Archive for the ‘Buch 2 Kapitel 02’ Category

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Zusammenfassung

  1. durch die allgemeine Gnade beschränkt Gott die Verdorbenheit der Welt
  2. durch die spezielle Gnade gibt er dem Menschen das, zu dem er berufen ist

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Als Hauptinhalt des eben Ausgeführten wollen wir festhalten: Am ganzen Menschengeschlecht läßt sich erkennen, daß unserer Natur die Vernunft eigen ist; sie un­terscheidet uns von den Tieren, wie diese sich wieder durch den Besitz des Empfindens von den unbelebten Wesen abheben. Es kommen nun zwar auch Narren und schwachsinnige Menschen zur Welt; aber dieser Mangel verfinstert Gottes allge­meine Gnade (generalem Dei gratiam) nicht. Vielmehr erinnert uns gerade ein solches Jammerbild daran, daß alles, was wir übrigbehalten haben, mit gutem Grunde Gottes Huld zuzuschreiben ist: hätte er uns nicht verschont, so hätte der Fall den Untergang der gesamten Natur mit sich gebracht. Darin aber, daß der eine an Scharfsinn hervorragt, der andere sich durch Urteilskraft auszeichnet, ein anderer wieder besonders begabt ist zur Erlernung dieser oder jener Kunstfertigkeit, also in dieser Verschiedenartigkeit stellt uns Gott seine Gnade vor die Augen — damit sich nicht jeder selbst anmaßt, was doch aus seiner bloßen Freigebigkeit ihm zufloß. Denn woher soll es anders kommen, daß der eine über den anderen hervorragt, als dar­aus, daß innerhalb der gemeinsamen Natur die besondere Gnade Gottes (specialis Dei gratia) sichtbar werden soll, die an vielen vorübergeht und dadurch deutlichst bezeugt, daß sie niemandem gegenüber Verpflichtung hat? Man muß noch obendrein beachten, daß Gott entsprechend dem besonderen Beruf (vocatio) des einzelnen auch besondere Triebkräfte in ihm erregt; dafür begegnen uns im Richterbuche viele Be­lege, wo es heißt, der Geist des Herrn habe die ergriffen, die er zur Regierung des Volkes berufen hatte (Richter 6,34). Schließlich kommt auch bei besonderen Ereig­nissen ein besonderer Antrieb zum Vorschein; so gingen die mit Saul, „denen Gott das Herz berührt hatte“ (1. Sam. 10,26). Und bei der Einsetzung des Saul in die Königswürde spricht Samuel: „Der Geist des Herrn wird über dich kommen, und du wirst ein anderer Mann werden“ (1. Sam. 10,6). Das bezieht sich auf den ganzen Lauf der Regierung, wie nachher von David berichtet wird, der Geist des Herrn sei über ihn gekommen an jenem Tage und hinfort (1. Sam. 16,13). Eben das aber wird an anderen Stellen von den besonderen Antrieben des Geistes gesagt. Ja, bei Homer heißt es, die Menschen hätten ihren Verstand nicht allein nach dem Maße der (ein­maligen) Zuteilung durch Jupiter, sondern sie besäßen ihn, „je nachdem, wie er sie täglich regiere“ (Odyssee). Und die Erfahrung zeigt ja auch tatsächlich — zum Beispiel, wenn sonst sehr begabte und kundige Leute öfters plötzlich wie angedonnert dastehen —, wie der Menschengeist derart in der Hand und im Willen Gottes steht, daß er ihn in den einzelnen Augenblicken regiert! So heißt es auch: „Er nimmt den Klugen ihren Verstand, daß sie in der Irre umherlaufen“ (Psalm 107,40; nicht Luthertext). Doch sehen wir auch inmitten solcher großen Unterschiedenheit gewisse übriggebliebene Kennzeichen des Ebenbildes Gottes, die das ganze Menschenge­schlecht von den anderen Kreaturen abheben.

