Play

Zusammenfassung:

  1. Die Existenz des Fluchs, d.h. der Kontrast zwischen dem, was jetzt der Mensch ist und dem, wie der Mensch am Anfang erschaffen wurde, ist ein Beleg für die Auswirkung der Sünde über die gesamte Schöpfung
  2. Erbsünde ist gleich dem Verderbtheit einer Natur, die einst gut und rein war
  3. Die Auffassung der Kirchenväter über die Erbsünde
    1. die ersten Kirchenväter behandelten diese Frage nicht eindeutig, da sie glaubten, die Schuld des einen wurde zur Schuld aller sei nicht die wahre Sicht
    2. Pelagius und Celestius stritten die Erbsünde beide ab, doch Augustin (und andere) zeigten mit viel Mühe, dass wir nicht durch nachgeahmte Boshaftigkeit verdorben sind, sondern wir tragen diesen Defekt schon im Mutterleibe in uns
    3. Psalm 51 Verse 5 dient als Beweis: dieses Bekenntnis gilt nicht nur bei David, sondern zeigt an ihm exemplarisch die Schicksal der Menschheit
  4. Zusammenfassend: abgestammt von reiner Natur sind wir doch alle von Geburt mit der Sünde befleckt

Text:

Wie das geistliche Leben des Adam darin bestand, daß er mit seinem Schöpfer verbunden und an ihn gebunden blieb, so bedeutete die Entfremdung von ihm das verderben der Seele. So ist es kein Wunder, daß er sein Geschlecht ins Elend stürzte — verkehrte er doch die ganze Ordnung der Natur im Himmel und auf Erden! Es seufzt die Kreatur, sagt Paulus, die ohne ihren Willen der Verderbnis unterwor­fen ist! (Röm. 8,22). Fragt man nach der Ursache davon, so ist es außer Zweifel, daß die Kreatur einen Teil der Strafe trägt, die der Mensch sich zugezogen hat, zu dessen Nutzen sie erschaffen war. So ist also nach allen Seiten, droben und hienieden, aus Adams Schuld der Fluch entsprungen, der auf allen Gebieten der Welt ruht — und deshalb ist es durchaus nicht widersinnig, daß er auch auf seine gesamte Nachkommenschaft übergegangen ist. Nachdem also einmal das himmlische Bild in ihm zerstört war, ist er nicht allein für seine Person damit gestraft worden, daß nun an die Stelle der Weisheit, Kraft, Heiligkeit, Wahrheit und Gerechtigkeit, die ihn einst geziert hatten, die übelsten Verderbnisse traten: Blindheit, Kraftlosigkeit, Unreinheit, Eitelkeit, Ungerechtigkeit, — sondern in eben dieses Elend hat er auch seine Nachkommenschaft verwickelt und hineingestoßen. Das ist die erbliche Verderbnis (haereditaria corruptio), die die Alten „Ursünde“ (Erbsünde, peccatum originale) genannt haben, wobei sie unter Sünde die Zerrüttung der zuvor guten und reinen Natur verstanden. Über diese Lehre war unter ihnen gewaltiger Streit; denn dem gemeinen Menschenverstand ist nichts so befremdlich, als daß wegen der Schuld eines Menschen alle schuldig sein sollten und so also die Sünde allgemein werde. Das scheint auch der Grund gewesen zu sein, weshalb die ältesten Lehrer der Kirche dieses Lehrstück bloß unklar behandelten; wenigstens haben sie es weniger deutlich entfaltet, als recht ist. Und trotzdem konnte diese Vorsicht den Pelagius nicht daran hindern, sich aufzumachen und die unfromme Auffassung vorzutragen, Adam habe nur zu seiner eigenen Verdammnis gesündigt, aber seinen Nachkommen damit keinen Schaden getan. Mit solcher Verschlagenheit wollte der Satan versuchen, die Krankheit zu verdecken und so unheilbar zu machen. Und als Pelagius dann durch das klare Zeugnis der Schrift überführt wurde (und zugeben mußte), die Sünde sei von dem ersten Menschen auf seine gesamte Nachkommenschaft übergegangen, da brachte er die spitzfindige Weisheit auf, das sei eben nur durch Nachahmung geschehen, nicht aber im Sinne der Vererbung. Da haben sich denn wackere Männer, vor allem Augustin, abmühen müssen, zu zeigen, daß wir nicht etwa durch eine spä­ter angenommene Bosheit der Verderbnis verfallen, sondern von Mutterleibe an eine angeborene Sündhaftigkeit mitbringen. Das zu leugnen, war höchste Vermessenheit. Indessen wird man sich über die Verwegenheit der Pelagianer und Coelestianer nicht wundern, wenn man aus den Schriften jenes heiligen Mannes (Augustin) bemerkt, was für unverschämte Ungetüme sie in allen anderen Stücken ge­wesen sind. Es ist doch gewiß sonnenklar, wenn David bekennt, er sei in Sünden ge­boren und von seiner Mutter in Sünden empfangen worden (Ps. 51,7). Damit will er doch nicht etwa Vergehen seines Vaters oder seiner Mutter tadeln, sondern er legt, um Gottes Güte gegen ihn um so besser herauszustreichen, ein Bekenntnis seiner eigenen Verderbtheit ab, die er seit seiner Geburt zu haben behauptet. Nun steht aber anerkanntermaßen dies Zeugnis des David nicht einzig da, und so ergibt sich, daß an seinem Beispiel das allgemeine Los des Menschengeschlechts dargestellt wird. Denn wir alle, die wir aus unreinem Samen herstammen, werden, befleckt von der Ansteckung der Sünde, geboren, ja, ehe wir das Licht der Welt erblicken, sind wir vor Gottes Augen bereits verdorben und befleckt. „Kann wohl ein Reiner kommen von den Unreinen? Auch nicht einer“, heißt es im Buche Hiob (Hiob 14,4).

