Posts Tagged ‘Schöpfung’

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Zusammenfassung

  1. die Philosophen, unwissend über den Abfall des Menschen, verwechseln zwei sehr verschiedene Zustände des Menschen
  2. die menschliche Seele besteht aus zwei Vermögen
    1. Verstand: unterscheidet zwischen Gegenstände, um sie anzunehmen oder abzulehnen – handelt also wie ein Führer oder ein Herrscher der Seele
    2. Wille: wählt und folgt, was der Verstand als gut anerkennt und meidet, was er ablehnt – beachtet die Entscheidung des Verstandes und wartet auf eine Urteil des Verstandes nach seinen Begehren
  3. gleichwertige Ausdrücke: Philosophen unterscheiden zwischen Verstand und Sinnesneigungen, wir schliessen die Sinnesneigungen im Verstand ein. Wir ersetzen auch das Wort „Wille “ für den philosophischen Gebrauch des Wortes „Begehren“.

Text

Aber eben weil die Philosophen nichts von der Verderbnis der Natur wissen, wie sie aus der Strafe für den Abfall entsprungen ist, und weil sie auf diese Weise zwei sehr verschiedene Zustände („Stände“, status) des Menschen aufs verkehrteste durcheinan­derwerfen, deshalb müssen wir von dieser Lehrart ein wenig abweichen. So stellen wir also fest: in der Menschenseele sind zwei Vermögen (partes), die zu unserer jetzigen Lehraufgabe sehr wohl passen, nämlich Verstand und Wille (intellectus et voluntas). Als Aufgabe des Verstandes wollen wir ansehen: unter den Gegen­ständen zu unterscheiden, je nachdem ihnen Billigung oder Mißbilligung zuzukom­men scheint, als Aufgabe des Willens: das zu erwählen und dem nachzugehen, was der Verstand für gut erkannt hat, das zu verachten und dem aus dem Wege zu gehen, was er verworfen hat (so Platon im Phaidros). Dabei sollen uns die Kleinlich­keiten des Aristoteles nicht aufhalten, der meint, das Gemüt (Verstand, mens) habe an sich gar keine Bewegung, sondern das Bewegende sei das Wahlvermögen (electio), das er auch „begehrenden Verstand“ nennt. Um nicht bei überflüssigen Fragen zu verweilen, soll uns die Feststellung genügen, daß der Verstand sozusagen der Führer und Lenker der Seele ist, der Wille dagegen stets auf seinen Wink achtet und sein Urteil bei seinen Wünschen abwartet. In diesem Sinne lehrt der gleiche Aristoteles, im Begehren sei das Fliehen und Nachjagen etwas Ähnliches wie das Verneinen und Bejahen im Gemüt (in mente, Nik. Ethik, VI,2). Wie zuverlässig nun aber fer­ner diese Leitung des Verstandes über den Willen ist, das werden wir später sehen. Hier wollen wir nur feststellen, daß in der Seele keine Fähigkeit zu finden ist, die sich nicht mit Recht einer der beiden Grundvermögen (Verstand und Wille) zuordnen ließe. So ordnen wir auch die Sinnesneigungen (sensus) dem Verstande unter; an­dere machen da eine Unterscheidung und sagen, die Sinne neigten zum Vergnügen, während dagegen der Verstand dem Guten folgte, so daß also aus der Regung des Sinnes Begierde und Lust entstünde, aus der des Verstandes aber der Wille. Ander­seits verwende ich statt des Begriffs Begehrungsvermögen (appetitus), den jene vorziehen, lieber den Ausdruck „Wille“, weil er gebräuchlicher ist.

