Posts Tagged ‘Augustin’

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Zusammenfassung

  1. gleich wie nicht alle Sünde aus Unwissenheit begangen wird, so entspringt nicht alle Sünde der Bosheit und der Verdorbenheit des Menschen
  2. der Apostel Paulus, David und Augustin zeugen vom menschlichen Unvermögen, die Gottes Gebote ohne Hilfe richtig zu verstehen
    1. Paulus bestreitet, dass dem Menschen jegliche Intuition des Guten fehlt
    2. David erbittet mehrmals, Gott möge ihm ein neues Verständnis des Gesetzes geben
    3. Augustin vergleicht die Gnade der Erleuchtung durch den Heiligen Geist mit dem Licht der Sonne – ebenso wichtig

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Wie wir also oben dem Platon widersprochen haben, weil er alle Sünde auf Un­kenntnis zurückführt, so müssen wir nun auch denen entgegentreten, die da meinen, in allen Sünden sei eine bewußte Bosheit und Verruchtheit am Werk. Denn wir merken viel zu deutlich, wie oft wir in bester Absicht fehlen! Unsere Vernunft wird von so vielerlei Täuschung überrannt, ist so viel Irrtum unterworfen, in so viel Hindernisse verstrickt, in so viel Ängsten gefangen, daß von sicherer Leitung gar keine Rede sein kann. Wie nichtig sie vor dem Herrn ist, und zwar in allen Stücken un­seres Lebens, das zeigt Paulus: „Wir sind nicht tüchtig, etwas zu denken von uns selber als von uns selber“ (2. Kor. 3,5). Er spricht hier nicht vom Willen oder vom Empfinden, sondern er spricht uns selbst ab, daß es uns überhaupt in den Sinn kom­men könnte, wie etwas recht zu machen sei. Ist denn all unser Eifer, all unser Scharfsinn, all unser Verstand, unsere Sorgfalt dermaßen verderbt, daß sie nichts zu erdenken oder zu erwägen vermöchten, das vor dem Herrn recht sei? Gewiß, wir haben es höchst ungern, wenn uns die Schärfe unserer Vernunft, die wir doch für die köstlichste Anlage halten, abgesprochen wird, und so scheint uns das allzu hart. Aber dem Heiligen Geiste dünkt es recht und billig, denn er weiß, daß alle Gedan­ken der weisen nichtig sind, und spricht es klar aus: „Alles Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist immerzu böse“ (Ps. 94,11; Gen. 6,5; 8,21). Wenn doch alles, was unser Geist bedenkt, beschließt, sich vornimmt und ins Werk setzt, immer­zu böse ist — wie soll es uns dann in den Sinn kommen, uns etwas vorzunehmen, was vor Gott recht ist, dem doch allein Heiligkeit und Gerechtigkeit wohlgefällig ist?