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Zusammenfassung

  1. der Heilige Geist verteilt die natürlichen Begabungen an die gesamte Menschheit für das Allgemeinwohl, den gerechten wie auch den ungerechten; dies muss man aber unterscheiden von der Gabe des Geistes der Heiligung
  2. darum können uns gottlose Menschen durchaus in den Künsten und Wissenschaften etwas beibringen, da sie ja diese Gabe von Gott erhalten haben
  3. Augustin lehrte, und die Scholastiker stimmten zu, dass die freien Gaben durch den Sündenfall verloren gingen, aber dass jedoch die verbleibenden natürlichen Begabungen verdorben wurden: dies bedeutet nicht, dass die Begabungen verschwunden sind, aber sie sind nicht länger mehr rein vor Gott

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Aber wir wollen unterdessen nicht übersehen, daß diese Fähigkeiten herrlichste Gaben des Geistes Gottes sind, die er zum gemeinen Besten des Menschengeschlechts nach seinem Willen austeilt, an wen er will. Sollten Bezaleel und Oholiab den Verstand und die Kundigkeit haben die zur Herstellung der Hütte erforderlich wa­ren, so mußten sie vom Geiste Gottes damit erfüllt werden (Ex. 31,2ff.; 35,30ff.). Und so ist es nicht verwunderlich, daß es heißt, die Kenntnis der Dinge, die im menschlichen Leben von der größten Bedeutung sind, werde uns durch den Geist Gottes zuteil. Da hat nun aber keiner Anlaß zu fragen: Was haben denn die Gott­losen mit dem Heiligen Geiste zu schaffen, sie sind doch ganz und gar von Gott ge­trennt? Denn es heißt zwar, der Geist Gottes wohne nur in den Gläubigen (vgl. Röm. 8,9), aber das muß auf den Geist der Heiligung bezogen werden, durch den wir Gott selber zum Tempel geweiht werden. Aber darum erfüllt, bewegt und kräf­tigt Gott durch die Kraft desselben Geistes nicht weniger alle Dinge, und zwar ent­sprechend der Eigenart jedes einzelnen Wesens, wie er sie ihm durch das Gesetz der Schöpfung (creationis lege) zugewiesen hat. Will uns also der Herr durch Hilfe und Dienst von Unfrommen in der Naturwissenschaft, in der Wissenschaft vom Den­ken oder der Mathematik oder sonstigen Wissenschaften Beistand schaffen, so sollen wir davon Gebrauch machen. Im anderen Fall würden wir Gottes Gaben, die uns in ihnen von selbst dargeboten werden, verachten und mit Recht für unsere Träg­heit gestraft werden! Aber es soll doch keiner den Menschen schon deshalb für glück­selig halten, weil ihm unter den vergänglichen Dingen dieser Welt eine solche Kraft zum Begreifen der Wahrheit zugestanden wird. Deshalb muß gleich hinzugefügt werden: diese ganze Kraft des Begreifens, dieses Verstehen, wie es sich daraus er­gibt — es ist doch vor Gott ein wandelbares und nichtiges Ding, wenn es nicht auf dem festen Grunde der Wahrheit (selber) ruht! Denn Augustin, dem, wie gesagt, der Sentenzenmeister (II,25) und die Scholastiker sich anschließen mußten, hat doch recht, wenn er sagt, die Gnadengaben seien dem Menschen nach dem Fall entzogen worden und ebenso seien die übriggebliebenen natürlichen Gaben verderbt. Das be­deutet nun nicht, daß sie von sich aus befleckt wären; denn sie kommen ja von Gott. Aber dem befleckten Menschen sind sie nicht mehr rein, so daß er nicht etwa in ihnen seinen Ruhm suchen kann!

