--- Johannes Calvin
Johannes Calvins Person und sein Werk
Benjamin Breckinridge Warfield
Eltern und Jugend
Johannes Calvin wurde am 10. Juli 1509 in Noyon in Nordfrankreich geboren. Seine Kindheit verbrachte er in der Nähe der mächtigen Kathedrale, die das Stadtbild seines Heimatortes prägt. Seine Mutter, eine Frau von bemerkenswerter Frömmigkeit, scheute keine Mühe ihrem Sohn denselben Geist zu übermitteln. Sein Vater, ein erfolgreicher Jurist und gewiefter Geschäftsmann, hatte sowohl kirchliche wie auch zivile Ämter inne, stand in enger Beziehung mit dem Domkapitel und wurde offenbar mit den Vorzügen des kirchlichen Lebens überschüttet. Auf jeden Fall widmete er schon früh die Karriere des viel versprechenden Sohnes der Kirche. Nach dem Brauch seiner Zeit wurde Calvin ein fester Betrag der Einkünfte der Kathedrale schon zugesprochen, als er gerade 10 Jahre alt war, dem wurde noch andere Zuschüsse zugefügt; er wurde also schon früh von der Kirche finanziell unterstützt. Seine Ausbildung erfolgte in Begleitung mit den jungen Sprösslingen der ortsansässigen Nobelfamilie Montmor und so genoss er eine Ausbildung, die ihn für die feine Gesellschaft vorbereitete. Unter den ändernden Umständen wechselte er vielfach seine Ausbildungspläne: zunächst wurde er als Theologe, dann als Jurist und schliesslich als Humanist ausgebildet. Er war ein eifriger Schüler, beherrschte schnell und ausgiebig verschiedene Interessengebiete, was ihm die Aufmerksamkeit und Bewunderung vieler brachte und wodurch man ihn bald eher als Lehrer denn als Mitschüler ansah. Seine Jugend war so unschuldig, wie sie auch anstrengend war. So ernst er zweifellos war, geprägt durch eine gewissenhafte Frömmigkeit und geschult in einer strengen Moral, die nur mit Mühe die Unmoral seiner Kameraden duldete, so war er doch auch ein aufgeschlossener, liebevoller junger Mann von guten Manieren und einwandfreien Umgangsformen; etwas empfindlich vielleicht, aber grosszügig und zog Leute nicht nur durch sein Wissen an, sondern auch durch die bleibende Zuneigung, die er für alle hatte, mit denen er in Kontakt kam.
Humanist, Kehrtwendung nach seiner Bekehrung
Im Alter von 22 Jahren konnte sich dieser anspruchsvolle junge Mann schon als Humanist etablieren, mit dem Ziel eine literarische Laufbahn zu verfolgen. Sein Debüt machte er durch die Veröffentlichung seines ausgezeichneten Kommentars zu Senecas Abhandlung „Über die Sanftmut” (April 1532) bei dem man schon Calvins bemerkenswerte Beherrschung der klassischen Literatur, seine feine Intelligenz und sein grosses Interesse an den höheren moralischen Werten erkennen kann. Eine grosse Karriere als Humanist schien sich ihm zu eröffnen, als er sich plötzlich „bekehrte” und sein gesamtes Leben einen anderen Verlauf nahm. Er hatte nicht nur schon immer einen Feinsinn für höhere Ethik, sondern auch einen tief religiösen Geist; jetzt, da das religiöse Streben völlig Besitz von ihm nahm, richtete er alle seine Energie auf sie. „Er verzichtete auf alle anderen Studien”, sagte Beza, „und widmete sich Gott.” Er hörte jedoch nicht auf, ein Gelehrter zu sein. Aber alle seine Talente und sein Wissen widmete er nun ausschliesslich für den Dienst an Gott und seinem Evangelium. Statt antike Texte mit Anmerkungen zu versehen, schrieb er jetzt ein protestantisches Manifest für seinen Freund Nikolaus Cop (1. November 1533), eine detaillierte Studie über den Zustand der Seele nach dem Tod (1534), musste notgedrungen nach Angouleme fliehen (1534) und begann eine Abhandlung über die christliche Lehre, die für alle gedacht war, welche zum Licht des Evangeliums kamen. Da er von Frankreich vertrieben wurde, musste er es von seinem Zufluchtsort Basel aus veröffentlichen. Bei dieser Gelegenheit änderte er diese erste Schrift ab und nannte sie eine „Verteidigungsschrift, ein Manifest und ein Glaubensbekenntnis.” Es ist interessant zu beobachten, wie sich in der Zwischenzeit seine Haltung zu seinen Schriften änderte. Als er den Kommentar zu Senecas Abhandlung (sein erstes und letztes humanistischen Werk) schrieb, war er besorgt über den Erfolg seines Buches; er wollte wissen, wie gut es sich verkauft hat, ob man über das Buch sprach und was man davon hielt. Stolz auf seine Leistung und eifrig die Früchte seiner Arbeit zu ernten, war er neugierig auf den wohlverdienten Ertrag. Nach nur vier Jahren veröffentlichte er sein erstes protestantisches Werk: Sein berühmtes „Unterricht in der christlichen Religion” in der ersten Fassung. Er selber jedoch, war frei von aller Furcht, lebte in Basel unter falschen Namen und war glücklich darüber, dass niemand seiner Bekannten wusste, das er der Autor jenes Buches war, dass so viel Aufregung erzeugte. Und so begegnete Calvin dem Lob über das Buch mit einer gewissen persönlichen Distanz, denn er hatte es nicht zu seiner, sondern zur Ehre Gottes geschrieben. Er suchte nicht nach dem eigenen Vorteil und Ruhm, wollte aber die Gläubigen ermuntern und stützen. Seine einzige Freude war, dass er seine (gottgewollte) Arbeit vollbringen konnte. Wie gesagt, er hörte nicht auf, ein Gelehrter zu sein, jedoch setzte er alle seine Fähigkeiten, Talente und Kraft als Gelehrter ein, um ohne Zurückhaltung, Gott und seinem Evangelium zu dienen.