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Zusammenfassung

  1. von allen Philosophen kam nur Plato nahe an ein Verständnis des körperlosen Wesens der Seele
  2. Das Wesen der Seele in der Bibel
    1. körperloses Wesen
    2. wohnt im Körper als das belebende Prinzip wie in einem Haus
    3. die Suche des Menschen nach Gott ist der Beweis, dass er ein von Gott vernunftbegabtes Wesen ist
    4. Widersprüche in der Seele entstehen nicht, weil der Mensch von zwei Seelen bewohnt ist (wie manche Philosophen behaupten), sondern von der verderbten Natur des Menschen
  3. die Fähigkeiten der Seelen nach den Philosophen
    1. Themistius von Platon
    2. Aristoteles (Ethik): Aufteilung der Seele in begehrende (ohne Vernunft, aber ihr folgende) und verstehende Seele (durch sie beteiligt sich an der Vernunft)
      1. Sinnen
      2. Vernunft
      3. Begehren
    3. Drei Prinzipien der Handlung
    4. diese Ansichten, obwohl wahrscheinlich, sind zu verworren für unseren Zweck

Text

Es wäre töricht, eine Bestimmung des Wesens der Seele von den Philosophen zu entlehnen. Denn außer Platon hat sie fast keiner von ihnen wirklich als unsterb­liches Wesen (substantia immortalis) anerkannt. Zwar reden auch andere Sokratiker davon; aber keiner lehrt es deutlich, weil keiner recht davon überzeugt war! Platons Meinung ist deshalb die richtigere, weil er Gottes Ebenbild in der Seele er­kennt. Andere heften ihre Kräfte und Anlagen (potentiae et facultates) dermaßen an das gegenwärtige Leben, daß sie außer dem Körper schließlich nichts übriglassen.

Wir haben nun unserseits bereits gelehrt, daß die Seele unkörperlich ist. Nun ist zu beachten, daß sie zwar nicht in einem bestimmten Raum eingeschlossen, aber dennoch mit dem Körper verbunden ist und in ihm wie in einer Herberge wohnt. Nicht nur so, daß sie alle seine Teile belebt und seine Organe für ihre Wirksamkeit geschickt und brauchbar macht, sondern sie übt die Vorherrschaft in der Führung des Menschenlebens aus, und das nicht nur hinsichtlich der Pflichten des irdischen Lebens, sondern um den Menschen zugleich zur Verehrung Gottes zu reizen. Obwohl das letztere in der Verderbnis nicht deutlich zu bemerken ist, so bleiben doch die Spuren selbst den Lastern eingedrückt. Woher haben denn die Menschen die große Sorge um ihren guten Namen als aus Scham? Woher aber stammt wiederum die Scham an­ders als aus der Ehrfurcht vor dem, was recht ist? Und die kommt wieder aus der Erkenntnis, daß sie dazu geboren sind, die Gerechtigkeit hochzuhalten — worin der Keim der Religion eingeschloffen ist! Denn wie ohne allen Zweifel der Mensch zum Trachten nach dem himmlischen Leben (ad caelestis vitae meditationem) geschaffen wurde, so wurde ihm auch sicherlich eine Kenntnis davon mit eingepflanzt. Auch würde ja dem Menschen wahrlich der herrlichste Gebrauch des Verstandes (intelligentia) abgehen, wenn ihm die Seligkeit unbekannt wäre, deren Vollendung in der Vereinigung mit Gott besteht. Deshalb ist es auch die wichtigste Wirksamkeit der Seele, nach dieser Seligkeit zu trachten, und je mehr einer danach strebt, Gott näher zu kommen, desto mehr beweist er, daß er mit Vernunft begabt ist.

Manche meinen, der Mensch habe mehrere Seelen, eine empfindende und eine denkende. Aber obwohl sie scheinbar etwas der Wahrheit Nahestehendes vor­bringen, müssen wir doch ihre Meinung, weil ihre Gründe keine Beweiskraft haben, ablehnen, sofern wir uns nicht mit leichtfertigen und unnützen Dingen plagen wollen. So sagen sie, es sei ein großer Widerstreit zwischen den Regungen der Leibeswerkzeuge und dem vernünftigen Teil der Seele. Als ob nicht auch die Vernunft selber mit sich uneinig wäre und ihre Erwägungen und Beschlüsse wie feindliche Heere einander Schlachten lieferten! Aber diese Verworrenheit stammt doch aus der Ver­derbnis der Natur, und deshalb ist es verkehrt, daraus, daß die Anlagen nicht das gebotene Gleichmaß untereinander halten, gleich zu folgern, es gäbe (im Menschen) zwei Seelen.

