fügt er doch gleich hinzu, sie sei kundgetan, damit der Mensch sie erforsche; denn dem Menschen sei ja gesagt: Siehe, die Furcht des Herrn, das ist Weisheit“ (Hiob 28,28). In dieser Richtung geht auch der Ausspruch Augustins: „Weil wir nicht alles wissen, was Gott in bester Ordnung an uns tut, so handeln wir bloß in gutem Willen nach dem Gesetz, und in allem übrigen werden wir nach dem Gesetz getrieben - denn seine Vorsehung ist ein unabänderliches Gesetz!“ (Verschiedene Fragen 83,27) Da Gott sich das Recht der Weltregierung, das uns nicht bekannt ist, selbst vorbehalten hat, so muß dies das Gesetz unserer Demut und Bescheidenheit sein, an seiner höchsten Befehlsgewalt zu hängen, damit sein Wille für uns die einzige Richtschnur der Gerechtigkeit und die gerechteste Ursache aller Dinge sei! Das ist aber nicht jener „absolute Wille“, von dem die Sophisten schwatzen, die in gottloser und unheiliger Zerspaltung seine Gerechtigkeit von seiner Macht trennen; sondern es ist die Vorsehung, die alle Dinge regiert, von welcher lauter Gutes kommt, so verborgen uns ihre Gründe auch sein mögen!
Wem solche Bescheidenheit zuteil geworden ist, der wird weder um der Widerwärtigkeiten vergangener Zeiten willen gegen Gott murren, noch auch die Schuld für die Übeltaten auf ihn schieben, wie es Agamemnon bei Homer tut: „Ich bin dessen nicht schuld, sondern Zeus und das Schicksal!“ Er wird sich auch nicht wie jener Jüngling bei Plautus, wie vom Schicksal dahingerissen, verzweifelt ins Verderben stürzen: „Unbeständig ist das Los der Dinge, nach Willkür handelt das Schicksal am Menschen; ich will mich zum Felsen begeben, um mit meinem Leben der Sache ein Ende zu machen!“ Auch wird er nicht nach dem Beispiel eines anderen mit dem Namen Gottes seine Untaten beschönigen. So spricht es Lyconides in einer anderen Komödie (des Plautus) aus: „Gott war der Anstifter, ich glaube, die Götter haben es so gewollt; denn ich weiß: hätten sie es nicht gewollt, so wäre es nicht geschehen!“ Nein, er wird aus der Schrift forschen und lernen, was Gott gefällt, um unter Führung des Geistes danach sich auszustrecken; er wird zugleich bereit sein, Gott zu folgen, wohin er ihn ruft, und damit zeigen, daß nichts heilsamer ist, als diese Lehre zu kennen.
Gottlose Leute machen mit ihren Albernheiten einen Aufruhr, so daß sie sozusagen beinahe Himmel und Erde durcheinander werfen: „Wenn der Herr doch den Zeitpunkt unseres Todes bestimmt hat, so kann man ihm nicht entgehen, und alle Vorsichtsmaßnahmen sind vergebliche Mühe!“ Wenn also der eine einen Weg meidet, den er als gefährlich kennt, um nicht von Räubern umgebracht zu werden, - wenn der andere den Arzt holt und sich um Arzneien bemüht, um sein Leben zu erhalten, - oder wenn wieder ein anderer sich schwererer Speisen enthält, um seine schwache Gesundheit zu schonen, - oder wenn einer Bedenken trägt, ein baufälliges Haus zu beziehen, - oder wenn wir alle miteinander Wege ersinnen und mit großer Anstrengung überlegen, um zu bekommen, was wir begehren - dann sind das (nach ihrer Meinung) lauter sinnlose Mittel, mit denen man Gottes Willen zu ändern begehrt; oder aber Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit, Frieden und Krieg und alles andere, das Menschen erstreben oder hassen und deshalb mit großem Fleiß zu erlangen oder fernzuhalten streben, wird gar nicht von seinem gewissen Entscheid bestimmt! Ja, man hält dann auch die Gebete der Gläubigen für verkehrt, ja für überflüssig — da man ja in ihnen um Gottes Leitung in solchen Dingen bittet, die Gott doch seit aller Ewigkeit festgelegt hat! Kurz, alle Vorkehrungen für die Zukunft hebt man auf, als im Widerspruch zu Gottes Vorsehung stehend - da diese auch ohne Rücksicht auf sie schon beschlossen habe, was geschehen soll. Und was wirklich geschieht, das schreibt man der Vorsehung Gottes derart zu, daß man dabei den Menschen entschuldigt, der es doch gewiss mit Überlegung angerichtet hat. Da bringt ein Meuchelmörder einen rechtschaffenen Bürger ums Leben - er hat, so sagt man, Gottes Rat ausgeführt! Da hat jemand gestohlen oder die Ehe gebrochen - er ist ein Knecht der Vorsehung Gottes, denn er hat getan, was von dem Herrn vorgesehen und bestimmt war! Da läßt ein leichtsinniger Sohn seinen Vater sterben, ohne sich um Heilmittel zu bemühen - er konnte ja Gott nicht widerstehen, der es von Ewigkeit her so beschlossen hatte! Auf diese Weise heißen dann alle Untaten Lugenden, weil sie ja angeblich der Anordnung Gottes dienen!
Was das Zukünftige angeht, so bringt Salomo die Überlegungen der Menschen mit Gottes Vorsehung leicht zusammen. Er verspottet zwar die Torheit solcher Leute, die unüberlegt ohne den Herrn alles Mögliche angreifen, als ob sie nicht von seiner Hand regiert würden. Aber ebenso sagt er an anderer Stelle: „Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; und der Herr allein gibt, daß er fortgehe“ (Spr. 16,9). Damit zeigt er, daß uns Gottes ewige Bestimmung in keiner Weise hindert, unter seinem Willen für uns zu sorgen und alle unsere Dinge zu beschicken. Dafür gibt es auch einen leicht erkennbaren Grund. Denn der, der unserem Leben seine Grenzen gesetzt hat, der hat zugleich uns die Sorge darum anvertraut, hat uns Verstand und Mittel gegeben, es zu erhalten, uns mit den Gefahren bekannt gemacht, die es bedrohen, und uns Vorsicht und Schutzmittel an die Hand gegeben, damit uns jene Gefahren nicht unversehens überfallen. Nun ist klar, was wir für eine Verpflichtung haben: wenn der Herr uns aufgetragen hat, unser Leben zu schützen, so sollen wir es schützen, wenn er uns Hilfsmittel darreicht, so sollen wir sie anwenden, wenn er uns die Gefahren vorher zeigt, so sollen wir nicht unbedacht hineinrennen, wenn er uns mit Heilmitteln zu Hilfe kommt, so sollen wir sie nicht gering schätzen! „Aber“ - so wirft man ein - „alle Gefahr, die mir begegnet, ist doch schicksalhaft (fatale), und da helfen keine Mittel!“ Wie aber, wenn die Gefahren deshalb nicht unvermeidlich sind, weil der Herr dir Mittel gegeben hat, ihnen entgegentreten und sie zu überwinden? Sieh nur zu, wie willst du eine derartige Schlussfolgerung mit der Ordnung göttlicher Leitung vereinigen? Du meinst, man solle sich vor der Gefahr nicht in acht nehmen; denn wenn sie nicht schicksalhaft (zum bösen Ausgang) bestimmt sei, dann würden wir ihr auch ohne Vorsicht entgehen. Der Herr aber macht dir die Vorsicht eben deshalb zur Pflicht, weil er nicht will, daß das Unglück dich schicksalhaft überfalle! Solche Narren ziehen eben nicht in Betracht, was doch vor Augen ist, nämlich daß der Herr dem Menschen die Fähigkeit, sich vorzusehen und in acht zu nehmen eingegeben hat, mit der er seiner Vorsehung in der Erhaltung seines Lebens dienen soll! Ebenso zieht sich der Mensch selbst durch Nachlässigkeit und Trägheit die Übel zu, die Gott damit verbunden hat. Ein vorsorglicher Mensch, der sich Hilfe sucht, entzieht sich dadurch auch drohenden Gefahren, der Narr dagegen kommt in seiner Unbedachtsamkeit um. Woher kommt das anders, als daß auch Torheit und Klugheit Werkzeuge der göttlichen Leitung sind, jede in ihrer Weise? Gott hat uns alles Zukünftige verborgen sein lassen, aber so, daß wir ihm gerade als Zweifelhaftem entgegengehen und nicht aufhören, ihm die bereiteten Mittel entgegenzustellen, bis es entweder überwunden ist oder aber sich stärker erwiesen hat als alle Sorgfalt! So habe ich ja auch schon bemerkt, daß uns Gottes Vorsehung nicht immer „bloß“ begegnet, sondern Gott bekleidet sie gewissermaßen mit den dazu angewandten Mitteln.