So ist also unsere Vernunft offenbar jämmerlich der Eitelkeit unterworfen, wo­hin sie sich auch wendet. Dieser Schwachheit war sich David bewußt, wenn er darum betete, es möchte ihm Verstand gegeben werden, um die Gebote des Herrn recht zu lernen (Ps. 119,34). Wenn er sich einen neuen Verstand erbittet, so zeigt er damit an, daß sein Geist nicht im mindesten ausreicht. Jene Bitte spricht er nicht nur ein einziges Mal aus, sondern er wiederholt sie in dem einen Psalm wohl zehnmal (Ps. 119,12.18.19.26.33.64.68.73.124.125.135.169). Diese Wiederholung macht ersichtlich, wie groß die Not ist, die ihn zu solcher Bitte drängt. Und was er für sich allein erbittet, das pflegt Paulus für alle Gemeinden zu erflehen: „Wir hören nicht auf, für euch zu beten und zu bitten, daß ihr erfüllet werdet mit der Er­kenntnis Gottes in allerlei Weisheit und Verstand, daß ihr wandelt würdiglich dem Herrn….“ (Phil. 1,9; Kol. 1,9). Und jedesmal, wenn er das als Wohltat Gottes rühmt, dann will er ja bezeugen, daß es nicht in des Menschen Vermögen steht. Dieses Unvermögen der Vernunft, die göttlichen Dinge zu erkennen, hat auch Augustin wohl bemerkt, und zwar derart, daß er meint, unser „Gemüt“ (Verstand) brauche die Gnade der Erleuchtung ebenso wie unser Auge das Licht. Ja, er gibt sich damit nicht zufrieden, sondern setzt gleich eine Verbesserung seines Satzes hinzu: nämlich daß wir doch die (leiblichen) Augen selber auftun, um das Licht zu schauen, die Augen unseres „Gemüts“ dagegen verschlossen bleiben, wenn der Herr sie nicht auftut. (Von Schuld und Vergebung der Sünden, II,5). Auch wird ja nach der Lehre der Schrift unser „Gemüt“ nicht an einem Tage ein für allemal erleuch­tet, um dann von selber zu sehen; denn das, was ich eben aus Paulus angeführt habe, bezieht sich auf ein dauerndes Fortschreiten und Wachsen. Das sagt Da­vid ausdrücklich: „Ich suche dich von ganzem Herzen, laß mich nicht abirren von deinen Geboten!“ (Ps. 119,10). Er war doch wiedergeboren, war doch in der wahren Frömmigkeit außergewöhnlich gewachsen — und doch bekennt er, für jeden einzelnen Augenblick besonderer Leitung zu bedürfen, um nicht von der Erkenntnis wieder ab­zukommen, die ihm zuteil geworden war! Deshalb bittet er auch anderswo, es möchte ihm — was er ja verloren hatte! — ein „neuer, gewisser Geist“ gegeben wer­den (Ps. 51,12); denn Gott, der uns den Geist im Anfang gegeben hat, der allein kann ihn uns wiedergeben, wenn er uns eine Zeitlang genommen ist.

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  1. Chrysostomus und Augustin betonen beide die Demut als fundamentale christliche Tugend
  2. Augustin im Speziellen hebt die völlige Demut hervor, die nicht nur eine blosse Vermeidung des Stolzes und des Arroganz ist