Themen: , ,

Play

Zusammenfassung:

  1. Welche Natur hatte die Sünde in Adams Verfehlung, die Gottes Zorn gegen die gesamte Menschheit entfachte?
    1.  Es ist kindisch zu glauben, dass nur die Verlangen nach neuer Speise der Grund war, denn Adam hatte alles, was sein Herz begehrte
    2. Die Erlaubnis, die Frucht des Baumes des Lebens zu geniessen und das Verbot, vom der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen, war die Prüfung von Adams Treue
    3. Daher war, wie Augustinus bemerkt, der Stolz die Wurzel allen Übels
  2. Welcher Natur hatte Adams Versuchung?
    1. Ungehorsam war der Anfang vom Sündenfall (vgl. Röm 5:19), gefördert durch
      1. Schmeicheleien des Teufels
      2. Des Menschen eigene Verachtung der Wahrheit: Geringschätzung gegenüber dem Gottes Wort
    2. Treulosigkeit ist die Wurzel des Falles
    3. Dies führte zu Begierde, Stolz und Undankbarkeit (für Gottes grossem Überfluss): kurz Abfall von Gott
    4. Begierde führte zu  hartnäckigem Ungehorsam – der Mensch verwarf die Furcht Gottes und folgte nur seinen Gelüsten –
    5. Kurz: Adam hätte es nie gewagt, Gottes Autorität zu widerstreben, ohne dass er Gottes Wort zu hinterfragen anfängt

Text:

Es ist nun aber notwendigerweise nicht etwa ein leichtes Vergehen, sondern ein abscheuliches Laster, das Gott so streng gestraft hat; und so müssen wir das eigent­liche Wesen der Sünde, (wie es) im Falle Adams (hervorgetreten ist), untersuchen, das ja Gottes schreckliche Vergeltung über das ganze Menschengeschlecht herabge­zogen hat. Kindisch ist die allgemeine Auffassung, es handle sich (bei dem Sünden­fall) um Lüsternheit des Gaumens. Als ob der Hauptinhalt aller Tugend nur in der Enthaltsamkeit gegenüber der einen Frucht bestanden hätte! Und dabei strömte doch von allen Seiten in reicher Fülle alles, was ein Mensch an Freuden ersehnen kann, und bei jener seligen Fruchtbarkeit der Erde war genug Fülle und Mannig­faltigkeit da, um ein rechtes Wohlleben zu bereiten! Wir müssen den Blick höher richten. Denn das Verbot, von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zu nehmen, war ja eine Prüfung im Gehorsam: Adam sollte durch seine Folgsamkeit beweisen, daß er gern Gottes Befehl sich unterwarf! Der Name (des Baums) sel­ber zeigt doch, daß das Gebot keinen anderen Zweck hatte, als daß der Mensch, mit seiner Lage zufrieden, sich nicht von gottloser Begehrlichkeit zu Höherem empor­reißen ließ. Und die Verheißung, die ihn auf das ewige Leben hoffen ließ, solange er vom Baume des Lebens aß, die furchtbare Androhung des Todes wiederum, so­bald er etwa von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen äße — beides hatte den Zweck, seinen Glauben zu prüfen. Hieraus ist leicht ersichtlich, auf welcher­lei Weise Adam Gottes Zorn über sich heraufbeschworen hat. Nicht übel erklärt das Augustin, wenn er sagt, der Hochmut sei der Ursprung alles Bösen; denn wäre der Mensch nicht in seiner Anmaßung höher gestiegen, als ihm verstattet und als es von Gott aus recht war, so hätte er in seiner (hohen) Stellung bleiben können.