Christlicher Gelehrter und Humanist: Reformator wider Willen
Was wir also in Calvin erkennen können, ist grundsätzlich dies: Ein gelehrter und gläubiger Christ. Er hat und wollte sich nie als etwas anderes sehen, als in jener Berufung. Er war durch sein Naturell, Begabung, Ausbildung, seinem angeborenen Hang und durch erworbene Fähigkeiten nichts anderes als ein Gelehrter: Er wollte mit ganzem Herzen, man könnte fast sagen leidenschaftlich, sein Leben dem dreieinigen Gott widmen. So sah er sein Leben und davon liess er sich nur unter Zwang abbringen. Es waren nur durch die „furchtbaren Androhungen” Farels, die ihn zwangen, seine lang gehegten Pläne aufzugeben und in der direkten Reformationsarbeit in Genf einzusteigen (Herbst 1536). Als er nach zwei Jahren anstrengender Arbeit an dieser ungewollten Aufgabe aus der turbulenten Stadt (Genf) vertrieben wurde, schien es ihm wie eine Erlösung. Wieder einmal liess er sich in Basel nieder und wendete sich seinen geliebten Studien zu. Es benötigte Bucers ganze Überzeugungskraft sowie eindringlichen Bitten, um ihn weg von seinen Studien und hin zu einem aktiven Dienst in Strassburg zu bewegen. So willigte er schlussendlich nur ein, weil man ihm versprach, dass er noch Zeit für seine literarische Arbeit habe. Seine kleine Gemeinde, bestehend aus französischen Glaubensflüchtligen, wurde unter seiner Führung bald zu einer Modellgemeinde. Seine Vorlesungen in seiner Schule zogen immer mehr Aufmerksamkeit auf sich. Er wurde oft an Konferenzen eingeladen, wo „der Theologe”, wie in Melanchton bewundernd nannte, wichtige Dienste leistete. In Strassburg begann seine literarische Beschäftigung als protestantischer Gelehrte. Hier verwandelte er sein „kleines Werk” der Religion – der „Unterricht in der christlichen Religion” von 1536, welches nicht mehr als ein ausgedehntes Lehrwerk zu christlichen Unterweisung war – in eine unfangreiche theologische Abhandlung (August, 1539). Hier fing er auch an, seine sehr einflussreichen Bibelkommentare zu schreiben, wie z.B. den Kommentar zum Römerbrief (März, 1540). Von hier aus sandte er auch seinen hervorragender Brief an Sadoleto, die überzeugendste Schrift der Abhandlungen über Glaubensstreitfragen (September, 1539). Und hier wurde auch das erlesene kleine Traktat über das Abendmahl verfasst, dass so vielen Hunderten seiner verunsicherten Landsmänner Unterweisung und Trost brachte (veröffentlicht 1541). Es machte Calvin grosse Mühe, seine so erfolgreiche Arbeit (in Strasburg) zu verlassen, um einen erneuten Ruf nach Genf zu folgen. Nur mit grösstem Widerwillen folgte er diesem Ruf und befolgte ihn nur wegen seines starken Pflichtgefühls. Nach Genf zurückzukehren war wie „ans Kreuz zu gehen”, er ging, wie er selber sagte „als ein Opfergabe Gottes” – „gebunden und gefesselt zum Gehorsam Gottes”. Er war nicht ein Mensch, der sich sein Kreuz suchte und es tragen wollte, doch er trug es treu bis zum Ende. Nie sollte er das Werk des Herzens vergessen, das er sich selbst gegeben hatte. Daher hörte er nie in seinen Tagen und Nächten in Genf auf, Schriften zu verfassen. Somit lässt sich auch die unglaubliche Menge von Schriften erklären, welche er sogar in schwierigen Umständen schrieb. Selbst auf dieser „Folterbank” blieb Calvin immer noch der Gelehrte.
Die Qualität und Quantität des Werkes Calvins
Es braucht 55 dicke Bände, um die „Werke Calvins” in der kritischen Edition von Baum, Cunitz und Reuss, zu fassen. Wenn schon die blosse Masse von Schriften erstaunt, so erschaunt uns nicht weniger die hohe Qualität seiner Schriften. Sie wurden im besten Latein seiner Tage geschrieben: erhaben, auf den Punkt bringend, energiegeladen, wortgewandt in einem Stil eines ernsthaften und nüchternem Geistes – fast zu gutes Latein für einen Theologen, wie Josef Scaliger meinte; oder in einem Französisch, das die Entwicklung einer Sprache prägen sollte, welches die französische Prosa zum Gebrauch von seriösen Themen vorbereitete. Die Vielfalt der literarischen Formen beinhaltet die ganze Skala: von ernsten Diskursen, erhabenen Diskussionen und tiefsinnige Kommentare hin zu brennenden Ermahnungen, heftigen Beschimpfungen und beissender Satire. Die gesamte Palette von Themen der fundamentalen Wahrheiten jenem Lehrers wurde behandelt, der gleichzeitig ein Kirchen- und ein Staatsmann, ein genauer Beobachter des Alltags der Menschen und ein Student jener Kräfte war, die die Menschen bewegen. Dies vollbrachte er immer mit einem Hauch Einsicht, dass einem Genie eigen ist.
Die Bedeutung des „Unterrichts in der christlichen Religion“ (Institio) für die protestantische Reformation
An der Spitze seiner Schriften steht, natürlicherweise, sein grossartiges dogmatisches Werk, der „Unterricht in der christlichen Religion”. Im wörtlichen Sinn kann man dieses Werk als sein „Lebenswerk” betrachten. Das erste Buch wurde veröffentlicht, als er sich „Gott widmete” und stellte eine Reihe von Werken dar, die für die Verbreitung der Religion gedacht war. Doch von dieser ersten Ausgabe aus dem Frühling 1536 hin zu seiner endgültigen Ausgabe im Jahre 1559, war Calvin ständig – fast während 25 Jahren -daran, dieses einfache kleine Handbuch zu überarbeiten, auszuweiten, anzupassen bis er es soweit ausgearbeitet hatte, dass es ein dickes, aber kompaktes und durchdachtes Lehrbuch der Theologie wurde. Die Bedeutung durch die Veröffentlichung dieses Werkes für die protestantische Sache kann kaum überschätzt werden. Es ist ein unzulängliches Lob, wenn man es, wie mit den Worten des römisch-katholische Historiker Kampschulte, als „ohne Zweifel das hervorragendste und influssreichste dogmatische Werk der reformatorischen Literatur des 16. Jahrhunderts” beschreibt. Dies ist allgemein bekannt. Was Anerkennung fordert, ist die Tatsache, dass die Veröffentlichung des „Institutio” (lat. für Unterricht) nicht nur ein literarisches, sondern ein historisches Ereignis war, voll gepackt mit Streitfragen, die bis heute an Bedeutung nichts verloren haben. Durch dieses Werk wurden dem verwirrten und verfolgten Protestantismus ein positives Programm für seine Reformation gegeben. Wie selbst jene Kritiker zugeben müssen, die Calvin nicht gutgesinnt sind, gelang es ihm in diesem Werk doch, Feldzeichen gegen Feldzeichen zu setzen und wie ein schallendes Horn zu sein, das alle jene erreichte, die den neuen Weg suchten. „Die immense Bedeutung, die das Institutio für die ‚Evangelikalen’ hatte”, so der Kritiker M. Buisson in seiner Biographie von Sebastian Castellion (wobei mit „Evangelikalen” die Hugenotten von Frankreich gemeint sind), „war begründet in der Tatsache, dass es die Synthese ihrer Ideen war, ein Ausdruck ihres Glaubens.” Gegen Aberglauben und der materialischen Interpretation von Glaubenslehre und Gottesdienst zu protestieren, würde „als wages Streben zweifellos nichts innerhalb oder ausserhalb der Kirche bewirken haben”. Was sie brauchten und was das „Institutio” für sie darstellte, war die Entwicklung eines Prinzips hin zu seinen praktischen Konsequenzen. „Ein solches Buch”, fährt M. Buisson fort, „ist gleich weit entfernt von einer Schrift eines Ulrichs von Hutten wie von einer Satire des Erasmus oder einer leicht verständlichen, mystischen und gewaltigen Predigt Luthers: es ist das Werk eines im wahrsten Sinne gelehrten Theologens; ein religiöses Werk zweifelsohne, durchdrungen mit einem ethischen Streben, jedoch vor allem ein Werk der Ordnung und der Vereinigung, ein Regelwerk der Glaubensfragen für einen Pastor, ein Arsenal an Argumenten für den einfachen Gläubigen: es ist die Summe des reformierten Christentums.” „Die Absicht des Autors ist es, viel mehr die logische Stärke oder die moralische Kraft seiner eigenen Glaubenslehren aufzuzeigen, als die Schwachpunkte der Gegenseite aufzudecken. Was sein Interesse weckte, war nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft : der Wiederaufbau der Kirche.” Warum sollte man sich also wundern, dass dieses Werk einen solchen nachhaltigen Einfluss hatte? Als würdige Darstellung des positiven Programms der Reformationsbewegung liegt die „Institutio” wie ein Fundament unter der gesamten Entwicklung der protestantischen Theologie und liess ein unauslöschlichen Eindruck in der evangelikalen Welt zurück. Nach dreieinhalb Jahrhunderten (Warfield schrieb diesen Aufsatz 1909) behält es seine unbestrittene Vorrangstellung als grösste und einflussreichste theologische Abhandlung. „Dies ist”, sagte Ritschl während er auf das Buch wies, „ein Meisterwerk der protestantischer Theologie.”
