Posts Tagged ‘Freier Wille’

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Nun leugnen die Philosophen zwar nicht — die Erfahrung überführt sie ja all­zu kräftig! —, wieviel Schwierigkeiten es dem Menschen macht, in sich der Vernunft eine Herrschaft aufzurichten: bald lockt ihn die Versuchung zum Vergnügen, bald narrt ihn falscher Schein des Guten, bald wird er machtlos von ungezügelten Trie­ben überrannt und wie mit Stricken oder Fäden, wie Platon sagt, hin- und hergezerrt. (Gesetze, Buch I). Ebenso behauptet Cicero, jene von der Natur uns gegebenen Fünkchen würden durch böse Ansichten oder schlechte Sitten gar bald ausgelöscht. (Tusc. III). Haben aber einmal dergleichen Krankheiten im Menschengeiste Raum gewonnen, so breiten sie sich nach dem eigenen Zugeständnis der Philosophen zu kräftig aus, um etwa leicht gebändigt werden zu können. Ja, man vergleicht sie ohne Scheu mit wilden Pferden, die alle Vernunft fahren lassen, den Rosselenker abwer­fen und sich nun ungezügelt und ohne Maß ihrer Wildheit hingeben.

Aber das ist doch für die Philosophen ganz außer allem Streit, daß Tugend und Laster in unserer Gewalt stünden. Denn — so sagen sie — wenn es in unserer freien Wahl steht, dies oder jenes zu tun, dann muß es auch in unserer Wahl ste­hen, es nicht zu tun! Umgekehrt: Steht das Nichttun in unserer Hand, so auch

das Tun! Wir tun aber nach dem Augenschein das, was wir tun, aus freier Wahl, und ebenso unterlassen wir auch das, was wir unterlassen, aus freier Wahl. Wenn wir also, wo es uns gut dünkt, etwas Gutes tun, so können wir es auch lassen; stellen wir etwas Böses an, so können wir es auch meiden! (z.B. Aristoteles, Nik. Eth. III,7). Einige von den Philosophen sind in ihrer Verwegenheit soweit gegangen, zu behaupten, es sei zwar der Götter Geschenk, daß wir lebten, aber unsere Sache, daß wir gut und heilig lebten! (Seneca). Daher stammt auch das Wort, das Cicero den Cotta sprechen läßt: jeder erwürbe sich seine Tugend selber, und des­halb habe noch nie ein weiser Mann dafür Gott gedankt. „Um der Tugend willen“, sagt er, „werden wir gelobt, und um ihretwillen rühmen wir uns. Das würde aber gar nicht geschehen, wenn sie ein Geschenk Gottes wäre und nicht von uns käme!“ Und kurz darauf: „Es ist ein allgemein menschliches Urteil: Von den Göttern soll man Glück erbitten, aber die Weisheit muß man von sich selber nehmen!“ (Cicero, Von der Natur der Götter III). Der Hauptinhalt der Meinung aller Philosophen ist es: die Vernunft des menschlichen Verstandes reicht aus, um eine rechte Leitung zu gewährleisten; der Wille untersteht der Vernunft, er wird zwar von der Sinn­lichkeit zum Bösen gereizt, aber er hat ja die freie Wahl und kann deshalb nie verhindert werden, in allen Dingen der Vernunft als Führerin zu folgen.