Über diese Anlagen selbst feinsinnige Untersuchungen anzustellen, überlasse ich in­dessen den Philosophen; uns kann zur Auferbauung der Frömmigkeit eine einfache Beschreibung genügen. Was sie lehren, ist, das gebe ich zu, wahr und nicht bloß an­genehm zu erfahren, sondern notwendig zu wissen und von ihnen sehr geschickt zu­sammengebracht. Deshalb will ich keinen an ihrem Studium hindern, der danach be­gierig ist. Ich gebe also zunächst zu, daß es fünf Sinne gibt, die Platon übrigens Organe zu nennen vorzieht. Sie führen dem allgemeinen Empfinden (sensus communis) wie einem Behältnis alle Gegenstände zu (Platon, Theaetet). Dann folgt die Phantasie (phantasia): sie beurteilt das vom allgemeinen Empfinden Erfaßte. Danach kommt die Vernunft (ratio), der das allgemeine Urteil zusteht. Und endlich das Ge­müt (mens): es betrachtet mit festem und ruhigem Blick, was die Vernunft im Fluge zu durchfliegen pflegt. Ebenso entsprechen dem Gemüt, der Vernunft und der Phantasie als den drei erkennenden Fähigkeiten der Seele auch wiederum drei begehrende Fähigkeiten: der Wille, welcher begehrt, was Gemüt und Vernunft ihm darbieten; die Zürnkraft, welche an sich reißt, was Vernunft und Phan­tasie darreichen, und die Begehrkraft, welche annimmt, was ihr Phantasie und Sinne zuwerfen. Um diese Dinge sollte man sich nach meiner Meinung nicht gar zu sehr kümmern — wie wahr oder zum mindesten wahrscheinlich sie auch sein mö­gen. Ich fürchte nämlich, daß sie durch ihre Dunkelheit ohnehin mehr Verwirrung als Nutzen stiften könnten. Mancher möchte wohl die Anlagen der Seele anders ein­teilen: in eine begehrende Anlage, die, zwar selbst ohne Vernunft, doch der Vernunft und deren Leitung gehorsam ist, und eine verstehende, die selbst der Vernunft teil­haftig wäre (so Aristoteles, Nik. Ethik, I,13). Ich erhebe dagegen keinen wesent­lichen Einspruch. Auch würde ich nicht die Annahme von drei Grundkräften, nämlich Sinnen, Vernunft und Begehren, verwerfen (Aristoteles, Nik. Ethik, VI,2).

Aber wir wollen lieber eine Einteilung wählen, die jeder begreifen kann — die kann man freilich von den Philosophen sicherlich nicht entlehnen! Denn wenn diese ganz schlicht reden wollen, so teilen sie die Seele in Begehren und Denken ein und teilen dann wieder jedes in zwei Stücke. Den Verstand nennen sie einerseits „beschau­lich“ (contemplativus), sofern er, mit der Erkenntnis allein zufrieden, gar keinen Antrieb zum Handeln empfindet (Themistius, De anima …) — was wieder Cicero mit dem Begriff „Selbstgeist“ (ingenium) meint ausdrücken zu können. Andererseits nennt man ihn auch „praktisch“ (practicus), sofern er nämlich vermöge der Erkennt­nis des Guten und Bösen den Willen in verschiedener Weise anregt. Darunter ge­hört auch das Wissen um die gute und rechte Lebensführung. Das Begehren aber teilt man in Willen und Begierde (voluntas et concupiscentia) ein. Dabei redet man vom Willen (bulesis), sofern der Trieb (den sie „horme“ nennen) der Ver­nunft gehorcht, von der leidenschaftlichen Begierde (pathos) dagegen, wo der Trieb das Joch der Vernunft abschüttelt und ungebändigt ausbricht. In allen Fällen nimmt man also im Menschen die Vernunft als das an, wodurch er sich selbst recht regieren könnte!

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Zusammenfassung

  1. Servet belebte die abwegige manichäische Vorstellung wieder, dass die Seele des Menschen ein Teil der Gottheit sei; dies ist abzulehnen durch die Tatsache der sündhaften menschlichen Natur und durch die Einheit des Wesens Gottes
  2. Osiander glaubte, dass das Ebenbild Gottes im Menschen in der Gegenwart Gottes wesentlicher Gerechtigkeit bestand, dies ist auch blosser Manichäismus
  3. Paulus lehrte, dass die Seele des Menschen nicht in seinem Wesen Gott ähnlich sei, sondern durch die Kraft des Heiligen Geistes.