Dieselben Leute beziehen in verkehrter, unbedachter Weise auch die Ereignisse der Vergangenheit auf die „bloße“ Vorsehung Gottes. Weil alles, was geschieht, von dieser abhängt, so folgern sie: „Also werden weder Diebstahl, noch Ehebruch, noch Mord vollbracht, ohne daß Gottes Wille dabei wirke.“ „Weshalb also“, fragen sie, „soll ein Dieb bestraft werden, der doch einen Menschen ausplünderte, den der Herr mit Armut schlagen wollte? Weshalb soll man den Meuchelmörder bestrafen; er hat doch nur einen Menschen getötet, dessen Leben der Herr ein Ende gesetzt hatte? Wenn derartige Verbrecher allesamt dem Willen Gottes dienen — weshalb bestraft man sie denn?“ Aber ich bestreite ja eben, daß sie dem Willen Gottes dienen. Denn wir werden nicht zugeben, daß ein Mensch, der seinem schlechten Trieb folgt, dem Befehl Gottes seinen Dienst zuteil werden lasse; er dient doch nur seiner boshaften Begierde. Vielmehr leistet der Gott Gehorsam, der seinen Willen kennen gelernt hat und dann dahin strebt, wohin er von ihm gerufen wird! Woher aber empfangen wir solche Belehrung anders als aus seinem Wort? Deshalb müssen wir in unserem Handeln den Willen Gottes so ins Auge fassen, wie er ihn uns in seinem Worte zeigt! Nur eins fordert Gott von uns: nämlich, was er geboten hat! Beschließen wir etwas wider sein Gebot, so ist das eben nicht Gehorsam, sondern Verachtung und Übertretung! „Aber wir würden doch gar nicht handeln, wenn er es nicht wollte!“ Ich gebe es zu. Aber sollen wir das Böse tun, um ihm auf diese Weise zu gehorchen? Er gebietet uns dergleichen keineswegs; vielmehr lassen wir uns hinreißen und bedenken dabei nicht, was er will, sondern sind der Unmäßigkeit unserer Begierden so wütend hingegeben, daß wir uns in festem Entschluss gegen seinen Willen stemmen! „Wir dienen doch eben deshalb mit unserem Übeltun seiner gerechten Anordnung; denn er weiß doch in seiner großen Weisheit schlechte Werkzeuge wohl und klug zum Guten zu benutzen!“ Nun sieh doch zu, wie abgeschmackt ihre Schlussfolgerung ist: sie wollen, daß der Frevel seinem Urheber ungestraft durchgehe, weil er ja nur durch Gottes Leitung zustande käme! Ich gebe noch mehr zu: Diebe und Mörder und andere Übeltäter sind tatsächlich Werkzeuge der göttlichen Vorsehung, die der Herr zur Durchführung der Gerichte gebraucht, die er bei sich beschlossen hat. Aber ich bestreite, daß deshalb die Übeltaten dieser Leute irgendeine Entschuldigung verdienen. Denn wie sollten sie eigentlich Gott mit sich in ihre Bosheit verwickeln oder mit seiner Gerechtigkeit ihre Bosheit decken? Sie können doch beides nicht! Damit sie sich nicht reinwaschen können, straft sie ihr eigenes Gewissen; damit sie nicht Gott beschuldigen, finden sie, daß das Böse ganz in ihnen steckt, bei Gott dagegen nur die rechte Benutzung ihrer Bosheit liegt! „Ja, aber er wirkt doch durch sie!“ Da frage ich nun aber: woher kommt denn der Gestank eines Aases, das von der Wärme der Sonne in Fäulnis versetzt und aufgelöst wurde? Jedermann sieht: das rufen die Sonnenstrahlen hervor; aber es wird doch deshalb kein Mensch sagen, die Sonnenstrahlen seien stinkend! Wenn also ein schlechter Mensch die Ursache und die Schuld für das Böse in sich trägt, wie soll sich dann Gott irgendeine Befleckung zuziehen, wenn er ein solches Werkzeug nach seinem Wohlgefallen benutzt? Hinweg also mit der Hundefrechheit, die Gottes Gerechtigkeit zwar anbellen, ihr aber nichts anhaben kann!
Aber dergleichen Lästerungen, ja wahnsinnige Hirngespinste wird eine fromme und heilige Betrachtung der Vorsehung zunichte machen, wie sie uns die Richtschnur der Frömmigkeit gebietet: so wird uns daraus die beste und lieblichste Frucht erwachsen! Da der Christ in seinem Herzen die unumstößlich gewisse Überzeugung hat, daß alles aus Gottes Führung, nichts aber aus Zufall geschieht, so wird er auf ihn als die höchste Ursache der Dinge stets die Augen richten, die untergeordneten Gründe (causas inferiores) aber an der ihnen zukommenden Stelle nicht außer acht lassen. Außerdem wird er nicht zweifeln, daß Gottes besondere Vorsehung auf der wacht ist, ihn zu erhalten; sie wird ja nichts geschehen lassen, was ihm nicht zum Guten und zum Heil gereicht! Da er es aber zunächst mit Menschen, dann auch mit den übrigen Geschöpfen zu tun hat, so wird er gewiss sein: beide regiert Gottes Vorsehung! Was die Menschen, seien sie gut oder böse, betrifft, so wird er anerkennen: ihr Beschließen und Wollen, Versuchen und Vermögen ist in Gottes Hand, und es liegt bei seinem Wohlgefallen, das alles zu wenden, wohin er will, und auch zu hemmen, wenn immer er will!
Dass Gottes besondere Vorsehung über dem Heil der Gläubigen wacht, bezeugen sehr viele ganz klare Verheißungen: „Wirf dein Anliegen auf den Herrn, der wird dich versorgen und wird den Gerechten nicht ewiglich in Unruhe lassen“ (Ps. 55,23). „Denn er sorgt für uns!“ (1. Petr. 5,7). „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzet, der bleibt unter dem Schutz Gottes, der im Himmel ist“ (Ps. 91,1; nicht Luthertext), „Wer euch antastet, der tastet seinen (Gottes) Augapfel an!“ (Sach. 2,12). „Ich will dein Schild sein (Gen. 15,1), deine eherne Mauer“ (Jes. 26,1; Jer. 1,18). „Ich will feind sein denen, die dir feind sind“ (Jes. 49,25). „Und ob auch eine Mutter ihres Kindleins vergäße, so will ich dich doch nicht vergessen“ (Jes. 49,15). Ist es doch der wichtigste Gesichtspunkt in den Erzählungen der Bibel, zu lehren: der Herr behütet die Wege der Heiligen mit solchem Fleiß, „daß sie ihren Fuß nicht an einen Stein stoßen“ (vgl. Ps. 91,12). Wir haben nun oben (XVI,4) mit Recht die Meinung derer abgelehnt, die bloß an eine „allgemeine“ Vorsehung Gottes denken, die sich nicht in besonderer Weise zur Fürsorge für jede einzelne Kreatur herablasse. Deshalb ist es erst recht der Mühe wert, diese „besondere“ Fürsorge an uns zu erkennen. So behauptet ja Christus, nicht einmal der geringste Sperling falle zur Erde ohne den Willen des Vaters (Matth. 10,29), und er wendet das sofort so. da wir ja mehr sind als Sperlinge, so sollen wir uns auch um so mehr der besonderen Fürsorge Gottes versichert halten; er dehnt diese Fürsorge soweit aus, daß wir zuversichtlich glauben sollen, auch die Haare auf unserem Haupte seien alle gezählt (Matth. 10,30). Was sollen wir uns denn noch anders wünschen, wenn doch nicht einmal ein Haar von unserem Haupte fallen kann ohne seinen Willen? Ich rede hier nicht nur (allgemein) vom Menschengeschlecht, sondern weil sich Gott die Kirche zur Wohnung erlesen hat, so erweist er unzweifelhaft in ihrer Leitung seine väterliche Fürsorge durch besondere Zeugnisse.
Durch solche Verheißungen und Beispiele gestärkt, wird der Diener Gottes auch der Zeugnisse gedenken, welche lehren, daß unter Gottes Macht alle Menschen stehen, ob nun ihr Herz uns günstig gestimmt werden soll oder ihre Bosheit in Schranken gebracht werden muß, damit sie nicht Schaden tue. Denn es ist der Herr, der uns Gnade gibt, nicht nur bei denen, die uns wohlgesinnt sind, sondern auch „in den Augen der Ägypter“ (Ex. 3,21); die Frechheit unserer Feinde aber weiß er auf mancherlei Weise zu brechen. Zuweilen nimmt er ihnen den Verstand, damit sie nichts Kluges und Besonnenes unternehmen können. So sendet er den Satan, um zur Täuschung des Ahab den Mund aller Propheten mit Lüge zu erfüllen (1. Kön. 22,22). Oder er führt den Rehabeam durch den Rat der Jungen in die Irre, damit er durch seine Torheit der Herrschaft verlustig ginge (1. Kön. 12,10.15). Manchmal läßt er ihnen den Verstand, versetzt sie aber derart in Schrecken und Betäubung, daß sie nicht mehr wollen oder vollbringen, was sie sich vorgenommen haben. Mitunter auch gestattet er ihnen zu versuchen, was ihnen Lust und Wut eingegeben haben, und hemmt dann doch zur rechten Zeit ihr Ungestüm, läßt sie nicht zum Ziele führen, was sie geplant! So machte er den Rat des Ahitophel, der dem David hätte verderblich werden können, vor der Zeit zunichte (2. Sam. 17,7.14). So ist es seine Sorge, alle Geschöpfe den Seinen zugut und zum Heil zu leiten, und wir sehen, wie selbst der Teufel ohne seine Erlaubnis (permissio) oder Anordnung nicht wagte, den Hiob zu versuchen (Hiob 1,12).