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 Nun haben wir oben gesagt, die Kräfte der Seele bestünden in „Gemüt“ (Ver­stand, Erkenntnisvermögen) und Herz (Willen). Jetzt wollen wir überlegen, was nun diese beiden ausrichten können. Die Philosophen sind sich nun völlig einig in der Meinung, im Gemüt habe die Vernunft ihren Sitz, und diese leuchte wie eine Fackel allen Entschlüssen voran und lenke den Willen wie eine Königin. Denn die Vernunft sei derart von göttlichem Lichte erfüllt, daß sie am besten zu raten, und von so hervorragender Kraft, daß sie am besten zu befehlen vermöge. Die Sinnlichkeit (sensus) sei dagegen mit Faulheit und Blindheit behaftet, daß sie allezeit am Boden krieche und sich mit groben Dingen abgebe, sich aber niemals zu wahrer Einsicht zu erheben vermöchte. Die Begehrkraft werde, wenn sie tatsächlich der Vernunft Gehorsam leiste und sich nicht etwa von der Sinnlichkeit unterjochen lasse, zum Trachten nach der Tugend geführt, sie gehe dann auf dem rechten Wege und werde in eigentlichen Willen umgebildet. Begebe sie sich indessen in die Knechtschaft der Sinnlichkeit, so werde sie von ihr verderbt und zerrüttet und entarte zur bloßen Lust. Nun haben nach ihrer Meinung jene Seelenkräfte, die ich oben genannt habe, nämlich Verstand, Sinnlich­keit und Begehrkraft oder Wille — ein Begriff, der schon durch häufigere Verwen­dung in Gebrauch gekommen ist —, im Menschen zusammen ihren Sitz. Und so be­haupten sie, das Erkenntnisvermögen sei eben (ohnehin) mit Vernunft begabt, und diese sei die beste Führerin zu gutem und glücklichem Leben; nur müsse das Erkennt­nisvermögen sich in dieser bevorzugten Stellung behaupten und die Kraft wirksam sein lassen, die ihm von Natur angeboren sei. Seine niedrigere Regung, nämlich die sogenannte Sinnlichkeit, die es zu Irrtum und Trugbildern verleite, sei immerhin fähig, durch den Stab der Vernunft gezähmt und allmählich gebändigt zu werden. Den Willen stellen sie nun in die Mitte zwischen Vernunft und Sinnlichkeit, also so, daß er seines Eigenrechts und seiner Freiheit mächtig wäre, um entweder der Vernunft zu gehorchen oder sich der Sinnlichkeit preiszugeben, ganz nach seinem Gutdünken!

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  1. die Gefahren des Stolzes und dreisten Selbstvertrauens
  2. man muss Gott in Demut ehren

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Wir haben gesehen, wie die Herrschaft der Sünde, seitdem sie einmal den ersten Menschen in ihre Gewalt gebracht hat, nun nicht bloß in seiner ganzen Nachkommen­schaft regiert, sondern auch jede einzelne Seele fest in ihren Besitz genommen hat. Jetzt müssen wir nun genauer nachprüfen, ob wir denn, seitdem wir einmal dieser Knechtschaft unterworfen sind, allen freien Willen verloren haben, und wie weit, wenn noch ein weniges davon bestehen geblieben ist, dessen Kraft reicht. Aber damit uns die Wahrheit in dieser Frage um so leichter deutlich werde, will ich zuvor mit wenigen Worten den Grundgesichtspunkt feststellen, nach dem sich alles auszurichten hat. Denn wir können uns dann am besten vor jedem Irrtum hüten, wenn wir die von beiden Seiten drohenden Gefahren beachten. Denn (1) macht der Mensch aus der Einsicht, daß er keinerlei Rechtschaffenheit (rectitudo) mehr besitze, sofort eine gute Gelegenheit zur Bequemlichkeit; und weil man von ihm sagt, das Trachten nach der Gerechtigkeit hätte an sich gar keinen Wert, so läßt er es ganz und gar, als ob er ja nun nichts mehr damit zu tun hätte, auf sich beruhen! Und anderseits kann ihm (2) auch nicht das Geringste zugesprochen werden, ohne daß Gott die Ehre geraubt und der Mensch von vermessenem Selbstvertrauen zu Fall gebracht wird! Diese beiden Abgründe erwähnt auch Augustin (Brief 215 und Erkl. zu Joh. 12). Um diese Klippen zu vermeiden, ist folgender Weg einzuschlagen. Einerseits soll der Mensch wissen, daß bei ihm und in ihm nichts Gutes übriggeblieben ist; er ist von allen Seiten von kläglicher Not umgeben. Aber dann soll er trotzdem ge­lehrt werden, nach dem Guten, das ihm fehlt, und nach der Freiheit, deren er be­raubt ist, sich auszustrecken. So soll er aus aller Faulheit herausgerissen werden, und zwar kräftiger, als wenn man ihm einredete, er sei mit der höchsten Kraft zum Guten (virtus) ausgerüstet. Wie notwendig dies Zweite ist, wird jedermann ein­sehen. Indessen sehe ich, daß über das Erste mehr Zweifel herrscht, als gut wäre. Denn wenn es einerseits außer allem Streit steht, daß man dem Menschen nicht ab­streiten soll, was ihm gehört, so ist es doch andererseits sonnenklar, wie viel daran liegt, ihn allem falschen Selbstruhm zu entreißen. Denn es war ja dem Menschen selbst da nicht verstattet, sich in sich selber zu rühmen, als er durch Gottes Freund­lichkeit mit höchster Zier ausgezeichnet war. Wie muß er sich dann aber jetzt demüti­gen, wo er um seiner Undankbarkeit willen vom höchsten Ruhm zur äußersten Schande herabgestürzt ist! Für die Zeit, in der er zur höchsten Herrlichkeit erhoben war, schrieb ihm die Schrift nichts anderes zu, als daß er zu Gottes Bild geschaffen sei, und dadurch deutete sie an, daß er eben nicht durch eigene Güter, sondern durch Teilhaben an Gott selig war! Was bleibt da jetzt anders übrig, als daß er, alles Ruhms entblößt und beraubt, Gott erkenne, für dessen Güte er nicht dankbar sein konnte, als er ihn mit den Schätzen seiner Gnade überschüttete? Was soll er anders tun, als daß er ihn, den er (einst) nicht in Anerkennung seiner Güter und Gaben ge­rühmt hat, nun wenigstens durch das Bekenntnis der eigenen Armut erhebe?

