Archive for the ‘Buch 1 Kapitel 17’ Category

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Zusammenfassung

  1. Gott setzt uns Grenzen für unser Leben durch seine ewigen Ratsschlüsse
  2. dies hindert jedoch uns nicht, die Mittel zu gebrauchen, die Er uns gegeben hat, um unsere Leben zu erhalten
  3. daher sind Torheit und Besonnenheit Instrumente des göttlichen Waltens

Text

Was das Zukünftige angeht, so bringt Salomo die Überlegungen der Menschen mit Gottes Vorsehung leicht zusammen. Er verspottet zwar die Torheit solcher Leute, die unüberlegt ohne den Herrn alles Mögliche angreifen, als ob sie nicht von seiner Hand regiert würden. Aber ebenso sagt er an anderer Stelle: „Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; und der Herr allein gibt, daß er fortgehe“ (Spr. 16,9). Damit zeigt er, daß uns Gottes ewige Bestimmung in keiner Weise hindert, unter seinem Willen für uns zu sorgen und alle unsere Dinge zu beschicken. Dafür gibt es auch einen leicht erkennbaren Grund. Denn der, der unserem Leben seine Grenzen gesetzt hat, der hat zugleich uns die Sorge darum anvertraut, hat uns Verstand und Mittel gegeben, es zu erhalten, uns mit den Gefahren bekannt gemacht, die es be­drohen, und uns Vorsicht und Schutzmittel an die Hand gegeben, damit uns jene Gefahren nicht unversehens überfallen. Nun ist klar, was wir für eine Verpflichtung haben: wenn der Herr uns aufgetragen hat, unser Leben zu schützen, so sollen wir es schützen, wenn er uns Hilfsmittel darreicht, so sollen wir sie anwenden, wenn er uns die Gefahren vorher zeigt, so sollen wir nicht unbedacht hineinrennen, wenn er uns mit Heilmitteln zu Hilfe kommt, so sollen wir sie nicht gering schätzen! „Aber“ – so wirft man ein – „alle Gefahr, die mir begegnet, ist doch schicksalhaft (fatale), und da helfen keine Mittel!“ Wie aber, wenn die Gefahren deshalb nicht unvermeidlich sind, weil der Herr dir Mittel gegeben hat, ihnen entgegentreten und sie zu überwinden? Sieh nur zu, wie willst du eine derartige Schlussfol­gerung mit der Ordnung göttlicher Leitung vereinigen? Du meinst, man solle sich vor der Gefahr nicht in acht nehmen; denn wenn sie nicht schicksalhaft (zum bösen Ausgang) bestimmt sei, dann würden wir ihr auch ohne Vorsicht entgehen. Der Herr aber macht dir die Vorsicht eben deshalb zur Pflicht, weil er nicht will, daß das Unglück dich schicksalhaft überfalle! Solche Narren ziehen eben nicht in Betracht, was doch vor Augen ist, nämlich daß der Herr dem Menschen die Fähigkeit, sich vor­zusehen und in acht zu nehmen eingegeben hat, mit der er seiner Vorsehung in der Erhaltung seines Lebens dienen soll! Ebenso zieht sich der Mensch selbst durch Nach­lässigkeit und Trägheit die Übel zu, die Gott damit verbunden hat. Ein vorsorglicher Mensch, der sich Hilfe sucht, entzieht sich dadurch auch drohenden Gefahren, der Narr dagegen kommt in seiner Unbedachtsamkeit um. Woher kommt das anders, als daß auch Torheit und Klugheit Werkzeuge der göttlichen Leitung sind, jede in ihrer Weise? Gott hat uns alles Zukünftige verborgen sein lassen, aber so, daß wir ihm gerade als Zweifelhaftem entgegengehen und nicht aufhören, ihm die bereiteten Mittel entgegenzustellen, bis es entweder überwunden ist oder aber sich stärker er­wiesen hat als alle Sorgfalt! So habe ich ja auch schon bemerkt, daß uns Gottes Vorsehung nicht immer „bloß“ begegnet, sondern Gott bekleidet sie gewissermaßen mit den dazu angewandten Mitteln.