Wer das erkennt, bei dem wird sich notwendig herzliche Dankbarkeit bei glücklichem Erfolg, Geduld im Leiden und eine unglaubliche Gewissheit für die Zukunft einstellen. Er wird alles, was glücklich und nach seines Herzens Wunsch ihm gelingt, Gott allein zuschreiben, ob er nun seine Wohltätigkeit durch den Dienst von Menschen erfahren hat oder ob ihm von den leblosen Geschöpfen Hilfe zuteil wurde. Er wird sich in seinem Herzen sagen: Es ist gewiss der Herr, der mir ihre Seele zugeneigt und sie mir zugeführt hat, damit sie an mir zu Werkzeugen seiner Freundlichkeit würden! Er wird bei reicher Ernte denken: der Herr ist es, der den Himmel „erhört“ hat, damit der Himmel die Erde „erhöre“ und diese wieder ihre Sprösslinge (vgl. Hos. 2,23ff.). So wird er auch in anderen Dingen nicht zweifeln, daß alles nur durch des Herrn Segen gedeiht - und, durch soviel Ursachen ermuntert, wird er nicht undankbar sein können!
Trifft einen solchen Menschen etwas Widerwärtiges, so wird er auch dann alsbald das Herz zu Gott erheben; denn seine Hand vermag am besten, uns Geduld und Lindigkeit des Herzens zu verleihen. Wäre Joseph dabei stehen geblieben, die Treulosigkeit seiner Brüder zu bedenken, so hätte er ihnen gegenüber nie mehr eine brüderliche Gesinnung gewinnen können. Aber er schaute auf den Herrn, und da vergaß er das Unrecht und wurde zu Sanftmut und Barmherzigkeit geneigt, so daß er gar aus freien Stücken die Brüder tröstete und sagte: „Nicht ihr habt mich nach Ägypten verkauft, sondern Gottes Wille hat mich vor euch hergesandt, damit ich euch das Leben erhielte!“ (Gen. 45,7ff.; summarisch). „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, Gott aber gedachte es gut zu machen!“ (Gen. 50,20). Hätte Hiob die Chaldäer angesehen, die ihn quälten, so wäre er sofort zur Rache entflammt worden. Aber er erkennt doch (in dem Geschehen) des Herrn Werk, und da kann er sich mit dem herrlichen Satz trösten: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobt!“ (Hiob 1,21). Hätte David, als ihn Simei mit Schmähungen und Steinwürfen angriff, seine Augen auf den Menschen gerichtet, so hätte er die Seinen aufgefordert, für das (ihm geschehene) Unrecht Rache zu nehmen; aber weil er einsah, daß dieser nicht ohne des Herrn bewegende Kraft handelte, darum besänftigte er sie vielmehr und sagte: „Laßt ihn, denn der Herr hat’s ihn geheißen: fluche David!“ (2. Sam. 16,10). Mit dem gleichen Zügel bändigt er auch an anderer Stelle seinen unmäßigen Schmerz: „Ich will schweigen und meinen Mund nicht auftun, denn du hast’s getan“ (Ps. 39,10). Es gibt keine kräftigere Arznei gegen Zorn und Ungeduld als diese; so hat der gewiss schon viel erreicht, der in diesem Stück Gottes Vorsehung zu betrachten gelernt hat, so daß er sich immer wieder sagen kann: Der Herr hat es gewollt, deshalb muß ich es tragen, nicht nur, weil ich nicht widerstreben soll, sondern auch weil er ja nichts will, als was recht und heilsam ist! Kurz, wenn wir von Menschen unbillig verletzt worden sind, so sollen wir ihre Bosheit nicht weiter beachten, - sie würde nur unseren Schmerz verschärfen und unser Herz zur Rache anreizen! - sondern uns zu Gott erheben und lernen, aufs gewisseste daran festzuhalten: was der Feind uns in seiner Bosheit zugefügt hat. das hat Gott in gerechter Fügung zugelassen, ja geschickt! Paulus erinnert uns, um uns von der Wiedervergeltung des Bösen abzuschrecken, mit Recht daran, daß wir „nicht mit Fleisch und Blut“ zu kämpfen haben, sondern mit dem geistlichen Feinde, dem Teufel; gegen den sollen wir uns zum Kampfe rüsten! (Eph. 6,12). Das aber ist die beste Ermahnung zum Dämpfen aller aufwallenden Rachsucht: daß Gott selbst den Teufel wie auch alle Gottlosen zum Kampfe rüstet und wie ein Kampfrichter thront, um uns in der Geduld zu üben!
Treffen uns ohne Zutun von Menschen Unglück und Elend, die uns drücken, so sollen wir an die Lehre des Gesetzes gedenken: alles Heilsame fließt aus der Quelle des Segens Gottes, alles Widerwärtige ist sein Fluch (Dtn. 28,20ff.), und es soll uns jene furchtbare Ankündigung schrecken: „Werdet ihr von ungefähr mir ‘zuwider wandeln’, so werde auch ich von ungefähr euch zuwider wandeln’!“ (Lev. 26,15ff., besonders V. 24). Mit diesen Worten wird unsere Trägheit gestraft, wenn wir nach gemeiner Fleischesart alles für zufällig halten, was uns Gutes oder Böses begegnet, und uns weder von Gottes Wohltaten zu seiner Verehrung ermuntern, noch durch seine Schläge zur Buße leiten lassen. Aus diesem Grunde schalten ja auch Jeremia und Amos so bitterlich mit den Juden, weil diese meinten, Gutes wie Böses geschehe ohne Anordnung Gottes (Klgl. 3,38; Amos 3,6). Darauf bezieht sich auch das Wort des Jesaja: „Ich bin der Gott, der das Licht macht und die Finsternis schafft, ich gebe Frieden und schaffe das Übel, ich bin der Herr, der solches alles tut“ (Jes. 45,7).
Unterdessen wird aber der Fromme die untergeordneten Ursachen (causas inferiores) nicht außer acht lassen. Er wird nicht etwa aus der Einsicht, daß die, welche ihm wohl tun, ja Diener der Güte Gottes sind, den Schluss ziehen, er könne sie (mit Undank) übergehen, als ob sie für ihre Freundlichkeit (humanitas) keinen Dank verdient hätten, sondern er wird sich ihnen von Herzen verpflichtet fühlen, sich gerne als den Beschenkten bekennen und ihnen nach Fähigkeit den Dank auch durch die Tat abzustatten sich bemühen. Kurz, er wird gewiss Gott als den vornehmsten Urheber beim Empfang guter Gaben loben und preisen, aber er wird die Menschen eben als seine Diener ehren und wird, wie es doch tatsächlich der Fall ist, einsehen, daß er durch Gottes Willen denen zu Dank verpflichtet ist, durch deren Hand Gott sich hat wohltätig erweisen wollen! Hat er aus Nachlässigkeit oder Unvorsichtigkeit einen Schaden erlitten, so wird er zwar feststellen, daß dies aus Gottes Willen ihm zugestoßen sei, aber er wird es doch auch sich selbst zuschreiben! Ist einer an einer Krankheit gestorben, welchen er zu pflegen verpflichtet war, aber nachlässig behandelt hat, so wird er zwar durchaus wissen, daß der Betreffende zu dem Ende gekommen sei, dem er nicht entgehen konnte, aber er wird doch darüber seine Sünde nicht gering achten; im Gegenteil: er hat gegen jenen Menschen sein Amt nicht treu erfüllt und wird deshalb die Sache so ansehen, als ob er durch Schuld seiner Nachlässigkeit gestorben wäre. Noch viel weniger wird er bei einem Mord oder Diebstahl die dabei wirksame Verruchtheit und Bosheit seines Herzens mit dem Vorwand göttlicher Vorsehung entschuldigen; er wird vielmehr in der gleichen Tat Gottes Gerechtigkeit und des Menschen Bosheit, wie sie sich beide offenbaren, in ihrer Verschiedenheit betrachten. Und ganz besonders wird er hinsichtlich der Zukunft auf dergleichen untergeordnete Ursachen Acht haben. Denn er soll es zu den Segnungen des Herrn rechnen, wenn es ihm nicht an menschlicher Hilfe fehlt, die er zu seinem Wohlergehen in Anspruch nehmen kann. Aus dem Grunde wird er nicht ablassen, Rat zu suchen, wird auch nicht träge werden, die Hilfe solcher Menschen anzurufen, die ihn wohl unterstützen können; nein, er wird bedenken, daß ihm alle Geschöpfe, die ihm hilfreich sein können, von dem Herrn an die Hand gegeben werden, und deshalb wird er diese als rechte Werkzeuge der göttlichen Vorsehung zu seinem Besten gebrauchen. Und obwohl er unsicher ist, welchen Erfolg seine Unternehmungen haben werden - abgesehen davon, daß er weiß: der Herr wird in allem sein Bestes im Auge haben! -, wird er doch mit Eifer das erstreben, was ihm nützlich erscheint, soweit er es durch Verstand und Nachdenken schaffen kann. Und doch wird er bei seinen Entschlüssen nicht dem eigenen Sinn verfallen sein, sondern sich der Weisheit Gottes anbefehlen und sich durch seine Führung zum rechten Ziel leiten lassen. Auch wird er sein Vertrauen nicht dermaßen an die äußeren Hilfen hängen, daß er in ihnen sicher ruht, wenn sie vorhanden sind, aber alsbald wie ein Verlorener erzittert, wenn sie fehlen. Er wird eben sein Herz stets auf Gottes Vorsehung allein richten und sich vom festen Blick auf sie nicht durch die Betrachtung der jeweiligen Lage abbringen lassen. So wusste auch Joab sehr wohl, daß der Ausgang der Schlacht in Gottes Hand und Willen stehe; aber er ergab sich darüber doch nicht der Untätigkeit, sondern führte mit Fleiß aus, was seines Amtes war, überließ indessen dem Herrn den Ausgang: „Lasset uns stark sein für unser Volk und für die Städte unseres Gottes; der Herr aber tue, was in seinen Augen gut ist“ (2. Sam. 10,12). Wenn wir so denken, werden wir uns von allem Vorwitz, allem falschen Vertrauen auf uns selbst und jede andere Kreatur fernhalten und uns immerfort zur Anrufung Gottes getrieben sehen. In dieser Denkweise wird aber auch unser Herz in guter Zuversicht gestärkt werden, so daß wir ohne Zaudern auf alle Gefahren, die uns auch umgeben mögen, mutig und tapfer herunterblicken.