Aber aus der Beschreibung der Versuchung, wie sie Mose gibt, läßt sich noch eine genauere Deutung finden. Denn da wird die Frau durch die List der Schlange im Unglauben vom Worte Gottes abgebracht — und da sehen wir schon: der Anfang des Untergangs ist der Ungehorsam. Das bestätigt auch Paulus, wenn er sagt, durch eines Menschen Ungehorsam seien alle verlorengegangen (Röm. 5,19). Zugleich aber müssen wir bemerken, daß der erste Mensch vom Gebot Gottes ab­gewichen ist, und das geschah nicht nur, weil er von den Lockungen des Satans um­strickt wurde, sondern auch, weil er unter Verachtung der Wahrheit sich zur Lüge wandte. Und wahrlich: wird einmal Gottes Wort verachtet, so geht jede Ehrfurcht vor Gott verloren. Denn seine Majestät hat unter uns keinen Bestand, seine Ver­ehrung kann nicht rein bleiben — wenn wir nicht an seinem Munde hängen. Des­halb war der Unglaube die Wurzel des Abfalls. Aus ihm entstand die An­maßung und der Hochmut, zu denen dann auch die Undankbarkeit kam, weil ja Adam, indem er mehr haben wollte, als ihm zustand, die große Freigebigkeit Gottes, die ihm zuteil geworden war, schnöde verachtete. Daran aber zeigte sich die furchtbare Gottlosigkeit, daß es dem Erdensohne zu wenig erschien, zum Bilde Gottes gemacht zu sein — sofern nicht die Gleichheit (mit Gott) hinzukäme! Ein abscheulicher Frevel ist der Abfall, mit dem sich der Mensch dem Gebot seines Schöpfers entzieht, ja aufbegehrend sein Joch abschüttelt. Deshalb ist es vergebliche Mühe, die Sünde des Adam zu mildern. Und dabei handelt es sich nicht einmal um bloßen Abfall, sondern es kommen gemeine Vorwürfe gegen Gott hinzu: die Menschen unterschreiben ja die Schmähungen des Satans, der Gott Lüge, Neid und Mißgunst unterschiebt! Und endlich tut der Unglaube auch der Anmaßung Tor und Tür auf, und die Anmaßung war die Mutter der Widerspenstigkeit, so daß die Menschen alle Furcht Gottes von sich warfen und sich ganz von ihrem Gelüste lei­ten ließen. Deshalb ist es recht, wenn Bernhard lehrt, die Tür des Heils tue sich uns auf, wenn wir heute mit unseren Ohren das Evangelium hören, wie ja auch zu dieser Öffnung (dem Ohre), als sie sich dem Satan aufgetan habe, der Tod hinein­gekommen sei. Denn Adam hätte ja nie gewagt, dem Gebot Gottes ungehorsam zu sein, wenn er nicht seinem Wort gegenüber ungläubig gewesen wäre. Der beste Zügel, alle Begierden recht im Zaum zu halten, war ja doch die Überzeu­gung, es sei nichts besser, als Gottes Gebot zu gehorchen und so die Gerechtigkeit zu tun, und das höchste Ziel eines seligen Lebens sei, von Gott geliebt zu werden. Als aber der Mensch von den Schmähungen des Teufels hingerissen war, da machte er nach Kräften allen Ruhm Gottes zunichte.