Text

Bevor ich weitergehe, muß ich aber noch gegen den Wahnwitz der Manichäer angehen, den heutzutage Servet wieder zu erneuern versucht hat. Wenn es da heißt, Gott habe dem Menschen einen lebendigen Odem in seine Nase gehaucht (Gen. 2,7), so meinten sie, die Seele sei ein Ausfluß des Grundwesens Gottes, als ob also ein Teil der unermeßlichen Gottheit auf den Menschen übergegangen sei! Es läßt sich nun aber leicht darlegen, was für grobe und schändliche Widersinnigkeiten dieser teuflische Irrtum mit sich bringt. Denn wenn die Seele des Menschen ein Ausfluß aus Gottes Wesen ist, so folgt, daß Gottes Natur der Veränderlichkeit und gar der Leidenschaft unterworfen ist, ja sogar der Unwissenheit, niedrigen Begierden, der Schwäche und allen Lastern! Denn es ist doch nichts unbeständiger als der Mensch, weil die widerstrebenden Regungen seine Seele hin und her bewegen und in der ver­schiedensten Weise auseinanderzerren. Oft täuscht ihn Unwissenheit, selbst den ge­ringsten Anfechtungen unterliegt er, ja wir wissen, daß die Seele selbst ein Sumpf und eine Herberge alles Schmutzes ist. Und das alles müßte man der Natur Gottes zuschreiben, wenn man annehmen wollte, die Seele stamme aus Gottes Wesen oder sei ein verborgener Ausfluß der Gottheit! Wer sollte sich bei einer solchen Un­geheuerlichkeit nicht entsetzen! Zwar sagt uns Paulus mit Recht nach Aratus, wir seien „seines Geschlechts“ (Apg. 17,28). Aber doch nicht etwa im Wesen, sondern nach der Beschaffenheit — eben sofern uns Gott mit göttlichen Gaben geziert hat! Auch ist es ja ausbündiger Unsinn, des Schöpfers Wesen zu zerstückeln, daß jeder ei­nen Teil besitze! Es muß also festgestellt werden: obwohl Gottes Ebenbild der Seele eingeprägt ist, so ist sie doch geschaffen, ebenso wie die Engel. Schöpfung aber ist nicht Ausfluß (göttlichen Wesens), sondern Anfang eines Wesens aus dem Nichts. Auch wenn der Geist von Gott gegeben ist und, nachdem er aus dem Fleische ausge­wandert, zu ihm zurückkehrt, so kann man doch keineswegs gleich sagen, er sei aus Gottes Grundwesen (substantia) entnommen. Auch in diesem Stück ist Osiander über all seinen Träumereien auf den gottlosen Irrtum verfallen, Gottes Ebenbild im Menschen nicht ohne die wesenhafte Gerechtigkeit (sine essentiali justitia) anzuerkennen, — als ob uns Gott in der unermeßlichen Kraft seines Geistes nur dann sich gleichförmig machen könnte, wenn Christus wesenhaft in uns überginge! Mögen nun einige Leute dieses Blendwerk auch noch so schon färben, — sie werden doch die Augen verständiger Leser nie so verblenden, daß sie etwa den manichäischen Irrtum nicht herausmerkten. Auch wo Paulus von der Erneuerung des Ebenbildes redet, da zeigen seine Worte deutlich, daß der Mensch nicht durch Überfließen des Grundwe­sens (der „Substanz“), sondern durch die Gnade und Kraft des Geistes Gott gleichgestaltet wird. Denn er sagt, daß wir, indem wir Christi Herrlichkeit anschauen, gleichwie vom Geiste des Herrn in dasselbe Bild verwandelt werden (2. Kor. 3,18). Und dieser Geist wirkt gewiß so in uns, daß er uns nicht etwa mit Gott gleichen Wesens macht!