Hier aber bewährt sich das unbeschreibliche Glück eines frommen Herzens. Unzählig sind die Übel, die unser menschliches Leben belagern, stets lauert in ihnen der Tod. Wir brauchen nicht über uns hinauszugehen: unser Leib ist ein Nest von tausend Krankheiten, und wie viel Krankheitsursachen trägt und nährt er in sich! Der Mensch kann sich nicht regen, ohne in vielerlei Gestalt sein Verderben in sich zu tragen, und er führt sein Leben sozusagen stets verwoben mit dem Tod! Wie soll man es anders ausdrücken - wo er doch ohne Gefahr weder Frost noch Schweiß erträgt? Und wohin man sich auch wendet: alles, was uns umgibt, ist nicht nur von zweifelhafter Zuverlässigkeit, sondern steht uns schier mit offener Drohung gegenüber und scheint uns des Todes Nähe anzukündigen. Steige in ein Schiff - und du bist nur einen Schritt vom Tode! Setze dich zu Pferd - am Straucheln eines Fußes hängt dein Leben! Gehe durch die Straßen der Stadt - soviel Ziegel auf den Dächern sind, soviel Gefahren bist du ausgesetzt! Ist eine Waffe in deiner oder deines Freundes Hand - der Schade lauert auf dich! Wie viel wilde Tiere du siehst - sie sind gerüstet, dich zu verderben! Und wenn du dich auch in einen ummauerten Garten einschließen willst, wo nichts als Lieblichkeit dir erscheint - auch da lauert zuweilen eine Schlange! Immerzu ist dein Haus der Feuersbrunst ausgesetzt, alle Tage kann es dich arm machen, alle Nächte kann es dich erschlagen! Der Acker ist in Gefahr vor Hagel, Reif, Dürre und anderem Unwetter - und das bedeutet für dich Mißwachs und Hunger! Ich übergehe Vergiftungen, Heimtücke, Räuberei, offene Gewalt, die uns im eigenen Haus oder auch draußen nachstellen! Müsste nicht unter solchen Ängsten der Mensch ganz elend sein, der sein Lebtag halbtot ist und seinen geängstigten und matten Geist ärmlich und kränklich erhält, als ob immerzu über seinem Nacken ein Schwert hinge? Du magst sagen, das alles geschehe immerhin selten oder wenigstens doch nicht immer und nicht allen Leuten, außerdem doch niemals alles zusammen. Das gebe ich zu; aber das Beispiel anderer lehrt uns, daß es auch uns zustoßen kann, und unser Leben macht nicht mehr als das ihrige eine Ausnahme; deshalb müssen auch wir notwendig Furcht und Schrecken empfinden, es könnte auch uns begegnen! Was ist aber unseliger als solches Zagen? Außerdem würde es doch nicht ohne Verachtung Gottes abgehen, wenn man sagen wollte, er habe den Menschen, das edelste seiner Geschöpfe, den blinden und zufälligen Stößen des Schicksals ausgesetzt! Aber ich wollte ja hier bloß vom Elend des Menschen reden, wie er es empfinden müßte, wenn er der Herrschaft des Zufalls unterworfen wäre.
Aber sobald das Licht der göttlichen Vorsehung einem frommen Menschen aufgeht, wird er nicht nur von jener furchtbarsten Not und Furcht, die ihn zuvor drückte, sondern von aller Sorge befreit und erlöst. Denn wie er mit Recht vor dem „Zufall“ Schauder empfindet, so wagt er sich nun Gott in Gewissheit anzuvertrauen. Das ist eben, sage ich, der Trost, daß er erkennt: der himmlische Vater hält mit seiner Macht alles zusammen, regiert alles mit seinem Befehl und Wink, ordnet alles mit seiner Weisheit, so daß nichts vorfällt ohne seine Bestimmung. Das ist der Trost, daß der Glaubende, seinem Schutz übergeben, der Fürsorge der Engel anvertraut, nun weiß: kein Schaden von Wasser, Feuer oder Schwert kann ihn antasten, als nur soweit es Gott, der im Regimente sitzt, gefallen hat, ihnen Raum zu geben. So singt doch der Psalm: „Er errettet dich vom Strick des Jägers und von der schädlichen Pestilenz. Er wird dich mit seinen Fittichen decken, und deine Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln; seine Wahrheit ist Schirm und Schild, daß du nicht erschrecken mögest vor dem Grauen der Nacht, vor den Pfeilen, die des Tages fliegen, vor der Pestilenz, die im Finsteren schleicht, vor der Seuche, die am Mittag verderbt“ (Ps. 91,3ff.). Daher haben die Heiligen solche frohlockende Zuversicht: „Der Herr ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht, was können mir Menschen tun? Der Herr ist mein Helfer, warum sollte ich zittern? Wenn sich schon ein Heer wider mich legt, wenn ich auch mitten im Schatten des Todes wandle, so will ich doch nicht aufhören, zu hoffen“ (Ps. 118,6; 27,3; 56,5 u.a. St.). Woher haben sie, frage ich, diese unerschütterliche Gewissheit? Daher, daß sie, wo doch dem Anschein nach die Welt vom Zufall bewegt wird, doch wissen, daß der Herr überall am Werk ist, und zuversichtlich glauben, sein Werk werde ihnen heilsam sein! Wird ihr Heil vom Teufel oder von verruchten Menschen bedroht, so mußten sie sogleich zusammensinken, wenn nicht die Erinnerung und der Gedanke an die Vorsehung sie aufrechterhielte. Aber gewaltigen Trost empfangen sie, wenn sie daran denken: der Teufel mit der ganzen Rotte der Gottlosen wird ja von allen Seiten von Gottes Hand wie am Zügel gehalten; er kann deshalb gegen uns gar keine Übeltat beschließen, noch das Geplante ins Werk setzen, noch mit äußerster Anstrengung auch nur einen Finger rühren, um es durchzuführen, sofern Gott es nicht erlaubt, ja soweit er es ihm nicht aufgetragen hat; er liegt ja in seinen Banden gefesselt, wird mit dem Zaum gezwungen, ihm Gehorsam zu leisten! Denn wie es bei dem Herrn steht, der Wut der Feinde Waffen zu geben, sie zu wenden und zu lenken, wohin er will, so setzt er auch Maß und Ziel, damit sie nicht nach ihrer Lust ungebändigt losbrechen! Auf dieser Gewissheit beruht es, wenn Paulus von einer Reise an der einen Stelle sagt, sie sei vom Satan verhindert worden, und an der anderen, sie sei von Gottes Zulassung abhängig (1. Thess. 2,18; 1. Kor. 16,7). Hätte er bloß geschrieben, das Hindernis sei vom Satan gewesen, so hätte er scheinbar dem Satan zuviel Macht beigemessen, als ob es gar in dessen Hand stünde, Gottes Pläne zunichte zu machen; nun aber stellt er fest, daß Gott der Herrscher ist, von dessen Zulassung alle Wege abhängen, und zeigt damit: der Satan kann nur auf seinen Wink etwas erreichen, was er auch ins Werk setzen mag! Ebenso denkt David, wenn er sich angesichts der vielerlei Wechselfälle, von denen das Menschenleben immerzu gewendet und wie ein Rad gedreht wird, sich auf diese Zuflucht zurückzieht: „Meine Zeiten stehn in deinen Händen“ (Ps. 31,16). Er konnte gewiss auch „Lebenslauf“ sagen oder „Zeit“ in der Einzahl setzen; aber mit dem Ausdruck „Zeiten“ wollte er zeigen, daß, wie unbeständig auch die Lage des Menschen sei, aller Wechsel, der vorkommen mag, doch von Gott her gelenkt wird. Deshalb werden auch Rezin und der König von Israel, die mit ihren zur Vernichtung Judas verbundenen Streitkräften wie brennende Fackeln erschienen, das Land zu verderben und zu verzehren, von dem Propheten rauchende Feuerbrände genannt, die bloß ein wenig Rauch ausstoßen können (Jes. 7,4). So wird gar der Pharao, der doch durch Macht, Stärke und Heeresgröße allen furchtbar war, mit einem Meerungeheuer und sein Heer mit Fischen verglichen (Ez. 29,4). Und Gott kündigt an, er werde den Anführer und das Heer mit der Angel fangen und es ziehen, wohin er wolle. Kurzum, ich will mich nicht länger damit aufhalten; man kann es leicht durchschauen, wenn man es betrachtet: das schlimmste Elend ist es, die Vorsehung nicht zu kennen, das höchste Glück aber, von ihr Kunde zu haben.