Calvins Bibelkommentare
Die zweitwichtigsten Schriften, nach dem „Institutio”, sind die Bibelkommentare Calvins. Sie füllen mehr als 30 Bände seines Gesamtwerkes und stellen somit den Hauptteil seines literarischen Schaffens dar. Sie legen das ganze Neue Testament ausser dem zweiten und dritten Johannesbrief sowie der Offenbarung aus und erläutern das ganze Alte Testament ausser den Salamonischen und einigen historischen Bücher. Seine humanistische Ausbildung spielte ohne Zweifel zum Teil eine Rolle, die er das genaue philologische Verständnis und das unfehlbare Gespür für Sprache zu verdanken hat, das alle seine Auslegungen so charakterisiert. Ein moderner Autor, der Calvins Humanismus genauer studierte, bemerkte einmal : „In seiner nüchternen grammatikalisch-historischen Methode, in der Betonung, die er auf das natürliche Verständnis des Textes legte, zusammen mit seinem tiefen religiösen Verständnis, in seiner Ablehnung aller Allegorisierung seiner Zeit und in seiner feinfühligen und geisteswissenschaftlichen Behandlung von schwierigen Bibelstellen wird der im Humanismus ausgebildete Lehrmeister sichtbar, welcher neuen Wein in neue Flaschen leerte. „Calvin war ausserdem ein geborener Bibelausleger und seine gezielte Ausbildung in der Philologie und der Interpretation von Texten verstärkte seine klare und durchdringende Intelligenz, bemerkenswerte intellektuelle Sympatie, unbestechliche Ehrlichkeit, ungewöhliches historisches Verständnis und unvergleichliche Einsicht in Gedankenprozesse, während die Gesamtheit von seinem tiefen religiösen Verständnis erleuchtet wurde. Seine Auslegung der Heiligen Schrift war dementsprechend ein völlig neues Phänomen und führte die neue moderne Bibelauslegung ein. Er sticht in der Geschichte der Bibelstudien heraus, wie Diestel, zum Beispiel bemerkt : „der Schöpfer der authentischen Auslegung.” Die Autorität, die seine Kommentare sehr schnell erhielten, war enorm – sie „öffnen die Heilige Schrift” in einer Art und Weise, wie es noch nie bekannt war. Richard Hooker bemerkte, dass in der Kontroverse seiner eigenen Zeit „das Verständnis der Bibel, wie wir es Calvin verdanken”, viel stärker war als „zehntausende Augustinus, Hieronymus, Chrysostome, Zypriane es bewirken könnten.” Weder haben sie an Wert heute eingebüsst. Selbst die Kommentare der heutigen wissenschaftlichen Welt finden immer noch Schätze in ihnen verborgen. Wie Professor A.J. Baumgarner, der Calvins Kenntnisse der hebräischen Sprache (welche er als gut einstufte) untersuchte, einmal sagte über Calvins „erstaunliches, ausgiebiges, fast übermennschliches Volumen” seiner Werken der Bibelauslegung : „Und – eine aussergewöhnliche Tatsache – dieses Werk wurde nie überholt ; diese Kommentare, welche einen dauerhaften und hohen Wert für Menschen diverser theologischen Tendenzen darstellt, – diese Kommentare bleiben für uns heute eine erstaunlich reiche und fast unerschöpfliche Goldmine von tiefsinnigen Gedanken, von wahrhaften und vielfach genialen Auslegungen, von gesunder Textverständnis und zur gleichen Zeit einer tiefen Gelehrsamkeit.”
Die Rolle der Polemik in seinen Schriften
Die Reformation war die grösste Revolution der Ideen, die der menschliche Geist je seit der Einführung des Christentums erlebte ; und Streitfragen war die Essenz dieser Revolution. Selbstverständlich war Calvins ganzes Leben, das im Zentrum der Kontroverse stand, eine ununterbrochenes Disputieren, und Abhandlungen über Streitfragen bilden einen beträchtlichen Teil seines literarischen Schaffens. Wie wir schon vorher gesagt haben, war sein fundamentales Ziel, auszubauen und nicht zu zerstören : er wollte die Kirche auf einem wahrhaftigen Fundament wiederaufbauen und nicht das Gebäude zerstören. Aber, wie gewisse frühere Wiederaufbauer der Heiligen Stadt, musste er in der einen Hand mit einer Schaufel und in der anderen Hand mit einem Schwert arbeiten. Vermutlich war er einer der besten Apologeten, der je gelebt hat. „Die Anzahl von Calvins polemischen Abhandlungen” bemerkte einmal ein ihm feindseliger Kritiker, „ist beträchtlich ; und sie sind alle Meisterwerke in dieser Kategorie.” An ihrer Spitze, sowohl zeitlich wie auch nach seiner Aussagekraft, steht sein berühmter „Brief an Kardinal Sadolet”, geschrieben in seinem Exil in Strasburg zum Schutz vor seinem heimtückischen Feind, der römisch-katholischen Kirche, welche ihm dort hin verbannte. Höfflich, ja selbst sanft und in respektvollem Ton, und doch stichhaltig und schlüssig veranschaulicht er den Charakter Calvins. Andere Briefe sind sicherlich in einem anderen Stil geschrieben. Der Kritiker E.F. Bahler meinte einmal über die, wie er denkt, „härtesten und bittersten aller seiner Schriften”, der „Verteidigung gegen die Verleumdungen des Peter Caroli”: „Der Brief an Sadolet wurde sicher in einer angenehmen Zeit geschrieben ; das Gegenteil muss über diese Schrift gesagt werden. Von einem literatur-historischen Sichtpunkt verdient diese Schrift (Verteidigung) ohne Zweifel uneingeschränktes Lob. Der elegante und knappe Stil, die Fähigkeit, mit der der Autor nicht nur moralischen Schatten über den Gegner bringt, sondern ihn als abstossende Person, die man nicht Ernst zu haben braucht, darstellt, gibt er dem Leser dieses Buches, während er die allergrössten Verachtung über ihn bringt, solch einen ästhetischen Genuss, dass er sich nur mit Mühe daran erinnert, dass Calvin sich gerechterweise über die grobe Ungerechtigkeit und Lügen erhebt, die ihm zu solch einer Schrift gegen Caroli führte.” Ohne Zweifel sprach Calvin des öftern in einem scharfen Ton über seine Gegnern ; es waren harte Worte, die über ihn gesagt wurden und der Wettbewerb , in welchen sich die Gegenparteien verwickelten, waren für Externe recht amüsant. Es muss nicht gesagt werden, dass Calvin unfehlbar wäre; obwohl „selbst seine Gegner zugaben”, wie selbst Mark Pattison sagte, „dass er nicht im Stande war, eine Tatsache zu verdrehen oder zu verstecken.” Zwischen der Sanftmütigkeit des „Briefes an Sadolet” und der Wut in „Verteidigung gegen Caroli” gibt es eine lange Liste von Schriften über Streitfragen, die sich sehr voneinander unterscheiden. Eine Aufrichtigkeit charakterisiert sie alle, die es nie unterliess, die Sache beim Namen zu nennen ; wir finden in ihnen entwürdigende, sogar verleumderische Beschimpfungen, das unserem modernen Feingefühl schmerzt. Dies war ein Defekt nicht eines Mannes, sondern einer Zeitepoche, wie wir von M. Lenient, einem Historiker französischer Satire, erinnert werden. Es war damals nicht Mode, rhetorische Hüllworte zu gebrauchen. Doch keine von Calvins polemischen Schriften zeugt nicht von Anfang bis Ende von der Erhabenheit des Themas, auf dass es mit Ernsthaftigkeit und objektiver Argumentation geführt und mit solider Unterweisung gefüllt werden sollte, mit dem Zweck, sich über einen Niveau von blosser Parteinahme zu erheben und dadurch einen beständigen Besitz der universellen Kirche zu werden.