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Zusammenfassung

  1. eine vollständige Definition des „Ebenbildes“ sollte in den spezifisch menschlichen Fähigkeiten gesucht werden, und besonders in denen, die durch Christus im Menschen wiederhergestellt worden sind.
    1. Durch Adams Abfall wurde Gottes Ebenbild nicht völlig zerstört, sondern schrecklich entstellt.
    2. daher kehren wir zu dem in Christus erneuerten Menschen
  2. Aspekte dieser Erneuerung nach Paulus
    1. Erkenntnis
    2. rechtschaffende Gerechtigkeit und Heiligkeit
  3. Gottes Ebenbild bestand in der Vollkommenheit der menschlichen Natur, die vor dem Fall in Adam strahlte, wurde jedoch später so verdorben und fast ausgelöscht, dass nichts mehr seit dem Verderben bleibt, ausser dem, was verwirrt, verstümmelt oder krank ist. Daher erscheint es teilweise in den Erwählten, insofern sie im Geist wiedergeboren wurden; die vollkommene Pracht wird aber erst im Himmel wiederhergestellt.
  4. um Teile dieses Ebenbildes zu erkennen, müssen wir die Fähigkeiten der Seelen besprechen.

Text

Indessen scheint mir die Beschreibung des Ebenbildes doch noch unvoll­kommen zu sein, wenn nicht noch klarer hervortritt, was das denn für Anlagen sind, durch die der Mensch sich auszeichnet und in denen man einen Spiegel der Herrlichkeit Gottes erkennen muß. Das kann man aber am besten aus der Wieder­herstellung der verderbten Natur erkennen. Denn Adam ist unzweifelhaft mit seinem Abfall von Gott entfremdet worden. Selbst wenn wir also zugeben, das Ebenbild Gottes sei in ihm nicht ganz erloschen oder zerstört worden, so war es doch derart verderbt, daß alles etwa übrigbleibende nur grausige Entstellung war! wenn wir also das Heil wiedergewinnen, so beginnt das mit der Erneuerung, die wir durch Christus empfangen, der ja auch aus dem Grunde der zweite Adam heißt, weil er uns zu wahrer und bleibender Unschuld zurückbringt. Freilich stellt Paulus den lebendigmachenden Geist, den Christus den Gläubigen zuteil werden läßt, der „lebendigen Seele“ gegenüber, zu welcher Adam geschaffen wurde (1. Kor. 15,45). Er zeigt damit, daß in der Wiedergeburt ein reicheres Maß der Gnade liegt; aber er hebt damit doch nicht den zweiten Hauptpunkt auf, nämlich daß der Zweck der Wiedergeburt darin besteht, daß uns Christus zum Ebenbild Gottes er­neuere. Deshalb spricht er an anderer Stelle auch aus, der neue Mensch werde ge­mäß dem Ebenbilde dessen erneuert, der ihn geschaffen hat (Kol. 3,10). Dem ent­spricht auch die Forderung: „Ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist“ (Eph. 4,24). Jetzt wollen wir zusehen, was Paulus vornehmlich unter dieser Erneuerung versteht.