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Allezeit hat mir ein Wort des Chrysostomus gewaltig gefallen: Das Fundament unserer Weisheit sei die Demut (Predigten vom Fortschritt des Evangeliums, III). Noch mehr indessen freute mich ein Ausspruch Augustins: „Da wurde einst ein Redner gefragt, welche Regel bei der Beredsamkeit in erster Linie zu beachten wäre. Er antwortete: ‚Der Vortrag’. Und an zweiter Stelle? Wieder: ‚Der Vortrag’! Und an dritter? Wieder: ‚Der Vortrag’! Ebenso müßte ich, wenn du mich fragtest, was denn bei den Regeln der christlichen Religion das Wichtigste sei, als Erstes und Zweites und Drittes und immerfort nur die Demut nennen!“ (Brief an Dioskur, 118). Dabei versteht er nun aber unter Demut nicht etwa dies, daß ein Mensch im Bewußtsein einiger Tugend sich von Hochmut und Aufgeblasenheit zurückhält, son­dern, wie er an anderer Stelle erklärt, vielmehr die Gewißheit des Menschen, so zu sein, daß er nur in der Demut eine Zuflucht finden kann. So sagt er: „Niemand soll sich schmeicheln; er ist von sich selber ein Satan, das, wodurch er selig wird, hat er allein von Gott. Was hast du nämlich von dir selber anders als Sünde? Nimm dir die Sünde, die dir gehört; denn die Gerechtigkeit ist Gottes Geschenk“ (Auslegung zu Johannes, 49). Oder auch: „Was trotzt man so hoch auf das vermögen der Natur? Sie ist verwundet, krank, zerschunden und verderbt! Es ist ein rechtes Bekenntnis, nicht aber verkehrte Verteidigung vonnöten“ (Natur und Gnade, 66). Ebenso: „Wenn einmal jeder erkennt, daß er in sich selber nichts ist und von sich selbst keine Hilfe empfängt, dann sind in ihm die Waffen zerbrochen, und der Krieg ist geschlichtet. Es ist aber auch wirklich nötig, daß alle Waffen der Gottlosigkeit zerschmettert, zerstoßen und verbrannt werden und du waffenlos übrigbleibst und keine Hilfe in dir selber hast. Je schwächer du in dir selber bist, desto eher nimmt dich der Herr an“ (Zu Psalm 45). So untersagt er uns auch in seiner Erklärung des siebenzigsten Psalms alles Denken an eigene Gerechtigkeit, damit wir Gottes Gerechtigkeit erkennten, und er zeigt, wie uns Gott seine Gnade so groß macht, daß wir wissen: wir sind nichts. Allein durch Gottes Barmherzigkeit gewinnen wir Bestand, während wir von uns selber aus nur böse sind (Zu Psalm 70, I,2). Darum sollen wir hier nicht mit Gott um unser Recht streiten, als ob unserem Heil abginge, was ihm zu­geschrieben wird. Denn wie unsere Niedrigkeit seine Hoheit ist, so findet auch das Bekenntnis unserer Niedrigkeit sein Erbarmen als Arznei bereit. Dabei verlange ich aber nicht, daß sich der Mensch ohne Überzeugung grundlos erniedrige, oder daß er sich von Kräften (facultates), die er besitzt, abwende, um sich so in wahrer Demut zu unterwerfen. Nein, er soll all die Krankheit der Selbstliebe und des Ehrgeizes fahren lassen — denn davon wird er verblendet und denkt so höher von sich, als recht ist — und sich statt dessen in dem truglosen Spiegel der Schrift recht erkennen.