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Zusammenfassung

  1. wir dürfen nicht unsere Bosheit oder Missgeschicke Gott vorwerfen, wie es einige Dichter tun
  2. auch die Freidenker behaupten absurderweise, dass die Vorsehung…
    1. jede Vorsichtsmassnahme gegen Gefahr oder Tod völlig überflüssig macht, weil wir ja sowieso nicht dem Schicksal entrinnen können, das Gott bestimmt hat
    2. uns von jedem Verbrechen freispricht, da es ja von Gott vorbestimmt war, dass es geschehen soll und wir daher nicht die Ursache, sondern nur das Instrument sind.

Text

Wem solche Bescheidenheit zuteil geworden ist, der wird weder um der Widerwär­tigkeiten vergangener Zeiten willen gegen Gott murren, noch auch die Schuld für die Übeltaten auf ihn schieben, wie es Agamemnon bei Homer tut: „Ich bin dessen nicht schuld, sondern Zeus und das Schicksal!“ Er wird sich auch nicht wie jener Jüngling bei Plautus, wie vom Schicksal dahingerissen, verzweifelt ins Verderben stürzen: „Unbeständig ist das Los der Dinge, nach Willkür handelt das Schicksal am Menschen; ich will mich zum Felsen begeben, um mit meinem Leben der Sache ein Ende zu machen!“ Auch wird er nicht nach dem Beispiel eines anderen mit dem Na­men Gottes seine Untaten beschönigen. So spricht es Lyconides in einer anderen Ko­mödie (des Plautus) aus: „Gott war der Anstifter, ich glaube, die Götter haben es so gewollt; denn ich weiß: hätten sie es nicht gewollt, so wäre es nicht geschehen!“ Nein, er wird aus der Schrift forschen und lernen, was Gott gefällt, um unter Führung des Geistes danach sich auszustrecken; er wird zugleich bereit sein, Gott zu folgen, wohin er ihn ruft, und damit zeigen, daß nichts heilsamer ist, als diese Lehre zu kennen.

Gottlose Leute machen mit ihren Albernheiten einen Aufruhr, so daß sie sozu­sagen beinahe Himmel und Erde durcheinander werfen: „Wenn der Herr doch den Zeitpunkt unseres Todes bestimmt hat, so kann man ihm nicht entgehen, und alle Vorsichtsmaßnahmen sind vergebliche Mühe!“ Wenn also der eine einen Weg mei­det, den er als gefährlich kennt, um nicht von Räubern umgebracht zu werden, – wenn der andere den Arzt holt und sich um Arzneien bemüht, um sein Leben zu er­halten, – oder wenn wieder ein anderer sich schwererer Speisen enthält, um seine schwache Gesundheit zu schonen, – oder wenn einer Bedenken trägt, ein baufälliges Haus zu beziehen, – oder wenn wir alle miteinander Wege ersinnen und mit großer Anstrengung überlegen, um zu bekommen, was wir begehren – dann sind das (nach ihrer Meinung) lauter sinnlose Mittel, mit denen man Gottes Willen zu ändern be­gehrt; oder aber Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit, Frieden und Krieg und alles andere, das Menschen erstreben oder hassen und deshalb mit großem Fleiß zu erlangen oder fernzuhalten streben, wird gar nicht von seinem gewissen Entscheid bestimmt! Ja, man hält dann auch die Gebete der Gläubigen für verkehrt, ja für überflüssig — da man ja in ihnen um Gottes Leitung in solchen Dingen bittet, die Gott doch seit aller Ewigkeit festgelegt hat! Kurz, alle Vorkehrungen für die Zukunft hebt man auf, als im Widerspruch zu Gottes Vorsehung stehend – da diese auch ohne Rücksicht auf sie schon beschlossen habe, was geschehen soll. Und was wirklich geschieht, das schreibt man der Vorsehung Gottes derart zu, daß man dabei den Menschen entschuldigt, der es doch gewiss mit Überlegung angerichtet hat. Da bringt ein Meuchelmörder einen rechtschaffenen Bürger ums Leben – er hat, so sagt man, Gottes Rat ausgeführt! Da hat jemand gestohlen oder die Ehe gebrochen – er ist ein Knecht der Vorsehung Gottes, denn er hat getan, was von dem Herrn vorgesehen und bestimmt war! Da läßt ein leichtsinniger Sohn seinen Vater sterben, ohne sich um Heilmittel zu bemühen – er konnte ja Gott nicht widerstehen, der es von Ewigkeit her so beschlossen hatte! Auf diese Weise heißen dann alle Untaten Lu­genden, weil sie ja angeblich der Anordnung Gottes dienen!