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Zusammenfassung

  1. alle Wissenschaften haben ihren Ursprung im Heiligen Geist, dem einzige Quelle aller Wahrheit
  2. darum geringschätzen wir nicht jegliche menschliche Erkenntnis, denn sonst würden wir die Gabe des Geistes, dem Quell allem Wahren, verachten und wären somit Gott selbst undankbar.
  3. daher gab Gott den Menschen einige Reste seiner Gaben, selbst nachdem die Natur des Menschen durch den Sündenfall verdorben wurde

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Sooft wir heidnische Schriftsteller lesen, leuchtet uns aus ihnen wunderbar das Licht der Wahrheit entgegen. Daran erkennen wir, daß der Menschengeist zwar aus seiner ursprünglichen Reinheit herausgefallen und verdorben, daß er aber doch auch jetzt noch mit hervorragenden Gottesgaben ausgerüstet und geschmückt ist. Bedenken wir nun, daß der Geist Gottes die einzige Quelle der Wahrheit ist, so werden wir die Wahrheit, wo sie uns auch entgegentritt, weder verwerfen noch verachten — sonst wären wir Verächter des Geistes Gottes! Denn man kann die Gaben des Geistes nicht geringschätzen, ohne den Geist selber zu verachten und zu schmähen! Wieso auch? Wollen wir etwa leugnen, daß den alten Rechtsgelehrten die Wahrheit ge­leuchtet habe, wo sie doch mit solcher Gerechtigkeit die bürgerliche Ordnung und Zucht (civilem ordinem et disciplinam) beschrieben haben? Wollen wir sagen, die Philosophen seien in ihrer feinen Beobachtung und kunstvollen Beschreibung der Natur blind gewesen? Wollen wir behaupten, es hätte denen an Vernunft gefehlt, die die Kunst der Beweisführung dargestellt und uns vernünftig zu reden gelehrt haben? Wollen wir die für unsinnig erklären, die uns durch Ausbildung der Heil­kunde mit solchem Fleiß gedient haben? Was sollen wir zu den mathematischen Wissenschaften sagen? Sollen wir sie für Raserei von Irrsinnigen halten? Nein, wir können die Schriften der Alten hierüber nicht ohne große Bewunderung lesen, und dazu kommen wir, weil wir sie den Tatsachen entsprechend notwendig für hervor­ragend erklären müssen. Aber können wir überhaupt etwas für lobenswert oder her­vorragend erklären, ohne zugleich zu erkennen, daß es von Gott herkommt? Eines solchen Undanks sollten wir uns schämen; sind doch selbst die heidnischen Dichter nicht darein verfallen: sie haben erklärt, Philosophie und Gesetzgebung und alle schönen Künste seien Lehren der Götter! Es sind also selbst diese Menschen, die doch die Schrift „natürliche Menschen“ nennt, offensichtlich in der Erforschung der niedrigeren Dinge bis zu diesem Grade scharfsichtig und erkenntnisfähig. An solchen Beispielen sollen wir lernen, wieviel Gutes der Herr uns Menschen übriggelassen hat, nachdem wir freilich des wahren Guten verlustig gegangen sind!

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Zusammenfassung

  1. Während die Begabungen zur Kunst nicht gleichmässig bei allen Menschen vorhanden ist, so haben doch alle Menschen eine spezielle Begabung: das ist ein Beweis für die fortwährende Fähigkeit (nach dem Sündenfall) der menschlichen Vernunft
  2. Gottes gelegentliche Erlaubnis, dass Menschen mit Behinderungen geboren werden, zeigt umso mehr, wie sehr die Künste ein Geschenk Gottes ist
  3. Der Mensch hat, dementsprechend, seit dem Anfang der Künste, eine angeborene Fähigkeit, etwas kunstvolles zu erschaffen und die überlieferten Kulturerzeugnisse zu verbessern (das ist gegen die platonische Lehre des Erinnerns).