Über die Vorsehung Gottes ist damit an sich genug gesagt. Freilich nur soviel, wie es zur sicheren Unterweisung und zum Trost der Gläubigen von Nutzen ist; denn, um die Neugier eitler Menschen zu befriedigen, kann nichts ausreichen, und es ist auch nicht einmal zu wünschen, daß es geschähe! - Aber es gibt einige wenige Stellen, die den Eindruck zu erwecken scheinen, der Ratschluss Gottes sei - gegen das, was wir oben ausführten - doch nicht beständig fest und unabänderlich, sondern entsprechend den Verhältnissen untergeordneter Dinge veränderlich. Da wird zunächst zuweilen die Reue Gottes erwähnt. So hat es ihn „gereut, daß er den Menschen gemacht hatte“ (Gen. 6,6), daß er Saul zur Königsherrschaft erhoben hatte (1. Sam. 15,11). Oder es reute ihn das Übel, das er seinem Volke zuzufügen beschlossen, sobald er bei ihm irgendwelche Umkehr gewahrte (Jer. 18,8). Ferner hören wir gelegentlich, wie er seine Beschlüsse ändert. So hatte er durch Jona den Niniviten angedroht, Ninive werde nach Ablauf von vierzig Tagen zugrunde gehen, ließ sich aber alsbald durch deren Buße zu einem milderen Spruch bewegen (Jona 3,4.10). So hatte er dem Hiskia durch den Mund des Jesaja den Tod ankündigen lassen; aber des Königs Tränen und Gebete bewogen ihn dann doch, den Tod hinauszuschieben (Jes. 38,1.5; 2. Kön. 20,1.5).
Von hier aus schließen nun manche, Gott habe gar nicht in ewigem Beschluss die menschlichen Geschicke bestimmt, sondern er entscheide nach eines jeden Verdienst, oder je, wie er es für billig und gerecht hält, über die einzelnen Jahre, Tage und Stunden bald so, bald anders!
Was die Reue betrifft, so kann diese Gott ebenso wenig beigelegt werden wie etwa die Unwissenheit, der Irrtum oder die Machtlosigkeit. Denn es begibt sich keiner mit Wissen und Wollen in die Notwendigkeit, eine Sache zu bereuen; wir könnten also Gott die Reue nicht beimessen, ohne zugleich zu sagen, er wisse die Zukunft nicht, oder er könne ihr nicht entgehen, oder er stürze sich aufs Geratewohl und unbedacht in einen Beschluss hinein, der ihn gleich darauf reue. Das aber liegt vom Sinn des Heiligen Geistes soweit ab, daß dieser gerade in einem Zusammenhang, wo solche „Reue“ Gottes erwähnt wird (1. Sam. 15,11!), doch leugnet, Gott könne sich von der Reue leiten lassen, weil er doch nicht ein Mensch ist, den etwas gereue (1. Sam. 15,29). Es ist da zu beachten, wie in dem gleichen Kapitel beide Aussagen so verbunden sind, daß wir merken, wie hier ein Vergleich vorliegt, der den Anschein des Widerspruchs ausgezeichnet behebt. Es ist eine bildliche Darstellung der eingetretenen Veränderung, wenn wir hören, daß es Gott „reue“, den Saul zum König gemacht zu haben. Gleich darauf heißt es dann auch: „Der Starke in Israel lügt nicht, und ihn bringt nicht Reue von seinem Weg; denn er ist kein Mensch, daß ihn etwas gereue.“ In diesen Worten wird offen, ohne Bild, Gottes Unveränderlichkeit behauptet. So ist also Gottes Anordnung in der Leitung der Menschengeschicke gewiss dauernd und über alle Reue erhaben. Und damit seine Beständigkeit außer Zweifel stehe, wurden selbst seine Feinde gezwungen, sie zu bezeugen. Denn Bileam mußte, obwohl wider Willen, in die Worte ausbrechen: „Denn Gott ist nicht ein Mensch, daß er lüge, noch eines Menschen Kind, daß er sich wandle. Sollte er etwas sagen und nicht tun? Sollte er etwas reden und nicht halten?“ (Num. 23,19; nicht ganz Luthertext).
Was bedeutet nun also der Ausdruck „Reue“? Sicherlich nichts anderes als all die anderen Redeformen, die uns Gott nach Menschenweise beschreiben. Weil nämlich unsere Schwachheit nicht zu seiner Höhe empordringt, so muß die Beschreibung seines Wesens, die uns zuteil wird, unserer Fassungskraft angepasst sein, um von uns begriffen zu werden. Das geschieht aber so, daß er sich uns darstellt, nicht wie er an sich selber ist, sondern wie er von uns erfahren wird. So ist er frei von aller inneren Erschütterung durch Leidenschaft - und bezeugt doch, daß er den Sündern zürnt! Wenn wir also hören, daß Gott zürnt, so müssen wir uns dabei nicht eine Erregung in ihm selber vorstellen; wir müssen vielmehr bedenken, daß diese Redeweise aus unserer Erfahrung genommen ist, weil uns ja Gott dem Anschein nach als Entrüsteter und Zorniger begegnet, sooft er sein Gericht vollzieht. So dürfen wir auch unter dem Wort „Reue“ nichts anderes verstehen als eine Abänderung seiner Werke und Taten; denn die Menschen bezeugen ja, indem sie ihre Taten abändern, daß sie ihnen missfallen. Jede Abänderung ist unter Menschen die Verbesserung einer Sache, die Missfallen erregt; diese Verbesserung aber kommt aus Reue; und so will der Ausdruck „Reue“ besagen: Gott ändert etwas an seinen Werken! Unterdessen aber wird weder sein Ratschluss noch sein Wille verändert, noch seine Neigung (affectus) verwandelt; sondern was er von Ewigkeit her vorgesehen, für richtig befunden und beschlossen hat, das führt er in stetem Gleichmaße durch, so jähen Wechsel der Mensch auch vor Augen haben mag!
Wenn nun die heilige Erzählung (sacra historia) berichtet, wie den Niniviten der bereits verkündete Untergang erlassen (Jona 3,10) und dem Hiskia sein Leben trotz erfolgter Ankündigung des Todes noch einmal verlängert worden sei (Jes. 38,5), so behauptet sie damit nicht, Gottes Beschlüsse seien aufgehoben worden. Wer das meint, der macht sich Wahnvorstellungen von diesen Drohungen; diese scheinen zwar einfach eine Behauptung zu enthalten, aber der Ausgang zeigt, daß sie trotzdem eine stillschweigende Bedingung in sich tragen. Denn weshalb sandte der Herr den Jona zu den Einwohnern von Ninive, damit er ihnen die Zerstörung der Stadt ankündigte? Weshalb ließ er dem Hiskia durch Jesaja seinen Tod ansagen? Er konnte doch jene und auch diesen zugrunde richten, ohne das Unheil anzukündigen! Er hatte also etwas anderes im Auge, als daß diese Menschen von ihrem Tod zuvor wüssten und ihn dann von ferne kommen sahen. Er wollte eben, daß sie nicht zugrunde gingen, sondern sich besserten, um dem Untergang zu entrinnen! Wenn also Jona weissagt, die Stadt Ninive werde nach vierzig Tagen zerstört werden, so geschieht das, damit sie nicht untergehe! Wenn dem Hiskia die Hoffnung auf ein weiteres Leben abgeschnitten wird, so geschieht das, damit er ein weiteres Leben erlange! Wer sieht denn nicht, daß der Herr durch solche Drohungen die Menschen, die er schreckte, zur Reue erwecken wollte, damit sie dem Gericht entgingen, das sie mit ihren Sünden verdient hatten! Wenn es sich so verhält, dann führt uns die Sache selbst dazu, aus der einfachen Ankündigung eine stillschweigende Bedingung herauszuhören. Das wird denn auch durch ähnliche Beispiele bestätigt. So wirft der Herr dem Könige Abimelech vor, er habe dem Abraham sein Weib genommen, und braucht dabei die Worte: „Du bist des Todes um des Weibes willen, das du genommen hast; denn sie ist eines Mannes Eheweib“ (Gen. 20,3). Nachdem er sich nun aber entschuldigt hat, sagt Gott zu ihm: „Gib dem Manne sein Weib wieder; denn er ist ein Prophet, und lass ihn für dich bitten, so wirst du lebendig bleiben, wo du sie aber nicht wiedergibst, so wisse, daß du des Todes sterben mußt und alles, was dein ist“ (Gen. 20,7). Da sieht man, wie er in dem ersten Worte sein Herz heftig erschüttert, um ihn zur Genugtuung bereit zu machen, aber dann in dem zweiten seinen Willen klar ausspricht! Mit anderen Stellen verhält es sich ebenso, und deshalb darf man nun nicht meinen, es sei dem früheren Ratschlüsse des Herrn etwas entzogen, da er nicht durchführte, was er angekündigt hatte. Nein, der Herr bahnt vielmehr seiner ewigen Anordnung den Weg, wenn er durch Androhung von Strafe Menschen zur Reue antreibt, die er verschonen will, und zwar, ohne daß er an seinem Willen oder auch nur an seinem Worte etwas änderte, nur daß er nicht gerade buchstäblich ausdrückt, was doch ganz klar zu begreifen ist. So muß denn doch das Wort des Jesaja wahr bleiben: „Der Herr der Heerscharen hat es beschlossen, und wer will es wehren? Seine Hand ist ausgestreckt, und wer will sie wenden?“ (Jes. 14,27).