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Zusammenfassung

  1. die rechte Haltung in Bezug auf Gottes Vorsehung ist die der Ehrfurcht, Ehrerbietung und Demut, nicht die des Hochmuts einiger, die versuchen, Gottes Handeln durch ihre eigene Vernunft zu begrenzen
  2. die Bibel beweist unbestreitbar, dass alles, was in diesem Universum geschieht, durch Gottes unfassbaren Plan geleitet wird.
    1. der Wille Gottes, wie er sich im Gesetz und im Evangelium offenbart, unterscheidet sich von Gottes verborgenen Willen (siehe 1-18-03 für die Einheit des Willen Gottes)
    2. das Zeugnis Hiobs, besonders, im Bezug auf das
  3. lasst uns also Gottes Allmacht anerkennen, dass sein Wille für uns die einzige Regel der Gerechtigkeit und die wahrhaftige Ursache aller Dinge sei
    1. es ist nicht ein absoluter Wille, der von seiner Gerechtigkeit getrennt ist (Sorbonne)
    2. aber die Vorsehung, die Quelle alles Gerechten, jedoch verborgen

Text

Es wird also niemand Gottes Vorsehung recht und mit Nutzen erwägen, der nicht bedenkt, daß er es mit seinem Schöpfer und dem Wirker der Welt zu tun hat, und sich ihm dementsprechend zu Furcht und Ehrerbietung in gebührender Demut unter­wirft. Daß heutzutage so viele Hunde diese Lehre mit giftigen Bissen oder wenig­stens mit ihrem Gebell angreifen, das kommt daher, daß sie Gott nicht mehr zuge­stehen wollen, als ihnen die eigene Vernunft gebietet. Auch uns bekämpfen sie mit aller ihnen zu Gebote stehenden Frechheit, weil wir mit den Vorschriften des Gesetzes nicht zufrieden wären, in denen doch Gottes Wille niedergelegt ist, sondern auch noch behaupteten, die Welt werde durch seine verborgenen Ratschlüsse regiert. Als ob diese Lehre ein Gebild unseres Hirns wäre, als ob der Heilige Geist das alles nicht überall deutlich zu erkennen gäbe und es mit unzähligen Umschreibungen immer wiederholte! Aber sie haben eine gewisse Scheu, ihre Lasterungen gegen den Himmel auszustoßen, und deshalb geben sie, um desto freier rasen zu können, vor, es handle sich um einen Streit mit uns! Aber wenn sie nicht zugeben, daß alles Geschehen in der Welt durch Gottes unbegreiflichen Ratschluss gelenkt werde, dann sollen sie doch Auskunft geben, weshalb denn die Schrift sagt, Gottes Gerichte seien ein tiefer Abgrund! (Ps. 36,7). Denn wenn Mose ausruft, der Wille Gottes sei nicht fern oben in den Wolken, er sei auch nicht im Abgrund zu suchen, weil er ja im Gesetz ver­ständlich dargelegt sei (Deut. 30,11ff.), so folgt daraus: ein anderer, verborgener Wille wird mit dem Abgrunde verglichen! Davon redet ja auch Paulus, wenn er sagt: „O, welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes; wie unerforschlich sind seine Gerichte und wie unbegreiflich seine Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen?“ (Röm. 11,33f.). Es ist wahr: Gesetz und Evangelium enthalten Geheimnisse, die weit über unser Verstehen hinausgehen. Aber Gott erleuchtet das Herz der Seinen mit dem Geiste der Erkenntnis, um diese Geheimnisse zu fassen, die er in seinem Worte zu offenbaren für gut befunden hat; und darum ist hier kein Abgrund mehr, sondern ein Weg, auf dem man sicher gehen kann, und eine Leuchte für unseren Fuß, das Licht des Lebens, die Schule gewisser und deutlicher Wahrheit! Die wundersame Art der Weltregierung dagegen heißt mit Recht Abgrund; denn wir sollen sie in ihrer Ver­borgenheit ehrerbietig anbeten. Beides drückt Mose sehr schön mit wenigen Worten aus: „Das Geheimnis steht bei unserem Gott; aber was hier geschrieben ist, das geht euch und eure Kinder an“ (Deut. 29,29; nicht Luthertext). Da befiehlt er, wie wir sehen, nicht nur, auf die Beobachtung des Gesetzes eifrig zu halten, sondern auch Gottes geheime Vorsehung in Ehrfurcht zu betrachten. Ein Lobpreis dieser Erhaben­heit steht auch im Buche Hiob – und es ist demütigend für uns, was wir da hören! Nachdem der Verfasser das Weltgebäude droben und hienieden betrachtet und dabei großartig von den Werken Gottes geredet hat, fügt er am Ende hinzu: „Wahrlich, das ist der Umkreis seiner Wege, und wie gar wenig haben wir davon vernommen!“ (Hiob 26,14; nicht Luthertext). In diesem Sinne macht er an anderer Stelle auch einen Unterschied zwischen der Weisheit, die bei Gott wohnt, und der Art des Wei­seseins, die er den Menschen geboten hat. Denn nach einer Rede über die Geheim­nisse der Natur sagt er, die Weisheit sei Gott allein bekannt, und sie entgehe den Augen aller Lebendigen (Hiob 28,21.23). Aber dann fügt er doch gleich hinzu, sie sei kundgetan, damit der Mensch sie erforsche; denn dem Menschen sei ja gesagt: Siehe, die Furcht des Herrn, das ist Weisheit“ (Hiob 28,28). In dieser Richtung geht auch der Ausspruch Augustins: „Weil wir nicht alles wissen, was Gott in bester Ordnung an uns tut, so handeln wir bloß in gutem Willen nach dem Gesetz, und in allem übrigen werden wir nach dem Gesetz getrieben – denn seine Vorsehung ist ein unabänderliches Gesetz!“ (Verschiedene Fragen 83,27) Da Gott sich das Recht der Weltregierung, das uns nicht bekannt ist, selbst vorbehalten hat, so muß dies das Gesetz unserer Demut und Bescheidenheit sein, an seiner höchsten Befehlsgewalt zu hängen, damit sein Wille für uns die einzige Richtschnur der Gerechtigkeit und die gerechteste Ursache aller Dinge sei! Das ist aber nicht jener „absolute Wille“, von dem die Sophisten schwatzen, die in gottloser und unheiliger Zerspaltung seine Gerechtigkeit von seiner Macht trennen; sondern es ist die Vorsehung, die alle Dinge regiert, von welcher lauter Gutes kommt, so verborgen uns ihre Gründe auch sein mögen!