An erster Stelle nennt er die Erkenntnis, an zweiter die rechtschaffene Gerechtigkeit und Heiligkeit. Daraus ergibt sich nun, daß im Anfang das Ebenbild Gottes in der Erleuchtung des Geistes, in der Aufrichtigkeit des Her­zens und in der Vollkommenheit des ganzen Menschen zu erblicken war. Dabei gebe ich zu, daß Paulus hier andeutend redet; aber der Grundsatz kann doch nicht umge­stoßen werden: was in der Erneuerung des Ebenbildes Gottes an erster Stelle steht, das muß auch in der Schöpfung selbst das wesentlichste gewesen sein. Dahin gehört auch der Satz: „Nun aber spiegelt sich in uns allen des Herrn Klarheit mit aufge­decktem Angesicht, und wir werden verklärt in dasselbe Bild …“ (2. Kor. 3,18). Daraus können wir sehen: Christus ist das vollkommenste Ebenbild Gottes, ihm sollen wir gleichgestaltet und dadurch derart erneuert werden, daß wir in wahrer Frömmigkeit, Gerechtigkeit, Reinheit und Erkenntnis das Ebenbild Gottes tragen. Stellt man das fest, so ist es mit jener Phantasterei des Osiander vom Urbild des Leibes von selbst vorbei. Die Stelle bei Paulus aber, in welcher allein der Mann Ebenbild und Abglanz Gottes heißt und die Frau von dieser Würde und Ehre ausge­schlofssen wird (1. Kor. 11,7), bezieht sich nach dem Zusammenhang offenbar auf die bürgerliche Ordnung (ad ordinem politicum). Daß nun unter dem Ebenbilde, das wir erwähnten, alles zu begreifen ist, was sich auf das geistliche, ewige Leben bezieht, das glaube ich ausreichend gezeigt zu haben. Auch Johannes bezeugt es mit anderen Worten, wenn er sagt, das Leben, das im Anfang im ewigen Worte war, sei das Licht der Menschen gewesen (Joh. 1,4). Denn er hat die Absicht, die einzigartige Gnade Gottes zu rühmen, die den Menschen gegenüber allen sonstigen Lebewesen auszeichnet, und ihn so von allem Gemeinen abzusondern, weil er ja nicht bloß das gewöhnliche Leben erlangt hat, sondern noch dazu das Licht der Erkenntnis; und da­mit zeigt er zugleich, wieso denn der Mensch zum Ebenbilde Gottes geschaffen wor­den ist. Das Ebenbild Gottes ist also die ursprünglich hervorragende Stellung der menschlichen Natur, die in Adam vor dem Fall hell erstrahlte, danach aber derart verderbt, ja schier zerstört worden ist, daß aus dem Untergang nur noch Verworrenes, Verstümmeltes und Beflecktes übriggeblieben ist. Eben dieses Ebenbild wird jetzt in den Erwählten, sofern sie aus dem Geiste wiedergeboren sind, teilweise wieder sichtbar, seinen vollen Glanz aber wird es im Himmel bekommen!

Um recht zu erfahren, in welchen Stücken dies Ebenbild Gottes besteht, müssen wir von den Fähigkeiten der Seele reden. Denn Augustins gedankenspielerische Mei­nung, die Seele sei ein Spiegel der Dreieinigkeit, weil in ihr Verstand, Wille und Gedächtnis wohnten, ist ohne Bestand (Von der Dreieinigkeit, Buch 10; Vom Gottes­staat, Buch 11). Ebensowenig Zustimmung kann die Meinung finden, das Bild Gottes bestehe in der dem Menschen übertragenen Herrschergewalt, als ob nur dies Merk­mal eine Ähnlichkeit mit Gott enthalte, daß der Mensch zum Erben und Besitzer aller Dinge eingesetzt ist. Denn Gottes Bild muß doch in und bei, nicht aber außer dem Menschen gesucht werden, ja, es ist ein innerlicher Schatz der Seele.

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Zusammenfassung

  1. abgesehen vom äusserlichen und leiblichen Beweis (aufrechter Gang zum Beispiel) oder die menschliche Andersartigkeit hinsichtlich der Tiere und die Ähnlichkeit mit Gott haben wir einen noch zwingenderen Beweis, dass der Mensch in Gottes Ebenbilde erschaffen wurde, das ist seine geistige Natur
  2. Andreas Osiander’s Behauptung, dass wir Gott in Seele und Körper ähnlich sind, ist absurd
  3. der Frage des Ebenbild/Ähnlichkeit
    1. es gibt keinen Unterschied zwischen diesen beiden Wörter, wie es doch manche Übersetzer behaupten, es gibt eher Parallelen im Hebräischen
    2. der Mensch wird hinsichtlich seiner Seele Gottes Ebenbild genannt, obwohl diese Ähnlichkeit mit Gott seine ganze Überlegenheit über andere Geschöpfe mit einschliesst.
    3. Ebenbild/Ähnlichkeit drückt die Reinheit aus, mit der Adam am Anfang erschaffen wurde
      1. rechte Vernunft
      2. Neigungen, die der Vernunft entsprechen
      3. alle Empfindungen waren aufs beste geordnet
      4. alle Gaben wurde als Gaben Gottes erkannt
  4. obwohl der Sitz des göttlichen Ebenbildes hauptsächlich im Verstand und im Herzen liegt, oder in der Seele mit seinen Kräften, trotzdem gibt es keinen Teil des Menschen, nicht einmal seinen Körper, in dem nicht ein Funke der Herrlichkeit Gottes scheint