Nach anderen Stellen lenkt und zieht Gott selbst den Satan und alle Gottlosen nach seinem Gutdünken, wohin er will. Hier entsteht nun aber eine noch schwierigere Frage. Wie soll sich Gott, wenn er doch durch diese handelt, keinerlei Beschmutzung durch ihre Vergehen zuziehen, wie soll er bei gemeinsamem Werk selbst von aller Schuld frei sein und doch die, die er als Knechte benutzt, mit Recht verdammen können? Das versteht der Sinn des Fleisches nicht. So ist es denn zu der Unterscheidung zwischen „Tun“ und „Zulassung“ (Gottes) gekommen: es scheint eben vielen Leuten ein unlösbarer Knoten zu sein, wenn es heißt, der Satan und alle Gottlosen seien derart in Gottes Hand, daß er ihre Bosheit lenke zu dem ihm genehmen Ziel, und daß er ihre Verbrechen benutze, um seine Gerichte zu vollziehen! Die Bedenklichkeit solcher Leute wäre auch durchaus verzeihlich, wenn sie bloß der Anschein des Widersinnigen in Schrecken setzte; nur dürften sie eben nicht verkehrterweise versuchen, Gottes Gerechtigkeit vor dem Vorwurf durch eine Unwahrheit zu rechtfertigen! Es scheint ihnen widersinnig, daß ein Mensch durch Gottes Willen und Befehl verblendet wird und dann doch die Strafe für seine Verblendung tragen soll. Also suchen sie sich durch die Ausflucht zu helfen, das geschehe bloß durch Gottes Zulassung, nicht aber auch durch seinen Willen! Aber Gott selber macht diese Ausflucht zunichte, wenn er deutlich sagt, er handle! Daß aber der Mensch ohne Gottes geheimen Befehl nichts ausrichten, noch etwas durch Überlegung zuwege bringen kann, ohne daß Gott es schon bei sich beschlossen hätte und es in seiner verborgenen Leitung herbeiführte, das wird durch unzählige klare Schriftzeugnisse belegt, was wir oben aus dem Psalm anführten: „Gott kann machen, was er will“ (Ps. 115,3), das bezieht sich gewisslich auf alle Taten der Menschen. Ist Gott wirklich, wie es heißt, der untrügliche Lenker von Krieg und Frieden (Jes. 45,7), und zwar ohne jede Ausnahme, wie kann dann einer zu behaupten wagen, den Menschen leite sinnlos ein blinder Trieb, ohne Gottes Wissen und Zutun?
Aber besondere Beispiele werden das noch besser beleuchten, wir wissen, wie im ersten Kapitel des Hiobbuches der Satan sich vor Gott einstellt, um Befehle entgegenzunehmen, genau wie die Engel, die doch von sich aus gehorchen. Er tut das zwar in ganz anderer Art und zu ganz anderem Zweck, aber doch so, daß er nichts unternehmen kann ohne Gottes Willen. Nun scheint ja daraufhin eine bloße Zulassung zu erfolgen, nämlich daß er den heiligen Mann (Hiob) angreife. Aber doch ist dessen Ausspruch wahr: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, wie es dem Herrn gefiel, so ist es geschehen“ (Hiob 1,21). Und deshalb müssen wir schließen, daß diese Versuchung, als deren Diener der Satan und verruchte Räuber wirksam waren, tatsächlich Gott zum Urheber hatte. Da versucht der Satan den heiligen Mann durch Verzweiflung in Wut zu bringen, da kommen die Sabäer herbei, um grausam und gottlos fremdes Gut zu rauben. Aber Hiob erkennt an, daß er von Gott all seines Besitzes beraubt worden ist, daß er zum armen Mann geworden ist, weil es Gott so gefiel! Was also auch Menschen oder gar der Satan selbst unternehmen – Gott hat das Ruder in der Hand, um ihre Unternehmungen zum Vollzug seiner Gerichte zu lenken. Da will Gott, daß der treulose König Ahab in die Irre geführt werde - der Teufel erbietet dazu seinen Dienst, und er wird mit dem klaren Auftrag losgeschickt, er solle ein Geist der Lüge im Munde aller Propheten sein! (1. Kön. 22,20.22). Die Verblendung des Ahab ist Gottes Gericht - und so zergeht jeder Versuch, hier von „bloßer Zulassung“ zu träumen. Denn es wäre ja lächerlich, wenn der Richter bloß „zuließe“ und nicht tatsächlich anordnete, was er geschehen lassen will, und seinen Dienern den Auftrag zum Vollzug gäbe! Die Juden hatten die Absicht, Christum zu töten, und Pilatus und seine Kriegsknechte willfahrten ihrer rasenden Mordlust - und trotzdem bekennen die Jünger in feierlichem Gebet, alle Gottlosen hätten nichts getan, als was Gottes Hand und Rat beschlossen hätte! (Apg. 4,28). So hatte Petrus ja schon vorher in einer Predigt gesagt, Jesus sei aus bedachtem Rat und Vorsehung Gottes dahingegeben worden, daß er getötet werde (Apg. 2,23), als wollte er sagen: Gott, dem von Anfang her nichts verborgen war, hat mit Wissen und Willen festgesetzt, was die Juden vollführt haben. So wiederholt er es an anderer Stelle: „Gott, was er durch den Mund aller seiner Propheten zuvor verkündigt hat, wie Christus leiden sollte, hat’s also erfüllt“ (Apg. 3,18). Absalom verunreinigte in ehebrecherischem Umgang das Bett seines Vaters und vollführte damit ein abscheuliches Verbrechen (2. Sam. 16,22). Gott aber verkündigt, das sei sein Werk: „Du hast es insgeheim getan, ich werde es öffentlich tun, vor der Sonne!“ (2. Sam. 12,12). Und Jeremia spricht es aus, daß alles, was die Chaldäer an Grausamkeiten in Judäa begehen, Gottes Werk sei (Jer. 50,25; 1,15 und oft). Aus diesem Grunde wird ja Nebukadnezar Gottes Knecht geheißen! (Jer. 25,9; 27,6). Mehrfach ruft Gott es aus, sein Wink (Jes. 7,18), seiner Posaune Klang (Hos. 8,1), sein Befehl und Auftrag (Zeph. 2,1) rufe die Gottlosen zum Kriege auf! Den Assyrer nennt er die Rute seines Zorns (Jes. 10,5) und ein Beil, das er mit seiner Hand schwingt! Die Zerstörung der heiligen Stadt und die Verwüstung des Tempels heißt er sein Werk (Jes. 28,21). David will nicht gegen Gott murren, wenn er ausspricht, die Flüche des Simei kämen aus seinem Geheiß: „Der Herr hat ihn geheißen, daß er fluche“ (2. Sam. 16,10). Nein, er erkennt Gott damit als den gerechten Richter an! Öfters wird es in der heiligen Geschichte wiederholt, es komme von dem Herrn, was auch geschehe, so z.B. der Abfall der zehn Stämme (1. Kön. 11,31), der Untergang der Söhne des Eli (1. Sam. 2,34) und vieles dieser Art. Wer einigermaßen in der Schrift zu Hause ist, der sieht, daß ich nur wenige Zeugnisse von vielen anführe, um mich der Kürze zu befleißigen. Aber aus diesen wird bereits mehr als genug deutlich: wer an die Stelle der Vorsehung Gottes die bloße Zulassung setzt, der schwatzt und redet unnützes Zeug! Als ob Gott in ruhiger Betrachtung dasäße und die zufälligen Ereignisse abwartete! Als ob so seine Gerichte vom Wohlgefallen des Menschen abhingen!