Daß uns aller Ruhm eigener Weisheit und Tugend abgesprochen wird, das ge­schieht nicht minder uns zugut, als es zu Gottes Ehre gereicht; und wer über die Wahrheit hinaus uns etwas zugesteht, der lästert Gott und stürzt zugleich uns ins Verderben! Denn wenn man uns lehrt, aus eigener Kraft zu kämpfen, so ist das nichts anderes, als wenn wir auf einem Rohrstab in die Höhe gehoben würden, der doch bald zerbrechen muß, so daß wir hinabstürzen! Und dabei bedeutet es bereits ein zu hohes Lob für unsere eigene Kraft, wenn sie mit einem Rohrstab verglichen wird. Denn es ist eitel Schall und Rauch, was sich Menschen dieserhalb ersonnen und erschwatzt haben! Deshalb ist es wohlbegründet, wenn Augustin in jenem berühmt ge­wordenen Ausspruch immer wieder behauptet, der „freie Wille“ werde von seinen Verteidigern mehr zugrunde gerichtet als eigentlich behauptet. Diese Vorrede war erforderlich. Denn es gibt etliche Leute, die, wenn sie hören, die menschliche Kraft zum Guten (virtus) sei von Grund auf zerstört, damit Gottes Kraft im Menschen erbaut werde, diese ganze Erwägung gewaltig hassen, als sei sie gefährlich, ja gänz­lich überflüssig! Und dabei ist sie doch offenkundig in der Religion notwendig und zudem von größtem Nutzen für uns!

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Zusammenfassung

  1. das Vermögen des Menschen vor dem Fall
    1. Verstand: der dem Menschen gegeben ist, kann zwischen gut und böse, recht und unrecht entscheiden, was getan von dem was vermieden werden soll.
    2. Wille: der Sitz der Wählens
  2. daher, der Mensch (vor dem Fall) hatte das Vermögen, wenn er es wünschte, ewiges Leben zu erlangen; jedoch wurde ihm nicht die Standhaftigkeit gegeben, nicht abzufallen
  3. dies verändert sich beim Fall Adams: der Mensch war sehr verschieden bei der Schöpfung verglichen mit seinen Nachkommen, welche, da sie von ihm geboren wurden, in einen verdorbenen Zustand verfielen.
  4. die Systeme der Philosophen versagen, weil sie den Fall Adams ausschliessen

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So hat also Gott die Menschenseele mit dem Verstande ausgerüstet, durch den der Mensch Gut und Böse, Recht und Unrecht voneinander unterscheiden und im Voraufleuchten des Lichts der Vernunft sehen soll, wem er nachjagen und vor was er fliehen muß. Deshalb haben die Philosophen dieses Vermögen auch „führend“ (to hegemonikόn) genannt. Dazu hat er den Willen gefügt, dem die Entscheidung ob­liegt. Mit diesen herrlichen Gaben war der ursprüngliche Zustand (prima conditio) des Menschen geschmückt, so daß ihm Vernunft, Verstand, Klugheit und Urteilskraft (iudicium) nicht nur zur Führung des irdischen Lebens hinreichten, sondern ihn auch zu Gott und der ewigen Seligkeit emporhoben. Dazu kam dann die Wählkraft (electio), die die Begehrungen lenkte und alle sinnlichen Regungen beherrschte, so daß also der Wille in voller Übereinstimmung mit der Leitung des Verstandes war.