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  1. Augustin benützt den Begriff liberum arbitrium oft, doch meistens in zweierlei Weise:
    1. Um die Unentschuldbarkeit der menschlichen Sünde zu unterstreichen
    2. Um den sinnlosen und negativen Charakter der menschlichen „Freiheit“ oder Emanzipation der Gerechtigkeit zu betonen
  2. Es wäre besser, diesen Begriff nicht mehr zu gebrauchen und dadurch ein Quell der Meinungsverschiedenheit zu vermeiden

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Hoch steht uns freilich die Autorität der Kirchenväter; diese nun führen zwar das Wort „freier Wille“ immerzu im Munde, aber sie zeigen zugleich auch deutlich, wie weit sie in dessen Anwendung gehen. Besonders Augustin: er trägt kein Bedenken, den Willen einen „geknechteten“, „unfreien“ zu nennen (Gegen Julian, Buch I). An anderer Stelle fährt er gegen die Leute los, die den freien Willen leugnen; aber da­bei gibt er auch den ganz besonderen Grund an: „Nur soll mir keiner wagen, die Entscheidungsfähigkeit (arbitrium) des Willens in der weise zu bestreiten, daß er damit die Sünde entschuldigen will“ (Predigt über Johannes, 53). Und an wieder einer anderen Stelle gibt er ganz klar zu, ohne den Heiligen Geist sei der Wille des Menschen nicht frei, da er ja den Begierden unterworfen ist, die ihn binden und überwinden (Brief 145). Oder wir hören auch: nachdem der Wille von dem Laster, in das er gefallen sei, überwunden wäre, habe die Natur keine Freiheit mehr (Von der Vollendung der Gerechtigkeit des Menschen, 4,9). Oder: der Mensch habe von seinem freien Willen einen schlechten Gebrauch gemacht, und jetzt habe er seine Ent­scheidungsfähigkeit (arbitrium) eingebüßt (Handbüchlein, 30). Oder: der freie Wille sei in Gefangenschaft geraten, so daß er nun nichts mehr zur Gerechtigkeit ausrichten könne (Gegen zwei Briefe der Pelagianer an Bonifacius, III,8). Ferner: Was Got­tes Gnade nicht frei gemacht habe, das sei nicht frei (ebenda I,3). Und: Die Ge­rechtigkeit Gottes werde nicht erfüllt, wenn das Gesetz etwas gebietet und der Mensch es sozusagen mit seinen eigenen Kräften tut, sondern dann, wenn der Geist seinen Beistand leiht und nicht etwa der freie Wille des Menschen, sondern sein von Gott befreiter Wille Gehorsam leistet (III,7). Den Grund zu alledem faßt er an anderer Stelle kurz so zusammen: der Mensch habe in seiner Erschaffung große Kräfte des freien Willens empfangen, sie aber verloren, dadurch daß er sün­digte (Predigt 131). So zeigt er auch an anderer Stelle, der freie Wille komme durch die Gnade zustande, und fährt dann scharf gegen diejenigen los, die sich ihn anmaßen wollten ohne die Gnade. Er sagt da: „Wie wagen es doch jämmerliche Menschen, hochmütig vom freien Willen zu reden, ehe sie überhaupt frei gemacht sind, oder von ihren Kräften, ehe sie zur Freiheit gelangt sind? Sie beachten gar nicht, daß schon in dem Wort ‚freier Wille’ die ‚Freiheit’ besonders hervorklingt. Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit! (2. Kor. 3,17). Wenn sie also Knechte der Sünde sind, was rühmen sie sich des freien Willens? Denn man ist doch dem, der einen gefangenhält, als Knecht unterworfen! Sind sie aber befreit — was rühmen sie sich dann, als hätten sie selbst etwas dabei getan? Oder sind sie so frei, daß sie nicht auch Knechte dessen sein wollten, der da sagt: Ohne mich könnet ihr nichts tun (Joh. 15,5)?“ (Vom Geiste und Buchstaben, XXX). Ja, an anderer Stelle scheint er die (allgemein übliche) Anwendung jenes Ausdrucks geradezu zu verlachen, wenn er sagt: der Wille sei zwar frei, aber nicht frei gemacht, frei von der Gerechtigkeit nämlich und ein Knecht der Sünde! (Von Zucht und Gnade, 13). Diesen Satz wiederholt er auch anderswo und setzt ihn näher auseinander: der Mensch sei nur durch eigenen Willensentscheid frei von der Gerechtigkeit, von der Sünde aber werde er nur frei durch die Gnade des Erlösers (An Bonifacius, I,2). Wenn er auf diese Weise bezeugt, daß er unter der Freiheit des Menschen nur seine Losmachung und Freilassung von der — Gerechtigkeit versteht, dann scheint er doch den leeren Begriff der Freiheit recht zu verlachen! Will also jemand diesen Begriff ohne böses Verständnis anwenden, so will ich ihn deshalb nicht quälen. Ich bin aber der Meinung, daß man den Begriff nicht ohne unermeßliche Gefahr bei­behalten kann, und daß seine Abschaffung der Kirche großen Segen bringen würde; deshalb möchte ich ihn selbst nicht verwenden und auch anderen, wenn sie meinen Rat hören wollen, von seinem Gebrauch abraten.

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  1. Alle sind sich einig (ausser den Sozinianern, welche behaupten, die Gnade sei gleichermassen und ohne Unterschied verteilt), dass der freie Wille nicht reicht, um den Menschen zu befähigen, gute Werk zu tun, ohne dass ihm die besondere Gnade dabei hilft (welche nur von den Erwählten empfangen und durch die Wiedergeburt gegeben ist)
  2. Doch ist der Mensch völlig unfähig, Gutes zu tun oder besitzt immer noch einen noch so schwachen Rest?
    1. Augustin sieht den Menschen als völlig verdorben
    2. Die frühen Scholastiker (Bernard, Lombard, Fulgentius) denken, dass sie Augustin folgen, wenn sie behaupten, dass, sobald der Mensch die anfängliche Gnade empfangen hat, seine freie Annahme als Verdienst gewertet werden kann (Konzil zu Orange)
    3. Die späteren Scholastiker (Ockham, Biel und die Sorbonnisten) entfernen sich noch mehr von Augustin