Was nun die geheimen Regungen betrifft, die Gott im Menschen hervorruft, so gilt das, was Salomo vom Herzen des Königs sagt, sicher für jeden Menschen: Gott neigt es, wohin er will (Spr. 21,1). Und das bedeutet soviel, als hätte er gesagt: was wir uns auch innerlich vornehmen, alles wird durch Gottes geheime Leitung zu dem von ihm gesetzten Ziel geführt. Wahrlich, wenn er nicht im Herzen der Menschen wirksam wäre, so wäre es falsch geredet, er verschließe den Wahrhaftigen den Mund, er nähme den Alten ihre Klugheit (Hes. 7,26), er nähme den Fürsten der Erde den Verstand, daß sie auf Abwegen daherirrten! (Ps. 107,40). Dahin gehört es auch, wenn wir so häufig lesen, die Menschen würden furchtsam, wenn sein Schrecken ihr Herz ergriffe (Lev. 26,36). So konnte David aus dem Lager Sauls unbemerkt entkommen, weil ein Schlaf vom Herrn auf alle Feinde gefallen war (1. Sam. 26,12). Klareres können wir aber gar nicht verlangen, als daß er so oft kundtut, er verblende des Menschen Geist (Jes. 29,14), er schlage ihn mit Wahn, er mache ihn trunken mit einem Geist des Schlafs (Jes. 29,10), gebe ihn in Torheit dahin (Röm. 1,28) und verhärte die Herzen (Ex. 4,21 und öfters). Auch das beziehen viele auf die „Zulassung“: Gott gebe die Verworfenen auf und ließe es zu, daß sie vom Satan verblendet würden. Aber der Geist drückt es doch deutlich so aus, nach Gottes gerechtem Urteil verfielen sie in Blindheit und Torheit (Röm. 1,20ff); jene Erklärung ist also durchaus verkehrt. Es heißt auch, er habe das Herz des Pharao verhärtet oder verstockt oder (in seiner Bosheit) versteift (Ex. 8,15). Einige suchen nun diesen Redeformen durch abgeschmackte Verdrehung einen anderen Sinn zu geben; sie berufen sich auf eine andere Stelle, wo von dem Pharao selbst gesagt wird, er habe sein Herz verstockt, und also sein eigener Wille als Ursache der Verhärtung angesehen wird (Ex. 8,11). Und dabei stimmen diese beiden Behauptungen tadellos zusammen, weil, freilich auf verschiedene Weise, der Mensch, wenn er von Gott getrieben wird, doch zugleich selbst handelt! Ich richte das, was sie einwenden, gegen sie selbst: denn wenn „verstocken“ (allgemein) eine bloße Zulassung“ bedeutet, so ist auch der Trieb zur Widerspenstigkeit nicht eigentlich in dem Pharao zu suchen! Wie töricht und unsinnig wäre es aber, die Sache so auszulegen, als ob der Pharao es bloß zugelassen hätte, verhärtet zu werden! Außerdem nimmt die Schrift derartigen Sophistereien jede Handhabe: „Ich will sein Herz verstocken“, spricht Gott! (Ex. 4,21). So sagt auch Mose von den Einwohnern des Landes Kanaan, sie seien in den Kampf gezogen, weil Gott ihr Herz verhärtet hätte! (Jos. 11,20). Auch ein anderer Prophet wiederholt es: „Er verkehrte ihr Herz, daß sie seinem Volke gram wurden“ (Ps. 105,25). Ebenso droht Gott bei Jesaja, er werde über das treulose Volk die Assyrer senden und ihnen auftragen, den Raub davonzutragen und die Beute auszuteilen (Jes. 10,6). Das bedeutet nicht, daß er etwa gottlose und halsstarrige Menschen lehren wollte, aus freien Stücken Gehorsam zu leisten; sondern es will sagen, daß er sie zwingen will, seine Urteile zu vollstrecken, gleich als wenn ihnen seine Befehle ins Herz gemeißelt wären! Daraus wird deutlich: sie wurden durch klare Bestimmung Gottes getrieben! Freilich handelt Gott in den Gottlosen oft derart, daß der Satan als Werkzeug mitwirken muß; aber doch so, daß dieser auf Gottes Antrieb hin das Seine tut und nur so weit kommt, wie es ihm gegeben ist! Ein böser Geist verwirrt den Saul; aber es heißt, daß er „von Gott“ gewesen sei (1. Sam. 16,14), damit wir wissen, die Raserei Sauls gehe aus Gottes gerechter Vergeltung hervor. Es heißt weiter, daß der Satan der Ungläubigen Sinn verblende (2. Kor. 4,4). Woher sollte das aber anders kommen, als daß von Gott selbst die Kraft des Irrtums herfließt, so daß die, welche sich weigern, der Wahrheit zu gehorchen, nun Lügen glauben? Im ersten Sinn (vgl. Zeile 29) heißt es: „Wenn ein Prophet etwas fälschlich redet, so habe ich, Gott, ihn getäuscht“ (Ez. 14,9; nicht Luthertext). Und im zweiten Sinne (vgl. Zeile 30) hören wir, er selbst gebe die Menschen dahin in ihren verkehrten Sinn und lasse sie dahingehen in ihren bösen Begierden (Röm. 1,28); denn er ist ja der eigentliche Urheber seiner gerechten Vergeltung, der Satan ist nur Diener! Aber wir müssen, wenn im zweiten Buche vom freien oder unfreien Willen des Menschen die Rede ist, auf diese Dinge zurückkommen, und ich glaube, hier in Kürze soviel auseinandergesetzt zu haben, wie das vorliegende Lehrstück (locus) erforderte. Die Hauptsache muß sein: heißt Gottes Wille die Ursache aller Dinge, so muß auch notwendig seine Vorsehung in allen Plänen und Taten der Menschen die Führung innehaben, so daß sie nicht nur in den Gläubigen ihre Kraft erweist, die vom Heiligen Geist regiert werden, sondern auch die Gottlosen in ihren Gehorsam zwingt.
Bisher habe ich nur ausgeführt, was uns die Schrift klar und unzweideutig lehrt. Wer sich also nicht scheut, den himmlischen Worten üble Schandmale aufzudrücken, der mag zusehen, was für ein Urteil er sich anmaßt! Gewiss: man stellt sich unwissend und möchte darüber gar noch für seine Bescheidenheit gelobt werden - aber was kann denn Hochmütigeres gedacht werden, als der Autorität Gottes ein Wörtlein entgegenzustellen? „Mir scheint es anders“ - „Das sollte man nicht berühren“! Will man aber (die Wahrheit) unverhohlen lästern, was hat man denn davon, wenn man den Himmel anspeit? Neu ist dieser freche Mutwille nicht eben; denn es gab zu allen Zeiten gottlose und gottferne Menschen, die gegen dies Stück der Lehre wie toll gekläfft haben. Aber sie müssen angesichts der Tatsachen die Wahrheit dessen zugeben, was einst der Geist durch den Mund Davids verkündete, nämlich daß Gott recht behalte, wenn er gerichtet werde (Ps. 51,6). Unausgesprochen straft hier David die Torheit der Menschen, die sich in der zügellosen Frechheit äußert, aus ihrem Schmutz heraus nicht nur mit Gott rechten zu wollen, sondern sich gar die Macht anzumaßen, ihn zu verdammen! Indessen deutet er kurz an, daß all die Lästerungen, die man gegen den Himmel ausspeit, Gott nicht erreichen und ihn nicht hindern, alle Wolken der Schmähungen zu durchbrechen und seine Gerechtigkeit hell hervorleuchten zu lassen. Unser Glaube aber überwindet, da er in Gottes heiligem Worte begründet ist, die Welt (1. Joh. 5,4) und schaut deshalb von seiner Höhe auf dergleichen Nebel herab!
Der erste Vorwurf lautet: wenn alles nur mit Willen Gottes geschähe, so gäbe es in ihm zweierlei entgegengesetzten Willen; denn er beschließe ja in seinem verborgenen Rat, was er in seinem Gesetz verboten habe! Das ist leicht zu widerlegen. Bevor ich aber antworte, möchte ich die Leser noch einmal daran erinnern, daß sich diese Sophisterei nicht eigentlich gegen mich, sondern gegen den Heiligen Geist richtet. Der hat doch gewiss dem heiligen Manne Hiob das Bekenntnis eingegeben: „Wie es Gott gefiel, so ist es geschehen!“ (Hiob 1,21; nicht Luthertext). Und das sagte er, als er von den Räubern ausgeplündert war und doch in ihrer Ungerechtigkeit und Übeltat Gottes gerechte Schläge anerkannte! Und was sagt die Schrift sonst? Die Söhne des Eli gehorchten ihrem Vater nicht, weil Gott sie töten wollte! (1. Sam. 2,25). Auch ruft ja ein anderer Prophet aus: „Unser Gott ist im Himmel, er kann schaffen, was er will“ (Ps. 115,3). Und ich habe doch schon deutlich genug gezeigt, daß Gott nach der Schrift der Urheber von all dem ist, was nach der Meinung dieser Kritiker bloß unter seiner müßigen Zulassung geschieht! Er bezeugt von sich, daß er Licht und Finsternis schafft, das Gute und das Böse macht (Jes. 45,7), daß kein Unheil geschehe, das er nicht tue (Amos 3,6). Nun soll man mir doch bloß sagen, ob er denn mit oder ohne Willen seine Gerichte vollstreckt! Mose lehrt doch, wer von ungefähr durch ein herabfallendes Beil ums Leben komme, der sei von Gott in die Hand des Totschlägers gegeben worden (Dtn. 19,5). Und ebenso spricht es die ganze Kirche bei Lukas aus, Herodes und Pilatus seien eins geworden, um das zu tun, was doch Gottes Hand und Ratschluss beschlossen hatte! (Apg. 4,28). Und wahrlich, wäre Christus nicht mit dem Willen Gottes gekreuzigt worden - woher sollte dann unsere Erlösung kommen? Aber deshalb streitet Gottes Wille nicht mit sich selbst, verändert sich auch nicht, stellt sich auch nicht, als ob er nicht wolle, was er doch will; nein, obwohl er an sich einer und derselbe ist, erscheint er uns doch vielfältig, weil wir in unserer Kurzsichtigkeit nicht begreifen können, wie er auf verschiedene Weise in der gleichen Sache einerseits will, daß etwas geschieht, und es doch anderseits nicht will! An der Stelle, wo Paulus davon spricht, die Berufung der Heiden sei ein verborgenes Geheimnis (Eph. 3,9), fügt er gleich hinzu, in ihr käme die „mannigfaltige“ (polypoikilos) Weisheit Gottes zum Vorschein! (Eph. 3,10). Sollen wir aber, weil uns infolge der Schwäche unseres Sehvermögens Gottes Weisheit vielfältig - oder auch, wie ein alter Ausleger übersetzt: „vielgestaltig“ - erscheint, etwa träumen, es bestehe in Gott selbst eine Verschiedenheit, als ob er also seinen Plan änderte oder mit sich selbst uneinig würde? Und wenn wir nicht fassen können, wie denn Gott wollen kann, daß etwas geschehe, das er doch zu tun verboten hat, so soll uns unsere Schwachheit ins Gedächtnis kommen, und wir sollen bedenken: das Licht, in dem er wohnt, wird nicht ohne Grund unzudringlich genannt; denn es ist von Dunkel eingehüllt! (1. Tim. 6,16). Deshalb werden alle frommen und demütigen Leute gern dem Ausspruch Augustins zustimmen: „Zuweilen will der Mensch in rechtem Wollen, was doch Gott nicht will; wie z.B. ein guter Sohn will, daß sein Vater lebe, Gott aber, daß er sterbe. Ebenso kann es vorkommen, daß ein Mensch in bösem Willen das will, was Gott in gutem Willen will, zum Beispiel wenn ein böser Sohn will, daß sein Vater sterbe, Gott aber dasselbe will. So will also jener, was Gott nicht will, dieser aber, was Gott will! Und dennoch stimmt die fromme Gesinnung des einen mehr zum Willen Gottes, obwohl sie also etwas anderes will - als die Unfrömmigkeit des anderen, obwohl sie dasselbe will wie Gott! So wichtig ist es, darauf zu achten, was der Mensch nach Gebühr wollen soll, und was anderseits Gottes gerechter Wille ist, auch was für ein Zweck über dem Willen jedes Menschen steht, nach welchem er anerkannt oder verworfen wird. Denn Gott, der da recht will, erfüllt seinen Willen durch den bösen Willen böser Menschen“ (Handbüchlein an Laurentius, 101). Kurz vorher führt er aus: die abgefallenen Engel und alle Verworfenen haben, was sie selbst betrifft, in ihrem Abfall getan, was Gott nicht wollte; aber der Allmacht Gottes gegenüber haben sie das gar nicht fertiggebracht; denn indem sie gegen Gottes Willen handeln, vollzieht sich an ihnen eben Gottes Wille! Und deshalb ruft er aus: „Groß sind die Werke Gottes, auserlesen in allem seinem Wollen (Ps. 111,2; Luthertext anders)! Denn es geschieht eben auf wundersame und unaussprechliche Weise nicht ohne seinen Willen, was doch gegen seinen Willen geschieht! Es würde ja gar nicht geschehen, wenn er es nicht erlaubte, auch erlaubt er es ja nicht ohne seinen Willen, sondern mit ihm, und anderseits würde er, der Gute, gar nichts Böses geschehen lassen, wenn er, der Allmächtige, nicht wiederum bei dem Bösen es wohl machen könnte!“ (Handbüchlein, 100).