Themen: ,

Play

Zusammenfassung:

  1. Wie erlangen wir Selbsterkenntnis?
    1. Unsere rein „menschliche“ oder in der Sprache der Bibel „fleischliche“ Vernunft glaubt, dass der Mensch sich durchaus gut kennen vermag. Daher ist er gut gewappnet gegen alle Untugenden führen und kann ein „gutes und moralisches“ Leben führen.
    2. Wendet man jedoch Gottes Maßstab an , so erscheint der Mensch ohne Selbstvertrauen, getrieben von Depression und Hilflosigkeit
    3. Gott will jedoch, dass wir  über unsere ursprünglichen noblen Zustand nachdenken und dabei uns nach Gottes Reich sehnen
  2. Bei den zwei Teile der menschlichen Selbsterkenntnis muss man beachten,
    1. Für welchen Zweck wir erschaffen wurden – die Nachsinnen über die Verherrlichung Gottes und das ewige Leben (die Natur unserer Pflicht)
    2. Unsere Unvermögen – Verwirrung (das Ausmaß wie wir unsere Pflicht erfüllen können)

Text:

Gewiß: Gottes Wahrheit kommt darin mit der allgemeinen Überzeugung aller Sterblichen überein, dass der zweite Teil der Weisheit in unserer Selbsterkennt­nis bestehe. Aber über die Art dieser Erkenntnis besteht große Meinungsverschieden­heit. Denn der Mensch meint nach dem Urteil des Fleisches, er hätte sich dann gar wohl erforscht, wenn er im Vertrauen auf seinen Verstand und seine Unver­dorbenheit kühn wird, sich dem Dienste der Tugend hingibt, den Lastern den Krieg erklärt und so versucht, mit ganzem Eifer dem Schönen und Ehrbaren nachzustre­ben. Wer sich aber nach dem Richtmaß des göttlichen Urteils betrachtet und prüft, der findet nichts, was seine Seele zu rechtem Selbstvertrauen ermuntern könnte, und je tiefer er sich durchforscht, desto mehr wird er zu Boden geworfen — bis er auf alles Selbstvertrauen ganz verzichtet und bei sich selber nichts mehr finden will, um sein Leben recht zu führen.

Gewiß will Gott nicht, daß wir jenen ursprünglichen Adel vergessen, den er un­serem Vorvater Adam hatte zuteil werden lassen — denn der soll uns ja mit Recht zum Eifer um Gerechtigkeit und Gutsein erwecken. Wir können gar nicht an unseren Ursprung denken oder erwägen, wozu wir erschaffen sind, ohne zugleich zum Ver­langen nach der Unsterblichkeit und zum Trachten nach dem Reiche Gottes gereizt zu werden. Aber solche Rückerinnerung macht uns nicht stolz, sondern wirft vielmehr allen Stolz zu Boden und macht uns demütig. Denn was ist das für ein Ur­sprung? Eben der — aus dem wir herausgefallen sind! Was ist das für ein Ziel un­serer Erschaffung? Eben das, von dem wir nun gänzlich abgewandt sind, so daß wir in tiefer Trauer über unser jämmerliches Los seufzen und in solchem Seufzen nach jener verlorenen Würde uns sehnen! Wenn wir aber sagen, der Mensch vermöge in sich selber nichts anzuschauen, das ihn stolz machen könnte, so ist unsere Meinung: beim Menschen ist nichts, auf das er sich verlassen und das ihn hochmütig machen könnte. Wenn man also so will, so wollen wir die Selbsterkenntnis, die der Mensch haben soll, folgendermaßen einteilen: Erstens soll er bedenken, zu welchem Zweck er erschaffen worden ist und was für nicht geringzuschätzende Gaben ihm zuteil ge­worden sind. Diese Erwägung soll ihn reizen, auf die Verehrung Gottes und das zukünftige Leben bedacht zu sein. Zweitens soll er seine Fähigkeiten, das heißt aber in Wirklichkeit: seinen Mangel an solchen, betrachten. Tut er das, so wird er sozusagen zu Nichts werden und in äußerster Verwirrung dastehen. Die erst­genannte Erwägung hat den Zweck, daß er erkenne, was seine Aufgabe (officium) sei, die zweite, daß er innewerde, was er eigentlich vermöge, um ihr gerecht zu werden. Wir werden über beide nach der durch die Lehrabsicht gebotenen Reihenfolge zu reden haben.