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Nun folgen die freien Künste und das Handwerk. Wir tragen alle eine gewisse Geschicklichkeit dazu in uns, und die Tatsache, daß wir sie zu erlernen vermögen, läßt ebenfalls die Kraft des menschlichen Verstandes ins Licht treten. Gewiß sind nicht alle in der Lage, alles zu lernen; aber es ist doch ein recht deutliches Zeichen der allgemein vorhandenen Kraft, daß fast niemand zu finden ist, dessen Einsicht nicht (wenigstens) in irgendeiner Kunstfertigkeit zu merken wäre! Aber Kraft und Behendigkeit bewähren sich nicht bloß im Lernen, sondern auch im Ausdenken von et­was Neuem in einer Kunst und auch in der Vervollkommnung und Ausbildung dessen, was man von jemand anderem erlernt hat. Diese Beobachtung hat einst den Platon auf den verkehrten Gedanken gebracht, solches Begreifen sei nichts anderes als Erinnerung. Uns zwingt sie aber doch mit gutem Grunde zu dem Geständnis, daß die Anfangsgründe dazu dem Menschengeiste angeboren sind. Diese Erweise be­zeugen klar, daß dem Menschen ein allgemeiner Begriff von Vernunft und Verstand von Natur aus innewohnt. Und dieses Gut ist doch so allgemein vorhanden, daß je­der einzelne darin für sich persönlich eine besondere Gnadengabe Gottes anerkennen muß. Zu dieser Dankbarkeit ermuntert uns der Schöpfer der Natur selbst auf das kräftigste; er schafft nämlich auch Narren, um an ihnen zu zeigen, was für Fähig­keiten eigentlich die Menschenseele auszeichnen, wenn sie nicht von seinem Lichte durchflutet (perfusa) ist — und dies letztere findet von Natur fast in allen Menschen statt, so daß es geradezu für jeden einzelnen ein freies Geschenk seiner Gnade dar­stellt! Nun ist zwar die Erfindung der Künste und die geordnete Unterweisung in ihnen oder auch die ins Innere dringende und weitergreifende Erkenntnis — die nur wenigen eigen ist — nicht etwa ein ausreichender Beweis für allgemeine Erkenntnisfähigkeit. Aber sie kommt doch Frommen und Unfrommen gemeinsam zu und zählt deshalb mit Recht zu den natürlichen Gaben.

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Zusammenfassung

  1. die Tüchtigkeit des Verständnisses unterscheidet sich aufgrund des zu betrachteten Objektes: Unterschied zwischen irdischen und himmlischen „Dingen“
    1. irdische
      1. nicht zu Gott und seinem Reich gehörend, wahre Gerechtigkeit und glückseliges ewiges Leben
      2. jedoch zu dieser jetzigen Welt gehörend
        1. Regierung
        2. Haushaltsbewirtschaftung
        3. mechanische Fertigkeiten
        4. freie Künste
    2. himmlische
      1. reine Erkenntnis Gottes, wahre Gerechtigkeit und die Geheimnisse des himmlischen Königreiches
        1. Wissen über Gott oder über seinen Willen
        2. die Gesetze, durch welche wir unser Leben seinem Willen ausrichten
  2. der angeborene und universelle Charakter der Gesetze dient als Basis für die menschliche Gesellschaft: Gerechtigkeit (epiekeia) ein gewisses Bedürfnis nach politischer Ordnung ist allen Menschen gegeben
  3. die Tatsache, dass die Keime einer politischen Ordnung in allen Menschen vorhanden ist, wird nicht durch die kriminelle oder sonst gesetzlosen Systeme infrage gestellt, die das Gesetz aus purer Lust und nicht aus rationalen Argumente ablehnt: sie disputieren nur um zu zeigen, wie schwach der menschliche Verstand ist