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Wird das angenommen, so steht außer allem Streite, daß der Mensch keinen „freien Willen“ hat, der ihm zu guten Werken verhelfen könnte, wenn ihm nicht die Gnade beisteht, und zwar eben die „besondere“ Gnade (gratia specialis), die allein die Auserwählten durch die Wiedergeburt empfangen. Denn ich will mich nicht mit solchen Unsinnigen einlassen, die da schwätzen, die Gnade werde an alle in gleichem Maße und ohne Unterschied ausgeteilt. Aber das ist noch nicht geklärt, ob denn nun der Mensch voll und ganz jedweder Fähigkeit beraubt sei, gut zu handeln, oder ob er noch ein wenig davon hätte, wenn auch gering und schwach. Das wäre dann eine Fähigkeit, die zwar aus sich selber nichts vermöchte, aber mit Hilfe der Gnade doch das Ihrige täte. Diese Frage will der Sentenzenmeister (Petrus Lombardus) lösen; und deshalb lehrt er, wir hätten eine doppelte Gnade nötig, um zu gutem Werk geschickt zu werden. Die eine nennt er „wirkende Gnade“ — sie macht, daß wir das Gute wirksam wollen. Die andere heißt bei ihm „mitwirkende Gnade“, sie folgt mit ihrer Hilfeleistung solchem guten Wollen (Sentenzen II,26). An dieser Teilung mißfällt mir dies: sie schreibt zwar das wirksame Begehren der Gnade Gottes zu; aber dabei gibt sie zu verstehen, daß der Mensch doch selbst von Natur gewissermaßen das Gute begehre, wenn auch ohne Wirkung. So be­hauptet auch Bernhard zwar, der gute Wille sei Gottes Werk, aber dann gesteht er es doch dem Menschen zu, aus eigenem Trieb diesen guten Willen zu begehren! Das hat mit der Meinung Augustins nichts zu tun, und trotzdem möchte der Lombarde den Eindruck erwecken, von ihm diese Teilung entlehnt zu haben. Im zweiten Glied (der Teilung) ist mir die Zweideutigkeit widerwärtig, die dann auch eine völlig ver­kehrte Auslegung hervorgerufen hat. Man hat nämlich gemeint, wir wirkten mit der zweiten („mitwirkenden“) Gnade Gottes zusammen, nämlich dadurch, daß uns die Möglichkeit zustehe, jene erste Gnade (die „wirkende“) entweder zurückzuweisen und dadurch unwirksam zu machen, oder ihr gehorsam zu folgen und sie damit in Wirk­samkeit zu setzen. Das drückt der Verfasser des Werkes „Von der Berufung der Heiden“ so aus: Wer dem Urteil der Vernunft folge, dem stehe es frei, von der Gnade zu weichen; und deshalb sei es eine lohnwerte Tat, nicht von ihr zu wei­chen; auf diese Weise werde also das gute Werk, das zwar ohne Mitwirkung des Geistes nicht geschehen könne, den Verdiensten des Menschen zugerechnet, dessen Wille es ja auch verhindern könnte! (Buch II,4). Dieses beides mußte im Vorbeigehen be­rührt werden, damit der Leser einsehe, wie sehr ich selbst mit den vernünftigeren Scholastikern im Widerspruch stehe. Ein weit größerer Abstand trennt mich nämlich von den neueren Sophisten — und das je mehr, desto mehr sie ihrerseits von der älteren Art abweichen. Auf jeden Fall aber erfahren wir aus jener Teilung, aus was für einem Grunde sie dem Menschen den freien Willen zugestanden haben. Denn der Lombarde spricht es schließlich aus: wir hätten den freien Willen nicht etwa des­halb, weil wir zum Tun oder Denken des Guten und Bösen gleicherweise befähigt wären, sondern nur deshalb, weil wir vom Zwang frei sind. Diese Freiheit wird (nach dem Lombarden) nicht behindert, auch wenn wir böse, ja Knechte der Sünde sind und nichts können als sündigen (Sent. II,25).

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  1. Die Ansichten der Kirchenlehrer neigen zum Freien Willen
  2. Definition des Freien Willen von
    1. Origen
    2. Augustin
    3. Bernard
    4. Anselm