1
Feb

Der Sinn der Wege Gottes (Institutio 1-17-01)

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Zusammenfassung

  1. drei Sachen sind zu merken
    1. Gottes Vorsehung betrifft die Vergangenheit wie auch die Zukunft (siehe Sekt. 3 bis 5)
    2. er wirkt… (vor allem in Sekt. 9)
      1. manchmal mittelbar
      2. manchmal unmittelbar
      3. manchmal sogar wider allen Umständen
    3. durch die Vorsehung zeigt Gott sein Interesse für das ganze Menschengeschlecht, doch besondere Aufmerksamkeit erweist er seiner Kirche (behandelt in Sekt. 6 bis 8)
  2. die gelegentliche Verschleierung von Gottes Vorsehung in seinem Walten mit den Menschen sollte uns nicht dazu führen, alle Geschehnisse dem blinden Zufall zuzuschreiben oder gegen seine geheimen Ratsschlüsse zu rebellieren

Text

Aber der Menschengeist ist zu leeren Spitzfindigkeiten geneigt, und deshalb müssen notwendig alle, die den guten, rechten Gebrauch dieser Lehre nicht erfassen, sich in verwirrte Knoten verstricken. Deshalb ist es gut, hier noch kurz zu berühren, zu welchem Zweck denn die Schrift lehrt, es werde alles von Gott angeordnet.