Themen: ,

Play

Zusammenfassung:

  1. Die wahre Selbsterkenntnis fordert, dass wir  alles Selbstvertrauen in unsere Fähigkeiten von uns legen
  2. die Versuchung, den Menschen für seine Fähigkeiten zu loben
    1. fördert unsere angeborene blinde Selbstliebe
    2. selbst wenn wir Gott einen Teil anerkennen, gibt es dennoch genug Grund für Eigenruhm und Selbstüberschätzung
  3. in allen Zeitepochen war das Lob über die menschlichen Errungenschaften verbreitet, weil es so sehr den Stolz des Menschen anspricht
  4. alle jene, die glauben, durch eigene Kräfte alles zu erreichen, werden früher oder später eines Besseren belehrt

Text:

Das also fordert Gottes Wahrheit als Inhalt unserer Selbstprüfung: sie ver­langt eine solche Erkenntnis von uns, die uns von aller Zuversicht auf eigenes Vermögen fernhält uns jeden Grund zum Selbstruhm nimmt und so zur Demut führt. Diese Richtschnur gilt es festzuhalten, wenn wir zum rechten Maß und Ziel des Denkens und Handelns kommen wollen. Dabei weiß ich sehr wohl, wieviel angenehmer jene Lehre ist, die uns einlädt, unser Gutes zu bedenken, als jene, die uns unsere jämmerliche Armut und Schande betrachten läßt und uns so mit Scham er­füllt. Denn der Menschengeist hat nichts lieber, als wenn man ihm Schmeicheleien vormacht; und wenn er hört, daß seine Fähigkeiten irgendwo hoch gerühmt werden, so neigt er sich gleich mit allzugroßer Leichtgläubigkeit auf jene Seite! Des­halb ist es auch nicht zu verwundern, daß in diesem Stück der größte Teil der Menschheit so verderbenbringend sich verirrt hat. Denn allen Sterblichen ist eine mehr als blinde Selbstliebe eingeboren, und deshalb reden sie sich bereitwilligst ein, sie trügen nichts in sich, das etwa mit Recht zu verwerfen wäre! Und so findet ohne fremden Schutz dieser eitle Wahn immer wieder Glauben, der Mensch sei sich selbst völlig genug, um gut und glücklich zu leben. Gewiß: einige wollen bescheidener ur­teilen und Gott einen Anteil zugestehen, damit sie nicht den Eindruck machen, als ob sie sich alles selbst zuschreiben wollten — aber da teilen sie denn doch so, daß der stärkste Grund zum Rühmen und zum Selbstvertrauen auf ihre eigene Seite zu liegen kommt! Kommt dazu dann noch solch feine Redeweise, welche den sowieso im Menschen mit Mark und Bein verwachsenen Hochmut mit ihren Lockungen kitzelt, so gibt es nichts, was ihm größere Freude machte! Und so ist auch jeder, der die Vorzüge der menschlichen Natur mit seinen Reden kräftig herausgestrichen hat, zu allen Zeiten mit gewaltigem Beifall aufgenommen worden. Aber wie groß auch jene Hervorhebung der menschlichen Hoheit sein mag, die den Menschen lehrt, sich mit sich selber zufrieden zu geben — sie macht ja nur durch ihre liebliche Gestalt sol­ches Vergnügen, und ihre Vorspiegelungen erreichen nur dies, daß sie die, welche ihr zustimmen, am Ende ganz ins Verderben stürzt. Denn wozu kann es führen, wenn wir in eitlem Selbstvertrauen erwägen, planen, versuchen, ins Werk setzen, was wir für erforderlich halten, wenn uns dabei aber der rechte Verstand ganz und gar abgeht, wir bei den ersten Versuchen bereits rechter Kraft ermangeln — und dennoch selbst­sicher fortschreiten, bis wir in den Untergang hineinrennen? Aber so muß es ja denen gehen, die meinen, sie vermöchten etwas in eigener Kraft! Leiht man jenen Lehrern das Ohr, die uns bloß damit Hinhalten, unser Gutes zu bedenken, so kommt man eben nicht zur Selbsterkenntnis, sondern verfällt in übelste Selbst-Unkenntnis!