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Unter den Kirchenlehrern war zwar keiner, der nicht darum gewußt hätte, daß die Gesundheit der menschlichen Vernunft durch die Sünde schwer verletzt und der Wille gar sehr an böse Begierden verknechtet ist. Aber trotzdem haben sich doch viele von ihnen den Philosophen weit mehr angenähert, als recht ist. Dabei scheinen mir die Alten bei ihrem Lobpreis der menschlichen Kräfte zum ersten die Ab­sicht gehabt zu haben, nur ja nicht etwa mit dem klaren Bekenntnis des gänzlichen menschlichen Unvermögens das Gelächter der Philosophen zu erregen, mit denen sie dazumal zu streiten hatten. Zum zweiten wollten sie auch dem Fleische, das ohnehin von sich aus zum Guten allzu träge ist, keinen neuen Grund zur Faulheit bieten. Aus diesen Gründen trachteten sie, um nicht etwas dem gemeinen Menschen­verstand widersinnig Erscheinendes vorzutragen, danach, die Lehre der Schrift und die Lehrsätze der Philosophen auf halbem Wege zueinanderzufügen; besonders geht dabei aus ihren Schriften jener zweite Grund deutlich hervor: nur ja der Faulheit keinen Raum zu schaffen! So sagt z.B. Chrysostomus an einer Stelle: „Gott hat ja Gutes und Böses in unsere Macht gegeben, und damit hat er uns auch den freien Willen in der Entscheidung (electionis liberum arbitrium) gegeben; wer da nicht will, den hält er nicht zurück, wer aber will, den nimmt er an.“ (Predigt über den Verrat des Judas, I). Oder auch: „Es wird doch oft ein Böser durch Umwandlung gut, wenn er nur will, und ein Guter fällt durch Faulheit dahin und wird böse; denn der Herr hat dafür gesorgt, daß unsere Natur den freien Willen (liberum arbitrium) hat; auch legt er gar keinen Zwang auf; im Gegenteil: er bereitet die passende Arz­nei und überläßt es dann ganz dem Ermessen des Kranken, sie zu benutzen.“ (Predigt über die Genesis, XIX). Oder: „Wie wir ohne Hilfe der Gnade Gottes nie etwas Rechtes tun können, so können wir auch nicht die Gunst von oben erlangen, wenn wir nicht das Unsere dazutun!“ Kurz davor aber: „Damit nicht alles auf die göttliche Hilfe ankommt, müssen auch wir etwas dazu beitragen.“ (Predigt 53). So braucht er oft und gern den Satz: „Lasset uns nur das Unsere beitragen, das übrige wird Gott dazutun!“ Und dem entspricht wieder, was Hieronymus sagt: „Der Anfang steht bei uns, bei Gott die Vollendung; wir müssen beitragen, was wir können, und er wird dazutun, was wir nicht vermögen“ (Gegen die Pelagianer, Buch III). Aus diesen Aussprüchen sieht man, daß die Kirchenväter dem Menschen mehr Trachten nach der Tugend zugestanden haben, als es der Wahrheit entspricht, und zwar weil sie meinten, die uns angeborene Trägheit nicht anders aufstören zu können, als wenn sie die Überzeugung befestigten, daß die Sünde einzig und allein das Werk dieser Trägheit sei. Ob und wieweit sie das mit Fug und Recht getan haben, werden wir später sehen. Auf jeden Fall wird dann gleich die völlige Verkehrtheit der angeführten Meinungen deutlich werden.