In dieser ursprünglichen Reinheit war der Mensch im Besitz des freien Willens, so daß er das ewige Leben erlangen konnte, wenn er wollte. An dieser Stelle die Frage nach der verborgenen Prädestination Gottes zu stellen, wäre voreilig; denn es handelt sich hier nicht darum, was geschehen konnte und was nicht, sondern wie die Natur des Menschen tatsächlich beschaffen war. Adam konnte also in seiner ur­sprünglichen Unschuld bestehen, wenn er wollte; denn er fiel ja nur durch seinen eigenen Willen. Da allerdings sein Wille in jeder Richtung sich neigen konnte und ihm die Beständigkeit zur Beharrung nicht gegeben war, deshalb fiel er so leicht. Trotz­dem, seine Entscheidung über Gut und Böse war frei, und nicht nur dies: in Ver­stand und Willen herrschte vollkommene Rechtschaffenheit, und alle sinnlichen Fähig­keiten waren fein zum Dienst eingerichtet — bis er sich selber verdarb und darüber seine Vorzüge verlor.

Daher aber kommt nun diese große Finsternis, die die Philosophen umgibt: sie suchen unter Trümmern das Gebäude und unter der Zerrüttung die passenden Fu­gen! Als Grundsatz hielten sie fest, der Mensch sei kein vernünftiges Wesen, wenn er nicht die freie Entscheidung zwischen Gut und Böse hätte, auch kam ihnen in den Sinn, der Unterschied zwischen Tugend und Laster werde hinfällig, wenn der Mensch sein Leben nicht nach eigener Bestimmung ordne. Bis dahin war alles richtig — wäre nur im Menschen keine Veränderung eingetreten! Diese aber kannten sie nicht — und so ist es kein Wunder, daß sie Himmel und Erde durcheinanderwarfen! Wer sich aber als Jünger Christi bekannt hat und trotzdem bei dem verlorenen und dem geistlichen Elend verfallenen Menschen noch den freien Willen sucht, auf diese Weise also zwischen der Meinung der Philosophen und der himmlischen Lehre sich teilt, der geht ganz in der Irre und verfehlt den Himmel und die Erde! Aber darüber findet sich an geeigneterer Stelle Besseres. Jetzt muß nur dies festgehalten werden: der Mensch ist in seiner Erschaffung, am Anfang, etwas völlig anderes gewesen als alle seine Nachfahren; denn sie haben ihren Ursprung im gefallenen Menschen und ha­ben von ihm die Verderbnis zum Erbe empfangen. Denn es waren ja alle Anla­gen der Seele recht geschaffen, die Gesundheit der Seele bestand, dazu ein Wille, der frei war, das Gute zu erwählen! (Augustin, Über die Genesis, II,7). Es könnte freilich jemand einwenden, der Wille sei wegen seiner Schwäche sozusagen auf das Schlüpfrige gesetzt worden. Aber seine Stellung (in der ursprünglichen Reinheit) genügt doch schon allein, alle Entschuldigung zu beheben; auch konnte doch Gott nicht das Gesetz aufgezwungen werden, einen Menschen zu schaffen, der überhaupt nicht sündigen konnte noch wollte. Gewiß wäre ein solches Wesen noch vortrefflicher gewesen; aber es wäre doch mehr als ungerecht, über dergleichen mit Gott zu rech­ten, als ob er es dem Menschen hätte gewähren müssen; denn es stand in seinem freien Ermessen, ihm zu geben, wieviel er wollte. Warum er ihn aber nicht mit der Kraft der Beharrlichkeit (perseverantiae virtute) unterstützt hat, das ist in seinem Ratschluß verborgen — unsere Aufgabe ist, in Nüchternheit klug zu sein! Der Mensch besaß eben das Können, wenn er wollte, aber nicht das Wollen, um zu können — denn solchem Wollen wäre die Beharrlichkeit gefolgt (Augustin, Von Züchtigung und Gnade, 11,32). Entschuldbar ist er trotzdem nicht; denn er hatte so­viel empfangen, daß er sich das Verderben aus freien Stücken zuzog. Aber für Gott gab es kein Gesetz, ihm einen anderen als solchen in der Mitte stehenden, wan­delbaren Willen zu geben; er wollte selbst aus seinem Fall einen Anlaß nehmen, seine Herrlichkeit zu erzeigen.

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