Zunächst ist da zu beachten, daß die Vorsehung Gottes auf die Zukunft wie auch auf die Vergangenheit bezogen werden muß. Ferner müssen wir bemerken, daß sie alle Dinge derart lenkt, daß sie bald unter Einschaltung von Mittelursachen, bald ohne solche, bald gegen alle Mittelursachen wirkt. Und endlich ist als Hauptgesichtspunkt anzusehen, daß Gott zeigen will, wie er für das ganze Menschengeschlecht sorgt, wie er aber besonders über der Regierung der Kirche wacht, die er seines näheren Anschauens würdigt. Zuzufügen ist noch das: Gewiss leuchtet aus dem ganzen Gange der Vorsehung entweder seine väterliche Huld und Wohltätigkeit oder auch der Ernst seines Gerichts oftmals deutlich auf; aber es sind dennoch die Gründe des Geschehens oft unbekannt, so daß die Meinung aufkommt, das menschliche Geschick würde durch den blinden Trieb der Natur gedreht und ge­wendet, oder daß das Fleisch uns zur Einrede reizt, als ob Gott die Menschen wie Bälle daherwürfe und mit ihnen sein Spiel triebe. Aber es ist doch auch wahr, wenn wir mit ruhigem und gelassenem Herzen zum Lernen bereit wären, so würde uns aus dem Ausgang schon klar werden, wie Gott mit seinem Ratschluss stets den besten Weg einschlägt, um die Seinen zur Geduld zu erziehen, oder um ihre bösen Nei­gungen zu bessern und ihre Geilheit zu zähmen, oder um sie zur Selbstverleugnung zu bringen, oder um sie aus dem Schlaf zu erwecken, andererseits aber auch, um die Übermütigen zu Boden zu werfen, die Lücke der Gottlosen zunichte zu machen und ihre Ränke zu zerstreuen. Und mögen uns auch trotzdem seine Gründe verborgen und fern sein, so dürfen wir sicher glauben, daß sie bei ihm verborgen sind, und des­halb mit David ausrufen: „Herr, mein Gott, groß sind deine Wunder, und deine Gedanken, die du an uns beweisest, sind nicht zu begreifen, wenn ich versuche, sie auszureden, so übersteigen sie alles Erzählen (Ps. 40,6; nicht Luthertext). Denn ob­gleich wir in Trübsalen immer unserer Sünden gedenken müssen, und obwohl die Strafe selbst uns zur Buße reizt, so sehen wir doch, wie Christus dem geheimen Ratschluss des Vaters ein noch größeres Recht zuschreibt als bloß, daß er jeden nach seinem Verdienst strafe. Denn er sagt von dem Blindgeborenen: „Weder dieser hat gesündigt, noch seine Eltern, sondern damit Gottes Herrlichkeit an ihm offenbar werde!“ (Joh. 9,3). Da war das Unglück doch schon vor dem Tage der Geburt da, und das Gefühl sträubt sich, als ob Gott ohne Gnade Unschuldige so hart behandle. Aber Christus bezeugt, daß in diesem Ereignis die Herrlichkeit seines Vaters her­vorleuchte, wenn wir nur klare Augen dazu hätten! Wir müssen eben an der Beschei­denheit festhalten, die Gott nicht zur Rechenschaft zieht; wir sollen vielmehr seine verborgenen Ratschlüsse ehren, damit uns sein Wille der gerechteste Grund aller Dinge sei! Wenn dichte Wolken den Himmel bedecken und heftiger Sturm ausbricht, so sehen unsere Augen nur traurige Finsternis, unsere Ohren betäubt der Donner, und all unsere Sinne erstarren vor Schrecken; deshalb scheint uns alles zusammenzu­brechen und durcheinanderzugeraten – aber unterdessen bleibt im Himmel stets die gleiche Ruhe und Heiterkeit! So sollen wir auch festhalten: wenn uns in der Welt das Durcheinander alles Urteilen unmöglich machen will, so leitet doch Gott mit dem reinen Lichte seiner Gerechtigkeit und Weisheit selbst alle diese Bewegungen in be­stimmter Ordnung und führt sie zum rechten Ziel. Es ist wahrlich eine merkwürdige Sucht, wenn manche Leute mit so großer Selbstsicherheit Gottes Werke vor ihr Gericht fordern, seine geheimen Ratschläge nachrechnen und über unbekannte Dinge jählings ein Urteil abgeben, mehr, als sie es bei Taten von sterblichen Menschen tun würden! Denn was ist verkehrter, als unsersgleichen gegenüber lieber in Bescheiden­heit mit unserem Urteil zurückzuhalten, als uns den Vorwurf der Übereilung zu­zuziehen, dagegen über Gottes verborgene Gerichte, die wir in Ehrfurcht betrachten sollten, frech abzuurteilen?