Nun haben zwar die griechischen Kirchenlehrer, und unter ihnen besonders Chrysostomus, in der Erhebung des menschlichen Willens ganz besonders jedes Maß überschritten. Indessen sind alle Alten, mit Ausnahme des Augustin, in der Behand­lung dieser Sache dermaßen verschieden, schwankend und verworren, daß man bei­nahe gar nichts Gewisses aus ihren Schriften wiedergeben kann. Deshalb will ich auch nicht weiter mit Genauigkeit versuchen, die Meinungen einzelner anzuführen; ich will vielmehr aus jedem nur soviel auswählen, wie zur Beweisführung erforder­lich ist. Die späteren Kirchenlehrer sind so, daß da jeder für sich das Lob großen Scharfsinns in der Verteidigung der menschlichen Natur in Anspruch nimmt; aber der eine sinkt dabei immer noch tiefer als der andere. So kam es schließlich dahin, daß man allgemein glaubte, der Mensch sei nur in seinem sinnlichen Teil verderbt, seine Vernunft sei dagegen noch ganz unversehrt und der Wille zum größten Teil. Unterdessen ging die Rede von Mund zu Mund, die natürlichen Gaben seien im Menschen verderbt, die übernatürlichen dagegen ihm entzogen. Aber was dieser Satz besagt, das verstand unter hundert nicht einer auch nur einigermaßen. Wollte ich meinerseits deutlicher darüber reden, wie die Verderbnis der Natur beschaffen sei, so könnte ich mit dieser Ausdrucksweise schon zufrieden sein. Aber es bedarf dann einer aufmerksamen Erwägung darüber, was denn eigentlich der Mensch noch ver­mag, nachdem er in allen Teilen seinem Natur verderbt und aller übernatürlichen Gaben verlustig gegangen ist! Denn darüber haben doch Leute, die sich Christi Schü­ler nannten, reichlich philosophisch geredet. So blieb bei den Lateinern der Aus­druck „freier Wille“ fortgesetzt im Gebrauch — als ob der Mensch noch unversehrt im Urstande lebte! Die Griechen gar scheuten sich nicht, einen noch viel anmaßen­deren Ausdruck zu brauchen: sie sagten, der Mensch sei „selbstmächtig“ (autexusios) — als ob er über sich selber Gewalt hätte! So hatten also alle, auch das Volk, die Auffassung, der Mensch sei mit dem „freien Willen“ begabt; aber selbst solche, die gern für besonders hervorragend gelten wollen, wissen nicht, wie weit dieser „freie Wille“ eigentlich geht. So will ich denn zunächst die Bedeutung dieses Aus­drucks („freier Wille“) untersuchen und dann aus dem schlichten Zeugnis der Schrift darlegen, was der Mensch aus seiner eigenen Natur heraus zum Guten oder Bösen vermag.

Nun kommt der Begriff „freier Wille“ in den Schriften aller Theologen gleicherweise vor — aber was es damit auf sich habe, das haben nur wenige be­schrieben. Origenes scheint die allgemeine Überzeugung seiner Zeit wiederzugeben, wenn er sagt, der „freie Wille“ sei die Fähigkeit der Vernunft, Gut und Böse zu unterscheiden, und die des Willens, sich für eins von beiden zu entscheiden. Auch Augustin urteilt nicht anders: er sagt, der freie Wille sei eine Fähigkeit der Vernunft und des Willens, demzufolge unter dem Beistand der Gnade das Gute er­wählt werde, bei ihrem Fehlen aber das Böse. Bernhard möchte gern scharfsinnig reden und drückt sich deshalb etwas dunkler aus: der freie Wille sei die Harmonie, die auf der unverlierbaren Freiheit des Willens und dem unverrückbaren Urteil der Vernunft beruhe. Die Beschreibung des Anselm ist nicht schlicht genug; er sagt, der freie Wille sei die Fähigkeit, die Rechtschaffenheit um ihrer selbst willen zu be­wahren. So haben denn Petrus Lombardus und die Scholastiker die Beschreibung des Augustin in stärkerem Maße angenommen, weil sie deutlicher war und weil sie auch die Gnade Gottes nicht ausschloß — sie sahen eben, daß der Wille ohne solche Gnade von sich aus nicht ausreicht. Dabei taten sie nun auch von ihrem Eigenen hinzu: vom einen meinten sie, es fei besser, vom anderen, es diene der größeren Ver­deutlichung. Im Grundgedanken herrscht jedenfalls Übereinstimmung: der Ausdruck „Wille“ (Entscheid) ist auf die Vernunft zu beziehen, der es zusteht, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden; der Zusatz „frei“ bezieht sich dagegen eigentlich auf den Willen, der sich nach beiden Seiten wenden kann. (So bei Petrus Lombardus, Sentenzen, Buch II,24). Da die „Freiheit“ eigentlich dem Willen zukommt, so sagt Thomas, es sei am angemessensten, wenn man es so ausdrücke: der „freie Wille“ sei eine Entscheidungskraft (vis electiva), die aus verstand und Begehrkraft gemischt sei, aber mehr der Begehrkraft zugehöre. (Summa theologica I,63). Damit haben wir gezeigt, wo nach diesen Theologen die Kraft des freien Willens liegt, nämlich in Vernunft und Willen. Jetzt müssen wir noch zusehen, was sie diesen beiden je an Wirksamkeit zugestehen.

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