Auf diese Weise löst sich, ja verschwindet auch der zweite Einwand. Man sagt: Wenn Gott nicht nur die Werke der Gottlosen benutzt, sondern gar ihre Pläne und ihre Gesinnung lenkt, so ist er ja der Urheber aller Schlechtigkeiten! Und so wäre es ja unrecht, daß man Menschen verdammt, wo sie doch nur durchführen, was Gott verordnet hat, da sie ja seinem Willen Gehorsam leisten! - Bei solcher Betrachtungsweise wird in verkehrter Weise der Wille Gottes mit seinem Gebot verwechselt; es ergibt sich aber aus unzähligen Beispielen, daß hier ein gewaltiger Unterschied zu machen ist. Obwohl nämlich Gott, als Absalom mit den Weibern seines Vaters Ehebruch trieb (2. Sam. 16,22), durch diese Untat den Ehebruch des David strafen wollte, „hieß“ er doch den ruchlosen Sohn nur in dem Sinne diese Blutschande begehen, als es den Vater betraf, so wie dieser auch Simeis Schmähungen auffasst. Denn wenn er gesteht, dieser (Simei) fluche auf Gottes „Geheiß“ (2. Sam. 16,10), so will er damit keineswegs dessen Gehorsam preisen, als ob dieser freche Hund (bewusst) Gottes Befehl gehorchte, sondern er erkennt seine Rede als Geißel Gottes an und läßt sich geduldig schlagen! So müssen wir festhalten: wenn Gott durch die Gottlosen ausführt, was er in seinem verborgenen Gericht bestimmt hat, so sind diese nicht entschuldbar, als ob sie seinem Gebot gehorchten - denn das verletzen sie ja mit aller Kraft, nach ihrem eigenen Gelüste!
Wie das, was Menschen in ihrer Verkehrtheit tun, doch von Gott kommt und von seinem verborgenen Ratschluss regiert wird, das zeigt als besonders deutliches Beispiel die Königswahl des Jerobeam (1. Kön. 12,20). Da wird einerseits die Unbesonnenheit und Torheit des Volkes verdammt, weil es die von Gott gesetzte Ordnung umstieß und vom Hause David treulos abfiel. Und doch wissen wir anderseits, daß Gott diese Salbung gewollt hat. Von da aus ergibt sich auch der Schein eines Widerspruchs bei Hosea; denn da erhebt Gott einerseits Klage, daß diese Königsherrschaft ohne sein Wissen und Wollen aufgerichtet worden sei (Hos. 8,4), und anderseits spricht er aus, er habe den König Jerobeam gegeben „ in seinem Zorn“ (Hos. 13,11). Wie soll das zusammenstimmen - Jerobeam soll ohne Gott König geworden und er soll doch von ihm eingesetzt worden sein? Auf folgende Weise: Das Volk konnte freilich von dem Hause David nicht abfallen, ohne das von Gott ihm auferlegte Joch abzuwerfen - aber dadurch war doch Gott selbst nicht die Freiheit genommen, die Undankbarkeit des Salomo so zu bestrafen! Wir sehen also, wie Gott, der Treulosigkeit nicht will, dennoch in gerechter Absicht zu einem anderen Zweck den Abfall will; so wird auch Jerobeam wider alles Erwarten durch heilige Salbung zur Herrscherwürde geführt! Auf solche Weise, sagt die heilige Geschichte, wurde von Gott ein Feind erweckt, der Salomos Sohn eines Teils der Herrschaft beraubte (1. Kön. 11,23). Da muß der Leser mit Aufmerksamkeit beides erwägen: Es hatte Gott Wohlgefallen, daß das Volk unter eines Königs Hand regiert werde; daß es nun in zwei Teile auseinander bricht, das geschieht gegen seinen Willen - und trotzdem nahm das Zerwürfnis in seinem Willen seinen Ursprung! Denn daß der Prophet dem nichts dergleichen ahnenden Jerobeam durch sein Wort und durch die in der Salbung liegende Anwartschaft die Hoffnung auf die Königswürde einflößte, das geschah gewiss weder ohne Wissen, noch ohne den Willen Gottes, der ja gerade befohlen hatte, es solle so geschehen. Und doch wird der Abfall des Volkes mit Recht verdammt, weil es sozusagen gegen den Willen Gottes vom Hause David sich abwandte! In diesem Sinne heißt es später: daß Rehabeam so hochmütig die Bitten des Volkes in den Wind geschlagen habe, das sei von Gott so geschehen, damit das Wort erfüllt würde, das er durch seinen Knecht Ahia gesprochen hatte! (1. Kön. 12,15). Man beachte: da wird wider den Willen Gottes die heilige Einheit zerrissen - und doch trennen sich aus dem gleichen Willen zehn Stämme vom Sohne Salomos! Dazu mag noch ein anderes, ähnliches Beispiel kommen: Da werden unter Zustimmung, ja unter Mitwirkung des Volkes die Söhne des Königs Ahab ermordet, und das ganze Geschlecht wird ausgerottet (2. Kön. 10,7). Mit Recht sagt Jehu, es sei keines der Worte Gottes zur Erde gefallen, sondern Gott habe getan, was er durch seinen Knecht Elia gesagt habe. Und doch straft er nicht ohne Anlass die Bürger von Samaria, daß sie dazu geholfen hätten: „Seid ihr gerecht? Wenn ich gegen meinen Herrn mich verschworen habe - wer hat diese dann alle getötet?“ (2. Kön. 10,9; nicht Luthertext). Ich habe schon oben, - wenn ich mich nicht täusche: deutlich - auseinandergesetzt, wie sich in dem gleichen Werk ebenso das Verbrechen des Menschen wie auch Gottes Gerechtigkeit zeigt. Und bescheidenen Lesern wird stets die Antwort des Augustin genügen: „Wenn der Vater den Sohn dahingab und Christus seinen Leib - und Judas den Herrn, wie kann dann in diesem vielfältigen „Dahingehen“ Gott gerecht und der Mensch schuldig sein, wenn nicht eben in der gleichen Sache, die sie taten, der Grund nicht ein einziger war, aus dem sie handelten!“ (Brief 93). Wir müssen also jetzt sagen: es gibt keine Gemeinsamkeit zwischen Gott und dem Menschen, wenn dieser auf Gottes gerechten Antrieb hin tut, was er nicht darf! Wer sich darin nicht finden kann, dem soll ein Ausspruch des gleichen Augustin zu Hilfe kommen: „Wer wird nicht vor jenen Gerichten erzittern, da Gott in dem Herzen der Bösen wirkt, was er will - und ihnen dann doch vergilt nach ihrem Verdienst!“ (Über die Gnade und den freien Willen 21,42). Und doch wäre es angesichts der Treulosigkeit des Judas ebenso verkehrt, die Schuld für seine ruchlose Tat Gott zuzuschieben, weil er doch selbst wollte, daß sein Sohn dahingegeben werde, und ihn doch selbst in den Tod dahingab - wie es anderseits unrecht wäre, nun dem Judas den Lobpreis für die Erlösung zuzusprechen! Deshalb ist es sehr richtig, wenn der nämliche Augustin an anderer Stelle daran mahnt, in dieser Untersuchung frage Gott nicht, was der Mensch gekonnt hätte, auch nicht, was er getan hätte, sondern, was er gewollt hätte, damit Plan und Wille zur Rechenschaft kämen! Wer das nun „hart“ findet, der soll doch ein wenig bedenken, ob solches Murren verzeihlich sei, wo er doch eine von klaren Schriftzeugnissen belegte Lehre verachtet, nur weil sie über seinen Verstand geht, und darüber zürnt, daß Dinge zur Verhandlung kommen, die Gott nie durch seine Propheten und Apostel hätte lehren lassen, wenn er nicht wüsste, daß sie nützlich zu wissen sind! Denn unsere Weisheit kann in nichts anderem bestehen als darin, daß wir mit demütiger Lernbegierde alles - und zwar ohne Ausnahme - annehmen, was in der Heiligen Schrift uns kundgemacht wird. Wer sich aber mit Frechheit brüstet, der kläfft ja offenkundig gegen Gott und ist einer längeren Widerlegung nicht wert.