Themen: ,

Play

Verkehrte und richtige Selbsterkenntnis

Zusammenfassung:

  1. das antike Sprichwort „Erkenne dich selbst“
  2. seine verkehrte Anwendung durch gewisse Philosophen, die den Menschen auffordern, sich selbst zu erkennen, um damit den Wert und die Vorzüglichkeit des Menschen festzustellen
  3. bei den Bestandteile der wahren Selbsterkenntnis sind zu beachten
    1. was Gott uns gab bei der Schöpfung und uns immer noch gibt: wir verdanken ihm alles
    2. unsere erbärmliche Lage nach Adams Sündenfall verspielte unsere ursprüngliche gerechtes Wesen und liess uns gedemütigt und beschämt zurück
  4. die Dynamik des Lebens als Christ: grundlegender Wertschätzung → äusserte Widerspruch zu unseren gefallenen Wesensart → Abscheu und Missfallen mit sich selbst → Demut → neuer Eifer Gott zu suchen → Rückgewinn der guten Dinge, die wir verloren haben (Unsterblichkeit)

Text:

Nicht ohne Grund ist dem Menschen nach einem alten Spruche stets die Selbsterkenntnis hoch gerühmt worden. Es gilt doch bereits als schimpflich, wenn einer nicht weiß, was zu den Dingen des menschlichen Gebens gehört. Viel verwerflicher aber ist die Selbst-Unkunde: da werden wir bei jeder Entschließung in wichtiger Sache jämmerlich von Wahnideen geplagt und geradezu mit Blindheit geschlagen! So wichtig aber jene Anweisung ist, so müssen wir uns erst recht in acht nehmen, von ihr keinen verkehrten Gebrauch zu machen — und das ist, wie wir sehen, gewissen Philosophen zugestoßen! Diese nämlich ermahnen zwar den Menschen zur Selbsterkenntnis; aber sie bestimmen zugleich das Ziel solcher Bemühung so: er soll sich über seine Würde und seine bevorzugte Stellung (excellentia) im klaren sein! Der Mensch soll nach ihrem Willen nur die Selbstbetrachtung üben, die ihn zu leerem Selbstvertrauen und zum Stolz aufbläst (Gen. 1,27). Unsere Selbster­kenntnis soll aber etwas anderes in sich tragen: Zunächst sollen wir bedenken, was uns alles in der Schöpfung zuteil geworden ist und wie gütig Gott fort und fort seine Gnade über uns walten läßt; daraus sollen wir erkennen, wie groß der Vorzug unserer Natur sein müßte — wenn sie unverdorben geblieben wäre. Zu­gleich aber sollen wir auch erwägen, daß wir ja nichts Eigenes in uns tragen, sondern geschenkweise das besitzen, was Gott uns gab — damit wir immer an ihm hangen: Zum zweiten soll uns aber unser jämmerlicher Zustand nach Adams Fall entgegentreten; werden wir des inne, so fällt aller Ruhm, alle Selbstsicherheit dahin, und wir gelangen tief beschämt zu rechter Demut. Denn Gott hat uns im Anfang zu seinem Bilde geschaffen, um unsere Seele zum Eifer in rechtem Tun und zum Trachten nach dem ewigen Leben zu erwecken, und so müssen wir, damit nicht der Adel unseres Geschlechts, der uns von den Tieren unterscheidet, durch unsre Trägheit gar verfalle, dies erkennen: wir sind mit Vernunft (ratio) und Verstand (intelligentia) begabt, um in einem heiligen und ehrbaren Leben uns nach dem vorgesteckten Ziel der seligen Unsterblichkeit auszustrecken! Jene ursprüngliche Würde kann uns aber gar nicht in die Erinnerung treten, ohne daß sich alsbald das traurige Bild unserer Befleckung und Schande uns vor die Augen stellt, wie es geworden ist, seitdem wir in der Person des ersten Menschen unserem Ursprung entfremdet sind. Und daraus entsteht denn auch Haß und Mißfallen an uns selbst und wahre Demut — und es entbrennt ein neuer Eifer, Gott zu suchen, in dem ein jeglicher die Güter wieder erlangen soll, die wir nun ganz und gar verloren haben.

Themen: ,