Über die Anwendung der Satire
Fehler wurden schon zu seinen Lebzeiten bemängelt – wie zum Beispiel von Castellion – weil Calvin die Anwendung von Satire in der religiösen Debatte billigte. Dies war nicht nur eine Konsequenz seines angeborenen Temperamentes, sondern eine bewusste und durchdachte Strategie. Natürlich hatte er nichts gemein mit den notorischen Spöttern seiner Zeit, wie des Périers, Marot, Rableais, deren Leichtsinn ihm so zuwider war wie ihr grober Stil. Satire war für ihn eine Waffe und nicht ein Vergnügen. Die angemessene Art mit Dummheit umzugehen, war darüber zu lachen. Der Aberglaube, in der die Welt so lange verstrickt gewesen war und ist, ist töricht wie auch lächerlich; und wie könnte es sein, fragte er sich, wenn wir von so lächerlichen, ja absurden Dingen reden, dass wir nicht von ganzem Herzen darüber lachen? Selbstverständlich ist dieses Lachen nicht ein Lachen aus Vergnügen, und es gewinnt an Ernsthaftigkeit was es an Leichtfertigkeit verloren hat. Es war wie ein Raubvogel in den Händen Calvins und er verwendete es um zu durchbohren. Und wie gut er es nutzte! Die Sorbonne, zum Beispiel, gab eine Reihe von „Artikeln“ heraus, die die wahre Lehre anhand von kontroversen Punkten mit den Protestanten erläutern sollte. Calvin veröffentlicht diese „Artikel“ auch und fügte jedem Artikel einen ganz unschuldig scheinenden „Beweis“ hinzu, der den Stil der Sorbonne auf perfekte Art imitierte, jedoch in hoffnungslosen Widersprüchen endete. Zum Beispiel: „Es wurde zudem bewiesen, dass Gelübde nicht aufgehoben werden können, selbst der Papst könnte nicht diese Gelübde aufheben, wenn er nicht die Macht der Schlüssel hätte, und daraus folgt, dass sie das Gewissen binden“ ein Paradebeispiel von lucus a non lucendo wie wir es selbst heute noch gebrauchen. Es ist selten, dass die Maske des spottenden Blickes fallen gelassen wird in einem Moment oder Augenblick wie diesem: „Aber dass unsere hohen Herren (katholische Geistlichkeit), wenn sie sich in einem Körperschaft vereinigen, die Kirche darstellen, ist leicht zu beweisen am Beispiel der Arche Noah: denn jene waren ja eine Viehherde.“ Die Argumentation war im allgemeinen so subtil gehandhabt, dass vielleicht der „Gegenbeweis“ von jeden Artikel gar nicht notwendig war. Es gibt vielleicht keine solche Feinheit im vielleicht bekanntesten satirischen Stück Calvins: seine „Ermahnung, was das Christentum aus einem Gesamtkatalog der Reliquien gewinnen könnte“ Hier haben wir eine einfache Aufzählung von Reliquien, die in verschiedenen Kirchen für die Verehrung aufgestellt wurden. Der Effekt wird durch Nichtübereinstimmung der Vervielfachung der Reliquien durch ständige Steigerung der Absurdität erzielt. „Jeder weiss, dass die Einwohner von Toulouse denken, dass sie sechs Leichname der Apostel besitzen. Nun wollen wir uns mit jenen Aposteln befassen, die zwei oder mehrere Körper hatten. Denn Andreas hat einen anderen Leichnam in Malfi, Philipus und Jakobus haben ihren zweiten Leichnam in der Kirche der Heiligen Apostel, und Simeon und Judas, in ähnlicher Weise, in der Kirche des Heiligen Petrus. Bertholomäus hat einen anderen in der Kirche zu Rom, die ihm gewidmet ist. So haben wir je zwei Leichname für jeden der sechs Apostel, jedoch sticht Bartholomäus noch heraus, weil seine Haut noch in Pisa gesehen werden kann. Matthias, jedoch übertrifft alle, da er einen zweiten Körper in Rom hat, in der Kirche der älteren Maria, und eine dritten in Trier. Ausserdem hat er einen zusätzlichen Kopf und Arm, die separat existieren. Es gibt noch Fragmente von Andreas, die in unterschiedlichen Orten aufbewahrt werden, die noch einen halben Körper darstellen.“ Und so geht es ohne Ende weiter und natürlich auf monotone Weise, was Teil des kalkulierten Effektes ist. Wie M. Lenient bemerkt „seine unerbittliche Berechnungen geben einen fast mathematischen Aspekt den Spitzfindigkeit seiner Bonmots und die Ironie der Aufzählungen nehmen den respektierten Wahlfahrten jede Glaubwürdigkeit.“ Man findet jedoch in solchen Trakten wie „Entschuldigung für die Nikodemiten“ Calvins Satire in seiner Höchstform, wenn er sich über die Protestanten lustig macht, die nicht den Mut haben, sich zu bekennen. „Seine Feder“, sagt M. Lenient „ist nie leichter oder durchdringender. Moralist und Maler nach der Art von La Bruyère, macht er sich lustig über alle diese verweiblichten Christen, mit ihrer Nachlässigkeit, ihren Gewissenskompromissen, ihrer berechneter Selbstsucht und gleichgültiger Lauheit.“ Dies alles ist ohne Zweifel Literatur und sogar gute Literatur; diese Form der „kalvinistischen Satire“ – Calvin, Beza und Viret waren die ersten Meister, fand ihren Platz in der Geschichte der französischen Satire. Aber es ist nicht in erster Linie oder vor allem Literatur, denn es spielte seine Rolle in den moralischen und religiösen Kräften, die Calvin in seiner reformatorischen Arbeit gebrauchte.
Calvins Korrespondenz
Vielleicht wurde schon genug darüber geschrieben, zu zeigen, wie Calvin durch seine literarischen Werke die Funktion als Reformator ausübte. Es gab natürlich auch andere literarische Formen, die hier nicht erwähnt worden sind, wie z.B. Bekenntnisse und Katechismen, Kirchenordnungen und Gottesdienstsformen, allgemein verständliche und wissenschaftliche Abhandlungen. Wir benötigen hier nicht, auf alle jenen Formen einzugehen. Eine literarische Form, jedoch, verdient unsere Aufmerksamkeit. Calvin war der grosse Brief-Korrespondent der Reformationszeit. Über viertausend seiner Briefe sind überliefert worden, von denen einige fast den Umfang einer Abhandlung haben, andere sind praktische theologische Abhandlungen, aber viele von ihnen haben auch einen intimen Charakter, in denen er sein Herz ausschüttet. In diesen Briefen erkennen wir den wahren Calvin, den Mann von tiefen religiösen Überzeugungen und reichem religiösen Lebens, einer hohen Berufung und eines edlen Eifers, von echter menschlicher Zuneigung und Sympathie. In diesen Briefen tadelt er Herrscher, erteilt Staatsmänner Rat und stärkt und tröstet seine Glaubensbrüder. Nie bekam ein ratloser Pastor anderes als ein Wort der Ermutigung und des Rates; nie bekam ein Märtyrer anderes als ein Wort der Anteilnahme und des Trosts. Vielleicht war nie jemand so liebevoll besorgt um seine Freunde, oder gab sich so aus ganzem Herzen wie Calvin es tat. Hätte er nur diese Briefe geschrieben, so hätte Calvin schon ein Platz unter den grossen christlichen Vorbildern verdient.