Text

Ein zuverlässiger Beweis für diese Wahrheit liegt auch darin, daß es vom Menschen heißt, er sei nachdem Ebenbilde Gottes geschaffen (Gen. 1,27). Nun strahlt gewiß auch am äußeren Menschen Gottes Herrlichkeit hervor; aber der eigentliche Sitz jenes Ebenbildes liegt doch zweifellos in der Seele. Ich leugne ge­wiß nicht, daß uns die äußere Gestalt, die uns von den Tieren unterscheidet und trennt, zugleich auch mit Gott verbindet. Auch will ich mich nicht ereifern, wenn jemand zum Ebenbild Gottes auch dies rechnet, daß, während die übrigen Lebe­wesen mit gesenktem Haupte zur Erde blicken, „hohes Antlitz dem Menschen verliehn ward, den Himmel zu schauen und zu den Sternen hinauf erhobene Blicke zu senden“ (Ovid). Nur muß das fest bestehen bleiben: das Bild Gottes, das an solch äußeren Merkmalen sichtbar hervorschimmert, ist geistlich. Osiander nämlich — der nach Ausweis seiner Schriften auf verkehrte Weise klug war — bezieht das Ebenbild Gottes so gut auf den Leib wie auf die Seele und wirft so Himmel und Erde durcheinander. Er sagt, Vater, Sohn und Heiliger Geist stellten im Menschen ihr Ebenbild dar; denn Christus wäre auch Mensch geworden, wenn Adam nicht ge­sündigt hätte. So wäre denn der Leib, den Christus einst annehmen sollte, das Vor- und Urbild für die leibliche Gestalt gewesen, die damals (in der Erschaffung des Menschen) gebildet wurde! Aber wo will Osiander finden, daß Christus (der doch Mensch gewordene!) auch das Ebenbild des Geistes sei? Gewißlich leuchtet in der Person des Mittlers die Herrlichkeit der ganzen Gottheit — aber wie sollte das ewige Wort zugleich Ebenbild des Geistes genannt werden können, dem es doch in der (trinitarischen) Ordnung vorangeht? Zudem wird ja die Unterscheidung zwischen Sohn und Geist aufgehoben, wenn Osiander den Sohn das Bild des Geistes nennt! Auch möchte ich dann gerne von Osiander wissen, wieso denn eigentlich Christus im Fleische, das er annahm, dem Geiste ähnlich sei, und mit was für Merkmalen oder Andeutungen er die Ähnlichkeit mit ihm beweise. Aber auch das: „Lasset uns Men­schen machen“ (Gen. 1,26) ist ja auch ein solcher des Sohnes — und nach Osiander müßte dieser dann sein eigenes Ebenbild sein, was aller Vernunft zuwider wäre! Dazu kommt, daß — wenn man die Phantasien des Osiander übernehmen wollte! — der Mensch nur nach dem Urbild und Vorbild des Menschen Christus geschaffen worden wäre; und so wäre denn Christus, sofern er das Fleisch annehmen sollte, das Urbild, aus welchem Adam genommen wurde. Die Schrift aber lehrt ganz an­ders: sie sagt, er sei zu Gottes Ebenbild erschaffen worden! Andere verstehen die Sache so: Adam sei zum Ebenbilde Gottes geschaffen worden, weil er Christus, der das einzige Ebenbild Gottes ist, gleichförmig war. Diese spitzfindige Redeweise hat mehr Farbe; aber auch in ihr steckt nichts Ordentliches.