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Jedoch sind die Mühen des Menschengeistes nicht immer so fruchtlos, daß gar nichts dabei herauskommt; besonders wenn er es mehr auf das Niedere absieht. Ja, er ist auch nicht so starr, daß er nicht auch ein weniges von den höheren Dingen begriffe, wenn auch die Beschäftigung damit weniger gründlich geschieht; freilich ist unsere Fälligkeit, die höheren Dinge zu erkennen, doch ungleich geringer. Denn sobald der Mensch einmal über den Bereich dieses irdischen Lebens hinausgeht, wird ihm erst seine Unzulänglichkeit recht bewußt. Um besser erkennen zu können, wie weit der Verstand bei den einzelnen Dingen entsprechend der Kraft seines Erkenntnisver­mögens kommt, müssen wir also zweckmäßig einen Unterschied machen. Und dieser soll darin bestehen, daß wir uns klarmachen: die Erkenntnis der irdischen Dinge ist etwas anderes als die der himmlischen. Unter „irdischen“ Dingen verstehe ich dabei das, was mit Gott, seinem Reiche, der wahren Gerechtigkeit und der Seligkeit des kommenden Lebens nichts zu tun hat, sondern nach seinem Sinn und seinen Beziehungen zum gegenwärtigen Leben gehört und sozusagen innerhalb seiner Gren­zen bleibt. Unter „himmlischen“ Dingen verstehe ich die reine Erkenntnis Gottes, den Weg zu der wahren Gerechtigkeit und die Geheimnisse des Himmelreichs. Zur ersten Gruppe gehören das weltliche Regiment, die Haushaltskunst, alles Handwerk und die freien Künste. Zur zweiten Gruppe rechne ich die Erkenntnis Gottes und sei­nes Willens und die Richtschnur, nach der man das Leben gemäß dieser Erkenntnis gestalten kann.

Von der ersten Gruppe ist folgendes zu sagen: Der Mensch ist ein von Natur auf Gemeinschaft angelegtes Wesen (animal natura sociale) und neigt daher durch natürlichen Trieb dazu, diese Gemeinschaft zu erhalten und zu fördern. Deshalb be­merken wir, daß allgemeine Empfindungen für eine gewisse bürgerliche Ehrbarkeit und Ordnung allen Menschen innewohnen. Daher ist auch kein Mensch zu finden, der nicht verstünde, daß jede menschliche Gemeinschaft durch Gesetze zusammengehalten werden muß, und der nicht die Grundsätze derartiger Gesetzgebung in seinem Ver­stande trüge. Daher kommt auch jene immerwährende Übereinstimmung aller Völker und auch der einzelnen Sterblichen hinsichtlich der Gesetze; denn die Samenkörner dazu sind in alle Menschen ohne Lehrmeister und Gesetzgeber hineingesät. Ich will mich nicht damit aufhalten, auf den Zwiespalt und Streit einzugehen, der sich bald erhebt, wenn die einen alles menschliche und göttliche Recht umzustürzen, alle Schran­ken des Gesetzes zu zerbrechen und der Begierde allein nach ihrem eigenen Recht freien Lauf zu lassen begehren wie Diebe und Räuber, oder wenn andere, was ein allzu verbreitetes Übel ist, für Unrecht erklären, was andere Leute als Recht festgestellt haben, oder für löblich, was jene verbieten! Denn der Haß solcher Leute gegen die Gesetze hat nicht darin seinen Grund, daß sie etwa nicht wüßten, daß sie gut und heilig sind; sondern sie wüten in wilder Gier, kämpfen gegen die klar erkannte Ver­nunft und verabscheuen in ihrer Lust, was sie mit der Kraft ihres eigenen Ver­standes billigen! Dieser letztgeschilderte Streit ist so geartet, daß er jenes ursprüng­liche Bewußtsein um das Recht nicht auflöst. Im Gegenteil: Wenn die Menschen über einige Stücke der Gesetze im Streit liegen, so besteht doch hinsichtlich des we­sentlichen Bestandes des Rechts Übereinstimmung. Freilich erweist sich dabei die Un­zulänglichkeit des Menschengeistes: auch wo er dem rechten Wege zu folgen scheint, gerät er ins Stolpern und Schwanken! Trotzdem bleibt es bei der Feststellung: allen Menschen ist gewissermaßen ein Same der Ordnung des weltlichen Regiments ins Herz gelegt. Und das ist ein starker Beweis dafür, daß in der Führung dieses (irdischen) Lebens kein Mensch ohne das Licht der Vernunft ist.