Praktische Arbeit in Genf
Nun ist es jedoch Zeit, dass wir uns daran erinnern, dass man Calvins Arbeit als Reformator nicht nur in seiner literarischen Arbeit sehen darf. Grundsätzlich war er ein „Literat“ und ein Literat blieb er sein Leben lang. Aber er war mehr als nur ein Literat. Dies war sein bevorzugter Wirkungsbereich und es war ein Mühsal für ihn, andere Wirkungsarten zu benutzen. Doch dieses „Kreuz“ wurde auf ihn gelegt und er trug es bereitwillig. Diese praktische Arbeit als Reformator, auch wenn wir keine einzige Schrift von ihn überliefert hätte, würde ihn schon als grossen Reformator auszeichnen. Er wird auch als „Reformator von Genf“ bezeichnet. Doch durch die Reformation Genfs setzte er Kräfte zutage, die weltweit Wirkung zeigten und bis heute noch spürbar sind. Würden wir versuchen, in einem Satz die Besonderheit seiner Arbeit als Reformator zu charakterisieren, könnten wir vielleicht nichts besser sagen, als dass ein Mann des Geistes ein praktischen Mann des Alltages wurde. Es fehlte ihm nicht an der Fähigkeit, zu warten, Anpassungen vorzunehmen und durch langsame und vorsichtige Schritte fortzuschreiten. Er war in der Lage mit jeglichem Material zu arbeiten, die besten Kompromisse zu machen und geduldig auf die kommenden Möglichkeiten zu warten. Die Ziele, die er sich setzte, konnte er jedoch erst am Ende seines anstrengenden Lebens erreichen. Er vermochte aber nie seine Ideale aufzugeben, mit blossen Kompromissen zufrieden zu sein oder einfach mit dem Strom zu schwimmen. Daher war sein ganzes Leben und Wirken in Genf mit Konflikten überhäuft. Doch zum Schluss machte er aus Genf ein Wunde und gab den reformierten Kirchen einen Geist, der sie nicht nur unbesiegbar im Anglitz ihrer Feinde machte, sondern auch einen positiven Keim gab, der die Welt verändern sollte. Also dieser Literat mit seinen Idealen, um es mit den Worten eines Kritikers zu sagen, der zu jenen Idealen Calvin mehr als kritisch stand: „die geballte Kraft in einer kleinen Ecke Europas (Genf) war solch eine moralische Kraft, welche die Reformation rettete“ oder um die gesamten Wirkung zu betonen „Europa rettete“. „Man mag bezweifeln“, wie derselbe Kritiker, Mark Pattison in seiner erzwungenen Bewunderung schreibt, „ob die gesamte Menschheitsgeschichte je einen solchen Sieg durch blosse moralische Kraft je erlebt hat“.
Kirchenzucht
Als Calvin nach Genf kam, wie er uns selber sagt, wurde dort schon das Evangelium gepredigt, aber es gab keine organisierte Kirche. „Als ich zum ersten mal in diese Kirche kam“, sagt Calvin, „da fand ich dort so gut wie nichts, il n’y avoit quasi rien. Es wurde gepredigt, doch das war alles.“ Er hätte den gleichen Zustand praktisch in allen Kirchen der protestantischen Welt beobachten können. Die „Kirche“ bestand für die ersten Protestanten darin, das Wort Gottes zu predigen und die wahren Sakramente (Taufe und Abendmahl) zu feiern: die Disziplin der Kirchgemeinde war nicht Angelegenheit der Kirche, sondern Sache des Staates. Wie ein Historiker, Professor Karl Rieker, einmal scherzhaft sagte: „Luther, als er gepredigt und die Samen des Wortes gesät hatte, überliess die Pflege der Samen dem Heiligen Geist, während er mit seinem Freund Philipp (Melanchton) vergnügt das Wittenberger Bier genoss.“ Calvin teilte diese Ansicht nicht. „Was auch immer andere denken mögen, “ bemerkte er „wir dürfen nicht leichtsinnig glauben, dass unsere Arbeit getan sei und wir uns ausruhen könnten, nachdem wir gepredigt haben.“ Nach seiner Ansicht war das Kennzeichen der wahren Kirche nicht nur, dass das Evangelium gepredigt, sondern das es auch „gelebt“ wird. Für ihn ist die Kirche die „Gemeinschaft der Heiligen“ und es ist ihre Pflicht, dass man sich darum kümmere, dass man auch dieses Bekenntnis in die Tat umsetze. Daher bemühte er sich von Anfang seines Wirkens an, dies umzusetzen und das Instrument, dass er benutzte, war die sogenannte Kirchenzucht. Es mag uns vielleicht überraschen, dass wir die Reinheit und moralische Pflege durch die Anwendung der Kirchenzucht Calvins Wirken verdanken. Doch diese einfache Wahrheit, die doch solch ein radikale Neuerung und ein solch wichtiges Prinzip ist, wurde dann für die reformierten Kirchen eines der fundamentalen Kennzeichen einer wahren Kirchen. Darüber hinaus wurde die Anwendung dieses Prinzips von Calvin stark vorangetrieben und als Folge entstand die Idee einer freien Kirche in einem freien Staat. Daher verdankt letztlich die Kirche seine Emanzipation vom Staat Calvin, wie auch der Kampfschrei so mancher Heiligen in so manchen Konflikten „Die Kronrechte des Königs Christus in seiner Kirche“.
Kirche und Staat in Bezug zur Kirchenzucht
Die Disziplin von Sitte und Moral wurde nicht von Calvin in Genf eingeführt. Eine solche Zensur, oft von kleinlicher und aufreibender Natur, war nicht nur eine uralte Praxis in Genf, sondern auch die von allen anderen ähnlich organisierten Städten. Es war ein Teil der anerkannten „polizeilichen“ Vorschriften der damaligen Zeit. Calvins einziger Bezug zur Disziplin in Genf war durch seinen Einfluss – er bekleidete nie ein öffentliches Amt oder hatte auch nie eine Stellung ziviler Autorität in Genf inne und er erhielt erst spät in seinem Leben das Genfer Bürgerrecht – und nur schrittweise brachte sein Einfluss ein wenig Ordnung und Vernunft in die Ausübung der Disziplin. Was Calvin einführte – es war revolutionär, sowohl im Hinblick auf den Staat wie auch die Kirche ,und forderte achtzehn Jahre bitteren Kampfes, bevor es anerkannt wurde – war eine unabhängige Kirchenzucht. Die Grundsätze, auf denen er es aufbaute, waren bereits in der ersten Ausgabe seines „Institutio“ festgelegt. Und als er im Herbst 1536 nach Genf kam, verlor er keine Zeit, jene Prinzipien in die Praxis umzusetzen. Bereits im Frühjahr 1527 finden wir ein durch ihn verfasstes Dokument, geschrieben im Namen der Pastoren Genfs und für den Stadtrat, in welchem das völlig neue Verständnis kurz umrissen ist. Diese Magna Charta der Freiheit der Kirche – denn es war wirklich wie eine Magna Charta wie jene in England – fängt mit folgenden einfachen und direkten Worten an: „Es ist gewiss, dass man nicht sagen kann, dass eine Kirche recht geordnet und geführt wird, solange das Heilige Abendmahl unseres Herrn nicht regelmässig gefeiert und besucht wird, und das mit einer guten Führung sich keiner zum Abendmahl zu präsentieren möge, der sich nicht in Frömmigkeit und tiefer Ehrfucht naht. Und daher ist es für die Kirche notwendig, dass die Kirche durch die Exkommunikation seine Integrität erhält, dass dadurch jene getadelt werden, welche nicht bereit sind, sich der Autorität der Heiligen Schrift zu beugen.“ In diesem Dokument wird dieser Gedanke weiterentwickelt und man schlägt folgendes vor: Erstens, dass man von Anfang an anerkennen muss, dass „sich alle Bewohner der Kirche Christi verpflichtet fühlen.“ Aus diesen Grund wird vorgeschlagen, ein kurzes und umfassendes Glaubensbekenntnis vorzubereiten, und „dass alle Bewohner unserer Stadt“ verpflichet sind, „ihren Glauben und den Grund ihres Glaubens zu bekennen, auf dass man erkennen möge, wer im Einklang mit dem Evangelium ist oder wer unter der Herrschaft des Papstes statt der Herrschaft Christi leben will.“ Zweitens, dass ein Katechismus geschrieben wird, auf dass die Kinder in den Grundsätzen des Glaubens unterwiesen werden. Drittens, dass die Ernennung von „bestimmten Personen guter Lebensführung und Rufes unter den Gläubigen, und gleicherweise einer Beständigkeit im Glauben und eines Widerstandes gegen die Verderbheit“ dafür sorgen, über das Verhalten der Gläubigen zu wachen: sie zu beraten, zu ermahnen und in hartnäckigen Fällen die Pastoren auf jene Personen aufmerksam zu machen, wenn sie ihr Verhalten nicht ändern wollen, auf dass man sie „aus der Gemeinschaft der Christen ausschliesst“ und „als ein Zeichen für diesen Zustand, ihnen das Heiligen Abendmahl vorenthält und damit den Ausschluss öffentlich macht.“ Durch dieses Programm wurde Calvin kein Geringerer als der Gründer der protestantischen Kirche. Zwei Punkte müssen dabei besonders betont werden. Es ist eine reine kirchliche Disziplin, die hier behandelt wird und die Strafe ist von rein geistlicher Natur. Die Kirche ist zu diesem Zweck in besonderer Weise abgesondert von einer anderen menschlichen Institution, dem Staat, und daher wird ein Keil zwischen den Staat und die Kirche gesetzt, der zum Ziel hat, beide Institutionen voneinander zu trennen.