Weiter herrscht eine erhebliche Uneinigkeit über die Begriffe „Ebenbild“ (imago) und „Gleichnis, Ähnlichkeit“ (similitudo). Die Ausleger suchen nämlich zwischen beiden Ausdrücken einen Unterschied, der gar nicht da ist. Einzig ist „Gleichnis“ zur näheren Erläuterung von „Ebenbild“ gesetzt. Erstlich wissen wir doch, daß bei den Hebräern Wiederholungen üblich sind, die doch nur dasselbe zweimal sagen. Und zweitens ist auch in der Sache selbst keinerlei Zweideutigkeit: der Mensch heißt Gottes „Ebenbild“, weil er eben Gott „ähnlich“ ist! Da­her machen sich die Leute lächerlich, die betreffs dieser Namen eine spitzfindige Philosophie entwickeln. Die einen meinen, das Wort „Zelem“ (also Ebenbild, imago) beziehe sich auf das Grundwesen der Seele, während „Demuth“ (d.h. Gleichnis, Ähnlichkeit, similitudo) die Eigenschaften betreffe. Andere versuchen den Unterschied wieder anders zu beschreiben. Die Sache ist doch so: Gott hat be­schlossen, den Menschen „nach seinem Ebenbilde“ zu schaffen; dieser Ausdruck ist vielleicht etwas schwerverständlich; so wiederholt er: „zum Gleichnis, zur Ähn­lichkeit“, als wollte er sagen: ich will einen Menschen machen, der mich wie in einem Ebenbilde darstellt, und zwar vermöge der ihm eingeprägten Merkmale der Ähnlichkeit! Deshalb setzt auch Mose, da er dieselbe Sache noch einmal erwähnt (Gen. 1,27), zweimal „Ebenbild Gottes“, ohne wieder „Ähnlichkeit“ zu brauchen! Ganz abgeschmackt ist es aber, wenn Osiander behauptet, es heiße hier nicht etwa bloß ein Teil des Menschen, etwa die Seele mit ihren Fähigkeiten, Ebenbild Gottes, sondern der ganze Adam, der doch seinen Namen von der Erde empfing, aus der er genommen war! Jeder verständige Leser wird mit mir urteilen, daß dies eben abgeschmackt ist! Denn wenn auch der ganze Mensch sterblich genannt wird, so ist deshalb die Seele doch nicht dem Tode unterworfen, und wenn anderseits der ganze Mensch ein vernünftiges Wesen heißt, so bezieht sich Vernunft und verstand doch nicht auch auf seinen Körper! Obgleich also der Mensch nicht die Seele ist, so ist es doch nicht widersinnig, wenn er um seiner Seele willen Ebenbild Gottes genannt wird — wobei ich freilich an dem oben entwickelten Grundsatz festhalte, daß sich Gottes Bild auf die ganze Vorzugsstellung erstreckt, welche die Natur des Menschen gegenüber allen anderen Arten von Lebewesen genießt. Deshalb bezieht sich also die­ser Ausdruck (Ebenbild) auf die ursprüngliche Reinheit, die Adam besaß, als sein Verstand völlig richtig war, seine Neigungen der Vernunft entsprachen, alle seine Empfindungen aufs beste geordnet waren und er tatsächlich in seinen ausgezeichneten Gaben die Herrlichkeit seines Schöpfers hervortreten ließ! Aber so gewiß der Sitz des göttlichen Ebenbildes vornehmlich in Gemüt und Herz, in der Seele und ihren Anlagen sich befand, so wenig gab es irgend etwas an ihm, einschließlich des Kör­pers, in dem nicht gewisse Fünklein davon aufgeleuchtet wären. Es treten ja sicher­lich in allen Teilen der Welt gewisse Andeutungen der Herrlichkeit Gottes hervor: wenn nun aber Gottes Ebenbild im Menschen dargestellt ist, so liegt darin offen­kundig ein stillschweigender Unterschied beschlossen, der den Menschen über alle an­dere Kreatur hinaushebt und sozusagen von deren großer Masse trennt. Nun ist ge­wiß auch nicht zu leugnen, daß die Engel zu Gottes Bild geschaffen sind; denn nach Christi Zeugnis besteht ja unsere höchste Vollkommenheit darin, ihnen gleich zu werden (Matth. 22,30). Aber Mose hat doch recht, wenn er an dieser besonderen Auszeichnung Gottes Gnade gegen uns besonders preist, zumal da er ja bloß die sicht­baren Geschöpfe mit dem Menschen vergleicht.

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