Die Rolle des Staates in Bezug zur Kirche
Durch die Beanspruchung einer Kirchenzucht wollte sich Calvin auf keiner Weise in die polizeilichen Reglungen der zivilen Behörde einmischen. Die zivile Behörde, in seinem eigenen Aufgabenbereich, setzten mit Calvins Zustimmung und Zusammenarbeit seine bisherige Arbeit fort. Er hatte ein klares Verständnis der Grenzen, innerhalb deren die Kirchendisziplin ausgeübt werden sollte und erklärt ausdrücklich, dass es sich absolut nur auf die geistige Strafe der Exkommunikation beschränken sollte. Aber er schlägt ebenso ausdrücklich vor, dass der Staat, in seinem eigenen Bereich, die religiösen Vergehen zu beachten hatte; und er beruft sich sogar auf die Hilfe der zivilen Behörden zur Unterstützung der Autorität der Kirche. „Dies“, sagte er dem Stadtrat, als er den Plan der Ernennung von Laien-Helfern, sogenannten Älteste, in der Ausübung der Kirchenzucht vorstellte, „scheint uns eine geeignete Vorgehensweise, die Exkommunikation in unsere Kirche einzuführen und sie in ihrer Gesamtheit zu erhalten. Und darüber hinaus kann die Kirchenzucht nicht gehen. Sollte es jedoch jemanden geben, der so dreist und der Verderbtheit ergeben ist, dass er über seine Exkommunikation nur lachen kann und es ihm völlig gleich ist, in diesem Zustand der Verwerfung zu leben und zu sterben, so obliegt es euch zu entscheiden, wie lange ihr dies duldet und eine solche Verachtung und Verspottung Gottes und seines Evangeliums ungestraft lässt.“ Dies verpflichtete den Staat nicht, die kirchlichen Beschlüsse auszuführen: die Kirche tat es selbst und Höchststrafe war die Exkommunikation. Es wurde allgemein anerkannt, dass sowohl die Kirche wie auch der Staat religiöse Verstösse ahnden konnte. Besonders aufschlussreich ist es zu beachten, dass die Kirche durch ihre eigenen Sanktionen ihren Altar beschützt und es die Aufgabe des Staates ist, durch Sanktionen die Kirchen zu unterstützen, auf dass sie ihren Gottesdienst rein halten kann. Calvin hatte noch nicht die klare Erkenntnis einer vollständigen und gegenseitigen Trennung zwischen Kirche und Staat: seine Ansichten schlossen immer noch eine „etablierte Kirche“ mit ein. Jene „etablierte Kirche“ jedoch war nach seiner Ansicht vollkommen unabhängig in geistlichen Fragen. Diese Forderung war ein absolutes Novum in der protestantischen Welt und in ihr lag die Verheissung und die Kraft aller Freiheiten welche zu den reformierten Kirchen seither kam.
Gewissensfreiheit
Es versteht sich, dass Calvin das vom ihm Geforderte im Jahr 1537 nicht bekam. Weder noch ging man auf seine Forderungen ein, nachdem er 1541 von seiner Verbannung nach Genf zurückkam. Aber er verlor sie nie aus den Augen und er hörte nie auf, für seine Forderung zu kämpfen; er war auch bereit, für seine Forderungen und Verteidigungen angefochten zu werden und zuletzt setzte er sich durch. Für die geistigen Freiheiten, die er für die Kirche im Jahre 1536 gefordert hatte, für die Stellungnahme, auf Grund dessen er 1538 aus Genf verbannt wurde, für die Wiedereinsetzung, für die er 1541 so unablässig kämpfte, konnte er 1555 schlussendlich den Sieg davontragen. Wir ziehen heute noch Nutzen von den Früchten dieses grossen Siegs. Jede Kirche oder Gemeinde im protestantischen Christentum, welche bis auf diesen Tag in ihrer Funktion als Kirche Jesu Christi religiöse Freiheit geniesst, verdankt all dies Johannes Calvin. Er war es, der sich als erster schon in jungen Jahren für diese Freiheiten einsetzte – er war gerade 27 Jahre alt, als er sein Programm dem Stadtrat vorlegte; er war es, der als erster diesen Sieg gegen eine willenstarke Opposition durchsetzte; er war es, der seinen Nachfolgern den hohen Wert, sogar wie das Leben selbst, nahe legte und wenn es nötig ist, dass man sein Leben für die Verteidigung dieser Freiheit gibt. Aus diesem Grund strahlt Calvin nicht nur als einer der Gründer der protestantischen Kirche, sondern als Urheber aller religiösen Freiheiten.
Vielseitigkeit Calvins
An dieser Stelle ist es leider nicht möglich, weiter über die Konsequenzen dieses grossartigen Durchbruchs Calvins nachzudenken, die Verwurzlung seines grundlegenden religiösen Verständnis aufzuzeigen oder die Entstehung einer Geisteshaltung seiner Nachfolger bis hin zur vollständigen Entwicklung darzulegen, durch die unsere Zeitepoche seine freien Institution verdankt. Wir können uns auch nicht bei anderen wichtigen Errungenschaften verweilen, die ebenso unsere Achtung verdienen würden. Wir sagen zum Beispiel nichts über Calvin den Prediger – den „Mann des Wortes“ wie Doumergue ihn zu nennen pflegte, eine Bezeichnung, die so viel mehr beinhaltet als einfacher „Mann der Tat“ oder „Mann des Geistes“, welche beide schon grossartig wären – welcher für 25 Jahre auf der Genfer Kanzel stand, er predigte manchmal täglich, manchmal zweimal täglich, eine Botschaft welche bis an die Grenzen Europas gehört wurde. Wir behandeln hier auch nicht die Reorganisation des Gottesdienst in den reformierten Kirchen, und vorallem sein Geschenk des Dienstes durch den Gesang, denn in den reformierten Kirchen wurde nicht gesungen bis Calvin sie dies lehrte. Einige sind der Meinung, dass Calvin keinen grossartigeren oder tiefgreifenderen Einfluss hatte, als durch die Einführung des Psalters – jenes Psalters, der in 22 Auflagen im ersten und in 62 weiteren Auflagen in den nächsten 4 Jahre gedruckt wurde; welcher übersetzt und in fast allen europäischen Sprachen verbreitet wurde, und welcher eine unglaubliche Stütze für die verfolgten Protestanten wurde. Das Wirken Calvin war zu vielfältig, sein Einfluss in zahlreichen Bereichen zu stark, um in einer kurzen Aufzählung zusammengefasst zu werden. Wir verweilen uns nur noch um zu sagen, dass das System göttlicher Wahrheit, welche, durch seine überzeugende Neu-Formulierung und seine beeindruckende Verfechtung jener Lehre – seinen Namen trägt und welche aus der Sicht des röm. katholischen Autor – Canon William Barry – Calvin wie folgt beschreibt: „zweifelsohne der grösste protestantische Theologe, und, vielleicht, nach Augustin, den durch seine Nachfolger am konsequentesten nachgefolgte Theologe der westlichen Tradition.“
Kohärent, aber nicht originell: Calvin als Systematischer Denker
Unter den zeitgenössischen Historikern wird oft behauptet, dass Calvin weniger ein orginelles, als ein systematisierendes Genie war. Aus diesem Grund bemerkt zum Beispiel Reinhold Seeberg: „Er hatte ein durchdringenden und feinfühligen, jedoch keinen kreativen Geist“ „Als Dogmatiker schuf er keine neuen Ideen, aber seine Stärke lag darin, die vorhandenen Ideen in Einklang mit ihrem wesentlichen Charakter und ihrer historischen Entwicklung zu strukturieren.“ „Er besass das unglaubliche Talent, irgend ein System religiöser Ideen in seiner feinsten Präzision zu verstehen und einen angemessene Ausdruck seiner Nachforschungen zu geben. Dementsprechend hinterliess er kein „unprägtes Gold, wie Luther“ oder „von fraglicher Prägung, wie Melanchton“, sondern klar geprägtes und feines Gold – und darin liegt auch die Erklärung seines grossen Einflusses als Theologen. Diese Aussage kann leicht übertrieben werden, aber im Grunde liegt die Erkenntnis einer wichtigen Tatsache.
Theologische Errungenschaften
Calvin war ein durch und durch unabhängiger Bibelforscher und er entdeckte in dieser Schatzkammer nicht nur alte, sondern auch neue Erkenntnisse, und wenn es auch ihm nicht gegeben war, der Welt die revolutionäre Lehre der Rechtfertigung allein durch den Glauben wiedergegeben zu haben, so waren doch die Errungenschaften seines geistreichen Denkens für das theologischen Verständnis weder wenig noch unbedeutend. Er beeinflusste nachträglich die Lehre der Dreieinigkeit: durch seine Betonung der „Selbst-Existent“ als ein eigentliches Kennzeichen des Sohnes und des Geistes sowie des Vaters, er vertrieb die letzen Reste des Subordinationismus (Unterordnung des Sohnes/Geistes im Verhältnis zum Vater) und er sicherte der Kirche eine vertieftes Bewusstsein der Gleichstellung der göttlichen Personen. Er führte die Darstellung Christi Werk unter den drei Aspekten des Propheten, des Priesters und des Königs ein. Er schuf eigenhändig die christliche Ethik als akademische Disziplin. Doch über all dies gab er der Kirche die gesamte Lehre über das Wirken des Heiligen Geistes, tiefsinnig und bis ins Detail ausgeführt, mit der nützlichen Unterscheidung zwischen der allgemeinen und der errettenden Gnade, – eine Entdeckung, die so grossartig und bedeutungsvoll ist, dass wir ihn zu den grossen Kirchenväter wie Augustin, Anselm und Luther stellen können; Calvin als den Theologen des Heiligen Geistes, wie die anderen als Theologen der Gnade (Augustin), der Sühne (Anselm) und der Rechtfertigung (Luther) angesehen werden.
Gemeinsamer evangelischer Glaube
Dennoch, trotz solchen Errungenschaften für die Theologie, eine Leistung höchster Ordnung, so bleibt es doch wahr – und dies ist eine Wahrheit, die man nicht zu wenig betonen kann – dass das System von Lehrsätzen, welches Calvin lehrte und welches durch seine überzeugende Verteidigung in seinem grossartigsten Werk verbreitet wurde, nicht etwas eigenartiges oder etwas spezifisches an Calvin ist, sondern es handelt sich eigentlich nur um das „Evangelium“, das er mit alle anderen Reformatoren teilte, und auf dessen Grund sie sich als „Evanglikale“ bezeichneten, und wessen Wiederentdeckung der Grund für die Reformation war. Calvin „erfand“ nicht diese Wahrheiten; als ein „Reformator der zweiten Generation“ erbte er schon viele Erkenntnisse und seine grösste Bedeutung als Kirchenlehre besteht darin, dass, durch ein exaktes und feinfühliges Gespür für die theologischen Wahrheit und ihrer Zusammenhänge, durch sein systematisches Geschick war er fähig, wie kein anderer, die gemeinsamen doktrinalen Schätze der Reformation in ein kurzes, sich nicht widersprechendes und glaubensweckendes Ganzes zu vereinen. In dieser Aufgabe eines systematischen Denkers verdient er unsere ganze Anerkennung und unseren Dank. Er war es, der der evangelikalen Bewegung seine Theologie gab.
Augustinismus und Martin Bucer
Das Glaubenssystem, das Calvin lehrte, war nichts anderes als der gemeinsame Augustinismus der Reformatoren, denn von einem geistlichen Standpunkt war die Reformation eine Wiederentdeckung des Glaubens und von einem theologischen Standpunkt, die Wiederentdeckung des Augustinismus. Dieser Augustinismus wurde von Calvin nicht als eine unabhängige Wiederentdeckung gelehrt, sondern in der gleichen Art und Weise, wie dies Luther auch tat, dessen nützliche Ausdrucksweise er sich vollends aneignete und im besonderen die Interpretation von Martin Bucer, dessen praktische und ethische Sichtweise perfekt in sein System eingebunden wurde. Viele der Aussagen, die für Calvin typisch waren, über solche Themen wie Prädestination, Glaube und Heilsstadien, die Kirche oder die Sakramente waren im Grunde nur Neuformulierungen – obwohl mit der Klarheit und der religiösen Tiefe, die nur Calvin hatte – von Martin Bucers Unterweisungen, der über alle andern Reformatoren als Lehre Calvins angesehen werden darf. Selbstverständlich übernimmt Calvin nicht blindlings diese Ideen von Bucer und gibt sie wieder, ohne darüber auch nachgedacht zu haben. Er macht sich diese Ideen zu eigen und gibt sie mit der ihm charakteristischen Schärfe und abgewägten Beurteilung wieder, zeigt dann auch die Beziehung dieser Ideen untereinander auf, gibt neue Anwendungsbereiche, aber hebt besonders den unglaublichen Reichtum des religiösen Inhaltes hervor. Das Typischste an Calvins Arbeitsweise als Theologe liegt gerade in seinem Interesse für die Praxis, welches sein ganzes Denken bestimmt und die Tiefe seines Glaubens ausmacht, aus der er schöpfen kann. Er war aus diesem Grund, dass nicht nur sein Intellekt, sondern sein Herz ihn zum Theologen machte und es war auch aus diesem Herzenstrieb, der ihn veranlasste, sich der Theologie zu widmen.
Vorherbestimmung Gottes
Ausgangspunkt ist für Calvin, selbstverständlich, immer Gott; die Gotteserkenntnis und der Gehorsam ist die Summe aller menschlichen Weisheit. Doch dieser Gott wird von ihm als gerechte Liebe verstanden – ein HERR wie auch ein Vater, dessen Wille Grund aller Dinge ist (denn ist er nicht Gott?), aber dessen Wille wir nicht gleichzeitig annehmen, weil es unser Glück und unsere Weisheit ist (ist er doch nicht unser Vater?). Wir sollten uns völlig in der Hand dieses vollkommen gerechten Gottes geborgen wissen- und nicht unsere Zuversicht in uns oder anderen Menschen suchen – und aus diesem Grund war für ihn die Vorherbestimmung so ein ernstes Thema: die Prädestination ist nichts anderes als die Verkündigung der umfassenden Allmacht Gottes. Calvin wollte, dass wir unsere ewige Glückseligkeit nur in Gottes mächtiger Liebe sehen – und nicht in unsere sündhaften Natur – und darum sprach er mit solch einem Eifer über die Lehre der Erwählung: dies ist jedoch nichts anderes als unser Heil vollständig Gottes Wirken zuzuschreiben. Während er über die Majestät des HERRN der Menschen nachdachte, beugte er sein ganzes Wesen vor seinem heiligen Thron, sein ganzes Herz brannte vor Eifer für Gott. Als er darüber nachstudierte, wie dieser gewaltige Gott in der Person seines einzige Sohnes der Erlöser der Sünder wurde, konnte er nicht anders, als mit all seinem Wesen die Herrlichkeit seiner Güte und Gnade zu verkünden. In Seine Hände übergab er sich ohne Zögern: sein ganzer Geist fügte sich dem Willen Gottes – oder, um es genauer zu sagen, der „Führung des Heiligen Geistes“. Alles Gute in ihm und alles Gute, das in ihm noch entstehen sollte, schrieb er dem Wirken des Heiligen Geistes zu. „Die „Herrlichkeit Gottes allein“ und die „Führung des Heiligen Geistes“ (oder, wie es ein französischer Calvinforscher es später ausdrückte, die maîtrise, die „Kontrolle“ des Geistes) bekamen die zwei fundamentalen Prinzipien, die all sein Denken und Handeln bestimmte. Oder eher die zwei Ausdrücke des einen Prinzips, denn – da Gottes alles bewirkt und er durch den Geist handelt – die zwei Prinzipien im Grunde eins sind.
Gott im Zentrum
Hier liegt offenbar das Geheimnis von Calvins Grösse und die Quelle seiner Kraft. Niemand hatte je ein tiefgründigeres Verständnis von Gott wie er, niemand hat sich so uneingeschränkt in Gottes Führung gegeben wie er. „Wir können nicht besser die grundlegende Haltung Calvins als Menschen und als Reformator beschreiben“, schrieb ein Historiker, Bernhard Bess, der Calvins Leben untersuchte, „als mit den Worten des Psalms: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? und der Menschen Sohn, dass du auf ihn achtest“ Nach diesem Virtuoso in der Religion des Alten Testaments finden wir niemanden, der so von der Majestät Gottes und der Geringfügigkeit des Menschen mit so viel Feingefühl und Wahrheit gesprochen hat wie Calvin. Die Ausdrucksweise Luthers lässt manchmal fast schliessen, als ob Gott nur für den Menschen existieren würde, dies kann aber nie von Calvin gesagt werden. Gott ist für ihn der allmächtige Wille, durch welchen alles geschieht, was geschehen soll. Was in dieser Welt passiert, dient sicher auch dem Menschen, der Kirche und dem Heil, aber dies ist nicht der letzte Grund, sondern die Offenbarung der Herrlichkeit und Ehre Gottes.“ Wenn es irgentetwas gibt, was einen Menschen grossartig macht, so ist es bestimmt die uneingeschränkte Hingabe für Gott und die Absicht, nichts anderes zu suchen, als den Willen Gottes, alles geschehe nach seinem Willen. Calvin tat genau dies und das machte ihn so grossartig.
Calvin und Servet
Er hatte, selbstverständlich, auch seine Schwächen. Ohne Zweifel hatte er z. B. ein aufbrausendes Temperament. Er übertraf nicht die besten Elemente seiner Epoche. Wir haben gesehen, z. B., dass er in vollkommender Übereinstimmung mit der damaligen Meinung war, dass die weltlichen Gericht auch Übertretungen religiöser Natur ahnden sollten; er war auch einverstanden bei einer Begebenheit, die für ihn unglücklich war: die Hinrichtung Servets. Doch hier muss noch etwas zur Verteidigung Calvin gesagt werden: wir werden die Verbindung Calvins mit diesem Fall und mit Servet selbst in anderer Art machen, wie es unsere zeitgenössischen Autoren zu tun pflegen, wenn sie sagen, „Calvin war der Urheber eines grossen Verbrechens seiner Zeit – die Ermordung des heroischen Servets“. Servet, dieser „Narr eines Genies“, wie ihn ein neuzeitlicher Autor, nicht ohne Einsicht, beschrieb, war alles andere als eine heroische Figur. Das „Verbrechen“ seiner „Ermordung“, unglücklicherweise, war kein Einzelfall in einem Zeitalter, in der das Leben wenig galt, und es wurde allgemein angenommen, dass auf grobe Gotteslästerung die Todesstrafe in allen zivilisierten Staaten stand. Servet wurde von einem Gericht verurteilt und hingerichtet, in der Calvin nicht Mitglied war, bei dem er wenig Einfluss hatte und der die Bitte Calvins um Linderung der unnötigen Grausamkeit in der Vollstreckung abwies.
Fazit
„Es gibt Leute“ bemerkte Paul Wernle, der sicherlich nicht im Einfluss Calvins oder des Calvinismus stand, – „Es gibt Leute, denen wurde in der Schule erzählt, dass Servet durch Calvins Schuld verbrannt wurde. Jene sollten sich erinnern, dass wenn sie in dieser Zeit gelebt hätten, so wären sie alle sicherlich mit der Hinrichtung einverstanden gewesen. Es ist so einfach, diesen Mann zu verurteilen, der der grossartigste und tiefsinnigste Theologe seiner Zeit war und durch welchen die Kraft des Protestantismus in Schottland, Frankreich, England und Holland verbreitet wurde. WIr sind sicherlich alle froh, dass wir nicht unter seiner Herrschaft leben; aber wer weiss, was wir wären, wenn Calvin nicht diese göttliche Inbrunst gehabt hätte? Konzentrierter, zielgerichteter Eifer – dies war sein Wesen, er war vorallem Feuer und Flamme für Gottes Sache, seine Herrschaft in Genf war nicht strenger wie sein Heroismus prächtig war, der die Hälfte des Protestantismus in Europa eine Kraft verlieh, dass sie nicht mehr brechen konnte. Calvin war in Wahrheit die Seele der kämpfenden und eroberten reformierten Welt; er war es, der in den Schlachtfeldern der Hugenotten, der Niederländer und der Puritaner kämpfte. In kaum einem anderen der Reformatoren erkennt man eine solche Vollständigkeit, Absolutheit. Und dennoch in Mässigung mit einer Scheu vor jeder Art von Ausschweifung, mit einer Ehrerbietung und einem Taktgefühl wusste er genau wie man selbst mit den Grössten seiner Zeit sprach. Wenn sie diesen Mann kennenlernen wollen, wie er mit Gott und für Gott und die Welt gelebt hat, dann lesen sie in dem „Unterricht in der christlichen Religion“ den Abschnitt „Über das Leben eines Christen“. Es ist ein Abbild seiner selbst. Fügen sie dann noch um seine religiöse Eigenständigkeit kennenzulernen den Abschnitt über die Rechtfertigung und über die Vorherbestimmung hinzu, wo sie das tiefsinnigste und bewegenste seines Glaubenslebens finden werden“
So war dieser Mann, Johannes Calvin und so war sein Lebenswerk, dass er für Gott und seine Reich auf Erden getan hat. Adolf Harnack hat einmal gesagt, dass zwischen dem Apostel Paulus und dem Reformator Luther, Augstinus der grösste Mann war, den Gott seiner Kirche gegeben hat. Wir können getrost hinzufügen, dass von Luther bis heute keiner Calvins Grösse je übertroffen hat.